Willkommen auf der Website des Förderverein Historische Rathäuser in Wilster e.V.

Im Jahre 1282 ist Wilster volle 7 Jahrhunderte lang Stadt gewesen. Das ist für Holstein schon eine beachtenswerte Zeit. Viele heute nicht unbedeutende Orte, wie z.B. Neumünster, Elmshorn, Pinneberg und Uetersen, sind als Städte sehr viel jünger. Wilster gehört zu den älteren Stadtgründungen des Landes, die alle ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Nun gibt es unter diesen solche, die auf der grünen Wiese entstanden, wie es z.B. bei Kiel der Fall gewesen ist. Andere bestanden schon vorher als Dorf. Zu diesen letzteren gehört auch Wilster. Als Ortschaft ist es also noch älter als 7 Jahrhunderte. Dabei bleibt unklar, wie alt es nun genau als Ansiedlung ist. Des bestehen darüber denn auch unterschiedliche Vorstellungen. Die eine Richtung meint, Wilster sei eine Schöpfung der Holländer aus dem 12. Jahrhundert.1) Die andere hält Wilster für älter.2) Um hier diese beiden Auffassungen verstehen zu können, muss in aller Kürze auf die geographischen Voraussetzungen für Wilster eingegangen werden, und zwar alleine schon deshalb, weil ohne sie die Entwicklung des Ortes unverständlich bleibt.

Zunächst ist einmal festzustellen, dass Wilster in der Marsch gelegen ist, d. h. in dem Raume, der erdgeschichtlich der jüngste im Lande ist, viel jünger als die benachbarte Geest. In dem Raume, der heute von der Niederelbe und den sie begleitenden Flussmarschen, zu denen auch die Wilstermarsch gehört, eingenommen wird, befand sich während der letzten Eiszeit vor 20 000 Jahren ein sog. Urstromtal, durch welches die Schmelzwassermassen der Gletscher dem damals fernen Meere zuflossen. So findet man bei Bohrungen ganz unten Gletscherschutt früherer Eiszeiten, aus denen ja auch unsere Geest besteht, darüber folgt Kies, die Ablagerung eines schnell, d.h. mit stärkerem Gefälle fließenden Stromes. Das Meer war noch fern, die heutige Nordsee noch Festland. Darüber folgen feinere Sandablagerungen, der Fluss fließt nun gemächlicher dahin, lagert auch feineres Material ab, denn das Meer dringt durch den Raum der heutigen Nordsee vor. Dann folgen darüber mächtige Moorschichten, das Meer ist nun schon so nahe, dass es Entwässerungsschwierigkeiten gibt. Es bildete sich der sog. „Basistorf“, der dort, wo das Meer dann in der Folgezeit nicht mehr hinkam, d. h. im Grenzraum zwischen Marsch und Geest, auch heute noch oberflächlich ansteht. Im Gebiet der Marschen allerdings erfolgte die Überflutung (Transgression) durch das Meer. Das abgestorbene Moor verschwand unter Meeresablagerungen, zunächst Sanden, dann dem fruchtbaren Marschklei, der zuletzt so anwuchs, dass er nur noch bei Hochwasser, schließlich nur noch bei Sturmfluten vom Meereswasser überschwemmt wurde. Dabei überfluteten die Wassermassen natürlich zunächst stets die Uferpartien einmal der Elbe, dann aber auch der Nebenflüsse, also der Stör etwa, aber auch wieder die von deren Nebenflüssen, z.B. die der Wilsterau, während die entlegeneren Teile der Marsch weniger häufig von ihnen erreicht wurden. Da jede Überflutung aber eine neue Ablagerungsschicht mit sich brachte, bildeten sich entlang der Flussläufe die sog. „Uferwälle“ aus. Hier war die Marsch also besonders hoch aufgeschlickt, während das Hinterland (das „Sietland“) viel tiefer lag. So haben wir denn im Bereich der Wilstermarsch einen breiten Uferwall entlang der Niederelbe, der allerdings in geschichtlicher Zeit durch eine Nordverlagerung des Elbstromes in unserem Bereich erheblich reduziert worden ist, so dass Kirchorte wie z.B. St. Margarethen (Elredefleth) und Wewelsfleth nordwärts verlegt werden mussten. Schmaler, aber immer noch beachtenswert ist der Uferwall der Stör, während das Band höheren Landes entlang der Wilsterau schon sehr schmal ist. Immerhin ist es vorhanden, und gerade in Wilster selbst haben wir mit 2,20 Metern über NN (über normales Hochwasser) den höchsten Punkt der gesamten Wilstermarsch. So haben wir heute also entlang von Elbe und Stör höheres Land, auch unmittelbar entlang der Wilsterau davon noch ein schmales Band, während dahinter die Marsch heute teilweise erheblich unter dem Meeresspiegel liegt. Im Westen und Norden aber wird diese Marsch durch mächtige Moorlagen von der Geest getrennt.3)

