Willkommen auf der Website des Förderverein Historische Rathäuser in Wilster e.V.

Von Birgit Böhnisch auf dem 1. Rathausfest am 05.05.2012

Moin, Moin und Hallo,

ich möchte Sie und Euch entführen in das Jahr 1585, dem Jahr, in dem dieses schöne Rathaus gebaut wurde.

Wie sieht es hier aus?
Im Auarm fließt noch Wasser. Um von hier zum Rathaus zu kommen, müssen wir eine Brücke überqueren.
Die Kirche hinter uns ist nicht die jetzige St. Bartholomäus Kirche, die wird erst in 200 Jahren gebaut. Rund um die Kirche befindet sich der alte Friedhof, um den Friedhof stehen ein paar Häuser. Auch Deichstraße, Schmiedestraße, Klosterhof und Kohlmarkt sind bebaut. Wenn wir den Auarm entlang schauen, sehen wir die Schiffe im Hafen liegen. Ein Burggraben begrenzt das Stadtgebiet, aber eine Burg oder eine weitere Befestigung gibt es nicht.

Nur bei trockener Jahreszeit ist Wilster über Straßen erreichbar, aber es regnet oft, das Wetter ist im Norden nicht immer das Beste. Die Marsch ist sehr feucht, erst mit der Einführung der Schöpfmühlen Ende des 18. Jahrhunderts wird die Marsch effektiver entwässert. Aber wir haben die Au und den Hafen. Wilster ist eine aufblühende Stadt, 1.500 Einwohner, 26 Schiffe, eine große Flotte, größer als alle anderen in Steinburg. Wilster führt Handel mit Hamburg, Flandern und den Niederlanden, ja sogar mit Italien, Spanien und Portugal.

Die Stadt beschließt, ein neues Rathaus zu bauen, das 1. Rathaus steht auf dieser Seite, ist aber zu klein und einsturzgefährdet. Heinrich Rantzau, Schlossherr auf Breitenburg, hat der Stadt mehrere Tausend Taler geliehen. Die werden erst in den nächsten 153 Jahren getilgt. Über Zinsen ist nichts bekannt. Solch langfristige Darlehen gibt es heute nicht mehr. Der Baumeister vom Rathaus ist nicht bekannt, es gibt auch keine Akten über Handwerker, die mitgearbeitet haben. Aber es gibt viele Handwerker in Wilster: Maurer, Steinmetze, Zimmerleute, Dachdecker, Tischler, Schmiede, Schlosser, Glasmacher, Maler. Einige auch auf Wanderschaft, sie tragen ihre Kluft, so wie heute Otto Andresen, schaut Euch an, wie so eine Kluft aussieht.

Es werden hochwertige Hölzer verbaut, nicht nur billiges Holz aus den umliegenden Dörfern. Die Handwerker leisten Tolles. Es gibt ja keine Maschinen, alles Handarbeit, die Länge der Bauzeit ist mir nicht bekannt.  Aber am Ende steht dieser schöne Renaissancebau, der Stolz der Stadt.
Auf der linken Seite gibt es noch ein Nebengebäude, davon gibt es noch Bilder. Vor dem Rathaus der Marktplatz - dort hinter der Brücke - findet Handel statt, die Ratswaage steht im Rathaus, hier wird das Gewicht der zu verzollenden Waren festgestellt. Nicht jede Stadt darf das.

Spielleute singen und tanzen, Schauspielern, Gaukler zeigen ihre Künste. Die Spielleute bringen aber auch Informationen aus anderen Gegenden in die Stadt. Es wird viel getrascht und geklatscht. Es gibt Stände mit Essen, hauptsächlich Brot oder Brei aus Getreideprodukten. Fleisch konnten sich nur Reiche leisten. 
Zu Trinken gibt es Wasser, Bier und Wein.

