Das prächtige Doos´sche Wohnhaus entstand in den Jahren 1785/1786 und zeigt vornehm-bürgerliche Bau- und Einrichtungskunst. Hinter dem Gebäude wurde der "Blumengarten" angelegt - heute bekannt als "Bürgermeistergarten". Er zeigt auf rund 2,4 Hektar barocke Gartenkunst aus dem 18. Jahrhundert.
In Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein soll die unter Denkmalschutz stehende Parkanlage hinter dem Neuen Rathaus nach historischem Vorbild umgestaltet werden.
Das Buch wurde von Carl Zetsche im Jahr 1914 herausgegeben. Darin werden das Gebäude und der Bürgermeistergarten beschrieben sowie mit Bildern illustriert.
Von dem Buch existieren unseres Wissens nur noch zwei Exemplare. Das Ehepaar Knötgen hat eine Ausgabe der Bürger Schützen Gilde von 1380 zu Wilster gespendet. Diese Ausgabe wurde dem Förderverein Historische Rathäuser in Wilster e. V. zum Einscannen überlassen. Das Buch haben für Mobilgeräte optimiert aus Darstellungsgründen geteilt.
Für die Stadt Wilster bedeutete das Jahr 1914 den Abschluss einer im Allgemeinen ergebnisreichen Epoche in der Stadtgeschichte. Ergebnisreich im positiven Sinne, wenn man von den allerdings fatalen Rückschlägen im industriellen Bereich absieht. Wilster ist damals wirklich, wie Bürgermeister Dethlefsen festgestellt hat, eine moderne Stadt geworden. Diese Epoche endete zugleich mit einem für das ganze Reich, nicht etwa nur für Wilster folgenreichen tragischen Ereignis. Die Träger der Verantwortung in der europäischen Staatenwelt vermochten, nachdem der Kontinent schon jahrelang von Krise zu Krise getaumelt war, die sich ballenden Konfliktstoffe zwischen den Staaten nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Im entscheidenden Augenblick vermochte keiner von ihnen zurückzustecken, und der Kontinent und mit ihm die übrige Erde schlitterte in den 1. Weltkrieg (Aug. 1914). Für eine Stadt wie Wilster bedeutete dieses, dass nunmehr die vielen Probleme des Winkels, so wichtig sie für diesen auch gewesen sein mochten und auch einmal wieder werden sollten, vor dem einem großen Probleme zurückzustehen hatten. Die wehrfähigen Männer fanden sich in verlustreichen Materialschlachten wieder, die Daheimgebliebenen hatten vor allem für sie die Versorgung mit allem dafür Notwendigen zu gewährleisten. Leben mit dem Mangel, teilweise regelrechter Hunger, Versorgungswirtschaft waren hier das Dasein, wenn auch in einer Landstadt wie Wilster die Ernährungsnot des blockierten Landes nicht so stark gewesen ist, wie in den Großstädten und Industriezonen. Natürlich war der Blutzoll, der im jahrelangen Ringen zu erbringen war, auch für die Wilsteraner erheblich. Es fielen, von den Verwundeten und Kriegsinvaliden, die zusammen ein Vielfaches ergaben, abgesehen, im Jahre 1914 1, 1915 21, 1916 13, 1917 28 und 1918 16. Es erlagen noch ihren Verwundungen 1919 8, 1920 2 und 1921 1. Das waren zusammen 90. Der Staat bezahlte die Kriegskosten vor allem mittels sog. Kriegsanleihen, die nach dem Kriege zurückgezahlt werden sollten. Sie wurden in patriotischer Haltung von allen Parteien des Reichstages geschlossen bewilligt. Unter „Schulden“ sind sie im Verwaltungsbericht aufgeführt. Am 26.9.1916 war es schon die 5. (98 000 Mark), die 6. Vom 21.4.1917 musste mit 196 000 Mark unter Schulden verrechnet werden. Noch am 26.11.1918, als schon alles vorbei war, ergaben sich auf „Zeichnung der 9. Kriegsanleihe“ weitere 117 600 Mark Schulden. Man hatte Schulden gemacht, um dem Staate zu geben. Dieser zahlte dann 1923 zurück mit inzwischen restlos wertlosem Gelde. Die Nation fühlte sich in diesem Kriege eingekreist und angegriffen. Im „Burgfrieden“ standen alle Parteien zusammen, taten alle, gerade auch Arbeiter, eine patriotische Pflicht. Doch musste man zuletzt feststellen, dass alle Anstrengungen und Opfer umsonst gewesen waren angesichts einer feindlichen Übermacht an Menschen und Material. Vor allem seit dem Eingreifen der USA 1917 war der Krieg kaum mehr zu gewinnen, und im August 1919 wusste man in der Heeresleitung, dass die Niederlage unumgänglich war. Als im Oktober 1918 das Reich um Waffenstillstand bat, sahen Matrosen und Heimattruppen eine Fortführung des Kampfes nicht mehr ein und meuterten. Die Industriearbeiterschaft schloss sich allenthalben an. Die Novemberrevolution stürzte das Kaiserreich über den Haufen. Deutschland wurde eine Republik, nach einigem Schwanken war aus ihm bald danach eine parlamentarische Demokratie geworden, nach dem Ort, an dem die Nationalversammlung die neue Verfassung schuf, die Weimarer Republik benannt. Die Deutschen hatten endlich auch eine ausgeprägte Demokratie, leider wurde diese Tatsache hatten endlich auch eine ausgeprägte Demokratie, leider wurde diese Tatsache dadurch beeinträchtigt, dass dieses Ereignis mit einer nationalen Niederlage zusammenfiel, die sie finanziell und wirtschaftlich belastete, solange sie existiert hat.
Die Städteverordnung blieb die vom 14. April 1869. Geändert wurde aber das Wahlrecht, auch was die Stadt selber betraf, zunächst provisorisch, dann gesetzlich, nämlich am 9.4.1923 und 12.2.1924, festgelegt im Gemeindewahlgesetz. Alle mündigen Bürger, Männer und nun auch Frauen, die 6 Monate in Wilster wohnhaft waren, hatten gleiches, geheimes, direktes Wahlrecht, das so auch allgemein war. Es blieb beim hauptamtlichen, auf 12 Jahre zu wählenden Bürgermeister, den ehrenamtlich tätigen städtischen Kollegien, dem zu wählenden Stadtverordnetenkollegium, aus dem der Magistrat durch Wahl hervorzugehen hatte. Demokratisch war jetzt nicht nur, wie schon bisher die Reichstagswahl, sondern auch die für den preußischen Landtag. Diese Wendung war der Bevölkerung Schleswig-Holsteins und Wilsters durchaus genehm. Man hat ihr nach 1945 unterstellt, dass sie für autoritäre Strukturen besonders anfällig sei. Das Gegenteil ist allenfalls richtig. Die Marschen vor allem hatten durch Jahrhunderte ihre Selbstverwaltungsorgane, als andere Teile an derartiges noch nicht zu denken vermochten. Während der gesamten Zeit, in der das Land zu Preußen gehörte und einen Landtag und seit 1871 einen Reichstag mitwählen konnte, haben die Schleswig-Holsteiner mit großer Mehrheit immer liberal gewählt. Im Kreise Steinburg wählte man meistens „fortschrittlich“, d.h. linksliberal, manchmal auch national-liberal (rechtsliberal), konservativ dagegen nie. Dass dieses einmal anders wurde, ist ein Ergebnis besonderer Notsituationen, die in den Jahren der Weimarer Republik entstanden. Die Wahlen für die Weimarer Nationalversammlung am 19.1.1919 waren für diese Haltung der Wilsteraner kennzeichnend. Es wählten damals 1108 die SPD, 1128 die DDP (linksliberal), nur 61 die rechtsliberale Volkspartei (DVP), „rechts“ wählten ganz 128 (die Deutsch Nationalen der DNVP). Die Zahlen haben dann bei den zahlreichen Wahlen der folgenden Jahre geschwankt. Die Stimmen für die SPD gingen etwas zurück, schwankten aber immer zwischen 700 und 900, wofür sich denn daneben die KPD auf dem linken Flügel einstellte mit allerdings nur zwischen 40 und 80 Stimmen. Die DDP schrumpfte wie überall im Reich auch in Wilster zusammen von 1000 auf gut 100 Stimmen, dafür stieg vorübergehend die Deutsche Volkspartei Gustav Stresemanns auf 600 und mehr Stimmen an. Die rechten Deutsch-nationalen kamen vorübergehend auf ebensoviele Stimmen. Sie erreichten normalerweise doch nur um die 400 Wahlstimmen. Die Hitlerpartei zuletzt brachte es 1924 erstmals auf ganze 55 Stimmen in einer angeblich für Rechtsradikalismus anfälligen Bevölkerung. Derartige Behauptungen gehören also in den Bereich der Legende. Im kommunalen Bereich standen sich Sozialdemokraten und Bürgerliche, die sich hier zu einem Wahlblock zusammenschlossen, etwa im Verhältnis 4:6 gegenüber wie auch schon vor dem Kriege, wie es auch etwa der Gliederung in der Bevölkerung, in der es neben Arbeitern besonders viele Kleinbürger gab, entsprach. Die Kommunalwahlen ergaben am 2. März 1919 9 Mitglieder der „Bürgerlichen Fraktion“ und 7 Sozialdemokraten. 1924 war das Verhältnis 10:6 und 1929 dann schließlich 1:7. 1929 waren die bürgerlichen Vertreter 3 Kaufleute, 1 Rektor, 4 Handwerksmeister und 1 Gastwirt. Bei den Sozialdemokraten waren es 2 kleine Beamte, 3 gelernte Arbeiter und 2 ungelernte Arbeiter. Dem Magistrat gehörten 4 Mitglieder an, die jetzt eine „Aufwandsentschädigung“ von je 100 Mark jährlich erhielten. Es waren meist 3 Bürgerliche und 1 Sozialdemokrat. Seit dem 9.3. 1926 war Stadtverordneter der Sozialdemokraten der Maurergeselle Hans Prox, der dann dem Hitlerregime ja besonders gegen den Strich ging. Da Arbeitern kaum zuzumuten war, unentgeltlich an den Sitzungen teilzunehmen, gab es Regelungen der Entschädigung. Zuletzt seit 1923 bekamen alle Dienstaufwandsentschädigungen, bzw. Erstattung des Arbeitsverdienstes, der versäumt wurde. Mit dem Wachsen der kommunalen Aufgaben wuchsen auch die städtischen Kommissionen an, zu denen jeder Abgeordnete gehörte. Es waren in der Zeit der Weimarer Republik 17 an der Zahl.691) Zögernd setzte nach dem Kriege das öffentliche kommunale Leben wieder ein. So wurde ja gleich im Winter 1918/19 die Restaurierung des Alten Rathauses zu Ende geführt. Das war noch in den Zeiten, die nach erfolgter Novemberrevolution auch in Wilster ein Arbeiterrat die Macht übernommen hatte und dem Bürgermeister als Beigeordneten den Maurergesellen (späteren Meister) August Bredfeld an die Seite setzte. Diese Zeit verging, als sich dann schnell der Wille im Lande durchsetzte, keine Räterepublik sondern eine parlamentarische Demokratie zu schaffen. Dann wandte man sich dem Gedenken der Gefallenen zu. Zur Erläuterung ist es wohl notwendig, festzustellen, dass damals das deutsche Volk etwa so dachte, wie die anderen europäischen Völker noch heute denken. Vertreten wurde ein Haltung, die man bei sich selber Patriotismus nannte, beim Feinde dagegen abwertend Nationalismus. Das Volk ging aus dem Kriege mit der Überzeugung hervor, einen gerechten Verteidigungskampf geführt zu haben. Als man im Friedensvertrag von Versailles gezwungen wurde, eine deutsche Kriegsschuld zu unterschreiben, sprach die gesamte Nation unabhängig von ihrer parteipolitischen Einstellung von der Kriegsschuldlüge. Die Gemeinde wollte ihre Toten, die für die Heimat gefallen waren, auch in der Kirche bei sich haben (ähnlich übrigens auch in Itzehoe). Um dafür Platz zu schaffen, wurden Logen beseitigt. Am 9. Januar 1921 konnte die vom Architekten Brandes entworfene Gedächtnistafel für die im 1. Weltkriege gefallenen Söhne des Kirchspiels Wilster feierlich eingeweiht werden.
Sonst wurde mehr eingespart und der Not begegnet. Als der Archidiakon oder Kompastor, wie die Bezeichnung seit 1893 war, Heinrich August Meyer am 7.2. 1920 starb, blieb seine Stelle seitdem unbesetzt, man begnügte sich seitdem mit 2 Pastoren.692) Auch kam es 1918 zum Verkauf sämtlicher Pastoratsländereien. Für Wilsters Kirchenwesen wichtig war, dass 1925 der Magistrat sein Patronats-recht an den jeweiligen Kirchenvorstand abtrat.693) Einsparungen auch im Schulsystem. Als am 1. Oktober 1917 Rektor Plagmann, der Leiter der Mädchenschule, sich pensionieren ließ, wurden die Rektoratsgeschäfte der Mädchenschule dem Rektor Hansen an der Knabenschule mit übertragen.694) Das war unschwer möglich, lagen doch beide Anstalten seit 1913/14 benachbart im Gelände der alten Landschule vom Landrecht. Sie blieben dann auch zusammen, wie es ja auch andern Orts der Fall war. Es gab hier jetzt einen Rektor (seit 1925 Rektor Lindschau) und 2 Konrektoren. Die Mittel-schule in der alten Knabenschule am Stadtpark entwickelte sich gut, wurde 1918 als solche vom Ministerium voll anerkannt. „Die Mittelschule entwickelte sich unter der Leitung des zum Rektor gewählten Mittelschullehrers Schulz aus Lüneburg zu einer Musteranstalt“, so schreibt Altbürgermeister Dethlefsen in seinem Rechenschaftsbericht895) und fährt fort: „Die Gründung der Mittelschule und die Zusammenlegung der beiden Volksschulen haben das ganze Schulwesen auf eine bessere Grundlage gestellt. Der größte Verdienst um die Hebung der Volksschulen erwarb sich Rektor Lindschau. Die Schulen wurden der Stolz der Stadt.“ Vollendet wurde seitens der staatlichen Instanzen das in der Vorkriegszeit schon weitgehend fertiggestellte Unternehmen zur Verlagerung der Marschenbahn nach Hochdonn über Wilster. Der neue Bahnhof wurde nordöstlich vor der Stadt angelegt. Die Bahnverwaltung legte an und pflasterte eine neue Bahnhofstraße. Durch Vertrag vom 21.12.1917/16.1.1918 wurde sie sodann mit allen Rechten und Pflichten von der Stadt übernommen. Der Bau des Bahnhofes, eines attraktiven, architektonisch gelungenen Baus, erfolgte trotz Warnung seitens der staatlichen Behörden in falsch verstandener Sparsamkeit. Der Bau wurde nicht gegründet, er hat so denn auch nicht lange gehalten, musste dann durch den jetzigen Bau ersetzt werden. Am 1. Juni 1920 konnten dann der neue Bahnhof und die gesamte neue Bahnstrecke eröffnet werden.696) Dieser Bahnhof war nunmehr ein Umsteigebahnhof, denn von hier aus fuhren die Züge nach Brunsbüttelkoog-Süd. Wichtig auch, weil daher hier auch Eil- und D-Züge hielten (damals). Das Gelände des neuen Bahnhofes und der neuen Bahnhofstraße wurde am 8.10.1921 von der Gemeinde Landrecht in die Stadt eingemeindet mit 18 ha 46 a 63 qm. Die Gesamtfläche des Stadtareals wuchs somit auf 203 ha 48 a 65 qm.697)
Das Jahr 1923 konnten die Zeitgenossen nie ganz vergessen. Es ist das Jahr der Inflation, wo der Wert der Reichsmark (normal im Wert 1 Dollar = 4 RM gehandelt) derart an Wert einbüßte, dass im November des Jahres 1 Dollar im Werte betrug 4,2 Billionen Reichsmark. Die neue Staatsver-schuldung während des Krieges, die hohen Reparationslasten, von den Siegermächten verhängt, die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen als „Sanktion“, das alles wirkte hier zusammen. Die Inflation war der Preis, den jeder einzelne Einwohner eines besiegten Landes zwangsläufig zu entrichten hatte, vor allem die Geldwertbesitzer naturgemäß. „Die Entwertung traf die Einwohner unserer Stadt“, heißt es im Verwaltungsbericht,698) „die zu einem sehr großen Teile Rentner sind, in schwerster Form. Viele alte Leute, die sich durch ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit ein kleines Vermögen erworben hatten, um an ihrem Lebensabend keine Not zu leiden, sahen ihre Ersparnisse dahinschwinden. --- Es gab Zeiten, wo die ganze Verwaltung einfach eine Unmöglichkeit wurde. Die städtischen Gelder schrumpften zu einem Nichts zusammen. Erst durch die Stabilisierung der Renten-(Reichs)-Mark im Herbst 1923“, der Währungs-Schnitt also, der aus 1 Billion Reichsmark 1 Rentenmark machte, „konnte wieder mit festen Beträgen gerechnet werden. Die Folgen des verlorenen Krieges lasten schwer auf uns.“ Zwei besonders eklatante Folgen der Inflation werden hier heraus gehoben. Einmal die weitgehende Verarmung des Rentnerstandes, bedeutsam für eine Landstadt, die in der Kaiserzeit immer mehr auch zum Wohnsitz von Rentnern aus der umliegenden Marsch geworden war. Das Adressbuch aus dem Jahres 1926, welches im Archiv der Stadt vorliegt, verzeichnet für die Stadt bei seinen 4196 Einwohnern nicht weniger als 99 Rentner. Zum anderen hörte Wilster damals auf, eine wohlhabende Stadt zu sein. Stiftungen und Legate von Jahrhunderten verflogen in wenigen Monaten zu Staub. Dabei waren nach den Geschwistern Tagg 1914 noch einige Stifter hinzu gekommen. 1917 starb der Rentner Johann Eggers und hinterließ ein Wohnhaus in der Burger Straße, das 2 alleinstehenden und bedürftigen Frauen aus der Stadt Wohnung sein sollte. 1918 stifteten das Ehepaar Johann Heutmann nach Ableben 10 000 Mark. Die Zinsen sollten zu gleichen Teilen an die Armen vom Stadt- und Landarmenhaus verteilt werden. Im August stiftete Emma Margareta Magdalena Schütt 1/3 ihres Nachlasses für Wilsteraner Studierende, 1/3 weiter an unverheiratete Pastoren-, Organisten-, Lehrer- oder Beamtentöchter und 1/3 für die Insassen im Doosschen Stift. Im Verwaltungsbericht der Stadt (1911-30 S. 201-205) werden die Stiftungen angegeben. Es sind 15, „an denen die Stadt als solche beteiligt oder doch stark interessiert ist“. Unter den einzelnen Punkten sind oft zahlreiche Legate zusammengefasst. Unter 1. Sind es 23 insgesamt, die zusammen 9780 „Papiermark“ ausmachten, aus denen nunmehr 13,18 Rentenmark wurden. Ähnlich gingen es das „kleine Wilstersche Stipendium“ und das „große Wilstersche Stipendium“, das erstere Sühnegeld aus dem Jahre 1574, das letztere „zur Unterstützung Studierender“ aus 4 Beiträgen 1629-1684, dahin, ebenso die Gelder für das Doossche Gasthaus und für das Bürgermeisterhaus. Von den 187 00 Mark der Taggstiftung blieben noch 3600 Rentenmark. Das war die eine Seite der Medaille. Am 16. Juli 1925 trat das Reichsgesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen in Kraft. Die alten Papiermarkanleihen wurden in Ablösungsschuld umgewandelt. Vorhanden waren Papiermarkschulden der Stadt von 4 067 701 Mark damals. Und nach Abschluss der Aufwertung gab es an städtischen Schulden noch 63 698 Mark für die Stadt. Betreibswerke (?) und 4 705 Mark für die allgemeine Verwaltung. Auch die Stadt wurde ihre Schulden durch die Entwertung (sie hatte anschließend Schulden von 3 322 000 Papiermark „sofort in bar zurückgezahlt“) los, nicht nur ihre Guthaben.
1925 waren die ersten schweren Jahre vorbei, und es folgten die wenigen „goldenen 20er Jahre“, die sich für Reich und Volk letzten Endes allerdings nur als eine Scheinblüte auf Basis geliehenen Auslandsgeldes herausstellen sollten. Wilster zählte damals 4182 Einwohner. Noch immer waren von ihnen 4119 evangelisch-lutherisch, nur ganze 19 waren katholisch, 11 gehörten Sekten an, 33 waren glaubenslos, Juden gab es auch jetzt keine. Die Geburten sanken in dieser Epoche laufend erklärlicherweise. 1911 gab es noch 108 in der Stadt, 1929 nur noch 62. In der Nachkriegszeit gab es Wohnungsnot und eine erste Zwangsbewirtschaftung. Am 26. 7. 1923 erfolgte das Wohnungs-mangelgesetz. Die Baukommission wurde zum Wohnungsamt. Die Stadt errichtete in Form von An-und Ausbauten 34 Wohnungen, machte zum Beispiel aus der Turnhalle am Markt 3 Wohnungen. 1.4.1924 gab es eine Hauszinssteuer. Hausbesitzer mussten eine Hauszinssteuer aufbringen, um neue Wohnungen zu schaffen. Dadurch waren sie oft nicht im Stande, die eigenen Wohnungen zu unterhalten. Die städtische Sparkasse stellte daher ihnen zinsgünstige Darlehen zur Instandsetzung von Altwohnungen zur Verfügung. Die Wohnungszwangswirtschaft konnte für Wilster (Gemeinden bis zu 8000 Einwohner) am 29. Mai 1929 aufgehoben werden. – An Beamten hatte bei steigenden Anforderungen die Stadt in leicht an steigender Tendenz den Bürgermeister (bis 1932 Christian Dethlefsen), den Stadtsekretär (seit 1930 Oberstadtsekretär Nikolaus Bokelmann), den Stadtkassierer (bzw. Stadtkassenrendant, einen Oberpolizeisergeanten und einen Polizeisergeaanten. An ihre Stelle treten als neue Dienstgradbezeichnungen Polizeihauptwachtmeister und Polizeiwachtmeister. Als im Jahre 1925 eine Änderung des Polizeiaußendienstes erfolgte, erloschen die 4 Wächterstellen, die es bis dahin noch gegeben hatte. An der Spitze der Städtischen Betriebswerke stand ein Stadtbau-techniker, an der Spitze der Sparkasse der Sparkassenrendant. Es gab dann noch in der Verwaltung zwei Verwaltungssekretäre und zwei Verwaltungsgehilfen, in der Kasse einen Kassensekretär, bei der Sparkasse ein Sparkassengegenbuchführer, einen Technischen Leiter bei den Betriebswerken, schließlich noch zwei Amtsgehilfen. Fürs Altersheim blieb es beim Armenhausökonom. 9 Arbeiter wurden von der Stadt beschäftigt (4 Arbeiter, 4 Monteure und 1 Rohrleger), für sie gab es seit 1928 Reichsmanteltarif und Lokaltarif für die Provinz S.-H. (Übrigens waren 2 Lehrer, 4 Bürogehilfen und 1 Arbeiter der Stadt im Kriege gefallen). Das Archiv der Stadt kam 1925 in den oberen Saal des Gartenhauses des Doosschen Anwesens.699)
Eine der wenigen von der Stadt erwünschten Folgen hatte die Inflation von 1923. Die Wilster Spar- und Leihkasse von 1841 kam in finanzielle Schwierigkeiten wegen der Geldentwertung und war nunmehr verhandlungsbereit. Der Vorstand trat deshalb am 5.8.1922 an den Magistrat heran. Es kam am 12. Oktober 1922 zu dem Vertrag über die Verschmelzung mit der städtischen Kasse zustande, der für den 1.1.1923 wirksam wurde. Die Leitung übernahm der aus der Kasse übernommene Sparkassenrendant Johannes Busch, unter dessen Leitung die städtische Spar- und Leihkasse sich zum ersten Geldinstitut der Stadt aufschwang. Übernommen wurde auch das Sparkassengrundstück Kohlmarkt 4. Um eine notwendige Erweiterung der Geschäftsräume durchführen zu können, wurden die Grundstücke Kohlmarkt 56 und 57 erworben, wo 1930 der Neubau aufgeführt wurde. Das Reinvermögen wuchs von (1924) 140 399,91 Mark auf (1929) 2 375 441,07 Mark, ein Zeichen für das Gedeihen des Instituts.
Eine der Folgen der Erschütterung durch den 1. Weltkrieg und die mit ihm verbundenen Erschütterungen war ein neues Erwachen des Heimatgedankens auch in der heimatbewußten Wilstermarsch. Voran ging schon 1919 Johann Schwarck mit seinem im eigenen Verlag herausge-gebenen Buch „Wilster vor hundert Jahren“. Dann war es vor allem der Pastor W. Jensen aus St. Margarethen, der forschend und organisierend wirkte. Er schuf den Heimatverein der Wilstermarsch und hat auch über die Stadt Wilster und ihre Geschichte geschrieben. Er war wohl der fundierteste Kenner der Wilstermarsch und seiner Geschichte bis heute. 1925 gab er „Das alte Ratsbuch der Stadt Wilster“ heraus mit vorangesetzten Artikeln über „Das alte Wilster“, „Die Gründungsurkunden der Stadt“, und als Nachtrag „Die Stadtpläne“ von 1775 und 1860 und „Die Wappen der Stadt Wilster und der Wilstermarsch“. 1926 gab er Gregorius Culemanns „Denk-Mahl von den hohen Wasser-Fluthen“ (1728) heraus und 1932 „Aus der alten Stadt Wilster. Urkunden und Einwohnerverzeichnisse“ zum 650-Jahr Jubiläum. Wesentlich hat er auch an dem großen Haupt-produkt dieser Heimatbewegung im Kreise, am „Heimatbuch des Kreises Steinburg“ mit ausführ-lichen Artikeln über Wilster und der Wilstermarsch beigetragen (1925/26). Dazu sind noch zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und seine „Chronik von St. Margarethen“ zu nennen. Im Heimatbuch zeigte sich, dass D. Dethlefsen und W. Jensen Schule gemacht hatten. Aus dem historisch aufgeschlossenen Elbmarschen gab es zahlreiche Artikel aus kompetenter Hand. In Wilster selbst wirkte bis zu seinem Tode 1937 der Mittelschulrektor H. Schulz, auch er im Heimatbuche vertreten. Er hat 1932 eine Geschichte der Stadt Wilster geschrieben, noch 1936 eine Abhandlung über „Die Bürgergilde in Wilster“. Man hat ihn für „nicht seriös“ gehalten. Er galt als Mann schneller Urteile. Manche von ihnen mögen allerdings anfechtbar sein. Ganz sicher ist aber, dass wir seinem unermüdlichen Forschen unendlich viele Einzelkenntnisse verdanken, viele auf mannigfachen Zetteln unverarbeitet hingeschrieben. In der vielleicht wichtigsten Edition zur 650-Jahr-Feier der Stadt „Die Sonninkirche zu Wilster“, in der auch W. Jensen und H. Schwede schrieben, trug er den großen Hauptteil bei. Eine Fundgrube, was er über die Lehrer der Großen Stadtschule, die Pastoren, Organisten, die alte Kirche, das Wirken Sonnins, die Familienstammbäume der Doose und Michaelsen, der Sommer und Breide zusammentrug, was er über die Kriegsgeschichte als Leidensgeschichte der Stadt zwischen 1627 und 1713 zusammengetragen hat usw. Eine derartige Aufgeschlossenheit der eigenen engeren Heimat gegenüber wie damals hat es nie wieder gegeben seitdem, ihr vor allem verdanken wir einen Großteil der Kenntnisse, welche wir über Wilster und die Wilstermarsch besitzen.
Aufschluss über das Wilster der 20er-Jahres gibt uns das Adressbuch von 1926 vorliegend im Stadtarchiv. Von den 4196 Einwohnern gab es an Akademikern den 1 Apotheker (die Schwan-Apotheke Kohlmarkt 59), 1 Architekten, 4 Ärzte, 2 Tierärzte, 1 Zahnarzt und natürlich den Amtsgerichtsrat (aber die Beamten sollen hier einmal ausgeschlossen werden zunächst). Es bestanden inzwischen 6 Banken in der Stadt, nämlich 1. G. Bockelmann, Komm. Ges. Am Markt 14, 2. die Beamtenbank e.G.m.b.H. Burger Str. 25, 3. Calmann, E. Marktstraße 31, 4. Schleswig-Holsteinische Bank Markt 4, 5. Die Westholsteinische Bank Schmiedestraße 5, schließlich die Wilster Kreditbank von 1869 Klosterhof 37. Weiter bestanden die beiden Sparkassen: 1. Die Städtische Sparkasse (Wilster) 1841 Kohlmarkt 3 und 2. Die Spar- und Darlehnskasse für die Wilstermarsch Rathausstr. 11. Das Amtgericht lag Rathausstr. 1, 2 Rechtsanwälte und Notare als weitere Akademiker verdienten in der Stadt ihr Brot. Es gab auch, wenn auch in verringerter Ausgabe, die Industrie: zunächst die Lederfabriken, nämlich die Vachelederwerke Ballin G.m.b.H. Rumflether Str. 29 und Falk und Schütt, Lederwerke G.m.b.H. Rumflether Str. 6. Auch gab es noch eine Brauerei, die Tivoli-Brauerei A.G. Deichstraße 71. Die Maschinenfabrik Apel (Rudolf) und Sachau (Johannes) Steindamm 22/23 baute die Windmotoren und Windturbinen, die allmählich Hollers Schöpfmühlen ersetzten, (um dann selber durch große Pumpwerke ersetzt zu werden). Heinrich Simonsen vom Krumwehl 1 nannte sich Fabrikant. Er war als Zigarrenfabrikant ein Vertreter eines aussterbenden Gewerbes. Dann gab es noch die Holzwerke von H. Langfeld (schon 1867 gab es einen Zimmermeister Nicolaus Langfeld, der auf dem Klosterhof eine Sägerei betrieb). Schließlich gab es in der Rumflether Straße 6 noch einen Betrieb der Nachkriegszeit in der Stadt, die Schleswig-Holsteinischen Trocknungs- und Mahlwerke m.b.H., „die“, so Walter C. Bröcker als Referent für Industrie im Heimatbuch des Kreises Steinburg (Bd. I S. 227), „einen eigenartigen und bedeutenden Sonderbetrieb darstellen.“ 2 Ingenieure waren in Wilster tätig, weiter 2 Bauunternehmer. Es gab 2 Buchdruckereien in der Stadt, die eine war die von Peter Schwarck im Kohlmarkt 12, wo die Wilstersche Zeitung gedruckt wurde. Nun zum Handwerk: Es gab an Betrieben 5 Barbiere, 1 Böttcher, 2 Buchbinder, 1 Bürstenmacher, 1 Drechsler, 1 Elektriker, 3 Gärtner, 3 Gerber, 1 Glaser, 1 Goldschmied, 1 Imker, 2 Installateure, 4 Klempner, 1 Korbmacher, 3 Konditoren, 1 Maschinenbauer, 15 Maler, 14 Maurer, 4 Mechaniker, 3 Meieristen, 3 Müller, 1 Ofensetzer, 3 Photographen, 2 Putz-machereien, 7 Sattler, 14 Schlachter (in 5 Schlachtereien), 3 Schlosser, 9 Schmiede, 14 Schneider, 2 Schornsteinfeger, 17 Schuhmacher, 1 Steinmetz, 4 Stellmacher, 4 Techniker, 11 Tischler, 8 Uhrmacher, 1 Zigarrenmacher und 19 Zimmerer. Das waren 190 Handwerksmeister und Gesellen mit eigener Adresse. Dann kamen die Kaufleute. Größtes Geschäft war „J.P.T. Andersen. Größtes Geschäft am Platze (Kaufhaus für Damen-, Mädchen-, Herren- und Knaben-Bekleidung, Teppiche, Gardinen, Kurzwaren, Besatzartikel, Kleider- und Seidenstoffe, Aussteuer-Artikel) gegründet 1797“ am Markt 28/29 (in der Tat gab es schon 1867 „Andersen J.P.F., Manuf.-W.-Hdlg, Färberei und Druckerei, Markt“). Es gab 53 „Kaufleute“, nämlich 6 am Markt, 14 in der Deichstraße, 9 am Kohlmarkt, 4 in der Bürger Straße, 2 in der Taggstraße, 4 in der Schmiedestraße, 1 am Klosterhof, 5 in der Rathausstraße, 1 in der Blumenstraße. In der Neustadt und in der Schulstraße (Zingelstr.) gab es keine. Weiter gab es 56 „Händler“, nämlich 13 Viehhändler, 2 Fischhändler, 1 Weinhändler, 1 Bierhändler u.a.m.. Es wohnten allerdings nur 33 in der Stadt, der Rest an der Peripherie. Im Manufakturhandel gab es 2 große und 3 Höker-Läden. Es gab 1 Schuhgeschäft, 1 Zigarrengeschäft, 2 Kohlenhändler, 1 Gütermakler, 3 Drogisten. In der Stadt gab es 1 Musiklehrer und 7 Musiker. Eine Hebamme war vorhanden. Dann gab es in der Gastronomie und im Beherbungswesen 27 Gastwirte. Noch immer stark war die Schifffahrt. Es gab, einschließlich „Reeder“, noch immer 20 Schiffer, viele wohnten Hinter der Stadt, der Straße auf der anderen Auseite, Deichstraße und Landrecht gegenüber. Auch gab es noch 5 Fuhrmänner. Schließlich gab es noch die Adressen von 207 Arbeitern (an- und ungelernten), nämlich Hinter der Stadt allein 31, in der Rumflether Straße 24, am Rumflether Deich 26, im Landrecht 21, auf dem Bischofer Deich 14 und in der Haackstr. 13; d.h. aus den 1896 neu eingemeindeten Gebiet kamen allein 129. Es waren Adressen angegeben vom Markt 47, dem Kohlmarkt 78, der Burger Str. 64, der Deichstr. 109, der Schulstr. 22, der Taggstr. 20, der Rathausstr. 79, der Blumenstr. 25, dem Klosterhof 70, der Schmiedestr. 48, dem Rosengarten 6, der Neustadt 45, Hinter der Stadt 70, Am Steindamm 33, der Rumflether Str. 49, dem Rumflether Deich 36, der Neuen Burger Straße 31, dem Krumwehl 46, der Haackstraße 20, dem Bischofer Deich 38, Am Neudeich 1, der Bahnhofstr. Erst 5, der Mühlenstr. 24, dem Audeich 6, der Langen Reihe 21, der Allee 6 und dem Landrecht 66. Dass es 99 Rentner davon gab, wurde schon andern Ortes erwähnt, ebenso die Stadtbeamten. Die beiden Pastoren hatte ihre Amtssitze Am Markt 17 und Taggstr. 7. Das Krankenhaus „Menckestift“ lag Klosterhof 28 und die Städtischen Elektrizitäts- Gas- und Wasserwerke ebenda Nr. 38. Soweit das Adressbuch.700)
Insgesamt konnte man Wilster eine Landstadt mit ausgewogener Struktur nennen. Eine Industriestadt war es allerdings einmal gewesen, doch fehlten Fabriken nicht, war das Sortiment hier etwas vielseitiger angelegt. Schwerpunkt lag bei Handwerk und kleinbürgerlichem Handel. Beachtlich das Dienstleistungsgewerbe für Stadt und Umland. Diese Stadt schien mit 4000 Einwohnern sich ausgewachsen zu haben. In den wenigen besseren Jahren der Weimarer Republik wurden einige wichtige wasserbauliche Maßnahmen durchgeführt. Das wichtigste Erfordernis war der Neubau einer den Anforderungen genügenden Schleuse für die Wilsterau in Kasenort. Als 1914 der Staat verpflichtet war, die Au als Wasserlauf I. Ordnung zu unterhalten, hatte man versucht dem Staat auch die Schleuse aufzubürden, jedoch legte 1924 das Oberverwaltungsgericht fest, dass die Wilsterauschleusenkommune auch in Zukunft unterhaltspflichtig sei. Sachverständige hatten schon vor dem Kriege festgesetzt, dass der Neubau der Schleuse dringend nötig sei. Der Krieg kam dazwischen. Am 4. September 1920 setzte sich ein Schiff in der Schleuse fest, weil die die Schleusendecke gesenkt hatte. Sie konnte deswegen nicht geschlossen werden. Es bestand Überschwemmungsgefahr. Man konnte schließlich das Schiff herausziehen. Die nächsten Jahre waren indessen von Inflation und Not gekennzeichnet. Am 25. März 1925 kam dann endlich ein Vertrag zwischen den beiden Wilsterauschleusenkommunen (Neue und Alte Seite) und der Stadt Wilster zustande. Man wollte an die Stelle der alten Au-Schleuse eine neue Kammerschleuse errichten. Dazu wollten die Kommunen 90 000 Mark beitragen, auch wollten sie in Zukunft jährlich 400 Mark den Unterhalt der Schleuse beitragen. Der Schleusenbetrieb ging an die Stadt über, der auch die Gebühren für die Schiffe zufielen in Zukunft. Wilster setzte sich so in das Eigentum der Schleuse. Der Staat gab zum Bau 75 000 Mark, die Provinz 50 000 Mark und der Kreis 25000 Mark. Den Rest von 60 000 Mark hatte die Stadt zu tragen. Der Bau dauerte vom 1. Juli 1925 bis zum 11. August 1926. Die Gesamtkosten betrugen für die Stadt dann doch rund 155 000 Mark. Schwierigkeiten machte nunmehr eine wasserpolizeiliche Anordnung, in welcher der Kreis auf ein Regulativ vom 3. März 1869 zurückgriff. Dieses war seiner Zeit erlassen bzw. abgeschlossen worden, als das Burg-Kudenseer Niederungsgebiet von der Au abgedämmt wurde. Ihr wurde damals auferlegt, eventuell Wasser von der Au abzunehmen durch die damalige Bebeker Schleuse, wenn hier ein Staumaß von 3 ½ Fuss über Glückstädter Null am Pegel war, ein Vertrag, der schon lange Zeit gegenstandslos geworden war. Kreis und Schleusenkommune kamen jedoch nunmehr darauf zurück. Es wurde, um Stau beim Öffnen der Schleuse zu verhindern, daher nun angeordnet, dass die Schleuse nur bei Tiefstand der Ebbe, „wenn der Strom kantelt, d.h. also, wenn der Flutstrom einsetzt“, geöffnet werden dürfe. Weiter dürfe während des Ebbstromes, um die Entwässerung zu gewährleisten, kein Schiff zwischen Schleuse und der Stadt in Bergfahrt befinden. Damit wurde eine Schifffahrt weitgehend lahmgelegt. Daher beschwerte sich die Stadt am 27. Mai 1927 beim Oberpräsidenten der Provinz. Es wurde dabei festgestellt, dass das Regulativ von 1869 nicht mehr existiere, dass derartige wasserpolizeiliche Anordnung Sache des Regierungspräsidenten sei, dass die Stadt sich mit der Wilsterauschleusenkommune voll einig sei, vor allem: „ Die wasserpolizeiliche Anordnung unterbindet den Schiffsverkehr auf der Wilsterau vollständig.“ Die wasserpolizeiliche Anordnung wurde darauf am 23. August 1928 abgeändert. Entscheidend an dem Neubau der Schleuse ist, dass, während früher die Schiffe bei Ebbe vor der Schleuse liegen mussten, da die Schleuse dann zu wenig Tiefgang hatte, nunmehr die Schiffe ungestört passieren können.701) Auch über die Größe der Schleuse hatte es beim Neubau Kampf gegeben.702) Die alte Schleuse war nur 4 Meter breit, ein veraltertes Maß für die Schifffahrt. Daher wollte die Stadt nicht eine bloße Wiederher-stellung in alten Maßen zu 90 000 Mark. „Diesen Neubau musste die Stadt Wilster verhindern, da er jede Entwicklung auf Jahrhunderte hinaus verhinderte. „Die Schleusenkommune willigte ein, zahlte die 90 000 Mark der Stadt, welche den Neubau durchführen wollte, und zwar sollte die Schleuse 7 Meter breit werden. Das lehnte aber die Wasserbaubehörde ab, sie wollte nur eine Breite von 5 Metern bewilligen. „Zum Glück hat die Stadt ihre Ziele erreicht. „Verlagert hatte sich das Schwergewicht des Warentransportes auf der Au. 1911 fuhren 635 Schiffe beladen und nur 50 leer hinein, aber 563 beladen und 87 leer hinaus. In cbm kamen 38 744 herein und dagegen 36 838 cbm hinaus, eine ziemlich ausgeglichene Angelegenheit. 1929 war es anders. Es kamen 499 Schiffe beladen herein und nur 61 leer. Hinaus aber fuhren nur 85 beladen und dagegen 446 leer. Die Schiffe transportierten also vor allem nach der Stadt hin nunmehr.
