- ehemals PALAIS der Familie Doos -
„Aus Liebe zu meinem seeligen Ehemann, der das von mir bewohnte Haus für mich und seine Nachkommen, wie auch zur Zierde der Stadt Wilster, aus seinen eigenen Mitteln von Grund auf neu erbaut hat, und zwar so solide und dauerhaft, dass es länger als ein Menschenleben stehen kann ‑ und da ich nach meiner festen Überzeugung glaube, seinen Willen am besten zu erfüllen, wenn ich dafür sorge, dass dies sein Lieblingswerk nach meinem Tode nicht muthwilligerweise zerstört, sondern zu seinem Andenken so lange erhalten werden möge, als ein Werk von Menschenhänden bestehen kann, so legire und vermache ich mein Wohnhaus cum pert. als Garten, Gartenhäuser, Stall und den dahinter liegenden zwey Stück Grasland, der Stadt Wilster, bestimme jedoch, dass der jedesweilige Bürgermeister von Wilster das Haus cum pert. nebst Garten, Gartenhäuser, Stall und Land resp. bewohne und benutze und dass in der zweyten Etage das große Zimmer nach hinten zur Rathsversammlung und das daran stoßende kleine Zimmer zur Kämmerey eingerichtet und benutzt werde; alle übrigen Zimmer behält der jedesweilige Bürgermeister zu seinem eigenen Gebrauch, darf jedoch in der Hauptsache nichts darin ändern."
So heißt der buchstabengetreue Text im Testament der Etatsrätin Doos, die als Louise Charlotte Dorothea Christiania von Wolters im Jahre 1758 in Glückstadt das Licht der Welt erblickte und im Jahre 1829 als Witwe des reichen Kanzleirates Johann Hinrich Doos in Wilster verstarb. Da ihre Kinder ihr im Tode vorangegangen waren ‑ eines starb bei der Geburt, eines im ersten Lebensjahr, ihre ganze Hoffnung, der einzige Sohn, 17jährig ‑ hatte die Etatsrätin, die von kinderlosen, nahen Verwandten noch dazugeerbt hatte, keine leiblichen Erben. Sie vermachte ihren Besitz und ihr Vermögen teils der Stadt Wilster und ihrem langjährigen Sekretär und späteren Executor Hölck, teils durch Legate Anverwandten, den hiesigen Predigern, Schullehrern, Studierenden, Seminaristen, armen Primanern und vielen Mitmenschen mehr.
So hatte die Stadt Wilster das große Glück, ohne eigene finanzielle Mittel in den Besitz eines Neuen Rathauses zu gelangen. Das Haus wurde erstellt in der Zeit, als der Hamburger Architekt Emst Georg Sonnin die Kirche in Wilster baute (1775‑80). Irgendwelche Bauunterlagen sind nicht mehr vorhanden. Die immer wieder geäußerte Vermutung, dass auch beim Bau des Doos'schen Palais Sonnin zurnindestens beratend beteiligt gewesen sei, liegt bei der Betrachtung des Hauses zwar nahe, lässt sich jedoch nicht nachweisen.
Das Doos'sche Haus ist ein stattlicher, zweistöckiger Bau mit sieben Fensterachsen, mit einem Untergeschoß und einem völlig ausgebauten Dachgeschoß. Seine Frontlänge beträgt 15,20 m, die Tiefe 19,00 m. Die Räume sind im erhöhten Erd‑ und Obergeschoß 3,80 m, im Dachgeschoß 3,50 m im Lichten hoch, die Zwischendecke etwa 50 cm stark. Der das Untergeschoß umschließende Sockel ist aus Granitquadern, das übrige Mauerwerk aus Ziegeln gebaut; das Mansardendach mit einer prachtvollen Zimmerkonstruktion ist mit Dachziegeln eingedeckt.
Von der Freitreppe gelangt man unmittelbar in eine vornehme, fast wohnliche, mit Ölbildem über den zweiflügefigen Türen und mit großen, prächtigen Schränken ausgestattete Diele, deren Fußboden mit Marmorplatten ausgelegt ist. Sie beeindruckt durch eine wirkungsvolle Dreitellung und Verjüngung zur Tür, die zum Garten führt. Betritt man das Haus vom Garten kommend, so hat man das Gefühl, in eine sich weit öffnende Halle einzutreten. Im Erdgeschoß befanden sich die Wohnräume der Familie, im oberen Stockwerk die Repräsentationsräume, im Dachgeschoß die Schlafräume und die etwa 10.000 Bände umfassende Bibliothek.