Die Kinder spielen mit Murmeln, Reifen, Steckenpferden aus Holz, Bällen aus Schweineblasen. 
Auch die Erwachsenen spielen gern: Würfelspiele, Kartenspiele, Brettspiele, Schach - vielleicht auch im Rathaus, so wie jetzt.
Schach ein uraltes Spiel, anfangs in China, Indien bekannt. 1050 im europäischen Raum aufgetaucht, unterschiedliche Regeln, im 15. Jahrhundert ändern sich die Regeln entscheidend und sind von da an ähnlich wie heute. Übrigens findet 1575 das erste internationale Schachturnier der Geschichte statt, am spanischen Hof. Der bis dahin beste Spieler Ruy Lopez de Segura spielt gegen den Sizilianer Giovanni Leonardo da Cutro; da Cutro gewinnt und schlägt auch die weiteren europäischen Spieler.

Aber es ist gibt nicht nur Schönes im Jahr 1585.
Die meisten Leute arbeiten schwer, die Freizeit ist knapp bemessen. Es wird von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet.

Aus dem Jahr 1587 ist der Text der Bursprake erhalten. Eine Bursprake ist eine Sammlung von ordnungspolitischen Vorschriften und Anweisungen des Rates der Stadt. 23 Einzelpunkte hat die Bursprake von 1587, damit ist alles Wichtige geregelt. Die heutigen Gesetze sind vielfältiger und etwas komplizierter, ob aber immer sinnvoller?  Der Bürgermeister steht da oben am Rathausfenster und liest die Bursprake vor. Die Gemeinde steht vor dem Rathaus, nur so erfahren sie, was vorgeschrieben ist, lesen können sie nicht.

Keiner darf von Frauen und Jungfrauen übel sprechen, kein geladenes Feuerrohr bei sich tragen. Schlägereien und Gewalt werden mit hohen Strafen bedroht, die Aufnahme von Fremden ist verboten. Schweine dürfen nicht unberingt auf der Straße laufen und schon gar nicht auf dem Kirchhof, die Au darf nicht verunreinigt werden, und so weiter...

Der Bürgermeister und die Ratsherren sind Gesetzgeber, Richter und zuständig für die Verwaltung, eine Gewaltenteilung gibt es nicht. Sie haben für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Bürgerliche Ehre ist wichtig, nur wer eine unverletzte und unbefleckte Ehre hat, kann zu Recht Mitglied „ehrlicher" Gemeinschaften sein. Die Ehre ist ein empfindliches Gut.

Aber in der Stadt wird ständig geschimpft. Es werden immer wieder Leute beleidigt. Schmähworte wie schiefhackiger Lumpenhund, glasäugige Allermannshure, diebische Schladdersöge (Sau) werden gerufen. Das Götzzitat wird durch Hochheben des Rockes unterstrichen. Es werden einen Krankheiten an den Hals geflucht.
Ehrverletzungen werden in komplizierten Gerichtsverfahren abgewährt. Im Rathaus gibt es zwei- bis dreimal die Woche Gerichtstage. Kann die Beschimpfung durch Zeugen bewiesen werden, wird der Beklagte zu einem Bußgeld verdonnert. Kann es nicht bewiesen werden muss der Kläger ein Bußgeld zahlen. Die Stadt kassiert immer. Merkwürdigerweise werden Ratsherren seltener verurteilt als zum Beispiel arme Witwen. 

Handwerker müssen sich besonders gut verhalten. Brief und Sigel müssen bestätigen, das sie ehrlich und ehelich geboren sind. Sonst werden sie nicht ins Handwerk aufgenommen und dürfen nicht arbeiten. Außerdem gibt es Ehrliche und unehrliche Berufe. Ehrliche Berufe sind Schiffer, Kaufleute, Goldschmiede, Bildschnitzer, Steinmetzen, Buchbinder, Bäcker, Bierbrauer, Bader und Babiere. Unehrliche Berufe sind Abdecker und Henker, aber auch Müller und Leineweber.

In Wilster haben die Stadtdiener besonders unter diesem Ruf zu leiden, weil sie rückständige Steuern eintreiben und Verbrecher in Haft nehmen, dies trägt den Makel der nehrenhaftigkeit. Jeglicher Kontakt mit Ihnen, aber auch ihren Frauen und Kindern, wird gemieden. Noch nicht mal zu Grabe zu tragen will man sie, kein ehrliches Begräbnis, sie werden bei Nacht und Nebel verscharrt.