Auseinandersetzungen mit dem Staat gab es auch, nachdem dieser seit 1914 verpflichtet war, den schiffbaren Fluß Wilsterau zu unterhalten. Er musste sich jedoch immer wieder drängen lassen, musste dabei feststellen, dass es sich dabei um eine sehr mühselige und kostspielige Sache handelte. „Der Staat gab schließlich dem Drängen nach“, heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt 1911 – 1930 auf Seite 167, „und begann zunächst mit der Ausbaggerung des Stadtarms. Es wurde im Jahre 1926 eine 6 Meter breite Rinne bis auf 2 ¼ Meter Tiefe gebaggert. Sodann wurde im Jahre 1927 die Baggerung stromaufwärts fortgesetzt. Aber was Laien vorausgesagt und was der Magistrat den Staatsbehörden vorher gemeldet hatte, geschah. Schon nach Jahresfrist war der alte Zustand im Stadtarm an mehreren Stellen wieder da. Im Frühjahr 1928 musste eine erneute Baggerung erfolgen, bei der die Rinne wohl etwas erweitert worden war, aber noch nicht ganze Arbeit geleistet wurde. Unterhalb der Stadt wurden nur auf einigen Stellen Untiefen entfernt, eine durchgreifende Aufräumung hielt der Staat dort nicht für erforderlich. Die Überschwemmungen im Stadtgebiet nehmen daher bei der mangelnden Aufräumung der Wilsterau und der erhöhten Wasserzufuhr einen bedrohlichen Charakter an. Wochenlang standen Ländereien und Keller unter Wasser. Leider müssen wir – feststellen, dass die unteren Staatsbehörden den Stadtbewohnern zur Behebung dieses Überstandes sehr wenig Entgegenkommen erwiesen. „Sie sind“, heißt es im Bericht 1930, „ bisher, obwohl der Übelstand schon länger als 10 Jahre besteht, nicht über Erwägungen hinausgekommen.“ Der ausreichende Unterhalt der Wilsterau als Entwässerungs- und Schifffahrtssystem blieb ein heißes Eisen auch in der Folgezeit. Die Stadt selber unterhielt und durfte laut Vertrag vom 26. Juni 1670 unterhalten die Verlatschleuse an der Brücke in Wilster Neustadt zum Zwecke einer dauernden Stauhöhe, wenn nötig durch Hemmung des Wasserlaufes. Die Stauhöhe ist geregelt durch die Toroberkante (gelegen bei -0,47 NN). Die Stadt unterhielt einen Lösch- und Ladeplatz mit Hafenmauer, Kahn und Lagerschuppen am Rosengarten. Die Stadt schickte ihre Abwässer der Wilsterau zu an 10 Stellen. Diese bestehende städtische Kanalisationsanlage stammte aus der Vorweltkriegszeit. Nunmehr gehörte auch die Öffnung der Kasenorter Schleuse in städtische Kompetenz. Seeschiffe besaß Wilster 1923 8, 1925 wieder 10 und 1930 7 Schiffe. In das Jahr 1926 fällt auch die Verrohrung des Burggrabens, die erste dieser Art, der später andere folgen sollten. Die einzelnen Arme der Wilsterau in und um die alte Stadt waren ein Kennzeichen derselben, die Stadt verlor bei ihrem Verschwinden vieles von ihrem Gesicht, doch wogen die Gegenargumente schwerer. Der Burggraben, ursprünglich von einer Interessentenschaft zu unterhalten, musste nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom 10. Mai 1912 als Teil der Wilsterau von der Stadt unterhalten werden. Durch das Wassergesetz vom 7. 4. 1913 ging dann die Unterhaltung auf den Staat über. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom 20. März 1924 musste dem säumigen Staat klar machen, dass er auch den Burggraben als Teil der Wilsterau zu unterhalten habe. Der Staat trat nunmehr in Unterhandlung mit der Stadt wegen Übernahme der Unterhaltung des mittlerweile völlig verschlammten, übel stinkenden, die Gesundheit gefährdenden Burggrabens. In einem Vertrag vom 5. /14. Juni 1926 übernahm die Stadt dann die Unterhaltung mit allen Rechten und Pflichten, wofür der Staat eine einmalige Entschädigung von 25 000 Mark zahlte. Die Anlieger waren inzwischen reif dafür, einer Kanalisierung zuzustimmen. Diese erfolgte dann im Sommer 1926 für Kosten von 49 584,32 Mark. Das so gewonnene Land (27 a) wurde Eigentum der Stadt, die auf dem alten Burggraben vom Kohlmarkt zur Burger Straße, weiter zur Schulstraße und dem Stadtpark öffentliche Fußsteige errichten ließ, so ist der Verlauf des alten Burggrabens für jeden Kundigen unschwer zu erkennen.703) In die „goldenen 20er Jahre“ fällt auch die Rettung des Giebels des Hudemannschen Hauses Schmiedestraße 24. Unter Vermittlung des Heimatverbandes der Wilstermarsch schenkte eine Erbengemeinschaft (Familie Lübbe) das durch Alter und Verwitterung stark gefährdete und mit einer Hypothekenlast belastete Haus im Inflationsjahr 1923 der Stadt. Diese konnte sich 1926 zur Restaurierung entschließen.704) Der Wiederaufbau wurde 1927 dann auch begonnen.
Weitere Maßnahmen, die noch in diese Zeit fallen: Mit dem Ausbau eines Netzes der Schleswig-Holsteinischen Elektrizitätsversorgung in Rendsburg, wodurch die fällige Elektrifizierung der Provinz endlich durchgeführt werden konnte, erfolgte auch der Anschluss Wilsters an die Überlandzentrale. 1922 wurden die notwendigen Maßnahmen für den Anschluss durchgeführt und dafür zweimal Anleihen aufgenommen. Im Februar 1932 wurde die Hochspannungsanlage dann mit dem Netz der Schleswag verbunden. 1928 konnte diese Verbindung mit der Überlandzentrale, bisher oberirdisch, durch Anschluss an ein neues 15000-Volt-Kabel von Itzehoe nach Ostermoor verbessert werden. – 1928 erfolgte der Bau einer Fußgängerbrücke über die Au hinter dem Haus Deichstraße 40. Hier bestand seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Privatsteg, der aber auch öffentlich genutzt wurde, nämlich als Verbindung zwischen der Deichstraße und der Straße an der anderen Au-Seite, die auch nach der Eingemeindung 1896 noch immer den Namen Hinter der Stadt trug. Der Hausbesitzer, ein Gastwirt hatte hieran naheliegendes Interesse. Als die Gaststätte einging, begann der Verfall des Steges. 1928 überließ der Hauseigentümer der Stadt den Zugang zur Fußgängerbrücke, wofür diese dieselbe neu erstellte.705) – 1925 erhielt die Feuerwehr (auch für die Landgemeinden) eine Automobil-feuerspritze, schon im Jahre 1922 gab es eine Feuersirene. – Am 16. Juli 1927 trat das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Kraft. Wilster erhielt eine Außenstelle des Arbeitsamtes Elmshorn. – Sehr bemüht war die Stadt in dieser Zeit, auch in den Besitz einer Badeanstalt zu kommen. Es gab allerdings das „Dianabad“, das seit dem 1.4.1893 schon öffentliche Badeanstalt geworden war, wogegen die Stadt einen jährlichen Zuschuss von 600 Mark zahlte. Am 26. März1918 übernahm die Stadt das Bad käuflich. Solche kommunalen Wannenbadeanstalten waren zu der Zeit wichtig, da nur wenige Wohnungen selber Badezimmer besaßen. Der Versuch, eine Freibadeanstalt zu errichten, scheiterte an den zu großen Problemen. 1921 hatte man in Rumfleth oberhalb der Stadt eine solche errichtet. Sie musste 1923 schon wieder aufgegeben werden. Die Stadt wollte eine Badeanstalt auf dem Brook errichten. Doch einer solchen, die nicht mit fließendem Wasser versehen ist, droht die Verschlickung. So wurde dieser Plan wieder fallengelassen. Im fließenden Wasser der Au unterhalb der Stadt konnte man ein Freibad deshalb nicht errichten, weil in dem Wasser „fließende Abgänge der Stadt“ enthalten werden, da die Stadt ja ihre Abwässer ungeklärt in die Au entließ. Ein solches Bad gab also „in gesundheitlicher Beziehung zu großen Bedenken Anlaß“. Oberhalb der Stadt besaß diese aber kein Land dafür. Die Stadt blieb also ohne Freibad. – Die Volksbibliothek wurde 1923 an den Verband Schleswig-Holsteinischer Büchereien angeschlossen. 1929 hatte sie immerhin 1330 Bände. – Am 15. September 1929 erstand im Stadtpark ein Denkmal zum Gedenken der 1914-18 Gefallenen aus dem Kirchspiel, aufgebracht durch Spenden, der Rest durch die Stadt. – Am 1. Januar 1924 ging das Krankenhaus in die Hand eines dafür gegründeten Zweckverbandes „Menckestift“ über, bestehend aus der Stadt Wilster, den Landgemeinden fast der gesamten Wilstermarsch. Das war eine bessere und leistungsstärkere Lösung. Der Kirchenvorstand stellte zur Pflege 2 Diakonissen.
Vom Jahre 1930 bis zum Jahre 1947 gibt es in den Beständen im Archiv einen großen Sprung, Verwaltungsberichte der Stadt Wilster für diese Jahre sind nicht vorhanden. Versucht man sich ein Bild über die Tätigkeit von Vereinen zu machen, oder sucht man nach Protokollen der Lehrerschaft aus diesen Jahren usw., so findet man immer wieder dieselbe Lücke, so als sollten diese Jahre, sehr inhaltsschwere Jahre für das deutsche Volk, ausgeklammert werden. Und so ist es wohl auch. In diese Jahre fallen der Untergang der Weimarer Republik, die Machtübernahme durch die National-sozialisten, das 3. Reich mit allem, was dieses enthält, den 2. Weltkrieg und den Zusammenbruch 1945 und die Übernahme durch die Militärregierung der Siegermächte am Ende. Gewiss ist dieses alles verständlich. Die Jahre waren außerordentlicher Art, von 1933 bis 1945 herrschte im Deutschen Reich ein totalitäres Regime, in dessen Namen Dinge geschahen, die man später lange Zeit kaum glauben wollte, andererseits hatte dasselbe Regime Erfolge aufzuweisen gehabt, die zur Folge hatten, dass es etliche Jahre die Masse der Bevölkerung, die von Verbrechen allerdings wenig erfuhr, gewinnen ließ. Als die Siegermächte das Land besetzten 1945, drohte ein großes Strafgericht, man hatte, obwohl in der Masse unbescholten, Ursache, vieles verschwinden zu lassen. Die Entnazifizierung der Nachkriegszeit machte die Dinge nicht übersichtlicher. Es wurde versucht, das Mitmachen zu verkleinern, zu leugnen, ins Gegenteil zu verkehren. Die eingehende Aufklärung über Verbrechen verschiedenster Art ließ die Generation dieser Zeit weiter schweigen, da ihr Handeln der Nachwelt nun immer unerklärlicher wurde, inzwischen sterben ihre Vertreter dahin und nehmen das Wissen mit ins Grab, wie es nun eigentlich z.B. in der Stadt Wilster gewesen ist. Für den Stadthistoriker ein Handikap.
Es bleibt zunächst nur ein Überblick, und der ist allerdings für diese Zeit auch für Wilster zu geben. Detaillierteres können allerdings nur speziellen Untersuchungen erbringen, die nicht vorliegen, die bald erfolgen müssten und zwar mit dem Ziel, auch diese Zeit, d.h. das Verhalten z.B. der Wilsteraner in dieser Zeit verständlich zu machen, denn sie waren Menschen, nicht schlechter und nicht besser als die Menschen davor und danach.
Mit der sogenannten Weltwirtschaftskrise 1929-32 setzte der Todeskampf der jungen weimarer Republik ein. Die Krise ging von den USA aus, war hier das Ergebnis einer ausgesprochenen Überproduktion. Nachdem der große Nachholbedarf nach dem 1. Weltkriege befriedigt worden war, geriet die amerikanische Wirtschaft in Absatzschwierigkeiten. In der Zeit der Konjunktur hatten amerikanische Wirtschaftsinstitute in großem Maße Kredite ins Ausland gegeben, vor allem auch nach Deutschland, wo man wegen drückender Tributleistungen (sog. „Reparationen“) an die Siegermächte solche Gelder brauchte, auch konnte Deutschland seinen Nachholbedarf in der Nachkriegszeit kaum anders befriedigen. So war man in Deutschland gegenüber den USA hoch verschuldet. Am 29.10.1929 war an der New Yorker Börse der sog. „Schwarze Freitag“, die Kurse sanken ins Bodenlose, die USA erlebten eine schwere Rezession, und – seine Geldleute forderten ihre Kredite zurück, rissen Deutschland, das sie kaum zurückerstatten konnte, mit sich. In den USA gab es eine Wirtschaftskrise aus Überfluss, den man nicht absetzen konnte. Im Reich wurde daraus eine Krise des Mangels, man konnte seine Schulden, weder Reparationen noch die Kredite, zurückerstatten. Das Reich erlebte eine Zeit der Pleiten, einer durch die Jahre immer mehr anwachsenden Arbeitslosigkeit, der bitteren Not, des massenhaften Ruins ganzer Berufsstände, der Radikalisierung.706)
In der Landwirtschaft setzte die Wirtschaftskrise schon 1928 ein. „Die landwirtschaftlichen Preise entwickelten sich trotz Abschirmung gegen die Folgen der weltweiten Überproduktion von Nahrungsmitteln – im Allgemeinen ungünstiger als die Kostenpreise der Landwirtschaft. 1925 bis 1928, in einer relativ günstigen Phase, waren die Durchschnittseinkommen der in der Landwirtschaft Tätigen nur noch etwa halb so hoch wie die Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen, gegenüber 2/3 in den Jahren 1910-1913.707) „Innerhalb des Zeitraumes 1924 -1928 war bei den meisten Erzeugnissen ein lebhafter Preisanstieg festzustellen, der im allgemeinen im Jahr 1928 den Gipfel erreichte. Kurz darauf verursachte der Ausbruch der Weltagrarkrise einen Preissturz auf der ganzen Linie. --- Bei den Erzeugnissen der Viehhaltung war die Preisentwicklung in vielen Punkten ungünstiger als bei den Feldfrüchten. -- - Mit dem Ausbruch der Weltagrarkrise fielen die Preise der tierischen Erzeugnisse noch erheblich tiefer als die der Agrarprodukte.“708) Das heißt also, dass die Landwirtschaft seit 1928 in einer Weltagrarkrise des Überflusses nicht genügend abgeschirmt werden konnte durch den Staat, damit in Schwierigkeiten geriet, wie man sie vor dem Weltkriege, vor der Republikzeit also, nicht gekannt hatte. Weiter traf dieses die Viehzuchtgebiete, das heißt besonders Schleswig-Holstein und in ihm vor allem die Marschen der Westküste und hier wiederum besonders die Wilstermarsch, ganz besonders. Die Landwirtschaft stand vor dem Ruin, organisierte sich in der „Landvolkbewegung“. „Landvolkbewegung, bäuerliche Protestbewegung in der Agrarkrise 1928-32“, so erläutert der Große Brockhaus (1979) Band 6 Seite 647, „ausgehend von Schleswig-Holstein unter der Führung der Bauern C. Heim und W. Hamkens. Steuerverweigerungen, Widerstand gegen Pfändungen und Versteigerungen, schließlich Bombenanschläge führten im Bombenlegerprozess (1930) zu Zuchthausstrafen für die Anführer, die jedoch bald amnestiert wurden. Der National-sozialismus nutzte die durch die Landvolkbewegung gesteigerte Verbitterung der Bauern seit 1930 erfolgreichaus. „Schon 1928 kam es bei Beidenfleth zum Zusammenstoß. Erzürnte Bauern hinderten den Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte daran, für Steuerschulden gepfändetes Vieh wegzutreiben. Das Staatswappen, den Reichsadler, nannte man den „Pleitegeier“. Im April 1929 tagte das Landgericht, das von Altona deshalb extra nach Itzehoe gekommen war, im Ständesaal. Es gab den „Beidenflether Pfandbruch-Prozeß“. 25 bekamen Gefängnis- und Geldstrafen, was die Erregung steigen ließ. Seit dem 1. März 1929 wurde in Itzehoe als Tageszeitung „Das Landvolk“ herausgegeben.709) Am 24. Mai 1929 gab es (auf das Landratsamt zu Itzehoe) den ersten Bombenanschlag. Weitere Anschläge folgten nach. Die Bauern wollten auf diese Weise auf die verzweifelte Notlage ihres Standes aufmerksam machen. Sie wurden in Prozessen, die Aufsehen erregten, verurteilt. Die Not blieb, wurde von den Nationalsozialisten geschickt ausgenutzt. Schon seit dem 1. Januar 1929 wurde als zweite Zeitung von ihnen in Norddeutschland in Itzehoe die “Schleswig-Holsteinische Tageszeitung“ herausgegeben. Die Bauern fühlten sich von der Republik, ihren Parteien, verraten und verkauft. Hier griff die nationalsozialistische Bewegung ein. Die Bauern schlossen sich ihr beinahe geschlossen an. Dass von der Not der Bauern, besonders der Viehzucht treibenden Bauern ihrer Marsch, eine Landstadt wie Wilster, die von der Landbevölkerung lebte, auf das härteste betroffen war, liegt auf der Hand. Die Krise der Bauern zog eine Krise des Wilsteraner Kleinbürgertums (Krämer, Handwerker, Gastwirte usw.) nach sich. Auch hier drohte der „Pleitegeier“, auch hier folgte man den Bauern auf ihrem Weg nach rechts. Und dazu kam der wirtschaftliche Kollaps als Folge des New Yorker „Schwarzen Freitags“ hinzu, womit alle Zweige der Wirtschaft voll betroffen wurden. Auch die Industrie Wilsters spürte nun die Schwere der Zeit. Die Wilsteraner Lederindustrie, seit der Vorkriegszeit schon schwer angeschlagen, überlebte diese Krise nicht, sie hörte auf zu bestehen. 1929 stellten auch die Ballinschen Lederwerke ihren Betrieb ein. Arbeitslosigkeit unter den Arbeitern, zuletzt bittere Not, wenn die Zeit der Arbeitslosenunterstützung ablief und man von der „Fürsorge“ leben musste, ohne Hoffnung in der Zukunft und durch Jahre hindurch, verbreitete auch hier den Radikalismus. Die Weimarer Demokratie war noch zu jung, hatte in den wenigen Jahren seines Bestehens zu viele Nackenschläge einstecken müssen (Versailler Friedensdiktat, Inflation und nun die Weltwirtschaftskrise), als dass sie viel Vertrauen in der Bevölkerung hatte erwerben können. So trat der Radikalismus von rechts und links auf und versprach die Wende. Sicherheit und Geborgenheit durch einen starken Staat, der sie durch Gebote und Verbote vor solchen Miseren wie einer jahrelangen Wirtschaftskrise bewahrte und zwar schnell, das wünschten sich Bauern und Kleinbürger und auch Arbeiter. Andere Arbeiter folgten den Kommunisten, der die Wende durch den Sozialismus versprach, was wieder von Bauern und Kleinbürgern als neue Gefahr angesehen wurde. Zwei Heilslehren prallten in einer „Kampfzeit“ aufeinander. Demonstrationen, Umzüge, Flugblätteraktionen, Massenversammlungen, und dann bald Saalschlachten, Schlägereien der organisierten und uniformierten Gegner bestimmten den Tag. Und von Monat zu Monat schwoll die „Fieberkurve“, mit der die Bürgerlichen diese Entwicklung verglichen, an. Am Ende dieser Entwicklung stand die „Machtübernahme“ durch Adolf Hitler am 30.1.1933.
Die Nationalsozialisten betrachteten dieses alles als Revolution, und so benahmen sie sich auch, wandten Gewalt an, um ihre politischen Gegner auszuschalten. Das traf vor allem die Linke. Den Reichstagsbrand im Februar 1933 benutzte man, um die Organisationen der Kommunisten, denen man einen Versuch einer Gegenrevolution vorwarf, auszuschalten. Als die Sozialdemokraten versuchten, vorsorglich eine Auslandsorganisation aufzubauen, wurde im Juni des Jahres auch diese Partei verboten, ihre Organisation zerschlagen. Im Mai 1933 nach dem zum Tag der Deutschen Arbeit umgewandelten 1. Mai beseitigten sie auch die Gewerkschaften, schufen dafür die Deutsche Arbeitsfront. Die Masse oder doch sehr viele aus allen diesen Organisationen wanderten in Konzentrationslager, wo sie grausamen Zeiten entgegengingen, sehr oft ihr Leben einbüßten. Diese Zerschlagungs- und Verhaftungswelle ging durch alle Orte, hat auch Wilster betroffen. An diese Vorkommnisse erinnert heute die Hans-Prox-Straße, wie die Straße Hinter der Stadt umgetauft wurde in unserer Zeit. Hans Prox war Sozialdemokrat und einer jener Konzentrationäre. Er litt und ist an seiner Gesundheit in solchen Lagern derartig geschädigt worden, dass er an diesen Folgen sterben musste. Als Konzentrationäre waren diese Gegner des 3. Reiches, wie die Nationalsozialisten ihre Diktatur benannten, aus den Augen der Bevölkerung, kehrte einer früher heim, so wusste er im eigenen Interesse zu schweigen. Widerstand fanden die Nationalsozialisten bei solchen Maßnahmen nicht mehr. Auch die Vertreter der Arbeiterbewegung waren zu oft nur noch Menschen, hinter denen kein entschlossener Anhang mehr stand. Noch stärker war dieses bei den Bürgerlichen der Fall, deren Parteien waren schon vor 1933 bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Als Politiker ohne jeden Einfluss ließ man sie.
Man hat Schleswig-Holstein vorgeworfen, eine Hochburg des Nationalsozialismus gewesen zu sein, besonders hat man dieses auch der Westküste vorgeworfen, und gewiss ist auch Wilster eine solche Hochburg des 3. Reiches gewesen. Andern Ortes siegten die Nationalsozialisten viel später, auch unvollkommener, wie etwa in katholischen Gegenden, wo der noch sehr feste christliche Glaube hinderte, oder in Industriestädten, wo jedenfalls Teile der Arbeiterschaft reservierter waren, oder in Orten, in denen Intellektuelle bestimmten, Angehörige einer Bevölkerungsschicht also, der Gedankenfreiheit, freie Rede und Schrift Lebensinhalt war. In Schleswig-Holstein bestimmte noch immer stark die Landwirtschaft, besser gesagt, das Bauerntum. Und dann bestand hier ein stark vertretenes Kleinbürgertum vor allem in den kleinen vielen Landstädten im Lande, zu denen Wilster gehörte. Wer behauptet, dass dieses Land, dass diese Wilstermarsch antidemokratisch von Natur aus immer gewesen sei, kennt von der Geschichte dieses Raumes kaum etwas. Das Gegenteil ist der Fall, das Land, die Marsch und die Landstadt Wilster waren stets liberale Hochburgen gewesen. Die Wilstermarsch ist eine Landschaft mit uralter Selbstverwaltung, aus Zeiten, in denen man an derartiges andern Ortes noch nicht dachte. Was hier nun in den letzten Jahren der Weimarer Republik geschah, ist etwas völlig anderes. Hier ging es um soziologisch-existenzielle Fragen. Bauerntum und Kleinbürgertum befanden sich in einer derartig verzweifelten Lage durch Inflation und besonders durch die Weltwirtschaftskrise, dass sie, um nicht gänzlich ruiniert zu werden, Schutz durch den Staat suchten vor derartig furchtbaren Erscheinungen einer Marktwirtschaft, wie sie die Weltwirtschaftskrise zeitigte, Schutz auch vor der Belastung durch nicht enden wollende „Reparationen“ an die Siegermächte des Krieges, die sie mit der eigenen Not in Zusammenhang brachten. Und viele Arbeiter wollten vor allem einmal „Arbeit und Brot“. In der Meinung, dass die Parteien der Weimarer Republik hier versagt hätten, wandten sie sich denen zu, die dieses alles versprachen und auch tatsächlich hielten (, wobei eine kräftige Aufrüstung, die als Schutz gegen weitere Unterdrückungen durch die Siegermächte zudem begrüßt wurde, nicht unbeträchtlich mitwirkte.) Daneben veranlassten die demokratischen Rechte, was wohl nur einer verstehen kann, der eine solche Notzeit voll durchgekostet hat. Hier lag der Grund dafür, dass, und jetzt nicht nur in Schleswig-Holstein, zuletzt eine große Mehrheit hinter den Nationalsozialisten stand, auch ihre Diktatur hinnahm, da sie ja Arbeit und Brot gaben, da sie Bauern und Kleinbürgern Sicherheit der Existenz garantierten. Was diese jetzt allein herrschende Partei dann sonst noch an Lehren zu verbreiten bestrebt war, fand viel weniger Resonanz, auch wenn sie ihren Vertretern noch wichtig erscheinen mochte. Die Nationalsozialisten waren Antisemiten und haben dieses in ihrem fanatischen Teil einschließlich ihres Führers in grausiger Weise während des 2. Weltkrieges durch die Tat bewiesen, durch die Ausrottung aller Juden, deren man damals in Europa habhaft werden konnte. Dieser Antisemitismus hat in Wilster, das kann mit Gewissheit gesagt werden, keine Rolle gespielt, gewiss auch nicht im übrigen Schleswig-Holstein. Das lag daran, dass es hier kaum Juden gab, für Wilster gesprochen, dass es hier überhaupt keine Juden gab. Im Jahre 1773 tauchen 2 Juden in einem Prozess in Wilster auf, wobei unklar bleibt, ob sie überhaupt in der Stadt wohnten. Dann gab es im Jahre 1900 in der Stadt 2 Juden, 1905 war es noch ein einziger. Auch er hat dann die Stadt bald verlassen. Weder vorher noch nachher gab es Juden in Wilster.710) Kleinbürgerlichen Hass gegen Juden, die wirtschaftlich oft geschickter waren, konnte es in der Stadt nicht geben. Das war ein Gebiet, welches die Bevölkerung weder im Negativen noch im Positiven berührte. Mehr schon ließ man sich von den schmeichelnden Charakteristiken beeindrucken, welche die neuen Herren des Reiches dem heimischen Menschenschlage angedeihen ließen, von der „Nordischen Rasse“ schwärmten Rassenforscher, Dichter und Denker und nat.soz. Politiker auch. Der Heimatgedanke erhielt einen neuen Inhalt. Blut und Boden gehörten ja zusammen (als „Blubo“ verspottet). In dieser Zeit des Dritten Reiches haben gewiss auch Wilsteraner eine beachtliche Position errungen. Ein Mittelschullehrer aus der Stadt, Dietrich Klagges, hat es sogar bis zum Ministerpräsidenten von Braunschweig gebracht. Er hatte sich schon 1926 nach Benneckenstein am Harz versetzen lassen,711) Ministerpräsident wurde er schon vor der Machtübernahme. Er ist es gewesen, der Hitler zum Beamten und damit zum deutschen Staatsbürger machte. Auch in der Hitlerjugend des „Gaues“ Schleswig-Holstein brachten es Wilsteraner Jugendliche zu hohen Dienstgraden. Viele traten der Partei auch wohl bei, um im Amt zu bleiben, zumal alles danach aussah, dass das neue Regime von Dauer sei. Bürgermeister Dethlefsen war 1932 abgetreten. Es folgte ihm im Amte Dr. Siegfried Küster. Er trat der NSDAP wie viele andere im März 1933 bei und blieb bis 1945 im Amte.