Wenn demnach in frühen Jahrtausenden also Menschen in diesem Raum gelebt haben sollten, was gewiss der Fall gewesen sein wird, so würde sich ihre Hinterlassenschaft tief unter dem Marschboden befinden, sonst aber, für uns fassbarer, wo das Moor zum Geestrand hin noch ansteht. So fand man 1910 an einem ehemaligen Fleth im Gebiet von Kuhlen (südlich von Kudensee) in nur 1 Meter Tiefe drei Flintdolche aus der jüngeren Steinzeit.4) Der heutige Marschboden jedoch wurde erst nach seiner Entstehung zuerst besiedelbar und zwar dort, wo er genügend aufgeschlickt war, also auf den Uferwällen. Das war um die Zeitenwende oder in den Jahrhunderten unmittelbar davor der Fall. „In der Zeit um Christi Geburt wurde die Elb- und Nordseemarsch erstmalig in größerem Umfang besiedelt, nachdem sie durch die vorhergehende Hebung der Nordseeküste sturmflutsicheres Festland geworden war“, so schreibt der Vorgeschichtler Karl Kersten 1939.5)

Die Uferwälle waren um die Zeitenwende hoch aufgeschlickt, der Auslauf für Meereswasser bei Sturmfluten war weit, bis hin zur fernen Geest, d.h. die Höhe der Überschwemmungen war relativ gering. So konnten es Menschen wagen, sich dort ebenerdig anzusiedeln. „Damals entstand an den Ufern der Priele und Flüsse im Bereich der Niederelbemarsch eine große Anzahl von Siedlungen, die zur ebenen Erde angelegt waren. Die Ansiedlungen jener Zeit besaßen im Bereich der Störmarschen den Charakter großer Einzelgehöfte, wie sie auch heute noch für die Marsch Westholsteins kennzeichnend sind“, schreibt Kersten weiter.6) W. Haarnagel hat eines dieser Gehöfte 1935/37 bei Hodorf ausgegraben und andere Siedlungen durch Bohrung festgestellt7), durchweg in der Störmarsch, was gewiss nicht besagt, dass es solche Siedlungen nicht auch an Elbe und Wilsterau gegeben haben sollte. Aus geographischen Erwägungen heraus ist derartiges durchaus denkbar, ja sogar wahrscheinlich. Doch muss zugleich gesagt werden, dass vorgeschichtliche Funde aus dem Gemeindeland von Wilster bisher nicht vorliegen, der sichere Beweis also aussteht.
Übrigens wurden dann im Laufe der Völkerwanderung eine Reihe von Siedlungen wieder aufgegeben. So hört z.B. die Siedlung von Hodorf um etwa 400 n. Chr. auf.8) Im 5. und 6. Jahrhundert haben wir kaum Spuren. In der Folgezeit kennen wir dann wieder Besiedlung im Bereich der Stör.9)