Erst Mitte des 18 Jahrhunderts wird die Unterscheidung zwischen ehrlichen und unehrlichen Berufen durch eine Städtische Verordnung beendet. Aber es gibt neben den Ehrverletzungen auch Körperverletzungen durch Schlagen und Raufen, bis hin zum Totschlag. Übeltäter müssen an Leib und Leben bestraft werden, in der Gerichtstube im Rathaus finden lange Verhöre der Zeugen statt, es gibt peinliche Verhöre, mit fürchterlichen Torturen im Rathauskeller. Hier auf dem Marktplatz werden Schandstrafen und Hinrichtungen durchgeführt.

Und es gibt Hexenprozesse.
Im Sommer 1622 trifft es Sile Lakemann, die Frau eines Krügers (Gastwirt), sie kennt sich gut in Tierkrankheiten aus.
Jürgen Heitmann bezichtigt sie der Hexerei. Das Bürgergericht verurteilt sie zur Wasserprobe. Sie ist vermutlich ertrunken. Das heißt, sie ist nicht schuldig. Hilft ihr aber nicht. Tod ist Tod. 1676 ereignen sich seltsame Dinge in der Stadt. Rätselhafte Krankheiten und Sterbefälle, Liebesunfähigkeit bei Männern und Diebstähle erregen die BürgerIinnen und Bürger.

Zeugen bemerken, dass Trine Evers, die Frau des Totengräbers, zaubern kann. An Fastnacht hat sie eine Kuh verhext, sie ist an einer unnatürlichen Krankheit gestorben. Eine schwarze Katze ist aus dem Haus Evers gekommen und hat Unglück gebracht.
Trine Evers ist 43 Jahre alt kommt aus ärmlichen Verhältnissen, ihr erster Mann war Soldat und ist im 30jährigen Krieg umgekommen. Da sie und ihre Kinder versorgt werden müssen, heiratet sie den Totengräber, obwohl er einen unehrlicher Beruf hat.  So eine Frau ist verdächtig. Sie wird im Rathauskeller unter Anwesenheit von 6 Männern gefoltert und zu Aussagen gezwungen.  

Der Rat fällt folgendes Urteil: Weil Trine Evers Menschen und Vieh Schaden getan und getötet, mit dem Teufel um und zu Bette gegangen, die Zauberkunst anderen gelehrt und wegen anderer zauberischer Sachen anrüchig und verdächtig, ist Trine Evers mit dem Feuer zu verbrennen. Am 15.10.1677 wird Trine Evers unter großer Anteilnahme der Bevölkerung als Hexe auf dem Marktplatz verbrannt. Es ist einer der letzten Hexenprozesse in Schleswig-Holstein.

Begeben wir uns in das Jahr 1829. Eine Wohltäterin unserer Stadt ist von uns gegangen. Etatsrätin Doos, sie hat keine Erben, ihre Kinder sind früh verstorben. Um das Andenken an den Namen zu erhalten, vererbt sie ihr Wohnhaus der Stadt Wilster.
Allerdings unter Auflagen: In dem Haus sollen die Dienstwohnung des Bürgermeisters, der Sitzungssaal und die Kämmerei untergebracht werden. Damit hat Wilster ein neues Rathaus, ebenfalls wunderschön.

Teile der Verwaltung bleiben vorerst im alten Rathaus und das Rathaus wird als Gefängnis genutzt.  

Von 1904 bis 1932 ist Christian Dethlefsen Bürgermeister in Wilster.
Bei seinem Amtsantritt beschränkt sich die Verwaltung auf Polizei, Standesamt, Armen- und Schulwesen. Alles andere ist in privater Hand. Während seiner Amtszeit werden Sparkasse und Krankenhaus kommunalisiert. Das Wasserwerk wird gebaut und mit dem Elektrizitätswerk vereinigt, Gas wird aus Itzehoe bezogen, so entstehen die Städtischen Betriebswerke. Die Erfahrung hat der damaligen Stadtverwaltung gezeigt, dass solche Unternehmen nicht in die private Hand gehören. Merkwürdig, dass das bis heute immer wieder in Frage gestellt wird.