Der Start des Dritten Reiches bedeutete einen brutalen Einschnitt in der Entwicklungsgeschichte der Stadt, wie auch des Landes und des ganzen Reiches. Alles wurde nach dem „Führerprinzip“ ausgerichtet, nach dem Prinzip Befehl von oben und Gehorsam von unten, dieses herunter bis in die letzte Zelle der Gesellschaft. Die Partei war so durchorganisier, umfasste vom „Führer“ bis hinunter zum letzten PG (Parteigenossen) zuletzt wohl etwa 12 Millionen. Wer hier nicht erfasst war, war in den Formationen der Partei (SA, SS usw.), und wer auch hier nicht einbezogen war, der war es in seine Berufsorganisation (Deutsche Arbeitsfront usw.) oder in seinen ebenfalls erfassten Vereinen. Dem Führerprinzip unterworfen war auch die Kommunalverwaltung. Schon am 7.2.1933 wurden die Stadtparlamente aufgelöst, am 12. März Kommunalwahlen, in denen es noch die Parteien gab, durchgeführt. Das Führerprinzip setzte sich in der Folgezeit auch hier durch, war schon Realität, bevor dann am 1. Januar 1934 eine neue Gemeindeverfassung in Kraft trat. Jetzt war allein verantwortlicher Leiter der Stadtgemeinde der Bürgermeister. Ein Gemeinderat von Ratsherren stand neben ihm, aber nur mit beratender Stimme. Der Bürgermeister musste sie anhören, dann fasste er seinen einsamen Entschluss, niedergelegt in „Niederschriften über die Entschließungen des Bürgermeisters“, Protokollbücher über Verhandlungen der Ratsherren erübrigten sich. An die Stelle eines Magistrates traten Beigeordnete, die aber auch nur Vorschlagsrecht in ihrem Dezernat hatten. Alle diese Stadtvertreter wurden nicht mehr gewählt, sie wurden vom nationalsozialistischen Gauleiter und Kreisleiter vorgeschlagen, was verbindlich war, und dann vom Landrat des Kreises „berufen“. Die Berufung erfolgte für 6 Jahre, alle 2 Jahre sollte ein Drittel ausscheiden. Wenn man bedenkt, dass das „1000-jährige Reich“ doch nur 12 Jahre Bestand gehabt hat, von denen auch nur 6 Jahre Frieden war, so wird klar, dass in dieser Zeit nicht allzuviel geschehen konnte, wenn man einmal, was durchaus nicht bagatellisiert werden soll, die Erreichung der Vollbeschäftigung ausnimmt. Der Bauernstand und das städtische Kleinbürgertum fühlten sich errettet, lebten im Rahmen einer auf Autarkie ausgerichteten Planwirtschaft. Für die Dauer über das Dritte Reich hinaus konnte wenig geschehen in diesen wenigen Jahren. Sehr beachtlich und erfreulich war, dass man 1938 das Neue Rathaus von seiner schändlichen wilhelminischen Fassade erlöste, die Straßenfront erneuerte, den heutigen Zustand herstellte. Dass manche Zentralisierungstendenzen schon damals über die Stadt hinweggingen, zeigte sich z.B. an dem Berufsschulwesen. Am 1.4.38 entstand die Kreisberufsschule in Itzehoe konzentriert, sinnvoll gewiss, aber die Kreisstadt stärkend auf Kosten der Regionalstädte, die ja bisher ihr eigenes Berufsschulwesen besaßen. Schon 1934 wurde das Straßenwesen neu geregelt in einer Weise, die auch heute noch Bestand hat, durch das Gesetz über Neuregelung des Straßenwesens wurde der Provinz ein Großteil der Straßen wieder genommen, die ihr der preußische Staat überlassen hatte. Autobahnen und Reichsstraßen wurden Sache des Reiches (heute entsprechend Bundesstraßen). Dem Lande blieben untergeordnete Straßen, dem Kreise weitere darunter, schließlich kamen die kommunalen Straßen. Die Stadt Wilster, an die Grenzen dessen gekommen, was sie im Rahmen einer regionalen Landstadt erreichen konnte, führte nach Erlösung von der Weltwirtschaftskrise wieder ein beschauliches Dasein, weiterhin bemerkenswert sauber, eine Stadt, von der auffiel, dass man das Straßenpflaster und die Hauswände schrubbte, wo ärgerlich auffiel, wenn ein Papierschnitzel im Rinnstein lag. Man entsann sich gerne holländischer Herkunft. Wachsen tat die Stadt schon lange nicht mehr. Es war eher das Gegenteil der Fall. Am 16.6. 1933 zählte die Stadt 4154 Einwohner, das war weniger als Kellinghusen, das mit 4635 die Stadt überrundet hatte. Und am 17. Mai 1939 zählte Wilster gar nur noch 3943 Einwohner.712) Kurz darauf brach der 2. Weltkrieg aus, von Hitler, wenn auch nicht in dieser Form angestrebt, keineswegs jedoch vom Deutschen Volke.
Der 2. Weltkrieg glich für Wilster in vieler Hinsicht dem 1. Weltkrieg. Auch diesesmal wurde die wehrfähige Bevölkerung weitgehend erfasst, brachte dabei ihren Blutzoll. Auch diesesmal und zwar gründlicher, wurden Stadt und Land von einer Kriegsbewirtschaftung erfasst. Und auch dieses mal war Wilster bis zum Kriegsende kein Kriegsschauplatz, erlebte in seiner Gemarkung keine Kampfhandlungen. Das heißt ganz so ungeschoren wie im 1. Kriege kam dieses mal die Stadt doch nicht davon. Das Ausbomben aus der Luft war an sich gegen volksreiche Städte und Industriezentren gerichtet, doch fielen Bomben verschiedentlich an Orten, wo man sie nicht erwartete, so auch einmal und mit Wirkung auf die Stadt Wilster. Das war am 15.6.1944 der Fall. Eine der Sprengbomben fiel direkt in die Kirche und richtete hier besonders in dem zum Turm gelegenen Teil schwere Verwüstungen an. Auch in den Garten des Neuen Rathauses fielen mehrere Bomben, eine dicht hinter dem Gebäude. Es gab jedoch nur einige Risse, da der weiche Marschboden die Erschütterung auffing. Das zweistöckige Gartenhaus dagegen fiel den Bomben zum Opfer.713) In den letzten Monaten des Krieges überrollten die Sowjets den deutschen Osten, wo vor ihnen eine Massenflucht begann. Zahlreiche Flüchtlinge wurden dabei auch gerade nach Schleswig-Holstein geschwemmt, wo vorher auch schon zahlreiche Ausgebombte Zuflucht gesucht hatten. Dieser Prozess war noch im Gange, als die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapitulieren musste. Am 7. Mai 1945 kamen britische Truppen auch in den Kreis Steinburg und besetzten hier die Ortschaften. Das 3. Reich war zu Ende. Dafür kam nunmehr eine „Militärregierung“ für einige Jahre. Was nunmehr die Stadt regierte, bestimmten britische Offiziere. Die Bevölkerung, vor allem natürlich die Behörden, wurden entnazifiziert. Zumindest jeder, der ein Amt oder eine Position innehaben sollte oder wollte, im Grunde alle Erwachsenen, mussten Fragebogen ausfüllen, auf Grund von deren sie eingeteilt wurden in Betroffene verschiedenen Ausmaßes und in Entlastete. Es wurde entlassen und interniert, materiell gebüßt. Den Flüchtlingen folgten die Ausgesiedelten, die im deutschen Osten von der Roten Armee Überrollten wurden nach der Kapitulation ebenfalls vertrieben. Ihre Heimat kam unter „sowjetische“ und „polnische Verwaltung“. Das waren die Gebiete östlich der Oder-Neiße. So wuchs die Zahl der Flüchtlinge noch weiter an. Auch Wilster hatte mehrere tausend unterzubringen. Ein Wohnungsamt hatte die Vollmacht. Es herrschte strenge Wohnraumbewirtschaftung. Dann begann eine außerordentliche Versorgungsnot, der Hunger hielt Einzug. Nahrungsmittelbewirtschaftung gab es schon seit Kriegsbeginn. Sie wurde unter erheblich verschärften Bedingungen fortgeführt. So hatte für Jahre die Bevölkerung genug damit zu tun, sich das Notwendigste mühselig zu beschaffen. Das Abenteuer des 3. Reiches endete mit einem furchtbaren Zusammenbruch. Und nun endlich beginnen die Nachrichten über Vorkommnisse in der Stadt wieder zu fließen, liegen seit 1947 wieder im Archiv der Stadt Verwaltungsberichte der Stadt Wilster vor, die einen etwas genaueren Einblick gewähren. Zunächst die Einwohnerzahlen: 1947 hatte die Stadt nach Abschluss der Flüchtlingsflut 7538 Einwohner, von den 47,6 % Flüchtlinge, vor allem Ostpreußen und Pommern, waren. Fast die Hälfte der Einwohner waren also Menschen, die „alles verloren hatten“, die nun vom Wohnungsamt Wohnraum der Alteingesessenen zugewiesen bekamen. So sollte es unvermindert etwa bis zum Jahre 1949 bleiben, wo die Zeit der Militärregierung endete, die Bundesrepublik Deutschland erstand, die deutschen Demokraten den zweiten Versuch machen durften. 1949 zählte Wilster gar 7544 Einwohner, das war der höchste Stand, der in dieser Hinsicht erreicht wurde. Eine Gemeindeverfassung erhielten die Städte von der britischen Militärregierung durch die Verordnung Nr. 21 vom 1.4.1946 (Amtsblatt Mil.Reg. Nr. 7 S. 128). Die Militärregierung habe „weitgehend Bestimmungen der Deutschen“, sprich nationalsozialistischen, „Gemeindeordnung“ übernommen, meint man im Verwaltungsbericht Seite 3. Nun, es war aber die britische Form der Selbstverwaltung, freilich wurden die Vertreter der Gemeindeselbstverwaltung zunächst nicht gewählt, sondern alle von der Militärregierung ernannt. Dieses ernannte Stadtparlament war die „Stadtvertretung“, die wiederum einen „Hauptausschuss“, dem Magistrat entsprechend etwa, wählte. Der Vorsitzende der Stadtvertretung, ein ehrenamtlicher Vertreter also, hieß Bürgermeister. An der Spitze der städtischen Beamten stand als wichtigste Persönlichkeit der Stadtdirektor. „Der Bürgermeister sollte politischer Repräsentant der Stadt und der Stadtdirektor der Verwaltungschef sein. Versuche des Landes Schleswig-Holstein“, das die Militärregierung 1946 bildete (das Land Preußen wurde aufgelöst), „eine bessere Gemeindeverfassung zu schaffen, scheiterten an der britischen Militärregierung“.714) Am 15.9.1946 durften dann erstmals wieder die Gemeindevertreter demokratisch frei gewählt werden, erstmals wieder seit 1933, nachdem sich demokratische Parteien wieder hatten bilden dürfen. Dabei stellte sich in etwa die politische Struktur ein, wie sie in Wilster schon durch Jahrzehnte bestanden hatte, ausgenommen die Jahre der Weltwirtschaftskrise, die ja die Menschen radikalisiert und ins Lager der Hitleranhänger getrieben hatte. Es ist zu wünschen, dass derartige wirtschaftlichen Notzeiten und damit Belastungen niemals wieder kommen. Damals sammelten sich die Bürgerlichen in der Freien Demokratischen Partei (FDP), die 10 Vertreter erhielt, die Arbeiterschaft war zur Sozial-demokratischen Partei Deutschlands zurückgekehrt, die SPD erhielt 7 Vertreter. Bürgermeister wurde der Malermeister Heinrich Büttner (SPD), im Hauptausschuss saßen 4 von der FDP und 3 von der SPD. Am 17.3.1947 wurde als Stadtdirektor gewählt der Oberinspektor Willy Oxwang. Schon am 24.10.1948 war dann auch die andere bürgerliche Partei, die Christlich Demokratische Union (CDU) da, sie erhielt 4, die FDP noch 8 und die SPD 5 (ein Tiefpunkt) Vertreter. Jetzt wurde Bürgermeister der Kaufmann Nikolaus Musfeldt (FDP) (vom 15. 11.1948 an). Die Zeit der großen Not und der Fremdherrschaft dauerte zum Glück nur kurze Zeit. Schon im Juni 1948 wurde durch die Währungsreform die Volkswirtschaft Westdeutschlands auf eine gesunde Basis zum Wiederaufbau gestellt. Ein Jahr später konnte jedenfalls hier die parlamentarische Demokratie in Form der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden. Am 24. Januar 1950 wurde für das Land Schleswig-Holstein eine Gemeindeordnung beschlossen, die am 4.3. in Kraft trat. In ihr griff man auf die bewährte alte Steinsche Städteordnung wieder zurück, wie sie bis 1933 gegolten hatte, realisiert lokal durch die Hauptsatzung der Stadt Wilster. Die Gemeindevertretung wurde die „Ratsversammlung“, ihre Mitglieder die Ratsherren (nicht mehr Stadtverordnete). Aus ihnen ging wieder durch Wahl der „Magistrat“ als kollegialer Vorstand der städtischen Verwaltung hervor. Leiter der Verwaltung wurde wieder der auf 12 Jahre gewählte „Bürgermeister“. Am 23.3. 1950 wurde dann der einstige Oberinspektor und dann seit 1947 Stadtdirektor Willy Oxwang zum Bürgermeister der Stadt Wilster gewählt (zunächst auf 6 Jahre). Das, was unter der Militärregierung sich Bürgermeister nannte, der Präsident des Stadtparlaments, hieß jetzt sinngemäß „Bürgervorsteher“, Nikolaus Mußfeldt führte dieses Amt unter diesem neuen Namen bis zum 24.5. 1957 weiter, danach wurde der Malermeister Karl Huusfeldt sein Nachfolger.715)
Das Flüchtlingsproblem stand mit an erster Stelle in den Nachkriegsjahren. Als ein Land mit relativ geringen Kriegsschäden hatte Schleswig-Holstein besonders viele Vertriebene aus den verlorenen Ostgebieten aufnehmen müssen, jedenfalls was das platte Land einschließlich seiner Klein- und Mittelstädte betraf. Zusammenleben in qualvoller Enge kennzeichnete diese Zeit für Flüchtlinge und auch für Einheimische. Wilster bot hierfür ein typisches Beispiel, hatte es doch einige Jahre hindurch fast ebenso viele Vertriebene wie Einheimische in einem Wohnraum, der für die etwa 4000 zählenden eingesessenen Bewohner vorgesehen war, das heißt es fehlten zudem 35 Häuser, die 1944 durch Luftangriff zerstört worden waren. Schon am 27.11.1947 gab es ein Gesetz zur Behebung der Flüchtlingsnot. Es gab einen Flüchtlingsausschuss, eine Schlichtungsstelle, denn Streitigkeiten gab es naturgemäß in der qualvollen Enge der Unterbringung mit vielerlei Problemen, von denen sich derjenige, der sie nicht miterlebt hat, kaum eine Vorstellung zu machen vermag. Es gab eine Beratungsstelle für Vertriebene, es gab einen Flüchtlingsbeauftragten. Es wurden Vertriebenenaus-weise ausgestellt. Es gab einen Ausweis A, den 1175 erhielten, die von jenseits der Oder-Neiße-Linie stammten, dann gab es den Ausweis B für 97 und Ausweis C für noch einmal 29. Da das platte Land nur wenig Arbeitsmöglichkeiten für die Vertriebenen geben konnte, wurde die Umsiedlung drängend, seitdem seit 1948 der Wiederaufbau beginnen konnte. Es gab eine Bundesumsiedlung: es wurden bis 1957 452 Familien umgesiedelt. Dann gab es die Landesumsiedlung, hier waren es nur 33 Familien, die in Schleswig-Holstein in Orte umsiedelten, die mehr Arbeit zu bieten hatten. So sank die Bevölkerung wieder allmählich. 1950 waren noch 7348 (davon 45,3 % Flüchtlinge), 1952 waren es dann 6293 (mit 41,1 % Vertriebenen), 1954 sodann 5623 Einwohner (Flüchtlingsanteil 35,8 %) und 1956 waren es 5227, von denen immerhin 1/3 Flüchtlinge waren. Etwa 1600 Vertriebene blieben, für sie wurde Wilster im Laufe der Jahre zur neuen Heimat, und zwar in solchem Ausmaße, dass man heute beide Elemente kaum noch voneinander zu unterscheiden vermag, gewiss eine große Leistung von Staat, Stadt und Gesellschaft. Doch ging der Weg dorthin über Dornen. Zunächst musste das gesetzlich legitimierte Wohnungsamt den Mangel nach Kräften gerecht verteilen. Dann musste Wohnraum neu erstellt werden. So wurde die Schützenhalle in der Allee zu 3 Wohnungen umgebaut, nahm das Gebäude der Mädchenschule in Landrecht 5 Wohnungen auf, 2 weitere entstanden in der Deichstraße 54. Das war 1949. 1950 begann man, konnte man beginnen, da nunmehr Mittel dafür zur Verfügung standen, mit der „Ostlandsiedlung“, ein Straßenzug östlich der Johann-Meyer-Str. nördlich vom Kirchhof. Es sollte hierbei nicht bleiben. Qualvoll auch die Enge in den Schulen. 1950 gab es in der Volksschule 1519 Schüler(innen), 1947 gab es 27 Klassen, aber es gab nur 17 Klassenräume, Lehrer aber waren 16 da. Allmählich regulierte es sich. 1957 war die Zahl der Klassen wieder auf 19 gesunken, wofür 20 Klassenräume zur Verfügung standen und immerhin 14 Lehrkräfte (1953 waren es vorübergehend sogar 21 gewesen). Volkschulrektor dieser Drangzeit war Adolf Sievers, ein Mann aufgeschlossen dem Heimatgedanken. Entsprechend war das Wachsen und Zurückgehen in der Mittelschule, wo wir 1953 448 Schüler(innen) haben, 1957 dann 272.716) Diese Nachkriegsjahre waren die 3. „Überfremdungszeit“ für die Stadt, die ihre Einwohner sonst weitgehend aus der umliegenden Marsch erhielt. Die erste Welle fiel mit dem Dreißigjährigen Krieg und folgenden Schwedenkriegen zusammen. Viele kamen damals, etliche gingen wieder, eine Anzahl verblieb, neue Namen tauchten auf, sogar in den ratsfähigen Familien der Zeit. Die 2. Welle fiel zusammen mit der Industrialisierung am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die Arbeiter kamen teilweise von weither. Etliche gingen wieder mit dem Verfall der Lederindustrie, eine Anzahl verblieb für immer, und neue Familiennamen gab es in der Stadt, die hier bisher unbekannt waren. Die 3. Welle, die der Flüchtlinge, war sicher aber die größte, nun gab es vor allem auch viele Namen aus den östlichen deutschen Gebieten. Auch die religiöse Zusammensetzung änderte sich in diesem Zusammenhang etwas. Etwas, denn die Masse der Flüchtlinge war wie die Einheimischen evangelisch. Immerhin 3 % der Einwohner aber waren jetzt römisch-katholisch, so nach der Volkszählung vom 13. 9. 1950, wo man 6889 Einwohner zählte (3101 männlich und 3788 weiblich, ein großer Frauenüberschuss infolge hoher Kriegsverluste, auch hielt man noch viele Jahre deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion zurück). Für die immerhin 210 Katholiken wurde 1950 ein eigener Kirchbau errichtet. Eine eigene katholische Gemeinde, wie in Glückstadt und Kellinghusen, gab es in Wilster nicht, dafür war die Anzahl zu gering. Zuständig war der Pfarrer der St. Ansgarkirche in Itzehoe.717) Erhebliches musste in der Nachkriegszeit auch von der evangelisch-lutherischen Kirche, der immer noch 95 % der Bevölkerung angehörten, geleistet werden.718) Die Herstellung der schwergeschädigten Sonninkirche erfolgte in 2 Bauabschnitten, nämlich 1947-54 und 1963/64. „Der ornamentale Schmuck der Stuckdecke wurde bei deren Erneuerung nicht wieder angebracht. Hatte die alte Orgel auf der oberen Empore gestanden, die auch umlaufend geführt war, so erhielt die neue ihren Platz auf der ersten Empore. – Der Aufbau der Logen-Emporenfront zu beiden Seiten der Altare erfolgte zweigeschossig, gegenüber dem vorigen Zustand in der Form geschlossener. Die Zahl der Kirchen-plätze wurde einschneidend auf etwa 1200 herabgesetzt, und endlich brachte eine noble Farbgebung alles zu einem neuen Ausdruck. Das Äußere der Kirche bietet nach wie vor das gleiche Bild. Nur der Turmhelm bekam ein neues Gesicht. Seine 100 Jahre alte Schiefereindeckung, --- konnte 1968 durch ein Kupferdach ersetzt werden.“719) Da die drei Räume, die im Hauptpastorat für die aktive Gemeinde-arbeit zur Verfügung standen, kaum ausreichten, entschloss sich die Gemeinde 1976, ein Gemeindehaus zu errichten. Zur Verfügung dafür stand der Pastoratsgarten hinter dem Hauptpastorat zum ehemaligen Burggraben hin. Hier erstand 1978/79 ein 24 Meter langer und 15 Meter breiter Bau, sorgfältig gepfählt, da der Untergrund nicht sehr günstig hierfür war. Es enthält funktionsgerecht einen Jugendraum, eine Teeküche, einen Abstellraum, den Konfirmandenraum, einen Gemeindesaal, ein Magazin, weiter Vorraum, Garderobe, Windfang, Flur und Toiletten. „Es passt sich sehr gut in die städtebauliche Substanz zwischen unserer Sonninkirche und dem Michaelsenschen Gartenhaus (Trichter) ein, weil wir im Geiste des größten Baumeisters der evangelischen Kirche im 18. Jahrhundert bauten und dabei seine Ideen in die Erfordernisse der Neuzeit umsetzten. Hierbei hat sich der Architekt Friedrich Hain aus Neumünster ein würdiges Denkmal gesetzt.“720) Die Gemeinde wird weiterhin von zwei Geistlichen betreut.
Die Aufgaben der städtischen Verwaltung wuchsen mit vorübergehenden oder mit Aufgaben für die Dauer. So gab es das Ernährungs- und Wirtschaftsamt, das nach Ende der Zwangsbewirtschaftung aufgelöst wurde. Weiter gab es das Fürsorgeamt, mit welchem, nachdem die Vertriebenenprobleme mehr und mehr ihrer Lösung entgegengingen, das Vertriebenenamt zusammengelegt wurde. Dazu kam noch das Einwohnermeldeamt. Eine Aufgabe des Fürsorgeamtes war das Altersheim, das seinen Armenhaus-Charakter nach der Währungsreform 1948 ändern konnte. Aus ihm wurde ein städtisches Alters- und Pflegeheim, eine Pension für alte Leute. Die Schlafsäle verschwanden, seit 1949 begann eine Auflockerung in Einbett-, Zweibettzimmer. Natürlich konnte dieses nur schrittweise geschehen. 1957 gab es 78 Plätze. Dabei trägt sich das Altersheim selbst, wozu eine Schweinemast beitrug.721) Einen Höhepunkt an Arbeit gab es für die städtischen Organe natürlich 1947, dem Höhepunkt der Notzeit. Damals gab es 6 Beamte, aber 18 Angestellte und 11 Arbeiter. 1956 waren es dann nur noch 7 Beamte, 8 Angestellte und 6 Arbeiter. Bestimmen tat wieder die freigewählte Bürgervertretung. Es gab eine Bewegung in der Parteienwelt. Die Sozialdemokraten sanken, was die Zahl ihrer Wähler betraf, zunächst einmal ersichtlich. Erzielten sie 1946 noch 3635 Wähler, so waren es bei der nächsten Gemeindewahl nur noch 2782 im Jahre 1948, 1951 gar nur noch 1992. Dieses scheint zusammenzuhängen mit der Bildung einer eigenen Flüchtlingspartei, dem BHE, der 1951 1350 Wähler auf sich vereinigte. Die Bürgerlichen hatten 3 Parteien zeitweilig, neben der FDP und der CDU noch die DP (Deutsche Partei). Man trat dann gewöhnlich bei Gemeindewahlen in einem Wahlblock auf, der 1951 2701 Stimmen auf sich vereinigte und 1955 dann 2442 Stimmen.722) 1959 gab es getrennte Stimmen. CDU und FDP erzielten je 5 Mandate, die SPD 6 und der BHE nur noch 1. (CDU 2265 Stimmen, SPD 2883, FDP 2247, GDP (BHE) 416 und ein BdD 88).723) In den 60er-Jahren gab es sodann noch die 3 überlebenden Parteien. In der Kommunalwahl vom 11.3.1962 gab es an Mandaten 5 für die CDU, 7 für die SPD und 5 für die FDP, in der vom 13.3. 1966 dann 6 für die CDU, 7 für die SPD und 4 für die FDP.724)
Die Stadtvertreter haben vor einer Reihe wichtiger Fragen gestanden, die es zu lösen galt. Da war zunächst die Stadtkanalisation, die in Angriff zu nehmen war. Eine Mahnung dahingehend, dass die sanitären Verhältnisse keineswegs in Ordnung waren, dass Gefahren vor allem von der immer mehr verschmutzten Wilsterau herrührten, gab es in der Not der Nachkriegsjahre, die viele Krankheiten mit sich brachte, vor allem gab es 1946/47 eine Typhus-Epidemie in der Stadt. Noch immer standen die Dinge so: „In unserem Stadtgebiet befindet sich nur in einigen Straßen eine Regenwasser-kanalisation, deren Zustand teilweise sehr schlecht und besonders die Reinigung der Leitungen bis zum Jahre 1949 völlig vernachlässigt worden ist. Vor allem musste im Laufe der Jahre das erforderliche Reinigungsgerät angeschafft werden. Der verrohrte Burggraben und auch die Entwässerungsleitungen in der Bahnhofstraße werden zum großen Teil als Schmutzwasser-kanalisation benutzt. Die jährliche Reinigung macht große Schwierigkeiten, da die Rohre sich teilweise gesetzt haben. Für die Besserung der Abwässerverhältnisse wurde im Jahre 1951 von Ziv. Ing. Dr. Weise aus Lübeck ein Vorentwurf für die Ortsentwässerung Wilsters aufgestellt. Desgleichen bearbeitet derselbe die Entwurfsaufstellung für die Verrohrung des Wilsterau-Stadtarms, der als Hauptsammler für die Kanalisation im Jahre 1953/54 ausgebaut wurde (Verrohrung)“.725) Die Wilsterau in ihrem alten Hauptarm durch die Stadt am Alten Rathaus vorbei wurde zunächst einmal zusätzlich zu dem Burggraben verrohrt, vom Stadtbild her schwerwiegend nachteilig, vieles vom typischen Gesicht Wilsters ging so verloren. Es steht allerdings außer Zweifel, dass diese Maßnahmen notwendig waren. Es heißt über die Maßnahmen weiter: „Die Herstellungskosten einschließlich des Hauptpumpwerks Lange Reihe“, das damals also erstand, „und des Abschlussbauwerks Rosengarten betrugen 728 395 DM. Mit dem Hauptsammler wurde der Grundstock für die Vollkanalisation geschaffen“. Erfasst wurden von dieser Maßnahme allerdings vorerst nur 25 % der Einwohner. Eine Satzung über die Entwässerung und den Anschluss an den Hauptsammler wurde am 19. Sept. 1953 von den Stadtvertretern genehmigt. Am 28.12. 1955 wurde vom Ziv. Ing. Franke (Delmenhorst) ein Entwurf für ein Klärwerk aufgestellt, denn „die Fertigstellung des Hauptsammlers schließt auch weiterhin die Errichtung von Grundstücksklärgruben zur Vorklärung der Abwässer nicht aus. Erst mit der Fertigstellung und des zentralen Klärwerks können Abwässer ungeklärt in die Vollkanalisation gegeben werden. Der Ausbau der Vollkanalisation wird von der Stadt angestrebt und soll bei zur Verfügungsstellung tragbarer Förderungsmittel seitens des Landes und des Bundes nach Möglichkeit in den kommenden Jahren teilweise durchgeführt werden,“ so heißt es im Verwaltungsbericht im Jahre 1957. Und weiter für die Zwischenzeit weiter: „Die Reinigung der Grundstücksklärgruben wurde bis zum Jahre 1955 von der städtischen Abfuhr vorgenommen. Seit dieser Zeit ist die Klär-grubenreinigung einer Privatfirma übergeben worden.“ Schließlich heißt es über das Zwischenergebnis (Verrohrung des Wilsterau-Stadtarms und Bau eines Hauptsammlers): „Durch den Bau des Hauptsammlers wurden in den angeschlossenen Grundstücken die bisherigen Kellerüber-flutungen aufgehoben, desgleichen vor allem ein gefährlicher Seuchenherd beseitigt.“ Die Abwasser-kläranlage, genehmigt am 20.1.1958 vom Landesamt für Wasserwirtschaft, konnte ab November 1958 gebaut werden.726) Im April 1960 konnte das neue Klärwerk in Betrieb genommen werden. Im Verwaltungsbericht für die Jahre 1959-1961 ist vermerkt: „Das mechanisch-biologische Klärwerk einschließlich des für den Endausbau erweiterten Hauptpumpwerkes in der Langen Reihe konnte am 8. April 1960 in Betrieb genommen werden. (Baukosten 858 378,06 DM).“ Das war ein bedeutender Tag in der Geschichte der Stadt. Kanalisiert waren nunmehr Klosterhof, Marquardstraße, Zingelstraße, Kohlmarkt, Deichstraße (teilweise), Lange Reihe und Am Markt. Die kommenden Jahre brachten in diversen Baustufen den weiteren Ausbau der Vollkanalisation. Die 2. Stufe war 1962/63, die 3. Folgend 1964, die 4. Dann 1965/66. 1966 sind „rund 95 % der Gesamtmaßnahme erfüllt“. „Die Verrohrung des Bäckerstraßenflethes soll 1968 erfolgen“, heißt es sodann in der Haushaltssatzung von 1968. Aber in der von 1969 heißt es dann: „Die Verrohrung des Bäckerstraßenflethes konnte auch 1968 noch nichts erfolgen“, und weiter: „Die Kanalisation ist 1968 noch nicht zu Ende (wie erwartet)“. Auch dieses ist inzwischen geschehen, auch der Bäckerstraßenfleth ist nunmehr verrohrt. Es ist nunmehr so, dass die ehemaligen Sielwettern zur eigentlichen Au geworden sind, der Straßenzug „Am Audeich“ dortselbst trägt nunmehr also seinen Namen zu Recht. Mit der Vollkanalisation erübrigte sich allmählich ein unappetitliches Kapitel der Stadtgeschichte, die Fäkalienabfuhr. Die Fäkalien wurden in die Nähe des Sportplatzes Allee gebracht, dort in Gruben gesammelt, aufbereitet, nach genügender Ausfaulung per Schiff nach Glückstadt versandt, wo sich die Gemüsebauern seiner annahmen. In den letzten Jahren verfiel die Anlage mehr und mehr, zudem musste man dazu übergehen, sich Gedanken über die weitere Abfuhr zu machen, da der Dung nicht mehr abgenommen wurde (1958). So war die Vollkanalisation eine Erlösung. „Die Ausschaltung der Trockenaborte nach Fertigstellung der angelaufenen Vollkanalisation wird angestrebt“, vermeldet der Verwaltungsbericht von 1959-61. In dem betreffenden Bericht für 1962-66 heißt es erfreut: „Die Fäkalabfuhr nimmt mit Fortschritt der Vollkanalisation zusehends ab, nur noch 1 ½ Tage pro Woche werden Fäkalienkübel abgefahren. „Ein Problem steigenden Ausmaßes wurde die Müllbeseitigung. Darüber heißt es im Verwaltungsbericht von 1947-57: „Die Abfuhr wird mit Pferdefuhrwerken betrieben, 5 Mann beschäftigt, zuletzt 4 Mann. Das Abfuhrgebäude ist im schlechten Zustand. Die Müllabfuhr ist schwierig. Die Kübel werden auf offenen Planwagen entleert. Das System und die Art der Durchführung entsprechen nicht mehr den heutigen Erfordernissen der Stadthygiene, Abhilfe ist dringend geboten“. Am 22.2. 1949 erfolgte eine Gründung einer Fäkalien- und Müllabfuhr- und Verwertungsanstalt. 1958 versuchte man es mit einer „staubfreien Müllabfuhr“. Ein Schuttberg für die Müllabfuhr wurde 1960 auf dem Brook vom Bauern Heesch gepachtet, er reichte jedoch nur für einige Jahre, daher wurde „ein Ersatzplatz außerhalb der Stadt gesucht“. Der „staubfreie Müllwagen“ hatte sich nicht bewährt“. Endlich konnte „in Groß Kampen ein neuer Müllablagerungsplatz gepachtet und angelegt werden“, so der Verwaltungsbericht 1962-66. Die heute in Angriff genommene zentrale Mülldeponie bei Ecklak zeigt sich heute in mannigfacher Hinsicht als eine Notwendigkeit. Geringen Erfolg hatte die Stadt in ihrem Bemühen, an dem Deutschen Wirtschaftswunder, wie man das Wiederaufblühen des Wirtschaftslebens in der Bundesrepublik seit 1948 genannt hat, teilzunehmen. Schon im Deutschen Reiche von 1867/71 bis 1945 lag Wilster als Stadt der holsteinischen Westküste nicht eben günstig. Diese Randlage war seit 1945 noch extremer geworden. Jetzt lag Schleswig-Holstein dicht am Eisernen Vorhang, der West- und Ostdeutschland hermetisch voneinander trennte. In der Bundesrepublik lag das Land im äußersten nordöstlichen Winkel, während sich andererseits durch die Bildung der EG die Grenzen nach West und Süd auftaten. Der Westen und Süden der Bundesrepublik profitierten von dieser neuen Lage, der Norden dagegen hatte Mühe, Anschluss zu halten. Dies alles wirkte sich auf die Westküste besonders aus. „Die Stadt Wilster“, so heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt von 1947-57 auf Seite 61, „hat sich nach Beendigung des Krieges ständig bemüht, Industriebetriebe in Wilster anzusiedeln und dadurch die Wirtschaftskraft der Stadt zu heben. Diesen Bestrebungen ist leider nur zum Teil ein Erfolg beschieden. - - - Die Stadt Wilster hat nicht in dem Maße an dem Wirtschaftswunder Anteil gehabt wie andere Städte in besserer Verkehrs- und Bodenlage“. Dabei waren von der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten viele Schritte gemacht worden, die dem Gewerbe dienlich sein mussten. „Die Stadt liegt an der schiffbaren Wilsterau, an der Bundesstraße 5, an der Bundesbahnlinie Hamburg-Westerland und an der Bundesbahnnebenstrecke nach Brunsbüttelkoog“, zählt der Bericht auf, aber „trotz dieser Vorzüge wird der Raum um Hamburg von vielen Betrieben wegen der verkürzten Anfuhr der Rohstoffe und Lieferung der Fertigwaren der Vorzug gegeben.“ Eingeräumt werden auch die Nachteile, die im Marschboden liegen: „Der Marschboden erfordert bei Bauten, Straßenanlegungen und bei Kanalisationsarbeiten mehr Aufwendungen als in anderen Gegenden“. Niederlassen taten sich meist Unternehmen, denen es an Kapital mangelte. Der Bericht zählt auf: Eine Arzneimittelfabrik Erich Graef eröffnet 1947 ein Zweigwerk in Wilster mit rund 20 Beschäftigten, ging aber schon 1949 in Konkurs. Eine Stahlfensterfabrik mit 11 Beschäftigten gründete Firma Behrmann und Koopsch 1948, stellte den Betrieb jedoch schon 1953 wieder ein. Eine Lebensmittel-fabrik O. E. Anders bestand seit 1947 und ging schon 1948 ein. Die Firma Wilhelm Krause begann „in den Gebäuden der 1929 stillgelegten Ballinschen Lederwerke“ mit der Fabrikation von elektrischen Heiz- und Kochgeräten seit 1948, beschäftigte vielversprechend um die 100 Arbeiter und Angestellte, aber 1953 ging der Betrieb in den Konkurs. 1954 eröffnete in eben den Räumen der Ballinschen Lederwerke eine Herdfabrik der Hamburger Firma Wilhelm Ahlers, die „einen guten Start und aussichtsreiche Entwicklung“ hatte. Auch eine Hand- und Maschinenstrickerei Hermine Siegert, die 1953 in Wilster zu produzieren begann, „entwickelte sich gut“. Schließlich kam aus Bochum die Firma Friedrich Spieß und errichtete in der Rumflether Straße einen Zweigbetrieb einer Sack- und Planenfabrik. Sie „berechtigt zu den besten Hoffnungen“. Also waren nicht alle Neuansiedlungen Fehlschläge. Die Realität der Randlage in einem Wirtschaftsgebiet führte aber doch zu wehmütigen Betrachtungen im Verwaltungsbericht der Stadt von 1947-57 (auf Seite 62): „Früher gehörte Wilster mit seinem ausgedehnten Getreidehandel, seinem Hafen, der Lederindustrie, dem Futtermittelwerk und dem bedeutenden Viehhandel zu den wirtschaftlichen Schwerpunkten des Kreises Steinburg. Die Stadt war der natürliche Mittelpunkt der Wilstermarsch. Hier ist durch die Zeitläufte ein Wandel eingetreten. Die zentralen Funktionen Wilsters sind nur noch von nebengeordneter Bedeutung. Die zurzeit ansässigen 385 Gewerbebetriebe setzen sich zu über 300 aus Klein- und aus Kleinstbetrieben zusammen. Die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung und auch des benachbarten Hinterlandes sichert die Existenz des Gewerbes und des Handels allein nicht mehr. Die Betriebe mussten mehr und mehr dazu übergehen, ihren Absatz in anderen Gebieten zu suchen. Das ist im vollen Umfange gelungen. Unsere Betriebe haben sich durch saubere, gute und preiswerte Arbeit in der weiteren Umgebung einen guten Ruf erworben. Das Fehlen größerer arbeitsintensiver Industriebetriebe spiegelt sich auch in der Arbeitsmarktlage wieder. Die Statistik des Arbeitsamtes weist nach, dass der Anteil der Arbeitnehmer (Beschäftigte und Arbeitslose zusammen) an der Wohnbevölkerung beträgt: im Bundesdurchschnitt 38,5 %, in Schleswig-Holstein 35 %, im Arbeitsbezirk Elmshorn 35,6 %, im Arbeitsamtsnebenstellenbezirk Wilster aber nur 21,9 %. Dass die von der Stadt seit Jahren mit allen Mitteln unternommenen Versuche, die Wirtschaftskraft der Stadt durch Ansiedlung von Industrie zu heben, zum Teil Erfolg hatten, ist daraus ersichtlich, dass die Betriebe Ahlers, Spieß und Siegert sich hier niedergelassen haben. Die Unterstützung des Landes und des Kreises ist wiederholt zugesagt. Verschiedene größere Planungen sind vorgesehen, lassen sich zurzeit noch nicht wegen gewisser Schwierigkeiten auf Bundes- bzw. Landesebene verwirklichen. Schwierigkeiten hatte der gesamte Kreis. Er gehörte nicht zum eigentlichen Randgebiet der Stadt Hamburg, auch nicht zum Zonenrand-gebiet, dem Vergünstigungen zustanden wurde, auch nicht zum Gebiet des „Programms Nord“, dem Norden des Landes, dem eben dieses Land Hilfe zukommen lassen musste. Der Kreis Steinburg gehört zu den wenigen schleswig-holsteinischen Kreisen, für den dies alles nicht zutrifft. Der schwerste Schlag für Wilsters Wirtschaft erfolgte dann erst in den 60er Jahren. Im Jahre 1965 verlagerte die Firma Günther und Co. ihr Futtermittelwerk von Wilster nach Schleswig, und damit brach der bis dahin noch immer beachtliche Schifffahrtsverkehr auf der Au zusammen, abgesehen von dem schmerzlichen Verlust an Arbeitsplätzen. Die Hafen- und die Schleuseneinnahmen gingen von 1965 immerhin noch 2000 DM auf nur 200 DM im Jahre 1967 zurück. Die Wilsterau ist seitdem, wenn man einmal von Sportseglern absieht, recht leer geworden. Aufgeben taten die Stadtvertreter daraum freilich keineswegs. Es stimmt ja auch, wenn es in der „Haushaltssatzung für 1967“ heißt unter anderem: „Nachdem längere Zeit nur Klein- und Mittel-Gewerbe vorhanden war, haben sich in den letzten Jahren neue größere Betriebe angesiedelt und haben mehrere Betriebe einen für Wilster bedeutenden Umfang angenommen. Es ist zu hoffen, dass die Verlegung eines größeren Betriebes nach außerhalb sich nicht auf die Dauer nachteilig auswirkt, sondern als Ersatz ein anderer Betrieb für Wilster gewonnen werden kann.“ Zunächst allerdings bedeutete dieses, dass 1967 den 399 Einpendlern 499 Auspendler gegenüberstanden, dass Schleuse und Hafen im selben Jahre 24 000 DM Verlust verursachten.727)
Die Stadt hat sich nach der Aufschwemmung durch die Flüchtlingsflut bei Kriegsende auf eine Bevölkerungszahl eingependelt, die ihrer Situation gemäßer ist. 1965 gab es 4959 Einwohner (davon 31,2 % Vertriebene),728) 1967 waren es noch 4841 und 1970 schließlich noch 4678.729) „Auf einer Stadtgebietsfläche von nur 205 ha leben 4600 Einwohner“, so beschreibt auch noch im Jahre 1980 der damalige Bürgermeister Armin March die Stadt.730) Bürgermeister im Amt waren in dieser Zeit bis 1963 noch Willi Oxwang, anschließend der bisherige Kreisinspektor Johannes Handt bis 1972, sodann bis 1981 Armin March, dem 1981 der derzeitige Bürgermeister Wolfgang Noffke (bisher Amt Wilstermarsch) nachfolgte. Diese Stadt, der immerhin mehrere hundert neu Einwohner für Dauer verblieben, hat sein Siedlungsareal, sowie dieses bei anlaufender Konjunktur der Nachkriegsjahr-zehnte möglich wurde, entsprechend ausweiten müssen. Und sie hat dieses auch getan. Nach Entwurf (1951) und Ausbau (1952) der Ostlandsiedlung, der schon 1949 die Bebauung der Südseite der Allee (Bebauungsplan „Auf dem Brook“) vorangegangen war, ging man an die Bebauung des Gebietes „West-Landrecht“. Die Ratsversammlung beschloss hier am 20.2.1956 einen Teilbebauungsplan, der am 23.4. des Jahres vom Sozial-Ministerium genehmigt wurde. Gebaut wurde eine Straße von der Zingelstraße an der Volksschule entlang nach dem Landrecht herüber. Sie erhielt 1957 den Namen Etatsrat-Michaelsen-Straße, denn sie führte ja vor allem auch durch seinen ehemaligen Grundbesitz. Hier begann man in eben diesem Jahre mit dem Bau von 17 Wohnungen, ab 1958 von 10 Wohnungen in der Johann-Meyer-Straße. In den 60er Jahren lag der Schwerpunkt für Wohnbauten in der neu erstehenden Etatsrätin-Doos-Straße, von der Etatsrat-Michaelsen-Straße abzweigend um die Villa Schütt herum. Es erstanden an Wohnungen 1962 23, 1963 17, 1964 18, 1965 7 und 1966 noch einmal 14. Die in der Notzeit errichtete Obdachlosenbaracke wurde 1962 abgerissen und durch eine neue ersetzt in der Rumflether Str. 6 mit 16 Wohnräumen. 1966 wohnten dort 11 Parteien mit 23 Personen. Die Wohnraumnot war sonst damals behoben. Am 1. Juli 1966 wurde die Wohnraumbewirtschaftung für Wilster aufgehoben. Es gehörte zum „weißen Kreis“, wo solches geschehen konnte. Es waren Wohnblocks, die da entstanden, wie sie die Stadt bis dahin noch kaum kannte. So entstanden 1963-65 der Wohnblock Etatsrätin-Doos-Str. 12/13 mit 24 Wohnungen, 1964/65 ein Wohnblock in derselben Straße Nummer 8-11 mit 36 Rentnerwohnungen. Die Gesellschaft St. Pauli errichtete 1964/65 einen Block mit 24 Wohnungen.731) Auch an der Neuen Burger Straße wurde gebaut. 1975 kam es sodann zur Erschließung des Neubaugebietes Am Fleeth. Und nunmehr erhielt Wilster auch dem Zeitgeist entsprechend „Hochhäuser“. Zwei von ihnen wuchsen 1975 Am Fleeth heran.732) Und seit 1980 heißt ein neues Erschließungsgebiet „Hohler Zahn“, ein Gebiet mit 44 Grundstücken. Die Stadt hatte entdeckt, dass sie als Wohnort attraktiv sein konnte auch für Menschen, die andern Ortes ihr Brot verdienten, denen Ruhe und schöne Wohnlage einen längeren Weg zur Arbeitsstätte aufwog, Rentnerstadt war Wilster ja schon eine geraume Zeit gewesen und blieb es auch. So erwuchs südlich der Dammflether Brücke das „Bebauungsgebiet Nr. 11“ mit dem deutschen Osten gewidmeten Straßennamen, noch weitere Straßen zweigten von der Neuen Burger Straße ab. Aber damit wäre schon beinahe das Jubiläumsjahr 1982 erreicht.