Dem entsprechen die Ortsnamen der Wilstermarsch. Hier begegnen uns fast keine alten Ortsnamen aus der römischen Kaiserzeit. Die in Holstein so beliebten stedt-Namen fehlen ganz, denn Heiligenstedten, das überdies am Geestrand liegt, ist wohl nicht als alter stedt-Name aufzufassen. Als verhältnismäßig alte Namen haben wir die fleth-Namen anzusprechen, die gerade für die Elbmarschen typisch sind. Es handelt sich um ursprüngliche Gewässernamen, die dann auf die am Ufer befindlichen Siedlungen übertragen wurden. Sie weisen auf die Besiedlung der Elbmarschen vor der Bedeichung und der großen Kolonisation hin. Ihre Verbreitung deckt sich im Wesentlichen mit der frühmittelalterlichen Besiedlung der Marschen, d.h. wir haben diese Orte fast alle auf den hohen Uferwällen entlang der Flüsse (auch der Wilsterau).10) Wir finden nun in der Umgebung von Wilster solche fleth-Namen: Dammfleth, Honigfleth und Rumfleth. Sie sagen sicher aus, dass es hier Flethe gab, die ihre Namen aus der Zeit vor der Eindeichung von den Alteingesessenen erhielten, dass hier also mit hoher Wahrscheinlichkeit schon Eingesessene gelebt haben, bevor holländische Kolonisten dort erschienen. Das Gebiet von Rumfleth lag ja auch so hoch, dass man es hier später mit dem Abbau des Marschbodens für die Ziegeleifabrikation versuchen konnte.11) Sicher ist dann aber auch, dass diese Orte dann in das Gebiet mit holländischem (hollischem) Recht fielen, dass für das ganze Umfeld von Wilster seit dem 12. Jahrhundert holländische Kolonisten bestimmend wurden.

Die fleth-Namen kann man zeitlich etwa einordnen, den Namen Wilster als Ortsnamen dagegen weniger. Ganz sicher ist Wilster ein alter Name, aber er bezeichnete den Fluss, und „nach der Wilster(au) hat wiederum die Stadt Wilster ihren Namen“, so schreibt Wolfgang Laur, und weiter „unter den Ortsnamen, die auf Gewässerbezeichnungen zurückgehen, begegnen uns einige Male auch solche, die auf direkten Übertragungen von Flussnamen beruhen, so Wilster“.12) Ein str (ster)-Suffix, das einem Wortstamm angehängt ist, „begegnet uns bei einer Reihe von Flussnamen. In Südholstein sind auf diese Weise drei Flussnamen gebildet, nämlich Wilster(au), Seester (heute Krückau) und Alster“.13) Im Jahre 1139 heißt es in einer Urkunde noch „iuxta Wilstram fluminem“ (nahe bei dem Fluss Wilster).14) Das angehängte spätere Au ist eine Erweiterung.15) Dieser Flussname hängt vielleicht mit „wild“ zusammen, was „wohl nicht auf den Lauf, sondern auf die ursprüngliche Umgebung bezogen“ sein wird, der hohe Uferwall war ja nicht breit, ringsumher aber dehnten sich umfangreiche Brakwasser-Seen aus, und weiter aufwärts wurde der Fluss von umfangreichen Mooren eingefasst. Vielleicht ist die Bezeichnung für diesen Fluss aber auch auf einen Namen zurückzuführen.16)

Auch die Flurkarten, das war schon die Auffassung des Gymnasialdirektors D. Dethlefsen (Glückstadt) in seiner „Geschichte der Holsteinischen Elbmarschen“,17) können etwas aussagen über das Alter der Besiedlung in der Marsch. Während die nachweislich durch holländische Kolonisten seit dem 12. Jahrhundert kultivierten Gebiete eine sehr regelmäßige Fluraufteilung aufzeigen (eine Flurordnung, die allerdings dann auch weithin von sächsischen Bewohnern übernommen wurde), sind in einigen Fluren vor allem auf den erhöhten Ufern der Stör die Felder oft kreuz und quer angeordnet. Nach Auffassung von Detlefsen und von Hauptpastor W. Jensen ist dieses ein Hinweis dafür, dass es sich bei ihnen um altsächsisches Siedlungsland handele, eine Ansicht, der kaum zu widersprechen ist. Jensen gibt im „Heimatbuch des Kreises Steinburg“ Band II auf Seite 121 das Messtischblatt der „Sachsensiedlung“ Uhrendorf wieder, der er auf Seite 126 das Kartenblatt der „Holländersiedlung“ Rothenmeer zum Vergleich eindrucksvoll gegenüberstellt. Im Falle aber, dass alles Land mit regelmäßiger Fluraufteilung „holländisch“ sei, so wäre das gesamte Gebiet des Kirchspiels Wilster holländisch, „sächsische“ Vielfalt suchen wir hier vergebens. Doch nicht alles Sachsenland blieb ja in alter scheinbar regelloser Aufgliederung, das zeigen die meisten Fluren an Stör und Elbe, die ganz gewiss schon immer von Sachsen besiedelt gewesen sind.