Die Zukunft der Stadt liegt im Verkehr. Die Wilster Au wird nach langen hin und her als Wasserlauf erster Ordnung eingestuft und dadurch durch den Staat unterhalten. Die Kasenorter Schleuse ist dem Einsturz nah und muss ersetzt werden, Die Wasserbehörde möchte eine 5 Meter Deichschleuse bauen, aber Wilster braucht für die Schifffahrt eine Kammerschleuse, Wilster setzt sich durch. Die Haupteisenbahnlinie soll nicht durch Wilster führen, nach langem Streit, Eingaben und Protesten fällt die Entscheidung zu Gunsten der Stadt. Für alle diese Maßnahmen haben der Bürgermeister, die Stadträte und die Bevölkerung gekämpft, hätten sie keinen Erfolg gehabt, wäre das Schicksal von Wilster wohl besiegelt gewesen. Hinzu kommt, dass die beiden großen Lederfabriken abbrennen, Böhme 1903, Falk und Schütt 1907, durch den Wegfall der Arbeitsplätze verliert Wilster 1.200 Einwohner.

Und wie sieht unser Rathaus aus - zum Gerichtsgefängnis erniedrigt, ist es baufällig geworden. Man steht vor der Frage, ob sich eine Renovierung lohnt oder ob es lieber abgerissen werden soll. Die Stadt kann die Räume entbehren, das Rathaus rentiert sich nicht. Die Restaurierung soll 30.000,00 RM kosten, viel Geld für die damalige Zeit. Trotzdem beschließen die Stadtväter, das Wahrzeichen von Wilster zu retten.  

Einen herzlichen Dank an die Weitsicht der damaligen Politiker, sonst stünden wir heute nicht hier. Der Architekt Brandes führt von 1914 bis 1919 die Renovierung durch, die Bauausführung entspricht wieder dem Original von 1585. Am Ende kostet das ganze 60.000,00 RM, die Kosten haben sich verdoppelt, aber so etwas passiert ja heute auch noch. Das ganze geschieht während des 1. Weltkrieges, deshalb wohl die Fertigstellung erst 1919. Im 2. Weltkrieg wird Wilster durch Kriegsbomben schwer beschädigt, unter anderem unsere schöne Kirche.  

Die Wirtschaftskraft ist gleich Null. Es herrscht große Not. Durch den Zustrom von Flüchtlingen hat sich die Einwohnerzahl von 3.929 im Jahr 1939 auf 7.538 im Jahr 1947 erhöht. In unserem Rathaus werden Notunterkünfte für Heimatvertriebene eingerichtet. Ich habe letztens einen alter Herrn mit seinem Sohn getroffen. Sie standen vor dem Rathaus, der alte Herr hat dort mal gewohnt.  

Wilster verändert sich, der Auarm wird zugeschüttet, durch die Erdmassen wird das Rathaus wahrscheinlich nicht mehr richtig belüftet. Deshalb ist wieder eine Renovierung notwendig.

Der Itzehoer Journalist Robert Hirse und der Hilfsaktionsprofi Hans Stellmacher organisieren eine Sammelaktion. Der damalige Bürgermeister Helmut Jacobs hat seine legendären Auftritte als Leihorgelspieler. Es kommen 27.650 DM zusammen. Leider werden bei der Renovierung, elementare Fehler gemacht, Frau Scheer wird darüber berichten.

Soviel zur Geschichte unseres wunderbaren Rathauses.

Schaut es Euch an, unten spielen die Schachspieler. Die oberen Räume sind leider noch nicht geöffnet. Dafür aber der Speicher, er diente dem Rathaus zur Aufbewahrung von Waren. Heute befindet sich dort das Naturkundliches Museum. Das dargestellte Marschenbiotop gibt Überblick über die heimische Tier- und Pflanzenwelt, geht mal rein.

Ich wünsche Euch noch viel Spaß bei der heutigen Feier. Die Künstler und die vielen Helfer arbeiten alle ehrenamtlich. Die Einnahmen kommen dem Rathaus zugute und falls es Euch nicht gelingt, Euer Geld hier auszugeben, es stehen auch noch einige Spendendosen herum.

 Birgit Böhnisch


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