Die Zeit des sogenannten Deutschen Wirtschaftswunders ist zugleich auch die Epoche in unserer Geschichte, in der sich der Kraftwagen als vorherrschendes Verkehrsmittel in unserer Gesellschaft durchsetzte, es ist die Zeit der Motorisierung, die nunmehr erfolgte, nachdem sie durch Kriege und Nachkriegsnöte im Unterschied z.B. zu den USA immer wieder hinausgezögert worden war. Am 3.12.1949 gab es in Wilster immerhin noch 158 Pferde, ganz überwiegend zuständig für den Warentransport. Bis zum 3.12.1957 sank diese Zahl auf nur 37 herab.733) Auch in Wilster mit seinen vielfach ausgesprochen schmalen Straßen bestand zwischen rasch zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr und dem vorhandenen Verkehrsnetz eine Diskrepanz. Straßeninstandsetzungen nehmen in ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen zu. Verbindungsstraßen werden geschaffen, um den Verkehrsfluss durch die Stadt hindurch zügiger zu gestalten, die B 5 führte ja durch die Stadt hindurch, von Itzehoe herein durch die Burger Straße und dorthin heraus durch den Kohlmarkt. 1953 erstand eine Stichstraße als Verbindungsstraße vom Steindamm nach der Burger Straße, die nach Fertigstellung als Bundesstraße (B 5) ausgewiesen wurde. Ein Haus musste deshalb abgebrochen werden. Der Inhaber erhielt in der Bahnhofstr. Ersatz dafür. Dann gab es zahlreiche Abrundungen, so schon 1952 Rumfletherstr – Rumflether Deich. So worden 1958 abgebrochen wegen Baufälligkeit und Abrundung Haus Schmiedestraße 33 (Ecke Op de Göten-Schmiedestraße), wurden die Grundstücke Rathausstraße 68/69 und 72/73 zum selben Zwecke erworben und Nr. 68 und 72/73 auch tatsächlich schon abgebrochen. Erwerb und Abbruch zum Zwecke der Abrundung im selben Jahr auch bei Neustadt 37 (vorher Stegemannsche Stiftung).734) Ein mühsames Herumlaborieren, bezeichnend für eine alte Stadt, die erstanden war unter anderen Verkehrsbedingungen. So tauchten zwei Bestrebungen auf, einmal erstrebte man eine Stadtsanierung, um den Ort bewohnbarer zu machen, weiter musste man bestrebt sein, den Durchgangsverkehr, der immer mehr anwuchs, was die Kraftwagen betraf, aus der Stadt herauszunehmen, indem man eine Umgehungsstraße erwirkte. Für eine Stadtsanierung standen, wenn die Stadt entsprechende Vorschläge und Eigenmittel erstellte, Mittel von höherer Instanz zur Verfügung. War doch, nachdem erst einmal die größte Wohnraumnot überwunden war, die Sanierung oft ganzer Stadtteile in deutschen Städten ein drängendes Anliegen. Auch Wilster hat eine solche Sanierung geplant. Sie tauchte in der Haushaltssatzung für 1969 auf. „Die unrentierlichen Kosten dürften insgesamt etwa 1 Mio. DM betragen, zur Hälfte vom Bund zu tragen“.735) Dass dabei eine gewisse Besorgnis erwachsen kann, dass die Stadt, die schon durch Verrohrung ihrer Au-Arme einiges von ihrem Charakter verlor, nunmehr bis zur Unkenntlichkeit verwandelt werden könne, liegt natürlich auf der Hand. Ruth-E. Mohrmann schreibt in diesem Sinne in ihrem „Volksleben in Wilster im 16. Und 17. Jahrhundert“ auf Seite 30 folgend: „Nachdem bereits das Verrohren der Burggräben und der Wilsterau im längsten Bereich ihres innerstädtischen Verlaufs dem Stadtkern eines seiner typischen Merkmale genommen hat, stehen Wilster in naher Zukunft sehr viel weiterreichende Veränderungen bevor. So wird die Verlegung der Bundesstraße, über deren kurvenreichen Verlauf durch die alte Haferstraße, Op den Göten und Schmiedestraße täglich hunterte von LKWs und PKWs rollen, den innerstädtischen Straßen eine spürbare Entlastung bringen und den Stadtkern wieder bevorrechtigt dem Fussgänger zugänglich machen. Einen tiefer gehenden Einschnitt in das bisherige Stadtbild wird aber die geplante Altstadtsanierung mit sich bringen. Während heute noch der Besucher Wilsters sich ohne Schwierigkeiten am Friederichschen Stadtplan von 1775 bei einem Rundgang orientieren kann, werden nach Abschluss der Sanierungsarbeiten ganze Straßenzüge verschwunden und Plätze verändert sein. „Inwieweit diese schwierigste Aufgabe, die Wilster in der Neuzeit zu lösen hat (so Bürgermeister Armin March anlässlich der Beratung der Bebauungspläne in der öffentlichen Ratsversammlung in Wilster am 21.3. 1974), zum Wohle der Stadt Wilster und ihrer Bewohner erfüllt werden kann, wird die Zukunft zeigen müssen.“ Finanzielle Schwierigkeiten haben dann das gesamte Sanierungsprojekt nicht nur hinausgezögert, es auch erheblich reduziert. Am 20. Februar 1982 berichtete die Norddeutsche Rundschau über Ausführungen des damaligen Ersten Stadtrates Helmut Jacobs, der den damals beurlaubten Bürgermeister der Stadt zu vertreten hatte, über das Problem der Wilsterschen Stadtsanierung, gehalten vor seinen Parteigenossen von der SPD im „Holsteinischen Haus“. Da heißt es folgend: „ Leider sei es nicht möglich gewesen, die Sanierung der Wilsterau oder die Stadtsanierung zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Die Stadtsanierung ziehe sich bereits mehr als 10 Jahre hin und es sei immer noch kein Ende zu erkennen. Die Stadt sei vom Bund und Land aufgefordert worden, die Sanierung kurzfristig zu einem Abschluss zu bringen, da andernfalls bereits bewilligte Mittel anderen Gemeinden zur Verfügung gestellt würden. Die Ratsversammlung habe durch entsprechende Beschlüsse frühere Sanierungsvorhaben erheblich reduziert. Übrig geblieben sei eine Neutrassierung des Klosterhofes mit dem Ziel, auf Kosten minderer Bausubstanz eine Verkehrsberuhigung im Innerstadtbereich zu erreichen, um dort wertvollere Bausubstanz zu erhalten. Die noch zur Verfügung stehenden Mittel sollen zum Erwerb einiger Schlüsselgrundstücke und zur Modernisierung mehrerer bereits erworbener Grundstücke eingesetzt werden. Auf die Sanierung der Wilsterau eingehend, meinte Jacobs, dass auf diesem Gebiet deshalb keine Verbesserungen in Angriff genommen worden seien, weil in einem seit Jahren andauernden Rechtsstreit ungeklärt sei, wer – Stadt oder Land – für die Kosten der Sanierung aufzukommen habe.“ Hierzu meldete dieselbe Zeitung am 7. April 1982: „Die Stadt Wilster hat ihren Rechtsstreit mit dem Land Schleswig-Holstein über die Einstufung der Wilsterau verloren. Bürgermeister Wolfgang Noffke gab dieses Ergebnis auf der jüngsten Ratsversammlung bekannt. Die Stadt Wilster hatte eine Feststellungsklage erhoben, um deutlich zu machen, dass die Einstufung der Wilsterau als Bundeswasserstraße I. Ordnung begründet ist. Diese Einstufung, die für den Hauptlauf unumstritten ist, sollte auch für sämtliche Nebenarme der Au im Stadtgebiet gelten. In der ersten Instanz hatte die Stadt Wilster im Verwaltungsgericht Schleswig Recht bekommen. Daraufhin war das Land Schleswig-Holstein vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gezogen. In dieser zweiten und letzten Instanz unterlag nun die Stadt. „Erheblicher war das Ergebnis, was die Umgehungsstraße betraf. Die Stadtvertretung setzte sich von vornherein für eine südliche Umgehung ein, so 1949, bis dahin solle eine „Stichstraße“ erbaut werden. Aber noch am 27. Juni 1957 wurde festgestellt, dass eine Entscheidung über eine nördliche oder eine südliche Umgehung noch immer ausstehe. In den 70er Jahren kam man endlich zügig zum Ergebnis in Form einer großzügigen Südumgehung. 1976 war der Bau einer großen Stadtumgehungsstraße der B 5 voll im Gange. Und im Steinburger Jahrbuch 1977 konnte auf Seite 232 vermerkt werden: „Als Bundesmaßnahme wurde Ende September 1976 die Umgehungsstraße Wilster im Zuge der B 5 ihrer Bestimmung übergeben.“ Ein wichtiger, erlösender Abschluss hier.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Kriege litt die vorher so blühende Pflege des Heimatgedankens wie überhaupt jede Beschäftigung mit Geschichtlichem sehr. Die eigene Geschichte erschien als kaum mehr als eine Kette von nationalen Pleiten, zuletzt auch auf moralischem Gebiete. Man verdrängte das, was vor der berühmten Stunde Null gewesen war, lebte der Gegenwart und der Zukunft. Pflege des Heimatgedankens war vom 3. Reich in seinem Sinne betrieben worden, was zum Ergebnis hatte, dass man nunmehr ihm kaum noch ein Entgegenkommen erwies. Der Heimatverein der Wilstermarsch ging ein. Bücher, von ihm herausgegeben, landeten im wahrsten Sinne des Wortes in der Gosse. Heimatliebende Bürger fischten sie dort heraus, soweit sie konnten. Zum Glück ist hier ja inzwischen ein gewisser Wandel eingetreten. Eine gute Sache wird nicht deshalb schlecht, weil sie von dieser oder jener Seite für eigene Zwecke verwandt worden. Wenn auch der „Trend“ dem lange Zeit entgegenstand, so hat es doch immer in Wilster an maßgeblicher Stelle die Überzeugung gegeben, dass seine historischen Bauten und historisch überlieferten und weitergepflegten Bräuche nicht das schlechteste waren, welches Wilster der Mitwelt zu bieten hat. Schon am 1.4.1952 trat eine von den Stadtvertretern beschlossene Ortssatzung über die Baugestaltung und zum Schutze des Ortsbildes gegen Verunstaltung in Kraft. Das Ehrenmal für die Gefallenen von 1914-18 wurde 1955 erweitert, der Gedenkstein an den Frieden 1871 wurde von der Kirche in den Stadtpark verlegt. Des Archives nahm sich der Konrektor der Mittelschule Otto Neumann an, selber ein Flüchtling. Es wurde neu überarbeitet, wichtige Ordnungs- und Registrierarbeiten durchgeführt. Otto Neumann verließ dann die Stadt, um Kreisarchivar zu werden. Für das 675–jährige Jubiläum der Stadt schrieb er einige Arbeiten über Bereiche der Stadtgeschichte, die bisher weniger durchforscht worden waren. Sie wurden allerdings nicht gedruckt, sind in Maschinenschrift in der Hand des Stadtarchivars. Immerhin geschah zum mindesten eine Arbeit über das Neue Rathaus ausdrücklich auf Veranlassung der Stadt. Man pflegte Bausubstanz und Anlagen nach Kräften. Allerdings ließ sich das Balkenhaus neben dem Alten Rathaus wegen Baufälligkeit nicht halten, auch wohl nicht wegen notwendiger Kurvenab-flachung. Der Vorteil besteht darin, dass das Alte Rathaus stärker zur Geltung kommt, vor allem verschwindet heute nicht mehr der Speicher hinter anderer Bausubstanz. Auch Feiern im Zusammenhang Wilsterscher Tradition verstand man weiterhin zu begehen. Zum 675-jährigen Stadtjubiläum schrieb Rektor Adolf Sievers eigens ein Festspiel „De Rathusdör“, das am 8. August 1958 aufgeführt wurde und großen Anklang fand. Wenn jedenfalls auch in der Nachkriegszeit Tradition gepflegt wurde, so geschah es in den beiden Städten Krempe und Wilster. Hier waren es und sind es weiterhin vor allem die Gildefeste, welche Tradition und historische Überlieferung wach hielten und halten. „Auch die Bürger-Schützen-Gilde der Marschenstadt Wilster von 1380 feierte in altgewohnter Weise wieder ihr Gildefest“, heißt es im Steinburger Jahrbuch 1973 (Seite 208). „Wie schon seit Jahren begann das reichhaltige Programm mit dem traditionellen Ummarsch und Aufzug der Stadtwache vor dem Rathaus. Dort erlebten die Wilsteraner und Gäste das Spiel um die Etatsrätin Doose, der einstmaligen Wohltäterin der Marschenstadt. Der Gildemontag war wieder Höhepunkt des Gildefestes, das in seinem Ablauf von historischen Überlieferungen bestimmt wird. Zu Beginn des Tages rüttelt der Weckruf die Bürger aus dem Schlaf. Dann folgen Hauptmanns-, Königs- und Bürgermeistermarsch. Das traditionelle Fahnenschwenken auf dem Marktplatz vor der Sonnin-Kirche bot ein prachtvolles Bild und wurde mit starkem Beifall von den vielen auswärtigen Besuchern und Einheimischen belohnt. Die beiden Gildefeste in Krempe und Wilster sind immer Höhepunkte des heimatlichen Geschehens. Es wird dabei deutlich, dass diese Gilden sich um die Erhaltung des Brauchtums in unseren Marschen hochverdient machen.“736) Einige Dissertationen über Wilster stammen aus dieser Nachkriegszeit, die die Kenntnis über die Vergangenheit der Marschenstadt erweiterten. In der Zeitschrift für schleswig-holsteinische Geschichte erschien „Die Anfänge der Städte Itzehoe, Wilster und Krempe“737) von Marianne Hoffmann. Vor allem erschien 1977 von Ruth-E. Mohrmann „Volksleben in Wilster im 16. und 17. Jahrhundert“, für diese beiden Jahrhunderte und nicht nur für diese ein Standardwerk.
Von Bedeutung für Wilster wurde seit den 60er Jahren eine Gesetzgebung, die man unter dem Begriff „Raumordnung“ zusammenfassen kann.738) „Die Raumordnung ist eine junge, in rascher Entwicklung befindliche Aufgabe. Ihre Probleme und deren Bewältigung in raumordnungspolitischen Aufgabenstellungen werden mit dem steilen wirtschaftlichen Aufschwung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland immer drängender. Seit 1960 ist das Bundesbaugesetz als Grundgesetz des Städtebaus in Kraft. Es enthält die rechtlichen Grundlagen für die Planung in den Gemeinden und Städten des Bundesgebietes. Schließlich konnte nach langjährigen Bemühungen 1965 das Bundes-ordnungsgesetz vom Bundestag verabschiedet werden.“739) „Die räumliche Struktur der Gebiete mit gesunder Lebens- und Arbeitsbedingungen --- soll gesichert und weiter entwickelt werden“, heißt es im § 2 und : „In Gebieten, in denen eine solche Struktur nicht besteht, sollen Maßnahmen zur Strukturverbesserung ergriffen werden“, und weiterhin: „Eine Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten, die dazu beiträgt, räumliche Strukturen mit gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ausgewogenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen zu erhalten, zu verbessern oder zu schaffen, soll angestrebt werden. --- In Gebieten, in denen die Lebensbedingungen in ihrer Gesamtheit im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt wesentlich zurückgeblieben sind, --- sollen Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung einschließlich der zugehörigen Bildungs-, Kultur- und Verwaltungseinrichtungen gefördert werden.“ Zielsetzung ist also eine „Verdichtung“ der „Wohn- und Arbeitsstätten“ und die Förderung von „Gemeinden mit zentral-örtlicher Bedeutung“. Die Auswirkungen dieses Gesetzes waren in unserem Lande weniger tiefgreifend und einschneidend als in anderen Ländern der Bundesrepublik, aber sie bestanden durchaus. Am 16. Dezember 1969 beschloss der schleswig-holsteinische Landtag ein Gesetz zu einer „Neuordnung von Gemeinde- und von Kreisgrenzen sowie von Gerichtsbezirken“. Die Zahl der Kreise wurde dabei von 17 auf 12 verringert. Der Kreis Steinburg wurde davon wenig betroffen, er blieb als solcher bestehen, wurde nicht mit anderen Kreisen zusammengelegt, Itzehoe blieb Kreisstadt, neu war nur, dass die Ämter Schenefeld und Wacken zum Kreis hinzukamen, er also noch etwas ver-größert wurde. Stärker wirkte sich die Änderung der Gerichtsbezirke aus, in den folgenden Jahren verschwanden die Amtsgerichte in den Landstädten des Kreises, wurde das Gerichtswesen in einem mächtig angewachsenen Amtsgericht in Itzehoe zentralisiert. Hier zeigte sich die eine Seite der „Reform“. Eine Zentralisation ging oft auf Kosten der Landstädte, die einen Teil ihrer Funktionen zu Gunsten hier der Kreisstadt einbüßten. Das alte Amtsgerichtsgebäude Rathausstraße 1 wurde 1958 schon an die Amtsverwaltung des Amtes Wilstermarsch verkauft, das Amtsgericht lag in den letzten Jahren seines Bestehens in dem Gebäude Rathausstraße/Ecke Stadtmühlenweg, bis es jetzt als eines der ersten aufgehoben wurde. Die Stadt verblieb sonst ungeschmälert, aber auch nicht durch Einge-meindungen ausgeweitet zu einer Großgemeinde, die das ganze Umland umfasste, wie es in anderen Ländern der Fall war. Landstadt und Amt der umliegenden Landgemeinden blieben erhalten, zumal diese Organisation sich bewährt hatte. Wilster hat jedoch noch in anderer Hinsicht Einbußen an Bedeutung hin nehmen müssen, immer zu Gunsten der Kreisstadt. Es hat aber auch als sogenannter zentraler Ort Funktionen übernommen, die bis dahin Sache der Landgemeinden waren. Man unterschied im Gesetz von 1965 zentrale Orte verschiedener Ordnung: Die Oberzentren (Richtwert 100 000 Einwohner) in Schleswig-Holstein nur Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster, die Mittelzentren (ihr Richtwert betrug über 30 000 Einwohner) Itzehoe war ein solcher Ort. III. Ordnung waren die Unterzentren, IV. Ordnung schließlich die Kleinzentren. Durch Runderlaß des Innenministeriums des Landes vom 1.6.1965 wurde Wilster Mittelpunktsgemeinde und zwar gemäß Regionalplan für den Planungsraum IV ein Zentraler Ort III. Ordnung, Wilster wurde „Unterzentrum“.
Eine Einbuße durch fortschreitende Zentralisierung erlitt Wilster auch auf sanitäterem Gebiet. Das Wilstersche Krankenhaus „Menckestift“, getragen von einem Zweckverband, unterstützt durch einen Krankenhaus-Lastenausgleich, hatte 1968 den Anstaltsarzt und einen Assistenzarzt, die Buchhalterin und eine kaufmännische Arzthelferin. An Schwestern waren vorhanden die Oberschwester, 2 Operations- und 2 Stationsschwestern, eine Nachtschwester, 4 Schwesterhelferinnen, sodann eine med. techn. Assistentin. Dann gab es noch den Hausmeister und Krankenwagenfahrer, eine Wirtschafterin, 6 Gehilfinnen und 3 stundenweise beschäftigte Aushilfskräfte. Dieses Krankenhaus war gewiss nicht groß, aber es hatte sich seit Jahrzehnten bewährt. Damals bestand schon der Plan, ein Kreiskrankenhaus in Itzehoe am Hackstruck zu errichten. Am 24. Oktober 1972 fasste der dafür gebildete Zwecksverbandsausschuss den Beschluss, mit dem Bau sofort zu beginnen. Schon am 12. September 1974 war dort das Richtfest. 1976 konnte dann das Schwerpunktkrankenhaus in Itzehoe in Betrieb genommen werden, worauf die „Schließung der überalterten kleinen Krankenhäuser in Kellinghusen und Wilster“ erfolgen konnte.741) Aus dem Menckestift wurde eine Sozial- und Pflegestation. Im Adressbuch 1980 erscheint es als „Pflegeabteilung Wilster Klosterhof 28“. Dazu besteht eine Rettungswache des Roten Kreuzes, weiter eine Klinik ebenda.
Auf schulischem Gebiet hat sich die Rolle Wilsters für das Umland dagegen beachtlich verbessert. Schon 1967 kam es zur Gründung eines Schulverbandes Realschule Wilster, der von der Stadt Wilster die Trägerschaft für die Schule übernahm. Dem folgte schon 1969 die Gründung des Schulverbandes Wilstermarsch, bestehend aus 16 Gemeinden hier. Er übernahm die Trägerschaft aller in der Wilstermarsch vorhandenen Schulen. Dies geschah im Zusammenhang mit der Schulreform. Es gab nunmehr die 4-jährigen Grundschulen als eigene Anstalten und die weiterführenden Schulen, nämlich Haupt-, Realschule (bisher Mittelschule) und Gymnasium. Letzteres gab es nur in Itzehoe und Glückstadt. Für die in der Wilstermarsch bestehenden Schularten (ohne die Grundschulen, die in den einzelnen Orten verbleiben sollten), plante man eine Zusammenfassung, naturgemäß konnte sie nur in der Stadt Wilster erfolgen. Zu vermerken wäre noch aus der Zeit vor Bildung des Schulzentrums, dass schon 1963 eine zunächst zweiklassige Sonderschule gebildet wurde. Am 20.12. 1965 erhielt Wilsters Schule seinen heutigen Namen Wolfgang-Ratke-Schule. 1963 wurde die alte Turnhalle Am Markt abgebrochen. Sorgen um Platz gab es in dem Gebäude der Realschule bei wachsender Schülerzahl, davon fast die Hälfte Auswärtige vor allem aus den Marschgemeinden. Die alten Gebäude von 1885 entsprachen kaum mehr modernen Anforderungen. So wurde ein Neubau als unerlässlicher angesehen, dazu sollte eine neue Turnhalle zugleich mit einem Lehrschwimmbecken geschaffen werden. Als Standort dafür wurde das frühere Peemöllersche Gelände vorgesehen. Hierhin sollte auch die Dörfergemeinschaftsschule (Hauptschule) kommen.742) Der Schulverband für die Realschule wurde wegen der zahlreichen Auswärtigen 1967 eine Notwendigkeit, es war nun ein Verband der Gemeinden der Träger, dies erfolgte am 1.7. des Jahres, 15 Gemeinden wurden zahlende Mitglieder. Nachdem 1969 für die Volksschule ein Schulverband Wilstermarsch erstanden war, begannen die Maßnahmen für den Bau eines Schulzentrums in Wilster. Dieses enthielt die Realschule, Hauptschule, Sonderschule, eine Großturnhalle. Angeschlossen wurde das Sportlerheim, dahinter ein Sportplatz. 1972 erfolgte die Fertigstellung des 1. Bauabschnittes, nämlich das Gebäude der Hauptschule und von 3 Klassen der Realschule. 1975 war der 2. Bauabschnitt mit den restlichen Klassen und Fachräumen der Realschule fertig und konnten bezogen werden. Die Arbeiten für den Sportplatz laufen zugleich. Bis dahin gab es nur den Sportplatz am Brook, einen Rasenplatz. Weiter wurde der Colosseumplatz benutzt, der dann auch „Sportplatz“ genannt wurde. Er war aber nichts anderes als ein befestigter Schlackenplatz. Am 11. /12. September 1976 konnte dann die Einweihung des Platzes an der Rumflether Straße erfolgen. 1977 begann man mit dem Bau des Sportlerheimes, vor allem aber auch mit dem Bau des Hallenbades. Das Hallenbad kostete 3 Millionen DM, das Sportlerheim 300 000 DM, der 2. Bauabschnitt der Realschule 1 Million DM. 1978 war das Schul- und Sportzentrum Wilstermarsch fertiggestellt. Die Einweihung erfolgte dan am 26.1. 1979. Vor allem in diesem Zentrum dokumentiert sich Wilster heute als Mittelpunktsgemeinde für die umliegende Wilstermarsch. Zu erwähnen wären schließlich noch die „Stadtwerke“ als ein bis zum heutigen Tage florierendes Unternehmen. 1956 waren hier beschäftigt ein leitender Ingenieur, ein Werkleiter, ein Hauptbuchhalter, 2 Angestellte und 1 Angestellte (Frau), ein Ableser und Kassierer und eine Reinmachefrau. 1951 wurde das Haus Klosterhof 36 erworben und 1954 als Werkleiterwohnung ausgebaut. In der Gasversorgung trat eine wesentliche Veränderung am 10. Mai 1965 ein. Der Gasbezug von den Stadtwerken von Itzehoe wurde eingestellt, dafür die Eigenerzeugung von einem Propan/Luft Gemisch aufgenommen. Die Flüssiggasanlage ergab gegenüber dem bisherigen Fremdbezug eine erhebliche Einsparung. Vom Bahnhof führte eine Propan-Doppelleitung direkt zum Werk, zum Mischergebäude. 1979 erfolgte für die Stadtwerke am Klosterhof die Errichtung eines neuen Verwaltungsgebäudes, das auch Betriebswohnungen mit einbeschloss. 1977 erfolgte eine erneute Umstellung im Gasbezug. Wilster erhält seitdem von der Schleswag Erdgas. Daneben blieb eine Mischanlage weiter bestehen, um in Spitzenzeiten dem Erdgas das Flüssiggas/Luft Gemisch hinzuzufügen, um so den Leistungspreis für Erdgas zu reduzieren. Durch Feuer fielen jedoch im Dezember 1981 sämtliche Anlagen im Mischergebäude aus. Seitdem regelt eine Kompaktanlage, die von der Schleswag erstellt wurde, die Versorgung. Zum Schluss mag ein kurzer Ausblick auf die Situation erfolgen, in der sich Wilster heute im Jahre 1982 befindet. Verkehrsferne innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und noch mehr innerhalb des Wirtschaftsgebietes der EG kennzeichnet Schleswig-Holstein und hier besonders die Westküste und damit auch Wilster. Hamburg und sein Umland üben eine große Anzugskraft aus. Das alles ist nicht immer so gewesen, war aber zumindest im letzten Jahrhundert bestimmend gewesen für Wilster und zwar eher in steigendem Ausmaße. Sogar als Mittelpunkt einer begrenzten Landschaft hat die Stadt immer mehr Einbußen hinnehmen müssen. Erfolgreiche Bemühungen um Anschluss an das Verkehrsnetz zu Wasser, im Eisenbahnverkehr, im Straßennetz haben diese Grundtatsachen nur mildern, nicht dagegen beseitigen können. Es ist aber keinesfalls so, dass sich die Lage Wilsters im Raum, im Wirtschafts- und Verkehrsraum gar nicht geändert hätte. Auch im letzten Jahrzehnt hat sich diese Lage nicht unerheblich geändert. Nur 10 km weiter östlich hat sich die Kreisstadt immer mehr ausgeweitet. Zusammen mit den Itzehoe umgebenden, von Städtern übersiedelten Dorfschaften hat sich hier ein Ballungsraum von über 50 000 Menschen mit entsprechendem wirtschaftlichen, kulturellen, administrativen und gesellschaftlichen Angebot herausgebildet. Das Störsperrwerk, die Antwort auf die Wassernöte von 1962 und 1976, wird sicher Auswirkungen dahingehend haben, dass die südöstliche Wilstermarsch mehr in den Einzugsbereich Glückstadts kommen wird. Von der Landesregierung stärkstens gefördert ist erstanden und entsteht immer noch weiter ein Industrieraum in und um Brunsbüttel mit gutem Hafen. Man nutzte „den Trend der Grundstoffindustrie zu Standorten am seeschifftiefen Wasser zur Lösung der Beschäftigungs-probleme an der weitgehend schwach industrialisierten Westküste Schleswig-Holsteins“.743) Eine Industrielandschaft erstreckt sich schon jetzt bis in den Südwesten der Wilstermarsch hinein. Sicher wird dieser Teil der Marsch auf länger in den Einzugsbereich Brunsbüttels geraten, wenn erst einmal die nötige Infrastruktur erstellt worden ist. An der Elbe entlang aber wächst eine Kette von Atomreaktoren heran. Der erste direkt bei Brunsbüttel steht schon seit Jahren, der zweite in Brokdorf ist im Bau und erregt viele Menschen, besonders Jugendliche, die ökologische Bedenken haben. Leidenschaftliche Debatten, Massendemonstrationen fanden statt. Brokdorf wurde hier für viele bundesweit zum Symbol. Auch und gerade die Wilstermarsch und die Stadt Wilster haben inzwischen ihre „Grünen“, die hier aufbegehren. Der Atomreaktor wächst indessen zügig weiter. Dazwischen liegt noch immer eine offenbar blühende Marsch mit seiner auf Milchviehzucht abgestellten Landwirtschaft. Und in der Mitte von dem allen liegt die Landstadt Wilster, an der vorbei die Anschlussstraße (B 5) von Brunsbüttel zur Autobahn, die inzwischen Itzehoe (1981) erreicht hat, führt. Diese neue Situation wird in der Zukunft das Schicksal dieser Stadt sein. Wird die Stadt zwischen stärkeren wirtschaftlichen Potenzen in Ost und West zur Bedeutungslosigkeit herabsinken? Wird es zum Idyll im Winkel werden, gut gerade noch für Folklore, an dem der große Verkehr vorbeirauscht? Ein verträumter Winkel in der großen Welt? Wird diese Stadt zur begehrten Wohnstadt werden für Menschen, die gute zentrale Verkehrslage mit Schönheit des Wohnens verbunden zu schätzen wissen? Wird es der Stadt gelingen, ihre Mittellage auszunutzen, Ort für Zubringerindustrien und für Dienstleistungsbetriebe und –unternehmen für einen größeren Raum rundum werden? Wir wissen die Antwort noch nicht. Sicher jedoch ist, dass Wilster zurzeit mitten in einem Raume gelegen ist, der wieder einmal einen gewichtigen Wandel über sich ergehen lässt. Die Zukunft wird uns die Antwort geben.