Es lassen sich also über die Anfänge der Besiedlung im Raum unmittelbar um Wilster herum zwei Standpunkte vertreten. Pastor W. Jensen schreibt im „Heimatbuch des Kreises Steinburg“ Band II auf Seite 124: Altsächsische Besiedlung „gilt von dem hohen Uferrand der Wilsterau, wo die Ortschaft Wilster“ (Jensen behauptet sogar „mit ihrer Kirche“) „vor der holländischen Einwanderung vorhanden war. Auch die angrenzenden Ortschaften mit ihrem hohen Ackerland werden in die vorholländische Zeit zurückreichen“. Dem steht die Auffassung von Marianne Hofmann entgegen, die 1958 in ihrer Dissertation „Die Anfänge der Städte Itzehoe, Wilster und Krempe“18) schreibt: „Daraus lässt sich schließen, dass Wilster erstmalig durch die Holländer besiedelt worden ist“. Für das weitere Umland von Wilster hat Marianne Hofmann gewiss richtig gesehen. Für den hohen, wenn auch schmalen Uferwall, auf dem auch und vor allem Wilster gelegen ist, neige ich mehr der Ansicht Jensens zu.

Unklarheiten konnten entstehen, weil die Quellen die Situation zu bruchstückhaft aufhellen. Was wissen wir durch Urkunden und andere Quellen über die Frühzeit der Wilstermarsch, besonders auch über das Wilstersche Gebiet? Erste Nachrichten stammen aus der Zeit nach 800 n. Chr., über das Gebiet um Wilster selbst haben wir sie erst aus dem 12. Jahrhundert. Um 800 besetzte erstmals eine Macht mit schriftlicher Überlieferung Westholstein (Nordalbingien), das Frankenreich Kaiser Karls des Großen. Der Ausbau des Landes und damit die Kolonisation der Wilstermarsch aber konnte, durch widrige Umstände bedingt, erst im 12. Jahrhundert und danach erfolgen. Nachdem Karl der Große in den Jahren 798 bis abschließend 804 den letzten Widerstand der nordelbischen Sachsen gebrochen hatte, beschloss er, nachdem der Versuch, aus Nordalbingien unter slavischer Herrschaft so etwas wie eine Pufferzone zwischen dem Frankenreich und den Dänen nördlich der Eider zu machen, gescheitert war, dieses Gebiet direkt in sein Reich einzubeziehen. Dabei wird zum ersten Mal ein Ort der Wilstermarsch erwähnt. Im Jahre 809 gab es in „Badenfliot“ fränkisch-dänische Verhandlungen, die völlig ergebnislos verliefen. Im folgenden Jahre „besetzten“ Franken unter dem Grafen Egbert das „Esesfeld“, das Gebiet bei der späteren „Oldenburgskuhle“ auf dem Geestvorsprung bei Heiligenstedten, nach jüngsten Ausgrabungen offensichtlich schon vorher ein befestigter Platz, und schufen hier einen starken Brückenkopf.19) In der Nähe des festen Platzes Esesfeld und mit ihm doch wohl einmal im Zusammenhang stehend entstand in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts die Kirche von „Heligonstad“, für lange Zeit eine der vier Kirchen im nordelbischen Sachsenlande. Neben Geestrandgebieten „wird der alte Pfarrbezirk dieser Kirche die besiedelten Punkte des Marschgebietes umfasst haben“, und über den Zeitpunkt der Kirchengründung: „Man hat sie allgemein auf 834 festgesetzt“, so schrieb Karl-Heinz Gaasch in seiner Dissertation: Die mittelalterlichen Pfarrorganisationen in Dithmarschen, Holstein und Stormarn.“20)

Auffallend ist es, dass diese beiden Orte, also Beidenfleth und Heiligenstedten, im Störgebiet gelegen sind, also dort, wo bis zum 11. Jahrhundert vor allem die Ansiedlungen lagen. Für sie war die Kirche Heiligenstedten sicherlich lange Zeit ausreichend. Noch heute kann man erkennen, dass das Kirchspiel sich beiderseits der Stör entlang zog. Südlich des Flusses umfasst es immer noch Orte wie Hodorf; für weiter gelegenes Gebiet entstand hier dann später ein Ableger, der bezeichnenderweise Neuenkirchen hieß. Und auf dem Nordufer gehören noch heute zu Heiligenstedten fast das gesamte Honigfleth, weiter Stördorf bis zur Mündung der Wilsterau. Ja, selbst noch südlich der Au gehört Kathen noch immer dazu. Wann danach störabwärts Beidenfleth und Wewelsfleth eigene Kirchorte wurden, wissen wir nicht genau anzugeben. Ältester Kirchort nach Heiligenstedten wurde aber keiner von ihnen. „Das älteste Kirchspiel der Wilstermarsch ist Wilster“,21 wenn wir von eben Heiligenstedten einmal absehen. Die Kirche von Wilster wurde aber erst möglich, nachdem im 12. Jahrhundert die Kolonisation des tiefergelegenen Inneren der Wilstermarsch schon kräftig vorangeschritten war.