In allen Zimmern muss man sich die heutigen Büromöbel fortdenken und sie sich mit Teppichen, zierlichen Tischchen, mit Sesseln und Stühlen, die mit Seide oder Damast bezogen waren und mit Kristalllüstern ausgestattet, vorstellen. Kein Raum in dem großen Haus hatte Papiertapeten. Waren die Wände nicht mit Stuckereien oder Bemalungen geschmückt, dann trugen sie seidene Tapeten.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts ließ der dänische König Christian VI. seinem holsteinischen Statthalter und Schwager Friedrich Ernst von Brandenburg‑Culmbach in Friedrichsruh bei Drage/Itzehoe ein prächtiges Schloss errichten. Nach dem Tode des Statthalters kam es zum Abbruch und Verkauf. Das geschah um die Zeit, als der Kanzleirat Doos in Wilster sein Haus errichten ließ. Er erwarb viele Ausstattungsgegenstände aus diesem prunkvoll eingerichteten Schloss, um damit sein Haus zu schmücken. So stammen auch die Marmorplatten auf dem Flur aus diesem Drager Schloss sowie die hohen Schmuckschränke aus edelsten Hölzern. Die mit Goldrahmen versehenen Gemälde über den Türen mit Szenen der Jahreszeiten und die Kristalllüster dürften ebenfalls aus dem Schloss stammen.
Ganz besonders fasziniert wird der Besucher von dem Festsaal, der sich über die ganze Vorderfront des Hauses erstreckt. Hohe und dicht beieinander angebrachte Fenster lassen eine große Lichtfülle einströmen. Zwischen den Fenstern sind hohe Spiegel in Goldrahmen mit Aufsätzen aus geschnitzten und vergoldeten Schmuckleisten, die allegorische Figuren umschließen. Die Decke und Wände zeigen als Schmuck viele Stuckereien in verschiedenen Ausführungen. Heute dient der einstige Festsaal der Ratsversammlung der Stadt und jungen Menschen, die gemeinsam durchs Leben gehen wollen, als Stätte ihrer standesamtlichen Trauung.
Die o. a. Bezeichnung „curn pert" (pertinentiis) haben wir als „Zubehör" zu dem Haus zu verstehen, nämlich ein zweistöckiges, hölzernes Sommerhaus, eine Remise für die Kutsche und Pferde sowie ein Badehäuschen in dem zwei ha großen Garten. Diese Gebäude sind im Kriegsjahr 1944 einem Bombenabwurf zum Opfer gefallen. Erhalten geblieben sind jedoch die aus weißem Marmor gefertigten Götterfiguren aus der antiken Sagenwelt, die ebenfalls vorn Schloss Friedrichsruh stammen. Die wertvolle Doos'sche Bibliothek befindet sich heute im Alten Rathaus der Stadt Wilster von 1585.
Nicht mehr vorhanden sind die persönlichen Besitztümer der Familie Doos. Wohl verbot das Testament den Verkauf aller befestigten Einrichtungsgegenstände und der Schränke und Truhen, aber nicht den der Juwelen, goldenen und silbernen Uhren, des reichhaltigen Tafelsilbers und des kostbaren Porzellans, der Möbel, Kleider und Wäsche.
Obwohl die Etatsrätin eine beträchtliche Summe für die Unterhaltung des Hauses ausgesetzt hatte, wurden die persönlichen Dinge öffentlich versteigert. Noch heute befindet sich im städtischen Archiv eine genaue Aufzeichnung über das sich über zwei Monate (vormittags und nachmittags) erstreckende Vorhaben, aus der gewissenhaft hervorgeht, welcher Käufer welchen Gegenstand für wie viel Geld erworben hat. Aber keine noch so gewissenhafte Aufzeichnung vermag uns über den Verlust der Doos'schen Kostbarkeiten hinwegzutrösten. Sie sind in alle Winde verweht.
In ihrem letzten Lebensjahr wurde Frau Doos von dem dänischen König zur Etatsrätin ernannt. Diese Ernennung war in der damaligen Zeit eine außergewöhnliche Auszeichnung und Ehre für eine Frau.
Die Wilstersche Bürger‑Schützen‑Gilde von 1380, die ihre Aufgabe in der Wahrung alter Traditionen sieht, bemüht sich seit vielen Jahren, das Gedenken an die Wohltäterin der Stadt wach zu halten. Sie lädt alljährlich zu ihrem Gildefest in einem Spiel die Etatsrätin Doos ein, an der Gildefeier teilzunehmen. Dann wird die Etatsrätin, begleitet von ihrem Berater Bürgermeister Wichmann, ihrem Sekretär Hölck und ihrer Zofe von ihrem Palais mit einer Kutsche zum Alten Rathaus gefahren, wo die Gildefeier stattfindet. Gern nimmt sie die Ovationen der Wilsteraner, die ihr dabei zuteil werden, entgegen. So wie sie es vielleicht früher einmal wirklich getan hat.
Quelle: WILSTERMARSCH UND WILSTER - Dagmar Krause (Verfasserin). Eggert Block (Amtsvorsteher des Amtes Wilstermarsch), Hans-Werner Speerforck (Vorsitzender Regionalverein Wilstermarsch e. V.)