Mit den Jahren 1813 – 15, durch eine kriegerische Invasion, endete für Stadt und Marsch die zweite Blütezeit. Die nächsten Jahre waren schwer, denn der Dänische Gesamtstaat hatte sich völlig übernommen. War er auch erst in den letzten Jahren vom Kriege überzogen worden, so waren die militärischen Anstrengungen zunächst, um die Neutralität zu wahren, dann aber an der Seite Napoleons, erheblich gewesen. Als Seemacht hatte es unter Zugriffen der Briten schwer zu leiden gehabt, die Kontinentalsperre wirkte sich wirtschaftlich sehr negativ aus, war der Export von Agrar-produkten doch gerade nach England erheblich gewesen, der Landwirtschaft fehlten diese Absatzquellen in dieser Zeit sehr. Negativ zu Buche schlug auch, dass Dänemark in dieser Zeit eine recht unglückliche Politik betrieb und mit Verlust aus der Epoche hervorging. Der Staat war bankrott und das Land und seine Bewohner wurden da mitgerissen. Während der Kriegsjahre hatten die Ausgaben für die Streitkräfte ungefähr den fünffachen Betrag der sämtlichen Staatseinnahmen beider Königreiche Dänemark und Norwegen und der beiden „deutschen“ Herzogtümer betragen. 1807 war man darauf zunächst nur in Dänemark zur Papiergeldwirtschaft übergegangen, die zuletzt jeden Wert verlor. In den Herzogtümern war die Währung an die der Hansestadt gebunden. Erst am 5. Januar 1813 wurde durch die „Verordnung wegen einer Veränderung im Geldwesen der Königreiche Dänemark und Norwegen und der Herzogtümer Schleswig und Holstein“ eine gemeinsame Reichsbank gegründet, sollte an die Stelle des „schleswig-holsteinischen Kuranthalers“ zu 48 Schillingen der gesamtdänischen Reichsbanktaler zu 30 Schillingen treten, so nach lübischem Maß, er selber zerfiel in 6 Reichsbankmark zu 16 Reichsbankschillingen. 6 % vom Werte allen unbeweglichen Eigentums sollte in Silber für den Reichsbankfonds dienen. So wurden die Herzogtümer verspätet auch in das Dilemma hineingezogen.555) Der Staat kam den Schleswig-Holsteinern wohl insoweit entgegen, dass er ein zunächst verfügtes Verbot anderer Geldmittel, da wohl undurchführbar, zurücknahm, d.h. die schleswig-holsteinische Kurantnote blieb im Umlauf. Die große Belastung allen unbeweglichen Eigentums führte dennoch zu hoher wirtschaftlicher Not, so dass es zu einem starken Wechsel des landwirtschaftlichen Besitzes kam. „Nach der Napoleonischen Zeit hat auch die Wilstermarsch unter dem allgemeinen Niedergang schwer leiden müssen. Es war die Zeit, in der man für einen Lavendelstrauß einen stattlichen Bauernhof in Neufeld mit seinen Lasten zu Eigen erhalten konnte.“556) Klar war, dass diese Not der Marsch Folgen für die Stadt Wilster, die zudem auch selbst schwer durch den Krieg gelitten hatte, wie oben ausgeführt, haben musste. Stadt und Land litten sehr. Von 1810 bis s1830 sanken die Getreidepreise (Weizen, Gerste und Hafer in den Marschen) bis zu einem Viertel. Diese Talfahrt hielt bis etwa 1825 an. Dann erst war das Wellental erreicht, die Preise begannen sich wieder zu erholen. Um 1828 etwa war dann die Krise überstanden, stellten sich dann ab 1835 wieder günstige Zeiten für die Landwirtschaft ein und direkt damit auch für Städte wie Wilster, die maßgeblich von dieser Landwirtschaft abhingen. In dieser Lage kam die Stadt Wilster in den Besitz von Haus und Land des Etatsrates Michelsen. Nach seinem Tode war durch Testament Ersterbin die Etatsrätin Grieß geworden, wenn sie ihren Wohnsitz von Altona nach Wilster in sein Haus verlegen werde. Da sie hierzu nicht bereit gewesen war, war die damalige Kanzleirätin Doos aus diesem Wilster die Erbin geworden. Falls diese jedoch ohne Kinder sterben werde, so sollte die Stadt Wilster der Erbe sein. Eben dieses war aber 1807 mit dem Tode ihres Sohnes Johann Diederich eingetreten, nachdem ihr Mann, der Kanzleirat Doos schon 3 Jahre früher verstorben war. Es war zu übersehen, wann das Michaelsensche Erbe an die Stadt fallen werde. Daher erbat der Rat von Frau Doos 1810 ein Inventarium vom Nachlass. Sie konnte keines aushändigen, da sie keines empfangen hatte.557) Im September 1813 erschien der dänische Kapitän von Bretevil als Direktor eines Feldlazarettes und beanspruchte das Michaelsensche Haus binnen 2 Tagen. Frau Doos bat darauf, dass die Stadt Wilster schon jetzt gleich Haus und Grundstücke übernehmen möge. Die Stadt jedoch lehnte angesichts der Lage ab, forderte erneut ein Inventar. In der Folgezeit wurde das Michaelsensche Haus in der Tat mit einem Lazarett belegt, 120 – 130 Kranke und Versehrte lagen ständig im Hause, dass natürlich auf diese Weise ganz erheblich zu leiden hatte. 1814 erklärte sich die Stadt dann doch auf wiederholte Bitten der Frau Kanzleirätin bereit, Haus und Grundstück mit allen Mobilien, dem Silberzeug und allem, was in den Wohnräumen vorhanden war, die Ländereien mit dem Park und dem Lusthause und dessen Einrichtungen zu übernehmen. Die Kanzleirätin nahm nur einige besondere Erinnerungsstücke (Goldringe mit Diamanten, Porzellanfiguren, einige Möbelstücke) an sich. Wichtig war jedoch, dass sie das Kapital, das Vermögen behielt. Sie bildeten aber eigentlich die finanzielle Grundlage zum Unterhalt des ganzen Anwesens. Die Russen, die im Jahre 1814 bis Dezember in der Stadt im Quartier lagen, benutzten das Haus weiter als Lazarett, während im Lusthaus die Möbel untergestellt waren. Gebäude und Einrichtungen litten sehr. Die Stadt, die durch das Anwesen keinen Vorteil, sondern nur größere Ausgaben hatte, wandte sich an den König mit der Bitte um eine Verkaufsgenehmigung. Die Regierung in Gottorf wünschte dazu den Brandversicherungswert der Gebäude und ungefähren Wert der Mobilien. Der Magistrat wandte dazu ein, dass der Wert schwer einschätzbar sei, da die Stücke der Mode unterlägen, oft nur für Liebhaber in Frage kämen. Er gab den Wert mit 3000 – 4000 Rthlr. (dem entsprechend etwa auch der des Dooseschen Hauses), das Gewächshaus und Stall neben und hinter dem Hause je 800, das Lusthaus (Trichter) im Garten ebenfalls 800 Rthlr. . Erst im November 1815 traf die Verkaufsgenehmigung ein, worauf der Verkauf auf den 6.2. 1816 im (Alten) Rathaus festgesetzt wurde und zwar in verschiedenen Zeitungen des Herzogtums und in Hamburg. Aufgezählt wurden die geräumige Diele, die Küche, der Keller, die Speisekammer, 2 „Regenbäche“ im Hause, 17 verschiedene große Zimmer mit vergipsten Decken und Öfen. Auf dem Hofe 2 Ställe, von denen der eine als Gewächshaus eingerichtet war, ein etwa 2 Morgen großer Garten mit vielen Hecken und Fruchtbäumen versehen. Ein großes Lusthaus mit gewölbten Keller, Salon und 4 Zimmern, mit Turm mit Galerie und Schlaguhr und Glockenspiel. Dazu kamen die Mobilien einschließlich den Statuen, sowie der Kegelbahn im Park. Die Angebote waren derart mäßig (14 500 Rthlr.), dass der Rat ersuchte, da der Verlust für die Stadt so viel zu hoch, die Regierung darum, dem Verkauf die Genehmigung zu verweigern, was denn auch geschah. Der Verkauf der Mobilien, die so in alle Himmelsrichtungen verschwanden, erbrachte bald darauf 31 603 Mark. Das war dann etwa so viel, wie Wilster sich in den Kriegsjahren an Schulden hatte aufladen lassen müssen. Man deckte diese denn auch mit dem Auktionsgewinn ab.558) Die Schlaguhr des Gartenhauses wurde auf dem (Alten) Rathaus im Erker nach der Brücke hin angebracht und die Glocke wurde auch im (Alten) Rathaus aufgehängt. Das Glockenspiel wurde ebenfalls entfernt und der Turm des Trichters wurde entfernt. Die Kosten wurden mit den anfallenden Materialien gedeckt. Park und Garten mit dem Lusthaus aber wurden nunmehr verpachtet. Das Michaelsensche Wohnhaus hatte in Wilster nun noch eine Gnadenfrist von einem Jahrzehnt.559) Da der Verfall der Hauses drohte, es gab keinen, der das Haus hier erwerben oder nutzen wollte, wurde das Haus dann 1826 auf Abbruch verkauft, ein schwerer Verlust für die Stadt bis zum heutigen Tage. Nach dem Versteigerungsprotokoll vom 6. Februar 1826 erhielt Kaufmann Hinrich Schlüter den Zuschlag für den Betrag von 2275 Mark. Möglicherweise war dieser aber nur ein Strohmann, als Käufer vorgeschickt, denn der Itzehoer Kaufmann Carsten Hinrich Meyer ließ es abbrechen und Stück für Stück, nunmehr allerdings klassizistisch überformt, in Itzehoe in der Neustadt wieder aufbauen. Es ist dort das Gebäude Reichenstraße 41. (Eigentümer Rechtsanwalt Jochen Roggenbock) Er war als Sohn eines wohlhabenden Senators Itzehoes und Stifter des dortigen Meyer-Stiftes dazu imstande. Für R. Haupt ist die Lücke, die sich am Kirchplatz dort auftat, wo bisher das stattliche Großbürgerhaus stand, „betrübend“, dort, so führt er aus, „wo das Wohnhaus gestanden hat, am Kirchplatze, ist eine Art Schule oder Turnsaal“ getreten (zu seiner Zeit, er schrieb dieses 1926).560) Wenden wir uns nunmehr dem weiteren Schicksal des Michaelsenschen Parks zu, das kaum weniger betrüblich für das Image der Stadt gewesen ist. 1814 wurde das Gartengelände zum ersten Mal verpachtet.561) Das Lusthaus wurde zunächst noch ausgenommen. Dabei sollte der Garten unterhalten und erhalten werden, auch sind die Steuern aufzubringen. In diesem Rahmen konnte auf dem Gelände Gemüsebau (Obst und Spargel werden erwähnt) betrieben werden. Ab 1817 wurde auch das Lusthaus mit verpachtet. Der Turm wurde in dieser Zeit abgenommen, das Gebäude in bewohnbaren Zustand gesetzt. Jetzt dürfen schon Hecken entfernt werden. Es gibt größere Freiheit für die landwirtschaftliche Nutzung. Die Pachtverträge laufen normalerweise für 12 Jahre. 1829 wird eine vom Pächter angelegte Kegelbahn erwähnt, die außerhalb des Pachtverhältnisses steht. Es deutet sich also eine Betätigung der Pächter auf dem Gebiete der Gastronomie an. Die Pächter investieren nicht unerheblich. Nach Ablauf der Pacht stellen sie deswegen Ansprüche. 1829 wird so erwähnt: Ein Waschsteg am Burggraben, ein „Appartement“ (Abort), Statuen, vor allem aber noch auf gärtnerischem Gebiet: Da gibt es 45 Apfel-, 9 Birn-, 6 Kirsch-, 6 Zwetschgen- und 4 Pflaumenbäume. Dann werden 70 junge Weiden in Rechnung gestellt. Vorher sei es „bloß voll von großen , das Land aussaugenden Hecken und trockenen breiten Sandsteigen“ gewesen, nunmehr gäbe es „circa ¾ Morgen des fruchtreichsten, besten urbaren Gartenlandes“. Gewiss geschahen die Investitionen nicht zum Vorteil der Parkanlagen, dessen Umwandlung in eine Art Großgärtnerei voll im Gange gewesen zu sein scheint. Bis 1840 erstand im Gelände noch ein Schießstand für einen Schützenverein. Hier ahnt man Engagement auf gastronomischem Gebiete. Und in dieser Richtung ging es in der Tat auch weiter, die Pächter zeigten sich hier recht geschäftstüchtig. 1842 erhielt der Trichter durch Dachreparatur sein heutiges Gesicht. Um 1850 muss dann der Gedanke einer Umgestaltung von Lusthaus und Garten zu einem Tanz- und Wirtschaftslokal vorgelegen haben. 1852 nämlich beschweren sich schon 7 „Wirtschafts- und Tanzlokalbesitzer“. Der neue Pächter ab 1853 solle nicht befugt sein, irgendein vergrößertes Wirtschaft- oder Tanzlokal, als sich gegenwärtig im Lusthaus befindet, zu erbauen und einzurichten. „Der jetzige Afterpächter und kommender Pächter beabsichtige „noch in diesem Sommer ein sehr ausgedehntes Tanz- und Wirtschaftslokal in besagtem Garten anzulegen, welches jedes unserer Locale gänzlich dominieren solle“. Es sei eine Ungerechtigkeit gegenüber steuerzahlenden Gastwirten, wenn der Magistrat „einem Stadtpachtstücke die Befugnis einräume, zum Ruin für eine Anzahl hiesiger Concurrenten ein großartiges Tanz- und Wirtschaftslokal begründen zu helfen.“ In dieser Zeit ist das „Colosseum“ erstanden, ein umfangreicher Saalbau. Die Pachtverträge sagen hierüber wenig aus. In ihnen wird als Privateigentum z.B. 1877 angegeben: Das Colosseum, das Kegelhaus mit Kegelschauer, Kegelbahn und Planke, das Privat (Abort), die Brücke über den Burggraben, der Wassersteg, der Steindamm vom Colosseum nach der Zingelstraße, der Steindamm von der Brücke bis zum Kegelhaus, die Zeugpfähle, die Gartentische, die Lampe und Stange an der Treppe, der Windfang im jetzigen großen Gastzimmer, die Schenkeinrichtung, die ganze Kellereinrichtung, sämtliche Öfen im Wohnhause, die Glockenzüge, die Lüftungen im Dach. 1889 übernahm dann die Stadt diese festen Einrichtungen käuflich. Colosseum einschließlich Trichter erlangten so allmählich ihr heutiges Gesicht; ebenso der „Colosseumplatz“. 1888 werden freilich zur Neuverpachtung noch von der Stadt angepriesen die Baulichkeiten mit „einem großen – Parkanlagen, Alleen, Garten mit Wiesenland in sich umfassenden - Landareal.“ Aber das waren damals schon Reste. Der Park Michaelsens verschwand völlig, und an seine Stelle trat ein ausgedehnter Platz. Das war schon eine Entwicklung, die einen Kunsthistoriker verbittern musste. R. Haupt schreibt denn im Jahre 1926 im Heimatbuch des Kreises Steinburg: „Heute ist für unser Gefühl der Anblick betrübend, fast abstoßend. Denn den schönen, edlen Garten haben sie zu einer abscheulich öden Vergnügungsstelle gemacht, mit Musikmuscheln und üblen Wirtschaftsgebäuden.“562) Das ist sicherlich eine Seite der Medaille; der Schönheit der Stadt dient dieses alles ganz gewiss nicht. Andererseits übte das Colosseum eine große Bedeutung als gesellschaftliches und geselliges Zentrum aus, der im leeren Zustande so ungepflegt öde Colosseumsplatz aber hat seine große Bedeutung für die Stadt, und das nicht nur wie 1863 als Turnplatz. Ein für eine Kleinstadt wie Wilster auffällig umfangreicher Jahrmarkt und die für die Marsch so gewichtigen Viehmärkte sind hier möglich. Eine Bürgerstadt wie Wilster konnte ein Großbürgerhaus, wie das von Etatsrat Michaelsen, nicht halten, sondern musste es zuletzt auf Abbruch verkaufen. Einer von zahlreichen Marschbauern, wohnhaft in Neufeld, konnte seinen Hof nicht halten. Er veräußerte ihn für einen Lavendelstrauß der Überlieferung nach. Beide Stadt und Großbauer waren froh, ihre Schuldenlast, das Ergebnis einer unglücklichen Staatspolitik, abtragen zu können. In einer Notzeit wie dieser im ersten Jahrzehnt nach den Napoleonischen Kriegen konnte auch bürgerliches Gewerbe nicht gedeihen. Zwischen 1776 und 1823 blühte in den Elbmarschen, nicht zuletzt in der Stadt Wilster das Goldschmiedehandwerk. „Nirgends finden wir das Drahtwerk zierlicher und sauberer gearbeitet, nirgends einen feineren Geschmack in dem Wechsel des Silbers mit der Vergoldung.“563) 1818 gab es in der kleinen Stadt Wilster allein 4 Goldschmiedemeister, die sich gegen den Goldschmiedegesellen Matthias Maaß wenden, der eine Freimeisterstelle in der Stadt anstrebte.564) Maaß wurde Meister, wie sich aus den Amtsakten für das Jahr 1836 ergibt. Er wurde sogar Ältermann. Die Goldschmiedekunst blühte auf, als die Marsch rundum im Wohlstand lebte, sie hatte ihren Höhepunkt überschritten, als die Notzeit einsetzte. Ebenso war es mit der Schnitzerei bzw. Schreinerei, die in derselben Zeit hier blühte. „Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts setzt der gewaltige Aufschwung ein.“ Mit dem Aufblühen der Elbmarschen Mitte des 18. Jahrhunderts begann diese Epoche großer heimischer Kunst, in der Notzeit nach 1814 erlosch sie, um in dieser Form niemals wiederzukehren.565) Ähnliches ließe sich von der Weberei und dem Steinmetzgewerbe sagen. Als dann der Wohlstand zurückkehrte, waren die Ansprüche anders geworden. Auch die letzten Lebensjahre der Kanzleirätin Doos fallen in die Notzeit der Nachkriegsjahre.566) 22 Jahre überlebte sie ihren 1807 verstorbenen Sohn, um dessen Erziehung sie sich so sehr bemüht hatte, wie die sehr zahlreichen in der Dooseschen Bibliothek vorhandenen pädagogischen und Jugendschriften ausweisen. Als einsame, kinderlose Witwe lebte sie hinfort in ihrem großen Hause, immer bereit, Notleidenden zu helfen. Zwei Mädchen und ein Kutscher wurden von ihr beschäftigt. Eine Kutschfahrt nachmittags, abends eine Vorlesestunde, sonntags der Gottesdienst und anschließend ein Besuch bei ihrem Vertrauten, dem Bürgermeister Wichmann, einmal im Jahre ein Besuch bei einem befreundeten Arzt in Schleswig. Wohltaten an Armen, an mittellosen begabten Studenten, das war der Inhalt ihrer letzten Jahre. Zur legendären Persönlichkeit für ihren Wohnort, die Stadt Wilster, wurde sie sodann noch im Tode, nachdem die Stadt Wilster noch vorher ihre Ernennung zur Etatsrätin erwirkt hatte. Sie wurde es durch ihr Testament vom 20. Februar 1829. Sie verstarb am 15. Juni 1829. „Ihre edle Gesinnung, ihre Hochherzigkeit, ihre Liebe zu den Mitmenschen kommt durch dieses Testament so deutlich zum Ausdruck.“567) Wohl schon, damit ihr Haus nicht das Schicksal des Michaelsenschen Hauses ereilen würde, war dieses Testament so abgefasst worden, dass dieses Haus wirtschaftlich abgesichert das Eigentum der Stadt Wilster wurde und vor allem auch blieb, es bleiben musste. Der tiefe Dank der Stadt ist also mehr als berechtigt. Im Testament heißt es: „Aus Liebe zu meinem seeligen Ehemann, der das - - - Haus für sich und seine Nachkommen, wie auch zur Zierde der Stadt Wilster aus seinen eigenen Mitteln von Grund aus neu erbaut hat und zwar so solide und dauerhaft, dass es länger als ein Menschenleben stehen kann, - - und da ich nach meiner festen Überzeugung glaube, seinen Willen am besten zu erfüllen, wenn ich dafür sorge, dass dies sein Lieblingswerk nach meinem Tode nicht muthwilligerweise zerstört, sondern zu einem Andenken so lange erhalten werden möge, als ein Werk von Menschenhänden bestehen kann, so legire und vermache ich - - - mein Wohnhaus cum pert., als Garten, Gartenhäuser, Stall und den dahinter liegenden zwey Stück Grasland, der Stadt Wilster, bestimme jedoch, dass der jedesmalige Bürgermeister von Wilster das Haus cum pert. - - - bewohne und benutze und dass in der zweiten Etage das große Zimmer nach hinten zur Ratsversammlung und das daran stoßende kleine Zimmer zur Kämmerey eingerichtet und benutzt werde; alle übrigen Zimmer behält der jedesmalige Bürgermeister zu seinem eigenen Gebrauch, darf jedoch in der Hauptsache nichts daran ändern. Damit aber diejenigen, welche außer den Magistratspersonen, die sich des Haupteingangs bedienen dürfen, auf dem Rathause Geschäfte haben, sich eines andern Eingangs bedienen können, so soll an der Südseite des Hauses eine Tür angebracht werden, so wie auch eine Treppe, vermittelst welcher man zu den anderen Treppen, die nach oben führen gelangen kann.“568) Es war ein reichhaltiger Spendenkatalog, dieses Testament: Es lebten 5 Kinder einer Schwester, von den jedes 36 000 Mark erhielt. Für „ewige Zeiten“ wurde für diese 5 Erben ein „Fideikommis“ von 108 000 Mark ausgesetzt. Die Stadt Wilster erhielt, wie oben aufgeführt, das Wohnhaus mit Garten mit der Bestimmung, dass es als Bürgermeisterhaus hinfort dienen solle. Darum bekam es denn auch den Namen „Bürgermeisterhaus“. Damit ihrem Hause das Schicksal des Michaelsenschen Hauses erspart bliebe, setzte sie für die Unterhaltung des Gebäudes die Zinsen von 72 000 Mark aus, das war zu 4 % 2880 Mark pro Jahr, nach damaligem Werte eine stattliche Summe. Dieses Kapital durfte nie angegriffen werden. Das Haus durfte nicht abgebrochen noch wesentlich verändert werden. Für 8 Witwen, welche sich durch Reinlichkeit und Ordnungsliebe auszeichneten, sollte in der Bäckerstraße (heute Rathausstraße) ein Gasthaus bebaut werden (was auch 1831 geschehen ist), dazu wurden 36000 Mark ausgesetzt. Die Kirche erhielt 18 000 Mark, die Zinsen sollten jährlich an die drei Pastoren verteilt werden. 18 000 Mark wurden für die 5 (damaligen) Lehrer bestimmt. Das waren bei 4 % 720 Mark, für jeden Lehrer 144 Mark, bei zehnfachem Wert nach heutigem Gelde (geschätzt für 1957) eine sehr wesentliche Gehaltserhöhung. Das hatte zur Folge, dass sich bereits beim Freiwerden der ersten Lehrerstelle nach dem Toder der Etatsrätin über 40 Lehrer bewarben. Zur Unterstützung von Studierenden wurden 18 000 Mark bestimmt, abwechselnd je 4 aus Wilster, der Wilstermarsch, aus Glückstadt, Itzehoe, Krempe, sie sollten jeweils 4 Jahre die Zinsen erhalten. Zur Unterstützung armer seminaristen wurden 7200 Mark bestimmt, an arme Primaner gingen 3600 Mark. Die Zinsen von weiteren 3600 Mark waren für die Kranken der Stadt; je 3600 Mark galten den beiden „Gasthäusern“, dem städtischen in der Haberstraße (Burgerstraße) und dem des Landrechtes in der Langen Reihe. An 27 Personen wurden zur Belohnung treuer Dienste und Anhänglichkeit einmalige Geschenke von zusammen 59 280 Mark gemacht. 125 000 Mark, die Frau Doos vom Etatsrat Michaelsen geerbt hatte, erhielt die Stadt Wilster. An Erben kamen zur Verteilung zusammen 288000 Mark. Die Stadt Wilster erhielt verschiedene Legate von insgesamt 183 600 Mark; für speziell genannte Erben gab es 59 280 Mark. „Es waren also in summa 530 880 Mark, für die heutige Maßgabe (1957) muss man den zehnfachen Wert einsetzen. Dazu kommen noch die Realwerte des Hauses und des Gartens, die lebenslänglichen Pensionen und die Bibliothek.“569) Zur berühmten Dooseschen Bibliothek hieß es im Testament: „Meine Bibliothek vermache ich der hiesigen Stadtschule, welche für die Jugend brauchbare und passliche Werke so wie solche, welche sich durch ihre Seltenheit oder die Schönheit der Ausgaben auszeichnen, heraussuchen und in dem großen Lokal des neuen Schulhauses passlich aufstellen soll. Das Nichtbrauch bare soll allmählich verkauft werden und für das daraus gelöste Geld sollen wieder neue und für die Jugend passliche Bücher angeschafft werden. Die 4 Schullehrer haben unter Aufsicht und unter Anordnung des Rektors abwechselnd die Aussortierung und das Verzeichnis der Bücher zu besorgen. Alljährlich soll einer der Schullehrer die spezielle Aufsicht über diese Bibliothek und die Protokollführung übernehmen. Es können nur dann Bücher aus dieser Bibliothek ausgeliehen werden, wenn ein hiesiger sicherer Bürger den Empfangsschein unterschreibt und sich anheischig macht, falls das Buch nicht zurückgegeben wurde, den vollen Wert zu ersetzen. Es könne nicht länger als auf 2 Monate verliehen werden, Kupferwerke und Landkarten können überall nicht ausgeliehen werden.“570) Da passliche Bücher verkauft werden sollten, hat sich von den gut 10 000 Büchern der einstigen Bibliothek leider nur noch ein Rest von ganzen 2673 Bänden erhalten. 571) Ein Ereignis wurde die Versteigerung der Mobilien (Wäsche, Kleider, Stoffe, Möbel und Hausgerät. Begehrt wurden das Tafelservice ( oft zu je 36 oder gar 48 Personen gedacht), dann die Spiegel, die Kristallkronen. So hat sich das Mobiliar in alle Winde zerstreut. Dadurch, dass die Bürgermeisterwohnung zuerst eingeschränkt und zuletzt gar ganz aus dem Dooseschen Hause verlegt wurde, wurde nach und nach Platz für weitere Geschäftszimmer gemacht, wurde aus dem Bürgermeisterhaus allmählich das Neue Rathaus. Das war wichtig, als das schadhaft werdende Alte Rathaus nicht mehr genügte. Die Stadt wurde dadurch gezwungen, ein neues Verwaltungsgebäude zu errichten, eventuell das alte abzureißen. Bisher konnte auch die städtische Verwaltung im Neuen Rathause untergebracht werden. So ist vielleicht auch die Erhaltung des Alten Rathauses der Etatsrätin Doos zu verdanken. „Sie schwebt als unsichtbare Spenderin über diesen beiden Kulturdenkmälern“.572) Die folgenden Jahrzehnte sind gekennzeichnet einmal durch einen Wandel auf dem Gebiet des Verkehrswesens, weiter durch das Erstarken liberaler und nationaler Gedanken. Beides hat sich natürlich auch für Wilster ausgewirkt. Die Entstehung einer Stadt als zentraler Ort beruht natürlich wesentlich auch auf Voraussetzungen auf dem Gebiete des Verkehrs. Ein zentraler Ort muss verkehrsmäßig günstig liegen. Nun beruhte durch die Jahrhunderte der Warenverkehr überwiegend auf den Wasserstraßen, da Landwege ausgesprochen schlecht waren, sie waren nur bessere Naturpfade, soweit man sie nicht für kurze Routen zum „Steindamm“ machte. Auf seiner Lage an der schiffbaren Wilsterau, weiter der günstigen Verbindung zur Stör und zur Niederelbe beruhte die Bedeutung Wilsters. So war es auch noch immer im Jahre 1835, von dem wir eine gute „Momentaufnahme“ besitzen, kurz vor Einsetzen neuer Verkehrsverhältnisse gleichsam. Zunächst gab es für dieses Jahr die dritte Bevölkerungszählung, die für die Herzogtümer überliefert ist, nach denen von 1769 und von 1803 also. Am 1.2.1835 zählte Wilster 2622 Einwohner (Glückstadt 5988, Itzehoe 5495, Krempe 1230 Einwohner). Die Stadt hatte also beachtlich an Bewohnern zugenommen, in gut drei Jahrzehnten um über 800 Einwohner. In der Rantzauischen Schloßbibliothek fand Otto Neumann ein Buch, das 1835 in Schleswig erschien, herausgegeben „von einigen Männern vom Fach nach zuverlässigen Nachrichten“. Dieses Buch trug den Titel: „Die Statistik des Handels der Schifffahrt und der Industrie der Herzogtümer Schleswig und Holstein“. In ihm wurde auch Wilster behandelt.573) Die Einwohnerzahl wird hier noch mit 2004 angegeben, muss also doch wohl aus der Zeit um 1830 handeln, wie Otto Neumann meint. Da zu dieser Zeit der Warenverkehr sich noch ganz überwiegend auf dem Wasserwege abwickelte, kamen die Herausgeber zu folgendem Urteil: „Die Stadt Wilster ist nach ihrer natürlichen Lage gleichsam für den Handel geschaffen.“ Über den Handel heißt es da: „Bis zum Ablaufe des vorigen Jahrhunderts bestand Wilsters Handel in der Ausfuhr der Produkte der Gegend, wozu hauptsächlich Hafer, Butter und Vieh zu rechnen war, die nach Hamburg und Altona versandt wurden. In späterer Zeit hat sich der Geschäftsverkehr erweitert, und seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gehen auch Getreide- und Rapssaatladungen von hier aus direkt nach England und Holland. Schiffe hat Wilster durch den von 1807 bis 1814 fortdauernden Krieg nicht verloren. Seit 1814 hat ein sonst hier wenig gekannter Handel mit Brennholz und Torf einen neuen Erwerbszweig abgegeben. Zu dem Ankaufe des Ersteren bieten die Hölzungen des Gutes Hanerau, wie zu Letzterem die vielen Moorgegenden oberhalb der Stadt bis nach Hohenhörn Gelegenheit dar. Das Holz schwindet zwar zusehends, das Moor lässt aber keine Furcht vor zukünftigem Mangel aufkommen. Ohne die Wilsterau, auf welcher der Transport nach beiden Seiten geschieht, ließe sich freilich ein solcher Handel nicht nach Wilster ziehen“. „Ausgeführt wird diese Feuerung nach der umliegenden Marsch, Altona und Hamburg.“ Über die Wasser- und Schifffahrtsverhältnisse heisst es: „Bei dem Ausflusse der Wilsterau in die Stör ist eine 11 ½ Fuß breite Schleuse. Die gewöhnliche Tiefe der Aue von da bis Wilster ist 4 bis 5 Fuß, bei vielem Regen schwellt sie an zu 7 bis 8 Fuß. Oberhalb der Stadt bis in die Nähe von Hohenhörn (3 Meilen von Wilster) ist 3 bis 4 Fuß Wasser. Wilster hat 25 Fahrzeuge zu 4 bis 8 Commerzlasten“ (bei Itzehoe wurden 24 Schiffe angegeben). Über die Agrarprodukte, mit denen Wilsters Handel zu tun hat, heißt es: „Der Getreidebau ist ansehnlich in der Gegend, und vieles davon, sowie von dem aus Dithmarschen zu Wasser eingeführten Getreide, wird auf vorbesagte Weise direkt von hier aus verschifft. Beträchtlicher Pferdehandel wird in Wilster getrieben, nicht nur in den beiden Pferdemärkten, welche hier jährlich gehalten werden, sondern durch hiesige Pferdehändler, welche zu jeder Zeit von den besseren Pferden ankaufen und wieder an die hier oft eintreffenden französischen, holländischen und italienischen Pferdehändler verkaufen. Die Anzahl von Ochsen und Kühen, welche von hier getrieben werden und deren Geldertrag durch die Hände hiesiger Kaufleute geht, ist ebenfalls nicht unbedeutend. Mehr durch ihre Quantität als Qualität haben die Wilsterbutter und der Käse sich den ausgebreiteten Ruf erworben. Erstere hat ganz ihre Bestimmung nach Hamburg, von dahin sie in Foustagen, Staven genannt, von 20 bis 50 Pfund und in halben Tonnen abgeht. 150 000 bis 200000 Pfund Butter gehen wenigstens jährlich von hier nach Hamburg. Frisch ist sie stark und wohlschmeckend wie die holländische, hält aber nicht lange. Der Käse breitet sich mehr im In- und Auslande aus und geht aus der Wilstermarsch nach Kiel, Schleswig, Rendsburg, Flensburg, Angeln, Kopenhagen, Hamburg, Lüneburg usw. Dieser Käse könnte gewiss viel besser sein, wollten die Landleute bei der Anfertigung desselben sich die holländische Methode aneignen, ihm eine stärkere Pressung geben und ihn regelmäßig ein ganzes Jahr in einem geräumigen Lokal liegen lassen. Sodann würde solcher Käse sich nicht nur besser zur Versendung eignen, sondern auch in der Güte dem holländischen nicht nachstehen.“ Es wird dann weiter geklagt darüber, dass Wilster durch die Zollfreiheit der umgebenden Marsch (weiterhin) benachteiligt werde. „Der Landhandel ist hier“ daher „unbedeutend, da derselbe eigentlich nur auf die Stadt berechnet sein kann.“ Zum Import heißt es: „Zu Wasser ist der Verkehr zwischen Hamburg, Altona und wilster lebhaft, so lange die Jahreszeit es zulässt.“ Weiter: „Holzwaren werden in Flößen von Hamburg oder zu Schiffe von Rendsburg bezogen, erstere werden hier gesägt und zum Gebrauch verarbeitet.