Ursprünglich, das heißt vor der Kolonisation der inneren Marsch, also vor dem 12. Jahrhundert, gab es auf dem schmalen Uferwall doch recht geringe Entfaltungsmöglichkeiten. Rundum, nach Norden und Süden dehnten sich weithin Brakwasserseen aus, und weiter nach Westen und Norden folgten ausgedehnte Hochmoore. Hier habe es, wie noch Dankwerth in seiner Landesbeschreibung aus dem Jahre 1652 mitteilte, „nicht viel anders denn Insulenn und Pfützen“ gegeben.22) Eine Kolonisation konnte in Holstein erst erfolgen, als das Gebiet aufgehört hatte, umstrittene Kampfzone zwischen christlichen Sachsen und heidnischen Wenden zu sein.23) Das war aber erst im 12. Jahrhundert der Fall. Erst jetzt, unter den ersten Schauenburger Grafen, begann eine umfassende Kolonisation, und zwar nicht nur in Ostholstein, sondern auch in den Elbmarschen. Es erfolgte die Urbarmachung der Niederungszonen der Wilstermarsch durch ins Land gerufene „Holländer“, also die Kolonisation der Gebiete, die von den Ureinwohnern damals nicht geleistet werden konnte. Es war dabei das Problem anscheinend weniger die Bedeichung, mit der die Sachsen im Lande auch sonst zurecht gekommen sind, als vielmehr die schwierige Entwässerung. Diese Arbeit nun wurde von den Holländern im Inneren der Wilstermarsch im 12. und auch noch im folgenden 13. Jahrhundert vollbracht, was Wilster, bisher sicher mehr ein exponierter Außenposten unter den Siedlungen, zum natürlichen Mittelpunkt der nun voll erschlossenen Marsch machte.

Von dieser Kolonisation, die offenbar von der „Alten Seite“ (nördlich der Au) zur „Neuen Seite“ (südlich der Au) voranschritt, berichtet uns im Zusammenhang kein Zeitgenosse. Wir hören von ihr nur über eine begrenzte Anzahl von Urkunden aus den Archiven solcher geistlicher Institute, die damals schon neuerworbene Rechtsansprüche (Landerwerb und sonstige Einkommensquellen) auf diese Weise schriftlich fixieren ließen. Aus ihnen erfahren wir, gleichsam am Rande, einiges von dem, was damals vor sich ging. Da hören wir „a lacu qui dicitur Sladen“, von einem See, der Sladen genannt wurde,24) von einem weiteren See im Raum Dammfleth,25) von einem Bredensee („bredinse“),26 die uns einen Eindruck davon vermitteln, wie es in diesem Raume rund um Wilster damals aussah. Dass Holländer die Kolonisatoren waren, erfahren wir ebenso nebenher. Verträge zwischen diesen und dem Landesherrn, wie wir sie aus südelbischen Gebieten kennen, haben sich bei uns nicht erhalten. Aber es wird in Urkunden darauf hingewiesen, wenn Sachsenrecht der Einheimischen und nicht das „Hollische Recht“ der Kolonisten galt wie z.B. in Sachsenbande.27) Oder eine Urkunde, in der es um eine Schenkung eines Kirchenzehnten geht, beschreibt den Raum 1221 als „vetus terra“, altes Land also, womit wohl die Alte Seite gemeint sein dürfte, und zwar gelegen „inter saxones et hollandros“, zwischen Sachsen und Holländern.28) Auf diese Weise erfahren wir von der Kolonisation der Holländer in der inneren Wilstermarsch. Die älteste dieser Urkunden, die alle dem ältesten „Kloster“ des Landes in Neumünster (später verlegt nach Bordesholm) galten, das um Besitzerwerb im neuen Kolonialland in den Marschen bemüht war, stammt aus dem Jahre 1139,29) also vier Jahre bevor in Ostholstein die Kolonisation einsetzte. Viel früher dürfte sie auch in der Wilstermarsch kaum begonnen haben.