“ Die große Bedeutung der Störgebiete auf diesem Gebiete gehörte offenbar jetzt der Vergangenheit an. Sie wird nicht erwähnt. „Salz wird von Lüneburg und von Altonaer und von Friedrichstädter Fabriken eingeführt“. Kurz wird der Verkehr zu Lande gestreift. Es heißt da: „Täglich fährt ein Wagen von hier nach Itzehoe, durch welchen die hiesige Post nach und von Itzehoe gesorgt wird, jedoch ist in Wilster jetzt ein Brief-Comptoir errichtet worden“, eine Briefannahmestelle. Damals also hatte Wilster gerade eine eigene Poststation erhalten, natürlich noch keine Postkutschenverbindung. „Durch einen ½ Meile langen Steindamm“, heißt es weiter, „hat sich Wilster die Kommunikation mit der Geest zu jeder Jahreszeit gesichert. Die übrigen Wege in der Gegend sind entweder sehr gut oder sehr schlecht und ganz von Witterung abhängig.“ Das Industriezeitalter kündigte sich in der Ferne an: H. Meyer hat eine Brennerei, die, mittels Dampf getrieben, bloß Genever fabriziert, der sämtlich nach Südamerika und Westindien ausgeführt wird. 8 Tabakfabriken sind in Wilster“, freilich meinte man mit „fabriken damals noch etwas anderes in Kleinstädten Holsteins als wir heute, es waren technisierte Kleinbetriebe. Wilster hatte sich also um 1835 voll erholt, sich seine Position als Handelsstadt unter überlieferten Verkehrsbedingungen wieder zurückgewonnen. Dass sich übrigens auch auf dem Gebiete des Handwerkes nichts gegenüber früheren Jahrhunderten geändert hatte, dass den Stadthandwerkern in denen der Kirchdörfer der Marsch eine erhebliche Konkurrenz geblieben war, sogar (im Landrecht) unmittelbar vor den Stadttoren, zeigt für das Jahr 1840 W. Jensen:574) Es hatten an Handwerkern die Alte Seite 11, die Neue Seite 10, Beidenfleth 28, dazu 8 Gesellen, Wewelsfleth 82 mit 21 Gesellen, Brokdorf 30 mit 8 Gesellen und alles übertreffend St. Margarethen 93 mit 36 Gesellen. Einmannbetriebe überwogen also, aber ihre Zahl war sehr erheblich. Zwei Rückschläge, zurückzuführen auf Naturgewalten, fallen in diese Zeit und müssen erwähnt werden. 1825 brachen zum letzten mal in erheblichem Umfange bei einer Sturmflut die Deiche. Es gab umfangreiche Überschwemmungen in der Wilstermarsch.5759 In der Nacht vom2. Zum 3. Februar setzte Südweststurm ein, sprang später anhaltend auf Nordwesten um, und brach in der Nacht vom 3. Auf 4. Februar weithin die Deiche. Wieder wie die früheren dergleichen Katastrophen stand die Marsch weithin unter Wasser. „Alles Land von Beidenfleth, Wewelsfleth, Brokdorf, St. Margarethen, sowie Rotenmeer, Neufeld, Poßfeld, Schotten und am Rehwege bis an die Hohe Brücke war unter Wasser gesetzt. An den niedrigen stellen stand es fünf bis sechs Fuß hoch auf dem Felde.“ Das Wegenetz und das Deichband wurden an zahlreichen Stellen unterbrochen. „Von einer Breite, worauf zwei Wagen sich bequem vorbeifahren konnten, blieben an mehreren Stellen nicht mehr stehen, als für einen Fußgänger erforderlich ist.“576) Das hochgelegene Wilster blieb wie auch sonst ebenfalls diesmal im Grunde verschont. Der Deichinspektor C.H. Christensen (durch das Patent vom 29. Januar 1800 nahm die Regierung das Deichaufsichtsrecht in Anspruch und setzte zu dem Zwecke technische Deichinspektoren ein)577) versuchte, sich am 4. Februar ein Bild von den Schäden in der Wilstermarsch zu machen. Er gelangte glatt nach Wilster selbst, als er weiter wollte, kamen die Schwierigkeiten. „Um 9 Uhr morgens ward Wilster verlassen, um dem Wege längs dem Stördeiche zu folgen. Hier fanden wir im Deiche viele Kammstürzungen ……“578) Und dann wurde es immer katastrophaler. Eine Stadt wie z.B. Itzehoe, von Glückstadt ganz zu schweigen, hat, was Wassernot betrifft, auch 1825 mehr erdulden müssen als Wilster, vor dem die Fluten Halt machten. Die Februarflut 1825 war „die höchte der beobachteten Sturmfluten. Sie überstieg den mittleren Hochwasserstand um 4,11 m. Durchbrochen wurden die Deich durchweg bei den Stöpen. Seit dieser Zeit führen in der Wilstermarsch (mit Ausnahme der Stördeiche) die Übergänge nur in einer schrägen Linie über den Elbdeich“.579) Die andere Heimsuchung kam durch die „jüngste der epidemischen Krankheiten“, die Europa erfassten, durch die Cholera. Sie kam aus dem Osten nach Europa, erreichte 1831 Hamburg und verschonte gerade auch Wilster nicht. „Am 31. Mai 1832 zeigte sie sich in der Stadt Wilster und raffte binnen 4 Wochen gegen 120 Menschen weg. Am 2. Pfingsttage wurden dort 13 Leichen nacheinander beerdigt. Sehr strenge Maßregeln wurden ergriffen, um die Ansteckung der Krankheit zu verhindern, Gesundheitskommissionen gebildet. Die Küsten wurden durch das Militär beobachtet. 1833 war die Cholera nur in Wilster und Altona verbreitet. Wilster verlor von seinen 2500 Einwohnern 126, besonders herrschte die Cholera an der Aue und den Kanälen, ebenso in Glückstadt und Itzehoe an der Stör.“580) Es waren die fragwürdigen sanitären Verhältnisse am Gewässernetz, welche seuchenerzeugend waren, so sollte es in gewisser Hinsicht bis zur Verrohrung im 20. Jahrhundert bleiben, wenn auch solche Seuchen aufgehört hatten. Anderer Krankheiten wurde man damals besser Herr. Die Pocken waren als gefährliche Krankheit verbreitet, bis die Impfung eingeführt wurde. 1832 starben noch einzelne Menschen im Amt an den Blattern. Fleckfieber war eine andere gefährliche Krankheit, die früher „oft mit anderen Krankheiten zusammen geworfen“ wurde, so berichtete Culeman in seinem „Denkmal der hohen Wasserfluten“ auf Seite 287 aus dem Jahre 1720: „Dieses heftige, wahrscheinlich giftige Fieber brachte dem Leibe nach viele in einen ganz erbärmlichen Zustand und viele mussten sich damit eine lange Zeit schleppen; andere aber, weil böse Zufälle dazu schlugen, mussten daran krepieren und sterben, besonders diejenigen, welche das hitzige Fieber ergriff. „Alle 3 Lehrer starben damals innerhalb eines Vierteljahres in Wilster. Die Malaria oder das Wechselfieber“ war früher bei uns die häufigste Krankheit, fast jeder Marschbewohner musste es durchmachen, auf der Geest war es selten. Die Erkrankungen begannen meist im April. Man kann deshalb die Krankheit im Jahre 1720 in der Wilstermarsch vielleicht auf Malaria beziehen, weil das allgemeine Fieber im Frühling anfing. Fleckfieber tritt meist im Winter am stärksten auf wegen der Beteiligung der Läuse dabei.“ „Meist setzte das Fieber“, das Wechselfieber, „mit Schüttelfrost ein, schon vorher waren die Nägel und die Nasenspitze ganz blaß und eiskalt geworden. Das dreitägige Wechselfieber (Drüddendagsfieber) war zu unterscheiden von solchem, welches ein um den andern Tag kam (Anderndagsfeber).“ Enorme Mengen von Chinin wurden dagegen aufgewandt. „Damals hieß es immer, die Wilstermarsch sei zu früh eingedeicht, sie schwämme noch auf dem Wasser, dadurch käme die ungesunde Feuchtigkeit“. Urheber waren wohl die Mückenscharen, es wird geradezu von Mückenplagen berichtet. Nach 1887 hörte die Malaria fast ganz auf.581) Der Rektor G.F. Schumacher berichtet in seinen „Genrebildern“, wie ihn einmal das Wechselfieber packte: „Ich bekam im ersten Sommer ein capitales Marschfieber. Wenn mein schlimmer Tag war, lag ich im Bette, die Hausthür und untere Stube war preisgegeben, denn meine Wärterin kam nur zu gewissen Stunden. Ob Jemand unten sei, darum kümmerte ich mich nicht, und verließ mich darauf, dass keiner so dreist sein würde, was zu stehlen, da, wo nichts zu stehlen war. Mein bißchen Geld und Kleider waren im Koffer oben bei meinem Bette. So trieb ich das Wesen an 6 Wochen, Tag und Nacht, ging den guten Tag zur Schule, den bösen zu Bett, und ward zuletzt dabei so abgezehrt und so dumm und dämlich, dass man mich nicht wieder kannte.“ Ihn half eine gehörige Portion Chinin schließlich wieder auf die Beine. Das Volk habe damals damit noch wenig im Sinn gehabt, es habe die Krankheit lieber „besprechen“ lassen. Erheblich veränderte Verkehrsbedingungen bahnten sich an, als man begann, an die Stelle der alten Naturwege, im Lande auch oft als „Ochsenwege“ bezeichnet, feste Kunststraßen zu errichten. Die napoleonische Herrschaft ließ in Frankreich „Chausseen“ erstehen. Wenn auf solchem Straßenunterbau 2 Pferde nunmehr soviel fortzuziehen vermochten wie auf den alten Wegen 16, so wurde klar, dass damit eine erhebliche Verlagerung des Warenverkehrs zugunsten der Straße einsetzen werde. Ein Staat nach dem anderen hat derartige Chausseen nachgebaut. In den Herzogtümern erstand die erste von 1830 bis 1834, sie führte von Altona nach Kiel, wurde fortan Muster für alle später angelegten Kunststraßen. Am 1. März 1842 erhielten die Herzogtümer durch König Christian VIII. die erste allgemeine Wegeordnung. Die öffentlichen Fahrwege wurden in drei Hauptklassen eingeteilt, 1. Hauptlandstraßen, 2. Nebenlandstraßen und 3. Nebenwege. Hauptlandstraßen waren solche, die die Herzogtümer miteinander und mit dem Auslande oder großen Häfen, auch großen Handels- und Waffenplätzen überhaupt verbanden. Nebenlandstraßen verbanden die Städte, verkehrswichtigen Orte, Häfen usw. miteinander, die Nebenwege führten dann zu den übrigen Orten des Landes. Die beiden ersten Klassen sollten befestigt werden, die Hauptstraßen vom Staate, die Nebenstraßen von sog. Distrikten. Es wurde nun natürlich wichtig, welche Routen als Landstraßen erhoben wurden. Davon hing ganz wesentlich in Zukunft das Gedeihen der Orte ab. Vor allem wurde natürlich wichtig, welche Straße nun wirklich als Chaussee ausgebaut wurde. Bis 1848 wurde im Gebiet, das uns hier interessiert, nur eine Chaussee fertiggestellt. 1846-48 erstand die Chaussee Elmshorn-Steinburg-Itzehoe-Rendsburg. Immerhin war ja Wilster durch seinen Steindamm selber an das Netz fester Straßen schon angeschlossen, aber gewiss nur am Rande.582) Während ein Netz fester Chausseen erst in einigen Ansätzen bestand, tauchte schon ein weiteres, schnelleres Verkehrsmittel auf, dem dann für lange Zeit das Hauptgewicht im Personen- und Waren-verkehr zufiel, die Eisenbahn. Das Eisenbahnnetz gewichtete die wirtschaftliche Bedeutung der Orte, so wie es in den bisherigen Jahrhunderten die natürlichen Wasserwege vor allem getan hatten. Am 18. September 1844 erfolgte die Eröffnung der „Christian-VIII.-Ostseebahn“ von Altona wieder nach Kiel. Man kann nun durchaus nicht sagen, dass die durch diese ganze Entwicklung benachteiligten Städte der Westküste den Wert dieser neuen Verkehrsmittel, vor allem der Eisenbahn nicht erkannt hätten. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Schon 1845 erlangte Glückstadt, noch immer der staatlich bevorzugte Ort der Westküste seinen Anschluss von Elmshorn her. Freilich war es als Festung schon 1816 geschleift worden, im Jahre 1834 wurde das Oberappellationsgericht nach Kiel verlegt, das Obergericht in Glückstadt war nur noch eine Mittelinstanz. Gewichtig wurde nun, wie diese Eisenbahn nun an der Westküste weitergehen würde, ob etwa, und derartige Erwägungen gab es in Glückstadt, diese von Glückstadt aus über die Stör direkt weiter und damit an Itzehoe und natürlich auch an Wilster vorbei, oder eben über diese Städte, oder, und so dachte man in Itzehoe, dass die Glückstädter Bahn eine Sackgasse bliebe, die Westküstenbahn von Hackelshörn (Horst) von der Altona-Kieler Strecke abzweigen würde, um, unter Beiseitelassung von Glückstadt direkt über Itzehoe zu führen.583) „Je nach Lage war der eine Ort für Hackelshörn, der andere für Glückstadt“. Wilster musste seiner ganzen Lage nach hinter Itzehoe stehen. Noch bevor der Anschluss der Bahn für Glückstadt fertiggestellt war, entstand schon der Plan einer Weiterführung dieser Strecke über Wilster, Meldorf und Heide. „Nur so konnten die Erzeugnisse des Raumes zwischen Eider und Stör rasch auf den Hamburger Markt gelangen; denn die Marschwege, damals überall noch miserabel, waren bei nassem Wetter unbenutzbar. Auch die Beförderung zu Schiff war angesichts der schlechten Hafenverhältnisse an der Westküste und der Elbmündung nur mit kleinen Fahrzeugen möglich und daher so umständlich und gefahrenreich, dass die Versicherungsprämien für Entfernungen zwischen Tönning und Hamburg ebenso hoch oder höher waren als die Transporte nach Amerika“, so schreibt von Rehdern in „Die Eisenbahnen Deutschlands“ (Berlin 1843/44, S. 1955). Am 30.4. 1845 erfolgte die Gründung einer „Holsteinischen Westbahn-Gesellschaft“, einer Aktiengesellschaft, in die die interessierten Ortschaften einstiegen. Auch die Regierung zeigte Interesse, versprach eine Beteiligung mit 300 000 Talern, dachte an eine Fortführung der Bahn im Schleswigschen nach Flensburg. Im Januar 1848 lag sodann die Bahnlinie im Projekt vor, sie sollte, dafür hatte die Regierung schon am 2. Mai 1844 den Auftrag für das Nivellement gegeben, von Glückstadt über Krempe, Itzehoe, Wilster (hier nördlich vorbei), Flethsee, Kudensee, Taterpfahl, St. Michaelisdonn, Meldorf nach Heide gehen. „So schien die Westbahn so gut wie gesichert“, aber „vor allem die Wirren der Jahre 1848-1851 ließen sie scheitern. Am 25. März 1851 beschloss die Generalversammlung der Glückstadt-Heider Eisenbahngesellschaft ihre Auflösung.“584) Wilster sollte noch viele Jahre auf den Bahnanschluss warten. Eine andere wichtige Folge hatte die Bahn Altona-Kiel. Sie erfasste das obere Störgebiet, ließ für dieses die alte Verkehrsverbindung auf dem Wasserwege vorbei am Itzehoer Stapel zurücktreten. „Erst die neue Zollordnung vom 1.3.1838 scheint den Itzehoer Störbaum endgültig zerbrochen zu haben“, meint H. Schulz.585) Nun, es war gewiss die Eisenbahn, die den Störbaum uninteressant werden ließ. Die letzten Angriffe gegen ihn erfolgten übrigens mehr mehr durch Wilster, bisher dem hartnäckigsten Verfechter einer Beseitigung, sondern durch Kellinghusen. Der erste Antrag von hier erfolgte 1824 und wurde vom Glückstädter Obergericht abgelehnt.586) Ein zweiter Antrag des Fleckens wurde von der inzwischen entstandenen Holsteinischen Ständeversammlung angenommen (Antrag 1840, Annahme 1844). Die Resolution König Christians VIII. vom 3. Juli 1846 hob daraufhin das Itzehoer Stapelrecht auf, wo seine Beseitigung für Wilster sehr viel von seinem Wert verloren hatte. Freilich behielt der Wasserweg, wo das moderne Verkehrsnetz noch so sehr Stückwerk geblieben war, noch seine beachtliche Bedeutung, waren Stör und Nebenflüsse vom „Störprahm“, später vom Ewer fleißig genutzt.587) Es waren flachbodige Segler, die somit auch bei Trockenfallen bei Ebbe stets im aufrechten Zustande überstanden. Da ein Kiel nicht vorhanden war, führte der Schiffstyp Seitenschwerter, von denen jeweils das auf der Leeseite zu Wasser gelassen wurde. Es seien noch einige Punkte und Zahlen für di Zeit bis 1848 hier kurz vermerkt. Volkszählungen fanden, mit Ausnahme der Jahre der Erhebung 1848-51, nunmehr alle fünf Jahre statt. Die Stadt Wilster wuchs langsam weiter an. Die Stadt zählte 1840 2779 Einwohner, 2871 waren es dann 1845 (im letzteren Jahre zählte Glückstadt 5884, Itzehoe 5835, Krempe 1252 und Kellinghusen 1452 Einwohner).588) Im Jahre 1840 erhielt der Magistrat für sämtliche Schulen der Stadt das Präsentations-recht, was verständlich war, da ja die Große Stadtschule inzwischen wirklich, was den Besuch betraf, eine reine Stadtschule geworden war. Freilich wurden die Lehreranwärter weiterhin vom Propsten in „Schulwissenschaften“ geprüft.589) In den Jahren nach 1840 wurden im Kirchspiel Wilster „Kirchen- und Schulsteige“ angelegt, um jedenfalls in dieser dringlichen Angelegenheit Allwetterverbindungen zu haben. Liberalismus und Nationalismus wuchsen als Bewegungen in der Zeit von 1814 bis 1848 heran. Holstein wurde auf dem Wiener Kongress 1814/15 Teil des Deutschen Bundes, eines Staatenbundes, der an die Stelle des 1806 erloschenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation getreten war. Die Bundesakte vom 8. Juni 1815 verlangte, dass in allen Bundesstaaten eine landständische Verfassung eingeführt werde. Daraufhin machte die Schleswig-Holsteinische Ritterschaft, die sich in besonderem Ausmaße, da lange Zeit die ausschlaggebende Kraft unter den alten Ständen der Herzogtümer, der alten Privilegien bewusst war, am 8. Oktober 1816 durch ihren Sekretär, den Professor F.C. Dahlmann, eine „unmittelbare Vorstellung“. Darin wurde vor allem das Steuerbe-willigungsrecht gefordert. Als der Staat nicht reagierte, wandte sich die Ritterschaft 1822 an den Deutschen Bund, wo man jedoch, da hier inzwischen ein stramm reaktionärer Kurs gesteuert wurde, keinen Erfolg hatte. Der Bundestag zu Frankfurt lehnte am 27. November ab, da „die alte Verfassung in anerkannter Wirksamkeit nicht bestehe.“ Am 1. November 1830 legte der bisherige Kanzleirat in der Schleswig-Holsteinisch-Lauenburgischen Kanzlei in Kopenhagen (gemeinhin Deutsche Kanzlei genannt) Uwe Jens Lornsen in Kiel seine Schrift „Über das Verfassungswerk in Schleswig-Holstein“ vor. Der Dänische Gesamtstaat reagierte hart, denn Lornsen, einst Mitglied der Deutschen Burschenschaft, wollte Schleswig-Holstein und Dänemark unter jeweils eigenen Verfassungsordnungen stehen lassen, „nur der König und der Feind sei uns gemeinschaftlich“.590) Lornsen scheiterte offenbar. Er fand damals noch nicht die breite Resonanz, die er sich erhofft hatte. Der Staat jedoch sah sich veranlasst, den Strömungen der Zeit entgegenzukommen. So erschien am 28. Mai 1831 das „Allgemeine Gesetz wegen Anordnung von Provinzialständen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein“. Jeder Teil bekam für sich eine ständische Verfassung. Die holsteinischen Stände sollten in Itzehoe tagen, zählten 48 Mitglieder. Eines, der Besitzer der Herrschaft Hessenstein, war festes Mitglied. 7 wurden vom König ernannt (4 Vertreter der Ritterschaft, 2 Geistliche und ein Vertreter der Universität Kiel). Die übrigen Abgeordneten wurden in drei Klassen gewählt, vom Großgrundbesitz, vom kleinen Landbesitz und von den Städten. Diese Stände hatten nur beratende Stimme, ihre Beschlüsse waren nicht verbindlich für den Staat, doch wurden durch sie die politischen Dinge mächtig belebt. Am 15. Mai 1834 trat die ständische Verfassung in Kraft. 1836 traten die Stände der beiden Herzogtümer in Schleswig und in Itzehoe zum ersten Mal zusammen.591) Über das Wahlrecht wurde folgendes bestimmt: Man musste 10 Jahre mindestens in der Monarchie gelebt haben, 25 Jahre alt sein, unbescholten sein, über sein Eigen disponieren können, d.h. nicht etwa ohne eigenen Herd dienen oder auf Unterstützung des Armenwesens angewiesen, man musste weiter wenigstens 2 Jahre im Wahlbezirk gelebt haben, musste in den Städten Eigentümer eines Grundstückes sein, das wenigstens „zu 800 Thlr. R.M. in der Brandkasse versichert“ war, dazu hatte man das Bürgerrecht zu besitzen oder doch „für eigene Rechnung“ den „Betrieb eines bürgerlichen Nahrungszweiges“ zu haben. Von den 48 Mitgliedern der Stände Holsteins waren 15 von den Städten und Flecken in 12 Wahldistricten zu wählen. Der 7. Distrikt war „der gemeinschaftliche Polizeidistrict der Stadt Wilster, der Stadt Crempe, der Flecken Elmshorn mit Vormstegen und Klostersande und des Fleckens Uetersen.“592) Hier hatten Wilsteraner, nach Censuswahlrecht allerdings, ihre Vertreter, und zwar war der Wahlort abwechselnd Wilster und Elmshorn, wählen, was beim eigenen Rat nach altem Herkommen noch immer nicht der Fall war. Der „Dänische Gesamtstaat“ war ein Gebilde, bestehend aus einer Anzahl sich eigenständiger Staatsgebilde, die weniger durch Eroberung als vielmehr durch dynastisches Erbrecht zusammengekommen waren, die in „Personalunion“ unter einem gemeinsamen Herrscher lebten, der ihr König, Herzog, Graf oder ähnliches war. Sein höchster Rang war hier der eines Königs von Dänemark. Dieses Territorium stellte nicht nur den höchsten Rang, sondern war auch weitaus das größte Territorium, zumal nachdem dieser Staat schon durch Landverlust sehr zusammengeschrumpft war. So sprach man vom „König etc,“ und vom „dänischen“ Staat. Auch in Schleswig-Holstein fühlte man sich in dieser Beziehung als dänische Staatsbürger und Patrioten. Das besondere an diesem Gebilde war nun, dass es von verschiedenen Nationalitäten bewohnt wurde, von Dänen, Deutschen, Isländern (und bis 1814 Norwegern). Das tat dem Patriotismus diesem Herrscher und seinem Staat gegenüber jedoch solange keinen Abbruch, solange das Nationale nur eine untergeordnete Rolle spielte. Das änderte sich jedoch seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, als im eigentlichen Dänemark eine antideutsche Bewegung heranwuchs, zunächst mit dem Ziel, sich gegen deutsche kulturelle Überfremdung zu wehren. In der Folgezeit war man bemüht, und, was entscheidend wichtig wurde, der Staat stand immer mehr unter dem Einfluss dieser Bewegung, war man also bemüht, dem immer weiter nach Norden im Herzogtum Schleswig vordringenden deutschen Sprachgebrauch zu stoppen und umgekehrt, Schleswig wieder dänisch zu machen, einen, übrigens friedlichen, Prozess von vielen Jahrhunderten wieder rückgängig zu machen. Es ist um einen Nationalitätenstaat aber sehr schlecht bestellt, wenn eine dieser Nationalitäten die Staatsmacht missbraucht, um einer anderen Nationalität zu schaden. So ein Staat wird zum Kampffeld und meistens zerbricht er dann auch. Nachdem die Regierung schon Jahrzehnte lang Schritte verordnet hatte, um das Dänische in Schleswig zu stärken oder wieder zu erwecken, erfolgte auch als Antwort hierauf die deutsche schleswig-holsteinische Bewegung, und auf beiden Seiten stieg die Erregung immer mehr an, wobei man sich der Geschichte, der Verträge (so des Vertrages von Ripen 1460) und des Erbrechtes bediente. Die Deutschen erhofften eine Trennung durch unterschiedliches Erbrecht (Friedrich VII. hatte keinen Erben, in Dänemark aber galt seit 1665 die weibliche Erbfolge, in den Herzogtümern die männliche). Die Dänen wollten Schleswig bis zur Eider mit Dänemark territorial vereinigen, Holstein eventuell aufgeben, was ein Ende einer jahrhundertelangen „up ewig ungedeelten“ Existenz bedeutet hätte, wenn die „Eiderdänen“ ihren Willen bekämen. Die Entwicklung führte schließlich zur gewaltsamen Entladung im Jahre 1848. Eine staatliche Gemeinsamkeit von 4 Jahrhunderten in guten und schlechten Zeiten führt zusammen. So war es auch im Dänischen Gesamtstaat. Es brauchte schon einiges, bis dieses Gemeinschaftsgefühl erlosch. Vor allem in Holstein, wo man ja weiter vom Schuss war, dauerte es seine Zeit. Die Elbmarschen des Amtes Steinburg hatten immer zum „königlichen Anteil“ gehört, die Könige hatten ihnen besonders ihre Aufmerksamkeit geschenkt. So hielten sich hier die alten Bindungen bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein, auch in der Stadt Wilster. Für die Bürgergilde wurde z.B. noch im Jahre 1840 „von den sämtlichen gegenwärtigen Frauen der Interessenten eine neue Fahne von rothem Seidenzeuge, mit ein paar seidenen Quasten daran, und dem Namenszeichen: Christian VIII. an die Gilde zum Geschenk gegeben.“593) Zum Schießen der Gilde heißt es: „Nachdem nun daselbst zuerst die 3 Schüsse für Sr. Majestät. Unsern allergnädigsten König, als Ehren-Mitglied der Schützengesellschaft geschehen“, folgen die weiteren nach.594) Ehrenmitglied der Bürgergilde war der dänische König seit 1825 auf „Antrag des derzeitigen Hauptmanns der Schützengilde, des Kriegs-As. Lic. Groth, eines hiesigen Arztes“, dessen Antrag dem König unterbreitet wurde, worauf derselbige „es zu erlauben geruhet“, geschehen „Glückstadt, den 24. Juni 1825“.595) Noch in den Jahren 1843 und 1845 war der König persönlich in Wilster. Alle 8 Glocken läuteten, die Kirche war mit Busch geschmückt.596) Ein feierlicher Empfang König Christians VIII. also 3 Jahre vor der Erhebung, ein Jahr allerdings vor seinem „Offenen Brief“ (1846), in dem er erklärte, dass in Schleswig die weibliche Erbfolge gelte, also die feste Verbindung mit Dänemark, während in Holstein für einige Teile die Frage unklar sei. Seitdem stieß der König in den Herzogtümern weithin auf Ablehnung. Die Erhebung der (deutschen) Schleswig-Holsteiner gegen die Dänen im Jahre 1848 war ein für die Landesgeschichte überaus wichtiges Ereignis. Wichtig in den Jahren davor waren Gründungen von Organisationen, Parteien als solche konnten ja kaum wirken, die zu Vorkämpfern des Schleswig-Holsteinismus wurden, in denen sich deutsche Gesinnung zeigen konnte. Dieses waren Studentenverbindungen, Turnvereine und Liedertafeln. Vor allem die letzteren wurden in den 40er Jahren bedeutsam. Studentenverbindungen gab es natürlicherweise nur in Kiel. Turnvereine gab es damals auch nur in den großen Städten, also z.B. in Kiel. Beide waren denn auch im ersten Gefecht im April 1848 (bei Bau) stark vertreten. Liedertafeln gab es damals schon viele, sie schossen in den 40er Jahren fast wie Pilze aus der Erde.597) 1835 bildete sich in Kellinghusen die erste Liedertafel in Schleswig-Holstein.598) 1839 wurde die Liedertafel in Schleswig gegründet, Vorbild für viele Gründungen im Lande.599) „Zwischen 1835 und 1845 entstanden in Schleswig-Holstein etwa 100 Liedertafeln über das ganze Land verteilt bis in die kleinsten Ortschaften.“ Die Itzehoer erstand z.B. 1841, und die in Wilster schon ein Jahr später im Jahre 1842. Es war das Jahr, wo sich Liedertafeln aus dem Niederelberaum erstmals in Glückstadt trafen. Selbst hier zeigte sich, dass in Holstein die damit verbundene antidänische Haltung später als in Schleswig einsetzte, dass hier solche Feste ein musikalisch-geselliges Anliegen waren. Ein Festteilnehmer in Glückstadt schrieb darüber: „die erschienenen Liedertafeln hatten ihre Fahnen und Banner entfaltet zu beiden Seiten – nicht einer allgemeinen deutschen Fahne, sondern der dänischen als holsteinischen Landesfahne.“ Zwei Jahre später im Jahre 1844 auf dem Sängerfeste in Schleswig, wo 12 000 Menschen zusammengeströmt waren, erscholl zum ersten Mal und mit großem Jubel aufgenommen das damals neu komponierte Lied: „Schleswig-Holstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht“.600) Die Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848-51 kann hier relativ kurz behandelt werden, da Wilster selbst niemals direkt von den Kampfhandlungen betroffen war. Der Kampf, an dem sich auch Wilsters Jungmannschaft zu beteiligen hatte – und ihre Blutopfer brachte, fand ausschliesslich im schleswigschen Landesteil statt. Zum Bruch kam es, als im März die Eiderdänen in Kopenhagen den König veranlassten in einer Revolution, Dänemark einschließlich Schleswig eine liberale Verfassung zu geben, also Schleswig von Holstein zu trennen. Die Antwort war die Proklamation einer provisorischen Regierung für Schleswig-Holstein in Kiel am 24. März 1848, weil „der Wille des Landesherrn nicht mehr frei ist und das Land ohne Regierung“. Die „Insurgenten“, wie die Schleswig-Holsteiner von den Dänen genannt wurden, erhielten Rückhalt aus Deutschland, wo nach einer geglückten Revolution in Frankfurt durch eine Nationalversammlung in der Paulskirche der Versuch gemacht wurde, einem sich bildenden Deutschen Reich, zu dem auch Schleswig-Holstein gehören sollte, eine demokratische Verfassung zu geben. Hinter den Dänen aber standen fast das gesamte übrige Europa, Rußland, Schweden-Norwegen, Großbritannien und Österreich. Diese Mächte übten einen ganz erheblichen Druck aus, dem der König von Preußen, welcher das Hauptkontingent aus Deutschland stellte, zuletzt nachgab, um seinen Staat nicht in einen aussichtslosen Krieg zu führen. Die Schleswig-Holsteiner setzten zuletzt 1850 in der Punktation von Olmütz dem österreichischen Willen unterworfen hatte, erschienen bei der Statthalterschaft in Kiel am 6. Januar 1851 Vertreter dieser beiden Mächte und forderte Unterwerfung, da sonst ihre Truppen dieser Forderung Nachdruck verleihen würden. Die Landesversammlung, das Parlament Schleswig-Holsteins, ist angesichts der aussichtslosen Situation dem in der Nacht vom 10. zum 11. Januar 1851 nachgekommen. Die dänische Herrschaft wurde also wiederhergestellt. Sie war jetzt aber im Gegensatz zu den vergangenen 4 Jahrhunderten kaum mehr als eine Fremdherrschaft. In den letzten Jahren der Personalunion mit Dänemark hat sich nur noch weniges getan. Dazu war die Zeit zu kurz. Auch gab es Belastungen durch den verlorenen Krieg. Das schleswig-holsteinische Papiergeld wurde für ungültig erklärt, die eigenen (und zum Teil die Dänemarks) Kriegskosten waren zu tragen. Auch wird der dänische Staat vor allem an Holstein nicht mehr dasselbe Interesse gehabt haben. Verfassungsmäßig blieb es bei der Ordnung von 1834. Doch wurde diese provinzialständische Verfassung am 11. Juni 1854 „reguliert“. Die Ständeversammlung, die nunmehr 51 Mitglieder zählte, tagte in jedem 3. Jahre in Itzehoe. Sie durfte gemeinnützige öffentliche Einrichtungen schaffen und unter Aufsicht eines vom dänischen Staate eingerichteten Ministeriums für Holstein verwalten lassen. Angelegenheiten, die zum amtlichen Wirkungskreis dieses Ministers für Holstein gehörten, sollten, wenn sie Änderungen beinhalteten, nur nach vorgängiger Zustimmung der Stände-versammlung möglich sein. Die Rechte waren also sehr kärglich.601) Einiges geschah schon auf dem Gebiet des Verkehrswesens, wenn auch weit weniger als wohl ohne die Erbetung geschehen wäre. So fiel in die Jahre 1852-54 der Chausseebau der Strecke Itzehoe-Wilster-St. Margarethen-Brunsbüttel, d.h. Wilster lag endlich an einer festen durchgehenden Allwetterstraße von Itzehoe, und damit von Hamburg (Altona), bis nach Dithmarschen, ein nicht zu überschätzender Gewinn.602) Die alte winklige Wegstrecke Wilster-Schotten-Stuven-Büttel konnte man nunmehr vergessen. Vom Neumarkt durch Neustadt und Krumwehl führte nun die neue Route schnurgerade nach Südwesten. 1854 erhielt auch Glückstadt seinen Anschluss, den es freilich mit seinem Steindamm schon längst im Grunde hatte. Für Wilster war wichtig, dass 1857 von der Strecke Itzehoe-Wilster bei der (damaligen) Büchsenkate eine weitere abzweigte über Hochdonn nach Meldorf. Es bestanden jetzt also immerhin 2 gute Verbindungen nach Dithmarschen. Im Bereich sicherer Landwege lag die Stadt nunmehr also nicht mehr in einer Sackgasse. Lange nicht so zügig ging es auf dem Gebiete der Eisenbahnen weiter. Hier holte Itzehoe 1853 sein altes Projekt einer Bahn Horst (Hackelshörn)-Itzehoe hervor, um auf Kosten von Glückstadt den Westküstenhandel an sich zu ziehen. Und am 3.2.1853 beschloss die Kiel-Altonaer Eisenbahngesellschaft tatsächlich, darauf einzugehen.603) Der rührige Itzehoer Bürgermeister gewann die Gemeinden, die von Itzehoes Bahnanschluss Vorteil hätten, wozu auch die Stadt Wilster gehörte. Aber es kam anders. Am 4. Oktober 1854 erlaubte die Regierungen, dass die Glückstadt-Elmshorner Eisenbahngesellschaft ihre Route von Glückstadt nach Itzehoe verlängere.604) Andere Projekte wurden nicht erlaubt. Diese Bahn wurde sodann bis 1857 erbaut. Am 6.10. war die Einweihungsfeier, am 15.10. wurde die Strecke in Betrieb genommen. Damit, und darüber kam man in dänischer Zeit nicht mehr hinaus, hatte sich die Eisenbahn bis auf 10 km an Wilster herangeschoben. Es wurde wohl 1856 in Meldorf ein ausführlicher Bauplan für einen Weiterbau nach Dithmarschen entwickelt, doch wurden derlei Planungen nicht weiter verfolgt. 1858 wurde aber immerhin vom Staate eine tägliche Personenpost für Wilster mit Itzehoe und Heide eingerichtet. Die Zeit der Postkutsche hatte also endlich Wilster auch erreicht. St. Margarethen, das ja an der Chaussee lag, erhielt 1854 eine „Briefsammelstelle“. Die Ortschaften „abseits der Postrouten waren weiter auf den Privatverkehr angewiesen.605) Das schiffbare Gewässernetz um Wilster wurde bis 1868 (bis in die preußische Zeit also) so optimal ausgebaut, wie seitdem nicht wieder. Bis zu diesem Jahre nämlich wurde der Bütteler Kanal bedeutend ausgebaut, die Schifffahrtsrinne durch den Kudensee abgestackt, die Burger Au, der Abfluss nach Norden wurde begradigt, und bei Bebek wurde schließlich eine Kammerschleuse in die Wilsterau gebaut. Man konnte nunmehr auch mit größeren Kähnen von Wilster bis in die Elbe bei Büttel fahren, eine wesentliche Verbesserung für den Warenverkehr mit dem Schiff.606) Die Einwohnerzahl Wilsters stieg in den 50er Jahren zunächst vorübergehend auf über 3000 an. Nach den Volkszählungen waren es 1855 3047 und 1860 dann 3056 Einwohner. Am 3. Dezember 1864 wurde dann mit 3144 Einwohnern ein Höhepunkt erreicht (zur selben Zeit hatten Glückstadt 5041, Itzehoe 7356 Einwohner, womit es über Glückstadt hinausgewachsen war, Kellinghusen hatte nur 2f105 und Krempe 1203 Einwohner).607) Die Verfassung wich nicht wesentlich von dem Herkömmlichen ab, „der Magistrat besteht aus einem Bürgermeister, der zugleich Polizeimeister und Stadtsecretär ist, und 3 Rathsverwandten, das Collegium der Stadtdeputierten“, die Achtmänner, „zählt 8 Mitglieder, auch ist hier ein Stadtcassierer. Die Verfassung weicht im Wesentlichen nicht von der Verfassung der anderen holsteinischen Städte ab. Vorläufig gilt ein Localstatut vom 11. Februar 1850,“ also noch aus der Zeit der Erhebung.608) Dann gab es in der Stadt diverse staatliche Amtsträger: „In der Stadt wohnen ein Zollverwalter, ein Controlleur nebst Assistent, ein Postmeister, den Kirchspielvogt der Wilstermarsch. Johannes von Schröder und Hermann Biernatzki, denen wir aus dem Jahre 1856 eine „Topographie“ Holsteins verdanken, machen, gut informiert durch lokale fachlich beschlagene Persönlichkeiten, genaue und verlässliche Angaben auch über Wilster.609) So erfahren wir: „Wilster vormals Wilstera, Stadt im südwestlichen Theile des Herzogtums Holstein, in der Wilstermarsch und an der Wilsterau, etwa 1 Meile von der Elbe, Propstei Münsterdorf. Breite 53 Grad 55 Minuten 22 Sekunden, Länge 27 Grad 2 Minuten 15 Sekunden.“ Sehr genau bis auf die Erläuterung einstiger Ortsbezeichnung, denn Wilstera war die Wilsterau, Wilster hieß Wilstria. Auch über die historische Vergangenheit zeigten sich ihre Informanten recht gut informiert. Es habe bis 1282 hollisches Recht gehabt, Stadtrecht, eine Gründungsurkunde war damals ja weder im Original noch in Kopie im Archiv vorhanden, habe der Ort seit 1240 oder 1282. Erstmals wird auf Grund des Namens Burggraben angenommen, dass Wilster eine Burg gehabt habe. Weiter über den Gebäudebestand: „Die Anzahl der Häuser beträgt 358, welche wiederum in Vollhäuser bis zu Einachtelhäusern rücksichtlich des sogenannten Hausschosses abgetheilt werden.“ Jährlich finde erneut eine sogenannte „Hausschoßsetzung“ statt, in denen „die Häuser nach den Umständen des Vermögens der Besitzer“ neu klassifiziert würden. Gebäude im Besitze der Stadt seien: „das Rathaus, die Schulgebäude, das Wachthaus, Spritzenhaus und die Wohnungen der beiden Stadtdiener“, die alle „schoßfreie oder priviligierte Häuser“ seien, übrigens auch die Kirchenhäuser. Erwähnt wird, dass die erste Kirche 1160 erwähnt wird, dass die jetzige, eine „der größten und schönsten des Landes“, im Inneren „amphitheatralische“ angelegt sei, „so dass sie von der Kanzel nach allen Seiten hin übersehen werden“ könne, der Erbauer wird erwähnt, Bauzeit auf 1774 -1780 angegeben. Als Kirchhof wird noch der von 1604 angegeben. „ Die schöne Orgel enthält 40 Register“. Genau werden auch die vielen Bauernschaften, die zu Kirchspiel gehörten, angegeben. Es sind genau 50 an der Zahl. Die Straßen, welche vorhanden, werden in ihrer damaligen Bezeichnung vermerkt: „Deichstraße, Zingelstraße, Haberstraße (heute Burger Straße), Kohlmarkt, Oevelgönne (heute Kohlmarkt) und Honigflether Straße, Hinterstraße (die Verlängerung der Burger Straße am Kirchplatz), Hofstätte, Johannisstraße (zur heutigen Schmiedestraße), Klosterhof, Bäckerstraße (Rathausstraße), Schmiedestraße, Blumenstraße und Neustadt“, dann gäbe es noch eine „kurze Straße, welche keinen Namen führt“, an der die Apotheke läge, also der marktnahe Teil des Kohlmarktes. Schlaat oder Salat sei „eine Gegend in der Neustadt“. Als Plätze werden aufgeführt „der Marktplatz bei der Kirche (früher der alte Kirchhof) und Neumarkt“, der Kohlmarkt wird also nicht mehr als Platz verstanden. Eingegangen wird auf die „Sage“, dass Wilster ein Kloster gehabt habe, „jedenfalls war es nur ein Bettelkloster“. „An der südöstlichen Seite des Klosterhofes sind Überreste von starken Grundmauern gefunden“, der alte Mönkehof habe ja dort gelegen, hierauf nimmt übrigens noch J. Schwarck Bezug in seinem Buch „Wilster vor 100 Jahren“ (1919). Genau werden auch die „Armenstiftungen“ registriert: „Das alte Gast- und Armenhaus für 12 Verarmte, von denen aber zwei nur freie Wohnung erhalten. Es hat ein Vermögen von 6700 Reichstalern v. Ct. Das Doosesche Gasthaus, 1829 gestiftet, ist 1831 erbaut, worin 8 Witwen versorgt werden, und in dem Rehderschen Gasthause in der Langen Reihe vor Wilster, zum Amte Steinburg und der Stadt gehörig, werden zwei arme Frauen aus der Stadt versorgt. Außerdem ist hier eine Franke-Boyesche Stiftung zur Aussteuer armer Mädchen und eine Verpflegungs- und Arbeitsanstalt (in dem früheren Werkhause) seit 1850“, also ganz neu damals, ein Zeichen dafür, dass die Zahl bedürftiger Handwerksgesellen und Arbeitsleute an der Schwelle des industriellen Zeitalters auch hier im Anwachsen begriffen war, der sogenannte „Pauperismus“. Ausführlich wird auch der Dooseschen Stiftung gedacht, ihr Haus, „das ansehnliche schön erbaute“ sei „theils zum Rathause, theils zur Wohnung des damaligen Bürgermeisters bestimmt“, die Doosesche Bibliothek wird (damals) mit „8000 Bänden“ angegeben. Zur Steuerveranlagung heißt es: „Vormals stand die Stadt in der Landesmatrikel für 66 ½ Pflüge, jetzt aber weil mehrere ihrer Grundstücke von ihr abgekommen sein sollen“, eine irrige Vermutung, „nur für 44 Pflüge“. Über das Stadtareal wird angegeben: „Nach dem Landsteuer-Register besitzt die Stadt an Ländereien 125 Ton. 150 R., von denen aber einige unter Jurisdiktion des Amtes Steinburg belegen sind“, wie ja auch die Kirche „auf dem Steinburger Amtsgrunde liegend“ ist. „Zur Stadtjurisdiction gehören 103 Ton. 104 R.“, also weiterhin sehr wenig, „von denen 18 Ton. 204 R. bei der Stadt liegen“, alles andere gehört zum eigentlichen Siedlungsareal. Noch war damals, so Schröder-Biernatzki, auch das „Stadtmoor“ mit 84 Ton. 160 R. vorhanden. Zum Schluss wird noch auf einigen Landerwerb in historischer Zeit eingegangen, auf das Galgenland, das „im Jahre 1600“ der Stadt zugesprochen worden sei, und den Mönkehof, den das Kloster Bordesholm 1475 dem Rathmann Ratke verkaufte. An der Schweinebrücke solle einst (völlig unbelegt) ein Tor gestanden haben „Mönchsthor genannt“. Für uns gewichtig ist das, was Schröder-Biernatzki über die Wirtschaft der Stadt zu berichten vermögen: „Die Einwohner ernähren sich vom Handel“, der auch hier wieder an erster Stelle steht, „den bürgerlichen Gewerben, dem Branntweinbrennen und Bierbrauen und etwas Viehzucht. Die Stadt besitzt 40 größere und kleinere Fahrzeuge“, Schiffe natürlich, noch immer an erster Stelle für den Warenverkehr stehend, „zum Versenden der Produkte auf der fahrbaren Au, auf der Stör und der Elbe. In Wilster sind 8 Tabackfabriken“ oder was man dafür damals hielt, „2 Essigfabriken und 2 Lohngebereien“, denen besonders eine bedeutsame Zukunft bevorstand. Damals im Jahre 1850 etwa ließ sich bei Wilster im Landrecht ein Nicolaus Böhme nieder, welcher dieses Gewerbe betrieb, nicht gerade zur Reinhaltung der Wasser der Au. Seinem Betrieb sollte eine bedeutsame Zukunft in besonderem Maße bevorstehen, anfangen tat er mit 4 bis 5 Leuten.610) Es heißt weiter: „Kaufleute sind hier 43, worunter 11 Manufakturhändler, 17 Colonial- und Farbewarenhändler, 7 Holzhändler, 6 Getreidehändler, 1 Glaswarenhändler und 1 Uhrenhändler. Hier ist eine Apotheke. Auch sind hier 2 ansehnliche Gasthäuser, das sogenannte Wilstermarschhaus und Nissens Hotel. Mit älteren Zunftartikeln versehene Handwerke sind: Schuster 30, Schneider 19, Tischler 11, Schmiede 16, Goldschmiede 5, Bäcker 18, Weber 8, Barbiere 3, Böttcher 9 und Schlachter 9. Mit neuen Zunftartikeln: Zimmerleute 19 und Maurer 8, welche beiden letzteren 40 Gesellen und 9 Lehrburschen“, der Wilsteraner Ausdruck für Lehrlinge, „beschäftigten. Brauer- und Brennereien sind hier 13.“ Weiter an anderer Stelle: „Wilster hält einen nicht unbedeutenden Krammarkt an Bartholomäi und an den folgenden Tagen, einen Pferdemarkt am 4. Januar und einen anderen Pferdemarkt am 31. Juli.“ Zum Schluss wird von Wilster noch über den Haushalt der Stadt ausgesagt: „Städtische Einnahmen 1838: 10 482 Reichstaler 3 Schilling R.M.; Ausgaben: 9 829 Reichstaler 95 Schilling R.M.; Stadtvermögen 1836: 33 249 Reichstaler 58 Schilling R.M.“ also erheblich, was bei der Beerbung aussterbender sehr reicher Familien nicht gerade verwundern mag;“ und „Königliche Steuern und Abgaben 1838: 6316 Reichstaler 84 Schilling R.M. Eine interessante Bemerkung Schröder-Bienatzkis soll hier nicht unterschlagen sein: „1855 hat man durch Bohrung im Marschgrunde einen Brunnen mit vorzüglichem Quellwasser erbaut, welcher die Einwohner mit Wasser versieht und von großer Wichtigkeit ist.“ Die Einsicht stieg offenbar, dass die Wasserversorgung aus der Au, in die ja auch Abwasser und Fäkalien gingen, nicht die beste gerade sein konnte. Da versuchte man es zunächst mit Brunnenbohrungen mit dem Ergebnis, dass solches Grundwasser nicht ungenießbar war. Derlei Versuche hatte es schon früher gegeben. So ließ sich ein Pastor so einen Brunnen erbohren, als das Wasser der Au vom Meere her stark in seinem Wert herabgesetzt worden war. Schröder-Biernatzkis Topographie ist als Zeitdokument der damaligen Verfassung Wilsters sehr wertvoll, die Quellen aus Archiv und anderen amtlichen Quellen waren verlässlich, die Informanten sehr gut informiert. Urteile über Vergangenes sind deshalb interessant, weil sie die Vermutungen und Deutungen im damaligen Wilster waren. Zuletzt ist noch informativ, was Schröder-Biernatzki erwähnen über die Vororte Wilsters im Landrecht, die erst viel später eingemeindet worden sind. Über Landrecht berichten sie, dass es sich um einen „District im Amte Steinburg, Wilstermarsch, Kirchspiel auf der alten Seite und zur Neßducht gehörig“ handelte. Es „enthält 54 Stellen mit und ohne Land. Hier ist eine Königliche Kornwindmühle, Schule in 2 Klassen mit 190 Kindern, Wirtshaus, Hökerei und mehrere Handwerker. Volkszählung: 393 Einwohner. Eine Brücke über die Wilsterau“, welche einst die Wilsteraner Bürger vergeblich zu verhindern trachteten, „heißt Landrechter Brücke“.611) Eine beachtliche Siedlung also. Weiter „Langenreihe, 17 Häuser, welche an die Stadt Wilster grenzen, Amt Steinburg, Wilstermarsch, Kirchspiel auf der alten Seite, zur Bischofer Ducht gehörig, Krsp. Wilster. In diesem Districte liegt das 1657 von Rehder gestiftete Armenhaus, worin 8 Witwen aus dem Kirchspiel und 2 Witwen aus der Stadt Wilster unterhalten werden. Hier wohnen größtenteils Handwerker und Tagelöhner. Schuldistrict Landrecht. Volkszählung: 121 Einwohner.“612) Aus dem Jahre 1860 haben den zweiten gründlichen Plan der Stadt Wilster, welcher die Angaben Schröder-Biernatzkis glücklich ergänzt. Dieser Plan stammt von dem Ingenieur und königlich bayrische Landmesser H. Mencke. W. Jensen, der ihn kurz beschrieben hat,613) meint 1925: Er stände „den heutigen Verhältnissen ziemlich nahe“, er weist weiter darauf hin, dass die neue Chaussee schon in ihm enthalten sei. Aber der heutige Stadtpark ist noch der Kirchhof, freilich der „Alte Kirchhof“ nunmehr, denn der Platz um die Kirche herum ist jetzt schon der „Marktplatz“. Am Südrand des Planes steht auf dem Wege, der von der Schweinebrücke weiter führt „Weg zum neuen Kirchhof“. Das Colosseum ist eingetragen, ebenso das, was einst der Park Michaelsens gewesen war, nur eine Baumallee fasst das Gelände noch ringsum ein. Umso eindrucksvoller ist der Park des Bürgermeisterhauses bis an die Au heran zu erkennen. Die Deichstraße und damit das Stadtgelände reicht noch über den Burggraben, der sonst weithin Stadtgrenze ist, hinaus bis zur Wende. Anschließend die urbane Siedlung Landrecht als langgestreckte Straße. Ähnlich steht es beim Kohlmarkt, der auch noch über den Burggraben hinausreicht, dann einmal seine Fortsetzung findet in der Siedlung Lange Reihe, während zugleich schon bis heute noch die „Chaussee von Itzehoe“ direkt verläuft, wo es heute „Steindamm“ heißt. Am alten Schott, wo an den Sielwettern die Grenze der Stadt verläuft, hören die Häuser offenbar damals auf, nur die „Chaussee nach St. Margarethen“ ist verzeichnet. Die Kohlmarktstraße ist hier in ihrer heutigen ganzen Länge vom Marktplatz bis zur Langen Reihe als solcher verzeichnet. Von Haberstraße ist nichts mehr verzeichnet, die Burger Straße heißt „Hinterstraße“. Sonst ist gegenüber den Darlegungen Schröder-Biernatzkis nichts Wesentliches anders zu ersehen. In der „Kunst-Topographie für Schleswig-Holstein“ wird Wilster als „zwei fas s-förmig verlaufende Straßenzüge beiderseits der jetzt, das heißt im Jahre 1969, „zum Teil verrohrten Wilsterau“, eine treffende Kennzeichnung der Stadt, wenn man das, was nach dem letzten Kriege hinzugekommen ist, einmal außer acht lässt. Das geht auch aus dem Menckeschen Stadtplänen hervor. Dieser ist nebenbei von lzahlreichen Bildern aus der Marsch umrandet, vor allem befindet sich oben ein Bild der Stadt von der Dammflether Seite aus gesehen, mit der Stadtmühle im Vordergrunde. Zu beiden Seiten erkennt man das Bürgermeisterhaus und die Sonnin-Kirche. Unten befinden sich die Wappen der Stadt und der Wilstermarsch. Für die dänische Zeit sind noch einige Ereignisse nachzutragen. Das erste führt in das Jahr 1841 zurück. Damals wurde von privater Hand die Sparkasse in Wilster als erstes Creditinstitut gegründet. Finanzkräftige Privatpersonen als Bankiers reichten kaum mehr aus. Gerade Sparkassen wurden in jener Zeit als ein Bedürfnis empfunden. Itzehoe besaß ein derartiges Institut schon seit 1820, Glückstadt seit 1824, Kellinghusen seit 1840, Krempe seit 1828, Wilster hatte seine Sparkasse also durchaus nicht sonderlich früh erhalten. Die größeren Kirchflecken folgten allerdings noch später, so etwa Wewelsfleth 1867, St. Margarethen 1869. – Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Errichtung eines neuen Friedhofes immer dringlicher. Auf dem nunmehr alten Kirchhofe wurden neue Gräber in Benutzung genommen, bevor die Särge der Vorgänger überhaupt vergangen waren, da die Bevölkerung des Kirchspieles wuchs, die Totengräber stellten dann wohl die alten Sargbretter zum Trocknen an die Bäume des Kirchhofes, sie wurden sogar zu Flurverschalungen und zu Wandbetten verwandt.614) Nach einigen Zögern entschied man sich für den sogenannten „Kleinen Brook“, der im Besitze der Stadt war. Es musste allerdings noch Land vom Hofbesitzer Jakob Heesch aus dem benachbarten Bischof hinzuerworben werden. Das 1857 vermessene Gelände umfasste 2 ha 14 a(692,94 Quadratruten damaligen Maßes, je etwa zur Hälfte vom Brook und Heeschen Hofland). Obwohl die Gemeinden an dem Westecke des Kirchspieles Einspruch erhoben wegen wachsender Entfernung, wurde der nunmehrige „Neue Friedhof 1859 seiner Bestimmung übergeben. 1860 erstand auch die Friedhofskapelle. Die Stadt vermochte es, die Pflasterung der „Allee“ als Zuweg zum Kirchhof und notwendig gewordene Erneuerung der Schweinsbrücke, über die die Trauergeleite führten, dem Kirchspiel zur Hälfte aufzubürden.615) – Seit 1861 hatte Wilster auch seinen Turnverein. 1863 wandte sich dieser an den Magistrat mit der Bitte, das Turnen auf dem Colosseumplatz durchführen zu dürfen. „Der hier vor einigen Jahren mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung gegründete Turnverein hat, weil er bis jetzt“ und noch für etliche Jahre „noch nicht im Stande war, und vielleicht auch niemals dazu kommen wird, eine eigene Turnhalle zu bauen, seit seinem Bestehen schon dreimalig unfreiwillig wechseln müssen. Soll aber das Turnen seinen wahren Zweck, Körper und Geist nämlich gesund und stark zu machen, nicht verfehlen, so muss es nicht allein regelmäßig und in gehöriger Ordnung betrieben werden, sondern es muss auch ferner, wenn vielleicht nicht absolut notwendig, so doch im höchsten Grade wünschenswert, dass möglichst viele Geräte vorhanden sind und mithin auch der Turnplatz groß genug sein, um die Übungen gehörig ausführen zu können. Seit jetzt eben turnen wir auf einen solchen Platz, nämlich im sogenannten Michaelsenschen Garten, neben dem Colosseum. Um nicht wieder von den etwaigen Launen des Garten-Pächters abhängig zu sein, möchten wir, da wir gehört haben, dass der Michaelsensche Garten wieder verpachtet werden soll, unsere Bitte dahin aussprechen. Ein verehrlicher Magistrat wolle den Pakt kontract gütigst so machen, dass der Pächter dem Turnverein seinen jetzigen Turnplatz niemals kündigen kann.“616) Man turnte also, wie der erste noch vom „Turnvater“ Jahn 1810 auf der Hasenheide bei Berlin geleitete „frisch, fromm, fröhlich, frei“ an im Freien aufgestellten Geräten. – Unerschüttert tätig waren weiterhin noch immer die „Ämter“ der Handwerker. Das kleinbürgerliche Handwerk scheute den freien Wettbewerb des heraufziehenden liberalen Zeitalters. In der Akte des Gerberamtes wird z.B. noch 1860 die Niederlassung des Kürschners Lebrecht Römisch aus Halbau in Schlesien vermerkt. Die Maurerzunft wurde gar erst 1835 errichtet, ihre Amtsartikel 1843 konfirmiert. Ein „Mühlenzwang“ bestand in Wilster bis 1850, wo er nach einem Bericht des Magistrates der Stadt „abgelöst“ wurde. Die Akten des Schmiedeamtes gehen auf 1557 zurück. Noch 1842 ließ es sich neue Zunftartikel bestätigen. 1843 wurden die Amtsartikel der Schneider erneut konfirmiert, ausdrücklich wurde das Schneiderhandwerk als ein „geschlossenes“ erklärt. Von 1741 bis 1861 gehen die Akten des Zimmeramtes.617) – Im Schulwesen bestanden weiterhin die Große Stadtschule für Jungen und eine zweiklassige Mädchenschule in den Klassen der Großen Stadtschule, es waren weiterhin 3 an der Zahl, gab es Schüler in der Klasse 1 39, in der Klasse 2 waren es 54, und in der Klasse 3 auch immerhin 48 Jungen. Das waren also zusammen 141 Jungen, also etwa 300 Schulkinder um 1860. Übrigens wurden 1847 Tintenfässer in den Bänken installiert. Das Ende der Dänenzeit kam durch dänischen Übereifer. Als die „Eiderdänen“, die dänische Partei, die die Eider zu Dänemarks Grenze machen wollte, 1863 durchsetzte, dass Schleswig auch formal zu einer dänischen Provinz gemacht wurde, hatte Dänemark das Vertragsrecht (das sog. „Londoner Protokoll“) auf seine Herrschaft über Schleswig-Holstein beruhte, selber gebrochen. Truppen des Deutschen Bundes rückten daraufhin in Holstein ein, das von den Dänen kampflos geräumt wurde. Das diplomatische Genie des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarcks verstand es, Dänemark in Europa völlig zu isolieren. Als es sich weigerte, das Londoner Protokoll wiederherzustellen, begann im Januar 1864 der deutsch-dänische Krieg, in dem Dänemark durch preußische und österreichische Truppen geschlagen wurde (Erstürmung der Düppeler Schanzen usw.). Im Oktober 1864 musste Dänemark ganz Schleswig-Holstein an Österreich und Preußen abtreten. Die über 4 Jahrhunderte lange Zeit der Personalunion mit Dänemark hatte ein Ende, nicht bedauert von der Bevölkerung. Die „Los von Dänemark-Bewegung“ hatte die große Mehrheit für sich. Im ersehnten Deutschen Reich wünschte man sich ein Land „Schleswig-Holstein“ mit einem Großherzog an der Spitze aus der Linie des angestammten Herrscherhauses, dem die Herrschaft nach männlicher Erbfolge zustände, der Augustenburger Linie. Der Herzog Friedrich (VIII.) von Augustenburg erschien dann in Holstein sogleich mit der Besetzung desselben durch Bundestruppen, überall jubelnd begrüßt, so 1864 auch in Wilster. Die Kirche, und nicht nur sie, prangte im Festesschmucke, vom Turm wehte die schleswig-holsteinische Fahne herab.618) Es wurde jedoch nichts mit einem Großherzogtum zur großen Enttäuschung der Bevölkerung. 1865 einigten sich Preußen und Österreicher dahingehend, dass man sich das Gebiet verwaltungstechnisch teilte, wobei Holstein den Österreichern zufiel. Aus dem einen Jahr österreichischen milden Regimes kann nicht viel vermeldet werden, allenfalls das „Gablenzsche Patent“ vom 27. Dez. 1865. Der Gouverneur General Gablenz verfügte, dass sämtliche Chausseen (nur die Wege nicht), also die Straßen I. und II. Klasse nach der Wegeordnung von 1842 vom Staate zu unterhalten seien. Im Juni 1866 kam es zwischen Preußen und Österreich zum Kriege, preußische Truppen besetzten noch im selben Monat Holstein. Im Kriege siegten die Preußen (Schlacht bei Königsgrätz am 3. 7. 1866), und im Frieden von Prag (August 1866) trat Österreich seine erst kürzlich erworbenen Rechte auf Schleswig-Holstein an Preußen ab. Damit wurde Schleswig-Holstein preußisch zur großen Enttäuschung der Einwohner des Landes. Am 24.12.1866 wurde in Berlin, der Hauptstadt des Königreiches Preußen, das Gesetz betr. die Vereinigung der Herzogtümer Holstein und Schleswig mit der preußischen Monarchie erlassen, der am 12.1.1867 ein Patent wegen Besitznahme der Herzogtümer Holstein und Schleswig und am selben Tage eine Allerhöchste Proklamation (des preußischen Königs Wilhelm I.) an die Herzogtümer Holstein und Schleswig nachfolgten. Grundlegend wurde sodann eine Verordnung betr. die Organisation der Kreis- und Distriktsbehörden sowie die Kreisvertretung in der Provinz Schleswig-Holstein vom 22. September 1867. Sie bedeutete beinahe einen Bruch in der schleswig-holsteinischen Geschichte. Gewiss, Schleswig-Holstein blieb bestehen, aber jetzt als Provinz des Königreiches Preußen, eines Staates mit einer ganz anderen Geschichte, mit ganz anderen Organisationen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. In vieler Hinsicht waren diese Organisationsformen vorbildlich, so sehr, dass, nach Drittem Reiche und brit. Militärregierung, das 1946 neugegründete Land Schleswig-Holstein weitgehend auf diese Organisationsformen zurück gekommen ist. Damals im Jahre 1867 waren diese der Bevölkerung in Schleswig-Holstein weitgehend wenig vertraut. Man hing sehr an den eigenen Ordnungen, obwohl hier Reformen vielfach überständig waren. Aber diese Ordnungen waren im Lande, besser noch in seinen einzelnen Landschaften, in Jahrhunderten gewachsen. In ihnen gab es vielfach noch immer und wenig geänderte Strukturen, die schon im Mittelalter bestanden hatten. Es bestand eine innige Verbundenheit mit der eigenen Geschichte. Das hörte, was die Organisationsformen betraf, nunmehr auf. Der alte Staat hatte sie sich erhalten lassen, oft nur hier und da einiges gebessert und weiterentwickelt. Jede einzelne Landschaft hatte ihr eigenes Gesicht, die Wilstermarsch war eine solcher Landschaften. In Dithmarschen oder Eiderstedt oder auf der benachbarten Geest sah es ganz anders aus. Es war eine historisch in Jahrhunderten gewachsene regional bunte und mannigfaltige Welt, von der es jetzt hieß, Abschied zu nehmen, und das tat weh. D. Detlefsen schreibt hierüber: „So wurden die alten Formen zerbrochen, und von den durch Jahrhunderte bewahrten oder in ihnen ent-standenen Eigentümlichkeiten des Amtes Steinburg blieb nicht viel übrig.“619) Er tröstet dann sich und die anderen, doch die Wehmut schimmert ersichtlich durch. Die drei Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg wurden also zur preußischen „Provinz“ Schleswig-Holstein mit nur einem einzigen „Regierungsbezirk“. Dieser wurde wieder untergegliedert in „Kreise“ (nicht mehr, wie bisher, in Ämter). Nur einige große Städte bildeten selber einen Kreis, sonst kamen unter dem Kreis die Gemeinden (die in der Wilstermarsch erst aus einzelnen Bauernschaften gebildet werden mussten), die ländlich in der Folgezeit in Ämtern zusammengefasst waren. Auch die Städte gehörten nunmehr zu einem jeweiligen Kreis, sehr neu für Holsteins Städte. Wilster wurde nunmehr also eine Stadt-Gemeinde im Kreis Steinburg. Diese Kreise erstanden, damals etwa gleichgewichtig, durch Zusammenlegung diverser Teile meist mit einem alten Amt. In einer der Verordnung vom 22. Sept. 1867 beigefügten Anlage wurde umrissen, was so alles zu einem Kreis zusammengelegt wurde. Für den Kreis Steinburg heißt es folgendermaßen620): „Kreis Steinburg besteht aus dem Amte Steinburg; dem zum Amte Bordesholm gehörigen Ländchen Sachsenbande; dem zum Amte Rendsburg gehörigen Kirchspiel-Vogteidistrikt Kellinghusen mit Ausnahme der Dörfer Bargfeld, Meetzen und Homfeld, sowie den zum Amte Rendsburg gehörigen Teilen der Dörfer Pöschendorf und Kaisborstel; den Städten Itzehoe, Wilster, Glückstadt, Krempe, dem Kloster Itzehoe mit Ausnahme der zu den Kreisen Kiel, Segeberg und Rendsburg gelegten Petinenzien; der zum Kloster Ütersen gehörigen Vogtei Crempdorf und dem zu demselben Kloster gehörigen Patrimonialgut Horst; der Herrschaft Herzhorn, Sommerland und Grönland; der Herrschaft Breitenburg mit Ausnahme der zu dem Segeberger Kreise gelegten Dörfer, dem adeligen Gute Drage mit Ausnahme seines Anteils an Hohenwestedt und der Gehöfte Alt- und Neu-Böternhofen, den adligen Gütern Krummendiek mit Ausnahme von Nutteln, Heiligenstedten, Mehlbeck, Rade, Bekhof, Bekmünde, Bahrenfleth, Groß-Campen, Klein-Campen , Groß-Collmar, Neuendorf, Sarlhusen, dem Kanzleigut Bekdorf, der Blomeschen und der Engelbrechtschen Wildnis.