Und in einer dieser Urkunden taucht, zur besseren Lokalisierung des Neuerwerbs und nicht etwa, um sich mit diesem Ort näher zu beschäftigen, Wilster auf. Und nicht nur das, wir erfahren, dass dieses Wilster damals schon eine Kirche hatte. Das war im Jahre 1163.30) Genau genommen wird in dieser Urkunde der Ort als Wilster noch immer nicht genannt. Der Erzbischof Hartwig (von Hamburg-Bremen, der Dioezesan-Bischof unseres Raumes) übergibt in ihr wieder dem Kloster Neumünster wieder einen Kirchenzehnten, diese wichtige, damals jedoch schon oft zweckentfremdete kirchliche Einnahme, und zwar südlich der Wilster(au), „in australi parte wilstere“, und hier wieder zwischen Stockfleth (einem Ort, den es heute nicht mehr gibt) und Dammfleth, „inter stocflite et damflite“, und hier im Neß, womit die Au-Schleife gemeint war, den diese bildete, als sie noch den großen Bogen am Alten Rathaus vorbei beschrieb, was ja bis in unser Jahrhundert (20.) hinein der Fall gewesen ist. Um das Gebiet ganz genau zu beschreiben, wird noch erläutert, das Gebiet habe gelegen „eregione ecolesie“.31) Neß bedeutet ein Land in einer Flußschleife.32) Dieses Neß lag südlich der Au, ist also nicht zu verwechseln mit dem Gebiet der späteren Neßducht flussaufwärts von Wilster. Es handelte sich um das Gebiet zwischen Stockfleth und Dammfleth. So kann es sich nur um das Gebiet handeln in der großen Fluss-Schleife, die die Au durch das heutige Wilster (vor der Verrohrung des alten Au-Laufes) geschaffen hatte. Pastor W. Jensen übersetzt „eregione ecclesie“ denn auch mit „gegenüber der Kirche“.33) „Die Kirche“ war unverwechselbar. Es gab und gibt dort nur sie alleine, und sie lag also im Jahre 1163 schon „gegenüber“ auf der Nordseite, am heutigen Platze. Marianne Hofmann schreibt in ihrer Dissertation: „Der in der Urkunde verwandte Ausdruck „eregione ecclesie“ weist auf die Kirche zu Wilster an ihrem heutigen Platz hin, da hier der höchste Punkt der Wilstermarsch ist“ und bezieht sich dabei auf D. Detlefsen, der schon dieser Ansicht gewesen ist.34)

W. Jensen schreibt im „Heimatbuch des Kreises Steinburg“, dass diese Kirche am heutigen Platze damals „auf hoher Wurt“ gelegen habe, fügt dem aber kurz darauf hinzu, dass es sich nur um eine Vermutung von ihm handele. „Ob und wie weit er (der Grund) künstlich aufgeschichtet war, ist leider nicht aufgezeichnet worden.“35)
Eine Wurt als Platz für eine Kirche oder als ehemaliger Siedlungskern wäre an sich nichts Einmaliges in den Marschen. Sicher liegt jedenfalls die Kirche auf dem höchsten Punkt des Uferwalles der Wilsterau. Als man die heutige Kirche im 18. Jahrhundert erbaute, hat man vorher den Untergrund einer eingehenden Prüfung unterzogen und dabei festgestellt, dass er ein so solides Fundament darstellte, dass der große Baumeister Sonnin eine Pfahlfundierung für überflüssig erachtete.36) Man fand „oben zuerst 33 Fuß gute Tonerde, dann 3 Fuß Moor und endlich 9¾ Fuß Kleierde, dass also bis zu dem reinen Sandgrund 45 ¾ Fuß waren“,37) wobei in der Wilstermarsch damals 1 Fuß eine Länge von 0,28916 Meter hatte.38) Da konnten Marschbewohner aus ihrer lokalen Sicht schon mit Nachdruck schreiben: „Damals strömte noch die Wilsterau zwischen hohen Ufern, die auch schon früh von Deich überhöht wurden, in mächtigen Windungen der Stör zu“.39) Oder: „Unsere Kirche liegt an höchster Stelle in der ganzen Marsch, und wenn diese einmal ganz unter Wasser stehen sollte, so würde es doch kaum bis an die Kirche reichen.“40)

Diese Kirche zu Wilster, die 1163 zuerst erwähnt wurde, konnte damals noch nicht lange gestanden haben, denn der Ausbau der Marsch kann kaum vor dem Erscheinen der Schauenburger Grafen in Holstein (1111 n. Chr.) eingesetzt haben. Die erste urkundliche Nachricht aus dem Wilsterschen Raume haben wir aus dem Jahre 1139. Vorher war das Gebiet abseits des recht schmalen Uferwalles der Au unerschlossen und unbesiedelbar. Einer Kirche fehlten einfach die Voraussetzungen. Erst als dann die Kolonisierung der Niederungszonen durch die Holländer einsetzte, das Land zügig erschlossen und besiedelt wurde, ergab sich nun nicht nur die Möglichkeit sondern auch die Notwendigkeit, hier eine Kirche zu errichten. Karl-Heinz Gaasch schreibt denn auch in seiner Dissertation über die Kirchenorganisation Altholsteins41): „Wahrscheinlich werden wir damit“, gemeint ist die erste Erwähnung im Jahre 1163, „das Kirchspiel schon bald nach seiner Einrichtung gefasst haben, denn es ist kaum vorstellbar, dass hier unweit der alten Kirche Heiligenstedten mitten in der Marsch früher Kirchengründungen stattgefunden haben als im übrigen Nordelbingen.“ Bis zum Jahre 1111 n. Chr. lag es in Holstein mit dem Ausbau des Pfarrsystems überhaupt noch sehr im Argen. Wilsters Kirche weist, wenn man alles zusammen beachtet, für die Marsch sogar ein relativ frühes Datum seiner Entstehung auf, auch ein Zeichen dafür, wie zügig damals die Kolonisation der inneren Wilstermarsch voranschritt.

Im Jahre 1163 taucht also erstmals die Kirche zu Wilster auf, von der beiliegenden Ortschaft dagegen hören wir noch immer nichts, was natürlich nicht besagt, dass dieses Dorf etwa noch nicht bestanden habe. Als „Wilstria“ (die Au wurde mit „Wilstra“ oder „Wilstera“ genannt) taucht es, dieses Dorf Wilster, dann am 10. Januar 1221 in einer Urkunde auf42) und zwar, weil in ihr ein Zeuge aus Wilster auftauchte. „Otto de Wilstria“ nimmt damals a einem „Goding“ (Gaugerichtstagung etwa für den Gau Holsatien) in „Schelinghuse“ (Kellinghusen) teil, wird dabei neben Geistlichen unter den „laici“ aufgezählt in einer Urkunde, in der der Graß dem Kloster Neumünster den Zehnten im „Alten Lande“ in der Wilstermarsch zwischen den Wohnplätzen der Sachsen und Holländer überträgt. Nur unter diesen Umständen erfahren wir, dass es einen Ort Wilster damals gibt. Der Ort selbst spielt in der Urkunde nur insofern eine Rolle, weil aus ihm ein Zeuge für einen Rechtsakt, der ein Gebiet aus der Nähe betrifft, genommen wurde. Ähnlich verhält es sich bei weiteren Urkunden, die Wilster erwähnen. So taucht 1247 ein gewisser Boio aus dem Kirchspiel Wilster („in parrochia wilstria) auf. Es geht dabei um Deich- und Entwässerungsangelegenheiten.43) Von 1248 bis 1256 erscheint in weiteren Urkunden der Name eines Wilsteraner Geistlichen als Zeuge („Arnoldus plebanus de wilstria“).44) Der Ort im Rahmen des Kirchspiels bestand, das können wir aus alledem entnehmen, über ihn selbst jedoch hören wir nichts. Er wird auf der „Alten Seite“ gelegen haben um die Kirche herum und weiter den schmalen Uferwall entlang, wie sich aus dem ältesten Ratsbuch, auch aus allerdings sehr viel späteren Stadtplänen rückschließen ließe. Das sind allerdings Vermutungen, nichts mehr. Einen Plan des Dorfes Wilster zu zeichnen, wie es Heinrich Schulz 1932 in seiner Stadtgeschichte tut, dürfte zu weit führen.45)

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