“ Dieser Kreis war, wie bisher das Amt, staatlicher Verwaltungsbezirk. An seiner Spitze stand nun der Landrat (statt des Amtmannes), der die Aufsicht über die Gemeinden auszuüben hatte, weiter die Polizeiverwaltung im Kreise überwachen musste. Der Kreis wurde, und das war neu, Komunalverband. Die Gemeinden, Städte und Landgemeinden, wurden zu einer öffentlichen Körperschaft verbunden, die gewisse obrigkeitliche Angelegenheiten, die ihr überwiesen wurden, in der Form der Selbstverwaltung zur Aufgabe erhielt. Dafür erhielt der Kreis eigenen Haushalt, und natürlich eigene kommunale Organe, vor allem den zu wählenden Kreistag. Die laufende Verwaltung führte der Kreisausschuss aus 6 vom Kreistage gewählten Vertretern.621) Sitz der Kreisverwaltung wurde Itzehoe, das zentral gelegen war. Nach Steinburg, Krempe und Glückstadt also jetzt Itzehoe. Von den 4 alten Städten des Kreises ist nur eine niemals Sitz des Amtmann-Landrats gewesen, nämlich Wilster. Neugegliedert wurde die Kirchenorganisation. Wilster gehörte weiter zur Propstei Münsterdorf. Neu war die gesamte Gerichtsverfassung. Das Glückstädter Obergericht hörte mit der dortigen Regierungskanzlei auf zu bestehen. Aufhören tat die Gerichtshoheit der Städte, also auch der Stadt Wilster. Brüchregister (erhalten bis 1858), Klageregister und Klagegerichtsprotokolle (erhalten bis 1822), Gerichtsprotokolle (die 115 Bände reichen bis 1847), Gezeugnis-Protokolle (156 Bände bis 1834), sie alle konnten nun im Archiv verschwinden. Zunächst entstand 1867 ein Kreisgericht, ab 1878 gab es sodann die Amtsgerichte, eines in der Kreisstadt Itzehoe, aber z.B. auch eines in Wilster. Die Appellationsinstanz hatte ihren Sitz in Altona. In Preußen gab es die Gewerbefreiheit, die Ämter der Handwerker hatten ausgespielt. Ihre Akten kamen ins Archiv. Es war schon vieles, welches nunmehr gegenstandslos geworden war und vieles, welches neu an die Stelle trat, hierher gehörte auch die Städteordnung nach preußischem Vorbild, der berühmten Steinschen Städteordnung, welche ja noch heute richtungsweisend geblieben ist, die, demokratisch wie sie war, an die Stelle der alten Ratsverfassung des lübische Stadtrechts trat. Das „Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein“ war vom 14. April 1869. Mit ihm erlangten die betroffenen Orte, also auch Wilster, eine Institution, „die in bezug auf ihren freiheitlichen Geist und das Maß an Selbstverwaltung den meisten vergleichbaren Einrichtungen in Deutschland weit voraus war und in Preußen bannbrechend auch für die anderen Provinzen wurde.“622) Für Holstein galt bis dahin die Holsteinische Städteordnung vom 11. Februar 1854, in welcher im Grunde das alte System des Regimentes konserviert worden war, d.h. „die holsteinische Städteordnung von 1854 trug an der Spitze obrigkeitliche Züge. Da die Trennung der Justiz von der Verwaltung noch nicht durchgeführt war“, sie erfolgte erst im preußischen Staat im Juni 1867,“ und der Magistrat neben seiner Funktion als Selbstverwaltungsorgan der Bürger in seiner Eigenschaft als Stadtgericht zugleich staatliche Aufgaben erfüllte, war die dänische Regierung darauf bedacht gewesen, bei der Besetzung ihre Stimme bestimmend zur Geltung zu bringen. Deshalb wurden der Bürgermeister und die gelehrten Ratsverwandten vom König auf Lebenszeit ernannt. Die bürgerlichen Ratsverwandten, deren Zahl je nach Größe der Stadt, durch Lokalstatut festgesetzt, zwischen 2 und 6 betrug, wurden aus einer Dreierliste gewählt, die eine gemischte Kommission aus gelehrten Magistratsmitgliedern und einer gleichen Zahl von Deputierten präsentierte. Sie mussten vom König bestätigt werden. Die Wahl der Deputierten aber wurde von der Bürgerschaft nach gleichem Recht durchgeführt.623) Sein Selbstergänzungsrecht hatte der Rat also zum Schluss doch weitgehend eingebüßt. Nun demgegenüber die neue Städteordnung von 1869, die vor allem dem Kieler Professor Hänel zu verdanken war. An der Spitze der Stadtverwaltung stand der auf 12 Jahre von der gesamten Bürgerschaft zu wählende Bürgermeister, den nach der Wahl der König zu bestätigen hatte (in der Praxis durch die Regierung). Die Bürgerschaft wählte ein Stadtparlament, die Stadtverordneten, aus deren Reihen ehrenamtlich in Städten wie Wilster der Magistrat gewählt wurde für 6 Jahre. Ortsstatute legten die Zahl der Stadtverordneten und Magistratsmitglieder fest. Aus dem Magistrat wurde dem Bürgermeister ein Vertreter zugeordnet, der Beigeordnete, welcher auch von der Regierung bestätigt werden musste. Es herrschte gleiches Wahlrecht, also kein Klassenwahlrecht. Aber es war kein allgemeines Wahlrecht, sondern ein Zensuswahlrecht. Wählen konnte, wer im Besitze eines eigenen Wohnhauses oder doch eines stehenden Gewerbes war oder einer Steuerveranlagung von mindestens 200 Talern war. Für Wilster lag die Grenze für das Bürgerrecht, die nicht einheitlich war, bei 600 Mark, bei vielen Städten war sie höher. Es gab noch einige weitere wichtige Neuerungen, die für die Stadt Wilster von Bedeutsamkeit sein mussten. Seine Bevölkerung unterlag der allgemeinen Wehrpflicht, welche zunächst 3 Jahre betrug. Schleswig-Holstein wurde als Anteil Preußens Mitglied des Deutschen Zollvereins, der alle Länder des werdenden Deutschen Reiches umfasste, das ganze Gebiet war von gemeinsamer Zollgrenze umgeben, hatte gemeinsame Zoll- und Wirtschaftsgesetze. Wilster lag in diesem Zollgebiet recht am Rande. Andererseits wurde so natürlich Handel und Wandel mit einem großen Wirtschaftsraum eröffnet. Politisch wurde Schleswig-Holstein als Teil Preußens Teil des Norddeutschen Bundes, eines Bundesstaates, der zunächst nur Norddeutschland umfasste, dessen Verfassung dem späteren Deutschen Reiche zum Vorbild diente. Vor der Gründung des Reiches lag der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71, an dem auch die Schleswig-Holsteiner, soweit gedient, im neuaufgestellten IX. Armeekorps teilnahmen, also auch Wilsteraner, die wie alle anderen ihre Blutopfer haben erbringen müssen. Da der Krieg siegreich geführt werden konnte und mit der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871, der Gründung eines lang ersehnten Deutschen Reiches seinen Höhepunkt erreichte, war der Jubel über den Verlauf auch in Wilster sehr groß. Die „Beiträge zur historischen Statistik Schleswig-Holsteins“ aus dem Jahre 1867 zeigen für Wilster zunächst einmal bei Einsetzen der preußischen Zeit ein verblüffendes Zurückgehen der Einwohnerzahlen in Wilster, und ein nur langsames Wiederansteigen derselben in den folgenden Jahren, wobei diese Entwicklung nicht unbedingt mit der benachbarter Städte konform lief. Im Jahre d1867 gab es in Wilster nur noch 2326 Einwohner, was einen Rückgang innerhalb von nur 3 Jahren um 800 Menschen bedeuten würde. Ungenauigkeiten wohl wenige eher unterschiedliche Zählmethoden der beiden hier handelnden Staaten mögen hier ihre Rolle gespielt haben. Gewiss wird man wohl kaum ein beachtliches Zurückgehen der Bevölkerung in Abrede stellen können. Eine fast stagnierende Bevölkerung ist für die folgenden zwei Jahrzehnte zu vermerken, wohl ein Zeichen dafür, dass der Nahrungsspielraum für die Stadt nach bestehenden Verhältnissen erreicht war. Abwanderung, auch Auswanderung dürfte ihre Rolle gespielt haben. Die nächsten Volkszählungen ergeben folgende Einwohnerzahlen: 1871 (alle Zählungen erfolgen am 1.12. d. Jahres) 2423, 1875 nur noch 2370, 1880 wieder 2547, 1885 dann 2539 also gleichbleibend, 1890 wieder etwas mehr nämlich 2716 und 1895 endlich wieder über das dritte Tausend, nämlich 3075. Es hatte allerdings in den 80er Jahren eine immer stärkere Industrialisierung eingesetzt. Bei den anderen Städten, wo Industrialisierung früher und stärker einsetzte, seien folgende Zahlen herausgestellt: Itzehoe 1864 7356, 1867 8336 und 1895 schließlich 13 903 Einwohner; in Glückstadt haben wir jedenfalls gleichbleibende Zahlen: 1864 sind es 5051, 1867 5533, 1895 dann 6114 Einwohner; ähnlich wie in Wilster verlief die Entwicklung in Krempe, wo wir 1864 1203 und 1895 dann 1284 Einwohner zählen. Aus der einsetzenden Preußenzeit haben wir ein „Adressbuch für Schleswig-Holstein und Eutin“, herausgegeben 1867 in Rendsburg, in dem auch die Adressen aus der Stadt Wilster verzeichnet sind. Hier erfährt man denn, dass „Postverbindung per Diligence“ besteht. Morgens um 5.35 startet die Postkutsche nach Itzehoe, mittags um 12 Uhr geht eine andere in Richtung Brundsbüttel-Marne-Meldorf-Heide ab. Der Fuhrmann Koskop aber bietet an einen „bedeckten Wagen“ zweimal täglich mit Ausnahme Sonntags nach Itzehoe „mit den Bahnzügen correspondierend“. Dann werden die Honoratioren (noch der dänischen Zeit) aufgezählt: es sind der Landschreiber für die Wilstermarsch, der Kirchspielvogt, der Bürgermeister Rehhof, die „Senatoren“ Schwanbeck, Lübbe und Wischmann. Es folgen die Ärzte, 4 an der Zahl, darunter auch Dr. Mencke, von dem noch zu berichten ist. Weiter der Apotheker H. Meyer, der Postmeister Picker, 2 Veterinärärzte und nur 1 Advokat und Notar. Die beiden Gasthöfe, in denen man abstieg oder von denen man mit der Postkutsche abreiste, waren Nissens Gasthof und das Wilstermarschhaus, beide am Markt gelegen. Und dann folgen die Adressen von 117 Bürgern der Stadt. Zunächst Handwerker und Händler. Da gibt es an selbständigen Existenzen: Bäcker (Konditoren) 5, Färber und Drucker 1, Schornsteinfeger 1, Schiffbaumeister 2, Zimmermeister mit Holzhandlung 4, Gerber 5, Klempner 2, Schlachter (mit Viehhandel teils) 4, Schumacher 3, Goldarbeiter 2, Uhrmacher 3, Tabak-„Fabrikanten“ 9, Schmiede 4, Kürschner 1, Stellmacher 1, Schlosser 1, Tischler 2, Gärtner 1, Kupferschmiede 1, Buchdrucker 2, Sattler und Tapezierer 3, Drechsler 1, er war zugleich Schirmmacher, Buchbinder 1. Es folgen die Krämer: Modewaren 3, Colonialwaren 25, Produktenhandlungen 2, Eisenwaren 3, Kornhandlungen 2, Gewürzwarenhandlung 1, Textilien 1, Getreidehandel (Großhandel) 3, Huthandlung 1, Porzellanwaren 1, Viehhandel 3, Korbwaren 1, Glas und Porzellan 1, Weinhandlung 2, Pfeifenhandlung 1 und weiter je 1 in Kunstschleiferei, Siebwarenhandlung, Steinzeughandlung. Dann gab es noch 11 Gastwirte. Es gab da für unsere Begriffe seltsame Kombinationen bei den Krämern, so z.B. „Tabakfabrik und Kolonialwarenhandlung“, „Woll- und Baumwollwaren, Federn und Daunen“, „Schlachter und Viehhändler“, „H. Martens: Colonial-, Eisen- und Siebwarenhandlung, Licht-, Tabak- und Cigarrenfabrik am Markt“. Die Handwerker arbeiteten noch weitgehend nur auf Bestellung, nicht auf Vorrat, das wurde vielmehr extra angegeben, so: „Klempner, Vorrath von Lampen, Blech- und Messingwaren“, „fertige Herrenkleiderhandlung“ (die Konfektion war neu). J.P.A. Schwarck, einer der bemerkenswertesten Bürger des damaligen Wilster, Herausgeber der ersten Zeitung in Wilster, war hier unter folgendem angegeben: „Schulbuch- und Papierhandlung en gros und en detail, Galanterie- und Kurzwarenhandlung, Commissionsgeschäft, Buchbinderei“ am Kohlmarkt. Ein zusammengeschrumpftes Gewerbe: „Peter Schmielau, verfertigt Sandstein-Monumente“. Unter den Gastwirten ragt hervor „Henning Möller, Gastwirtschaft Colosseum Zingelstraße“. Es gibt auch „H. P. Mohr, Photograph, Rosengarten“ und „C. Möller, Stadtmusicus, Querstraße“. Und dann die „Industrie“, abgesehen einmal von den „Tabakfabriken“, unter denen es gibt eine „Lichtfabrik“, dann die Brauereien, so über das Handwerk schon hinausreichend: „Bairischbierbrauerei Peter Lübbe, Neustadt“ und „Dampf-Branntweinbrennerei, Bierbrauerei und Destillation Johs. Lübbe, Johannisstraße“, dann eine „Wattefabrik“ in Krumwehl. Von Lederfabriken offenbar nichts, sie lagen draußen im Landrecht. Der einzige Betrieb, von dem man sagen konnte, dass es sich um eine Fabrik im Anfangsstadiúm handelte, war „Meyfort C. Schmiedemeister (verfertigt landwirtschaftliche Maschinen) Deichstraße“. Und dieser Betrieb wanderte nach Sude bei Itzehoe ab, am 21. Oktober 1875.624) Interessant ist, in welchen Straßen sich die Betriebe befanden. An erster Stelle stand hier die Deichstraße mit 26 Betrieben, es folgten Kohlmarkt mit 19, Markt mit 18 Betrieben. Die alte Seite stand also im Vordergrund. Hier gab es noch in der Haferstraße und in der Zingelstraße je 5. Die neue Seite trat demgegenüber zurück, hier gab es in der Bäckerstraße 11, der Neustadt 10, der Schmiedestraße 7, dem Klosterhof 5, der Johannisstraße 3, je 1 in Blumenstraße, Rosengarten, Göten, Krumwehl. Schließlich gab es noch 1 im Landrecht, 2 im Neuwerk, 1 in der Querstraße. Insgesamt eine Stadt an der Schwelle der neuen Zeit, die sich nur gerade hier erahnen lässt. Die Einbindung Wilsters in ein modernes Verkehrssystem hat in der „Kaiserzeit“ seit 1871 weitere Fortschritte machen können. Durch das sog. „Dotationsgesetz“ vom 8.7.1875 übertrug das Land Preußen seinen Provinzen alle Staatsstraßen zu Eigentum und Unterhalt. Ein Schritt, der zur Eigeninitiative anspornen sollte, wie der preußische Staat einer übersteigerten Zentralisation überhaupt zu begegnen wusste. Die Provinz Schleswig-Holstein schuf sich dann am 26.2. 1879 ein neues Wegegesetz. Die Hauptlandstraßen, so die von Itzehoe über Wilster nach Brunsbüttel, wurde Sache der Provinz, der Kreis erhielt die Nebenlandstraßen zugewiesen, alles andere wurde Sache der Gemeinden. Hauptlandstraßen kamen kaum mehr hinzu, es blieb bei den schon erbauten 69,1 km (Maßeinheit war jetzt das Meter, überhaupt herrschte nun das Dezimalsystem, z.B. 1 Mark zu 100 Pfennig, entsprechend die Raum- und Gewichtsmaße unserer Tage, die damals eingeführt wurden). Dafür wurden nunmehr die Nebenstraßen und Nebenwege ausgebaut, zu Allwetterstraßen, in der Marsch entstanden die sog. „Klinkerchausseen“. Die Länge der Nebenlandstraßen im Kreise wuchs von 20 km 1867 auf 310,3 km 1923, dazu kamen noch die Nebenwege mit zusätzlich etwa 170 km, die freilich zunächst „Feldwege“ blieben. Wilster war jedenfalls jetzt mit allen Orten der Marsch durch gute Straßen verbunden, wurde in seiner Funktion als zentraler Ort der umliegenden Marsch gestärkt. Durch Einrichtung von Omnibusverbindungen wurden die Verbindungen zu den einzelnen Orten rundum weiter gebessert. Mit Itzehoe bestand so eine Busverbindung ja schon, seitdem dieses einen Bahnhof besaß. 1888 verband ein Omnibus Burg in Dithmarschen mit Wilster, seit 1889 gab es die Verbindung Wilster-Beidenfleth-Wewelsfleth. So konnte auch das Postwesen angebaut werden, nachdem der preussische Staat ein entsprechendes Gesetz über das Postwesen erlassen hatte (v. 2.11.1867). Postbestellung gab es nun auch auf dem Lande, jede Gemeinde hatte nun ihre Posthilfs-stelle, erhielt täglich Post. Ab 1900 gab es Itzehoe als Postamt I. Klasse. II. Klasse waren die in Glückstadt, Wilster und Kellinghusen, III. Klasse waren in Krempe, Horst, Lägerdorf und St. Margarethen sowie der Truppenübungsplatz Lockstedter Lager. Darunter gab es noch Postagenturen in den Kirchorten. Vorangetrieben wurde schließlich, letzten Endes entscheidend für Wilsters weiteres Gedeihen auf wirtschaftlichem Gebiet, das Eisenbahnwesen. Der dänische Staat hatte schon 1858 einen in Itzehoe entwickelten Plan über einen Weiterbau der „Marschenbahn“ ohne Resonanz gelassen. Jetzt wurde es anders. „Seit 1875 hatte das Projekt einer Eisenbahn Itzehoe-Wilster-St. Michaelisdonn-Meldorf-Heide die Gemüter auf das lebhafteste erregt. Im Oktober (75) wurde der Glückstadt-Elmshorner Eisenbahngesellschaft die Konzession zum Bahnbau erteilt und sogleich mit den Arbeiten begonnen.“625) Die „Holsteinische Marschenbahn“ war dann am 1. November 1878 fertiggestellt und wurde an dem Tage in Betrieb genommen. Damit hatte Wilster endlich, was für seinen agraren Handel vor allem außerordentlich belebend war, seinen eigenen Bahnanschluss. Der Bahnhof erstand dort, wo sich heute die Meierei befindet, ihm gegenüber lag (und liegt) die Post. Von der Burger Straße her erstand die (damalige) Bahnhofstraße (heutige Taggstraße). Dieser Bahnhof lag zur Stadt sehr günstig. Die Marschenbahn wurde übrigens 1886 nach Nordfriesland verlängert (zuletzt bis Hvidding in Nordschleswig), sie wurde zur Schleswig-Holsteinischen Marschenbahn. Am 27. Januar 1890 wurde sie, die bisher einer Aktiengesellschaft gehörte, auch die Stadt Wilster war beachtlich als Aktionär beteiligt, vom preussischem Staat verstaatlicht (Leitung durch die Eisenbahndirektion in Altona). „Für die Marsch ist dadurch“, durch den Eisenbahnbau, „der Absatz ihrer Produkte“ in den neuen Absatzmarkt, der da nunmehr Deutschland hieß, „bedeutend erleichtert, durch den wachsenden Verkehr gewinnen zugleich die Städte. Im Jahre 1889 führte die Schleswig-Holsteinische Marschbahn von den Stationen Elmshorn bis Wilster, also aus dem Bereich Kremper- und Wilstermarsch reichlich 1400 Pferde, 7000 Stück Großvieh und 12000 Stück Kleinvieh aus.“626) An Projekten für einen weiteren Ausbau des Bahnnetzes hat es nicht gefehlt. Vor allem Itzehoe blieb da sehr rege, erreichte auf die Dauer nur die Verbindung nach Wrist (1889). Ein Eisenbahnprojekt Kiel-Nortorf-Itzehoe-Wilster fiel dem 1. Weltkriege zum Opfer.627) Das Jahr 1914 bedeutete das Ende der Eisenbahnausbauepoche. Der Staat, und nicht nur er übrigens, hat der Stellung der Stadt Wilster als zentralem Ort der Wilstermarsch Rechnung getragen, indem eines der 85 Amtsgerichte, der untersten Instanz im neuen Gerichtssystem, in Wilster seinen Sitz hatte. Die nächst höhere Instanz, das Landgericht (ursprünglich Kreisgericht benannt), hatte für Wilster bis 1878 seinen Sitz in Itzehoe, nach Auflösung des dortigen Gerichts in Altona. Ein Problem war die räumliche Unterbringung, und zwar für Gericht und Gefängnis, das ebenfalls in der Stadt unterzubringen war. 1904 erhoffte sich die Justizbehörde Platz für den Bau eines Gerichtsgebäudes nebst Gefängnis auf dem Areal des alten Friedhofes, über dessen Übergabe an die Stadt die Kirchenbehörde in Verhandlung stand. Schließlich war dann das ehemalige Haus des Pastors Valentin Michaelsen in der Bäckerstraße 1 (heute Sitz des Wilstermarschamtes) das Amtsgericht. Und das Gefängnis wurde - - - das Alte Rathaus. Dieses Bauwerk befand sich schon längere Zeit in nicht gerade guter Verfassung. Schon 1784 erfolgte ein Umbau aus Zweckmäßigkeitsgründen. Neben der Tür gab es seitdem noch eine zweite, die rechts von der ursprünglichen und auch jetzt wieder einzigen eines der dortigen großen Fenster einnahm. Es gab also nur 2 Fenster nach – dem, über denen so 2 kleine Fenster angebracht wurden. Weiter hatte man das ganze Gebäude eintönig gelb angestrichen. Als die Stadt das Doosesche Haus erbte, wurde dieses nicht nur das „Bürgermeisterhaus“, sondern es wurde mehr und mehr auch ein „Neues Rathaus“. Das Alte Rathaus sank immer weiter ab. Die Kämmereistube wurde zuletzt zum Bürgergewahrsam. So bedeutete es nur noch einen weiteren Schritt, als es als Gefängnis eingerichtet wurde. Die Kämmereistube wurde zu 2 Zellen umgebaut für weibliche Gefangene. Der Archivraum war nun Badestube für die Insassen. Die hohe Halle wurde in Höhe des 1. Treppenabsatzes mit einem Zwischenboden versehen, auf dem mehrere Räume errichtet werden konnten. Der obere große Saal gab Platz für 6 Zellen, 4 nach der Au hin und 2 auf die Straße zu, dazwischen ein schmaler Durchgang. Die Gerichtsstube des Rates wurde „Gemeinschaftssaal“, gleichzeitiger Aufenthalt für mehrere Häftlinge. Die linke Tür führte ins Gefängnis, die rechte in die Dienstwohnung des Gerichtsdieners. Die Ratstrinkstube links im Gebäude wurde Wachtraum bei Einquartierungen, die dahinterliegende Kammer wurde Küche.628) Das war ein Tiefpunkt in einer Zeit, in der man sich sonst wohl alter Zeiten gerne entsann, neue staatliche Gebäude gerne im „Renaissancestil“, in „Neugotisch“ bzw. „-romanisch“ erbaute, wie etwa die Post. Aber für wirklich historische Bauten fehlte es vorübergehend an der notwendigen Einstellung. Das musste sogar das Neue Rathaus erfahren. „Das, was wir heute als Front des Bürgermeisterhauses sehen“ schreibt H. Schulz 1932, „ist leider eine böse Veranstaltung; man wollte 1894 wahrscheinlich ein Rathaus haben, das etwas Würdiges nach außen darstellen sollte und verfiel auf den Gedanken, dem Gebäude eine Vorderseite in hannoverscher Gotik vorzusetzen“.629) Man hatte die Fassade ohnehin schon durch einen Putz verunziert. R. Haupt nennt dieses denn auch 1926 „einen ganz abscheulichen und unverantwortlichen Eingriff und Übergriff“, man habe „vor die Schauseite eine neugotische Maske vorgestreckt, die den vormaligen, edlen Eindruck zum Grinsen entstellt.630) So mussten also die beiden schönsten Bauten der Stadt durch ein Wellental der Geschmacksverirrung gehen. Die Gewerbefreiheit, die Preußens Regiment und der Zollverein des ganzen großen Deutschlands mit sich brachten, setzte das Gewerbe dem frischen Wind des Wettbewerbes aus, barg Gefahren, aber auch große, bisher im Handwerk kaum gekannte Möglichkeiten in sich. Hier brauchte es einer neuen, größeren Möglichkeit, Kredit aufnehmen zu können. So erstand, wohl nicht ganz zufällig, im Jahre 1869 der Kreditverein e.G., Wilster bekam seine erste Kreditbank. 1876 kam dann noch eine weitere Sparkasse und zwar gedacht für die Wilstermarsch hinzu. Weitere Banken sollten noch nachfolgen. Wilster war zentraler Ort für die Wilstermarsch, auch was das Geldgeschäft betraf. Im Jahre 1869 entstand noch ein weiteres wichtiges Vorhaben für Stadt und Marsch: ein Krankenhaus, errichtet durch den Sanitätsrat Dr. med. Mencke, es erhielt ihm zu Ehren 1901 den Namen „Menckestift“. Mencke gründete, einsetzend 1867 einen „Verein zur Verbesserung der Krankenpflege“, zeigte der Stadt und seiner Umgebung an, dass Kranke, welche außerhalb der Wohnung eine ihren Leiden entsprechende Unterkunft, Pflege und ärztliche Behandlung wünschten, solche in einem zu dem Zwecke eingerichteten Krankenhause bekommen könnten. Für Aufenthalt, Kost, ärztliche Behandlung und Medizin wurde täglich 1 Mark genommen. Privatzimmer kosteten wöchentlich 10 Mark. Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag und Sonnabend 8-9 Uhr morgens wurde Unbemittelten ärztlicher Rat unentgeltlich erteilt. Bei Gründung des Vereines bestand er, der sich „Krankenverein Einigkeit“ benannte, aus 78 Mitgliedern, Ende des Jahres 1869 waren es 114 Mitglieder. Die Gründung erregte Aufsehen, war in der Folgezeit für andere kleine Städte Vorbild. Dr. W. Mencke wurde schon 1874 zum Sanitätsrat ernannt.631) Das Unternehmen trug sich in der Folgezeit selbst, die Stadt brauchte kaum zu helfen. Im „Verwaltungsbericht der Stadt Wilster 1896 – 1910“ heißt es denn auf Seite 73: „Das im Jahre 1870 von dem Sanitätsrat Dr. med. Mencke hier errichtete Krankenhaus genügte bisher den Anforderungen, wenn sich auch manchmal eine gewisse Beschränktheit des Raumes zeigte. --- Der Kirchenvorstand hat seit dem Jahre 1900 hier 2 Gemeindeschwestern angestellt, die durch freiwillige Beiträge von Verbänden und Privaten unterhalten werden. Die Stadt zahlte in den Jahren 1900-1907 einen jährlichen Beitrag von 200 Mark, ab 1907 von 250 Mark.“ Das Krankenhaus lag von vornherein am Klosterhof. Dann gab es noch seit 1883 das „Dianabad“ in der Bäckerstraße, eine Kureinrichtung mit Dampfbädern, Wannenbädern, Kiefernnadelextraktbädern, Schwefelbädern und Solbädern. 1883 gab es 346 Bäder, davon schon für 22 Nicht-Wilsteraner aus Westholstein. Im folgenden Jahre gab es schon 158 Kurgäste und 109 Passanten. In der Folgezeit (1884) gab es dann Eisenmoor- und Stahlbäder, Fichtennadel-, Schwefel-, Sol-, Seesalz-, Mutterlaugen-, Dampf-, Hydrats-, Hanamelis-, Schweizer Gicht-, und schlicht Wannen- und Duschebäder. Die Kurzeit war 2 Wochen. Ein begeisterter Kurgast schrieb, vielmehr komponierte „Erinnerungen an das Dianabad, Festmarsch“, er war ein Turner, „für Pianoforte“; er war aus der Stadt Nürnberg gekommen.632) Und noch in einer Hinsicht erwies sich Wilster damals als zentraler Ort, wurde in dieser Hinsicht auch von der Kreisverwaltung gleichsam honoriert. Otto Neumann schreibt hierzu:633) „1887 wurden unter preußischer Herrschaft unsere Landkreise eingerichtet, so auch unser Kreis Steinburg. Er war der Nachfolger des jahrhundertealten Amtes Steinburg, an dessen Spitze der Amtmann stand. An die Spitze des Kreises Steinburg trat der Landrat. Vor 1867 waren in den Dörfern die Bauernvögte, die Kirchspielvögte, die dafür sorgten, dass die Anordnungen des Amtmannes bekannt wurden. In noch früheren Zeiten wurden die Anordnungen des Königs und des Amtmannes von dem Pfarrer nach der Predigt von den Kanzeln verlesen und dann noch an die Kirchentüre geschlagen. Leichter aber hatte es der Landrat nach 1867. Es wurde ein amtliches Organ herausgegeben: „Kreis- und Anzeigeblatt für den Kreis Steinburg“. Dieses Blatt erscheint mittwochs und sonnabends. Bestellungen nehmen alle Postämter und Landbriefträger entgegen. Abonnementspreis vierteljährlich 4 Sgr. Incl. Post- und Stempelgebühren, frei ins Haus. Gedruckt und verlegt wurde es bei J.P.A. Schwarck in Wilster. „Hier wurden gedruckt Landrätliche Bekanntmachungen, allerlei Nachrichten aus der weiten Welt, Correspondenz-Artikel und heimatliche Anliegen. Bis in die 90ger Jahre wurde das Blatt gedruckt, das also nicht nur Kreisnachrichten brachte, sondern zugleich Publikationsblatt für Wilster und Wilstermarsch war.“ Seine Fortsetzung, nunmehr ausschließlich als Publikationsorgan für eben diesen Bereich, fand es dann in der Folgezeit als „Wilstersche Zeitung“. Und als solche hat es sich bis auf den heutigen Tag gehalten, ganz im Gegensatz zu anderen einst gleichgestellten Zeitungen, wie z.B. Glückstädter Fortuna, Elmshorner Rundschau, Horster Rundschau, Brunsbütteler Rundschau, Marner Zeitung usw., die es alle in dieser Form nicht mehr gibt. J.P.A. Schwarck war auch in anderer Hinsicht für Wilster ein bemerkenswerter Mann. Er war 36 Jahre lang (seit 1872) in der städtischen Selbstverwaltung ehrenamtlich tätig, 24 Jahre lang (seit 1884) als Stadtrat, teils als Beigeordneter. Am 26. Febr. 1908 schied er freiwillig aus dem Amt, die dankbare Stadt machte ihn zum Ehrenbürger. Gemäß der neuen Städteordnung von 1869 und dem Ortsstatut, welches sich Wilster zu geben hatte, stand an der Spitze der Stadtverwaltung hauptamtlich und auf 12 Jahre gewählt der Bürgermeister, der vom Staate aus zugleich Polizeiverwalter und Amtsanwalt beim hiesigen Amtsgericht war. Das Gehalt betrug 1880 1350 Mark, dazu Dienstaufwand noch 450 Mark, dann hatte er (Bürgermeisterhaus) Dienstwohnung, Garten und Weideland. Am 11.2.1870 wurde mit 148 der 215 abgegebenen Stimmen der Hauptmann a.D. Hinsching zum Bürgermeister gewählt; 1878 wurde Th. E. Gerling auf 12 Jahre gewählt, jedoch folgte ihm schon 1885 C. Rönnebeck im Amt. Carl Rönnebeck schied 1897 nach vollendeten Amtsjahren aus. Es folgte Georg Zülch, der 1903 sein Amt niederlegte, um 2. Bürgermeister in Allenstein zu werden. So folgte ihm durch Wahl vom 15. Mai 1904 Christian Dethlefsen als Bürgermeister nach, ein Glücksfall, denn der fähige Jurist und Verwaltungsfachmann ließ sich nicht für besser dotierte Ämter abwerben. Er hatte seine Stellung als Bürgermeister der Stadt bis 1932 inne. Als ehrenamtlichen Magistrat hatte Wilster 3 „Stadträthe“, einen Beigeordneten (der den Bürgermeister vertrat), dann noch 2 weitere Stadträte, gewählt für 6 Jahre, sie erhielten eine Dienstaufwandentschädigung von (so 1890) je 100 Mark. Ihnen als beschließendes Gremium zur Seite stand das „Stadtverordneten-Collegium“ von 8 von den wahlfähigen Bürgern gewählten Vertretern. Sie erhielten für ihre ehrenamtliche Tätigkeit nichts.634) Zur Bearbeitung der verschiedenen Anliegen gab es „städtische Commissionen“ (Ausschüsse also) für: 1. Brand und Einquartierung, 2. Kämmerei, 3. Bau und Feld, 4. Schulwesen, 5. Armenwesen. Dabei blieb es zunächst. Nach 1896 kamen noch hinzu 6. Gesundheit, 7. Abfuhr und 8. Beleuchtung. Die Entwicklung der städtischen Selbstverwaltung hin zu demokratischen Formen förderte den Bürgersinn, die verkehrsbedingte größere Abgeschlossenheit veranlasste geselligen Zusammenschluss vielfältiger Art, da sonstige Anregungen etwa durch die Massenmedien weitgehend fehlten. So gab es für die „Gebildeten“ und Gleichgestimmten den Bürgerverein, der in 2 Semestern dem „Trieb nach Bildung“ nachkam, der „bei uns als sehr in den Windeln liegend zu bezeichnen“ sei. Die Gründung eines naturwissenschaftlichen Vereins war nämlich 1869 abgelehnt worden. Da gab es Vorträge aus eigenen Reihen wie 1871 „Aus Wilsters Vergangenheit“, „Die Tätigkeit der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“, „Aus der modernen Statistik“, „Über Grund und Grad der Strafe“, „Das Musikdrama“, 1876 etwa „Geschichtl. Und geogr. Betrachtungen über die s-h. Westküste“, „Von den Säulen des Herakles bis zum Bosporus“ oder „Napoleon auf Elba“. 1876 gab es dann daneben den Bürgerclub, mehr praktischer ausgerichtet, aber auch er um Weiterbildung bemüht. In beiden Vereinen aber wurden Anliegen des Gemeinwesens diskutiert, wurden Anträge gestellt, Kommissionen gebildet, wurde immer wieder der Denkanstoß gegeben, der dann von der kommunalen Selbstverwaltung aufgegriffen wurde. So informierte man sich durch Lehrer A. Claussen 1870 über die Neuorganisation des städtischen Schulwesens. Es gab noch immer 1880 die 3-klassige Knabenschule, die jetzt auch 3-klassige Mädchenschule, die eine Elementarklasse, dazu je eine Privatschule für Jungen und Mädchen. 1890 gab es weiterhin die 7 Klassen für 166 Schüler und 205 Schülerinnen. Daneben jetzt nur eine gemeinsame Privatschule für Jungen und Mädchen von Fräulein Nissen mit 35 Schülern. Sie war da für diejenigen Schüler, die mit der Volksschule kein Genüge fanden, „Höhere Töchter“ und Knaben, die einmal auf eine weiterführende Schule sollten. 1873 verließ Rektor Reinh. Ludw. Ernst Heyer die Schule, nachdem er noch vorher die Doosesche Bibliothek gefährdet hatte. Er wollte die alten Werke mit wertvollen Kupfern veräußern, um dafür moderne Schulbücher zu kaufen, wobei er auf zähen Widerstand der Lehrer stieß, der anscheinend teilweise Erfolg hatte. Mit ihm verließ der letzte Studierte die Schule, neuer Rektor wurde der erste „Seminarist“, der diese Stelle innehatte, H. Sönnichsen. Schon 1870 beschäftigte sich der Bürgerverein mit der Frage einer Errichtung einer Fortbildungsschule für Handwerker. Diese erste Berufsschule sollte als Sonntagsschule anfangen. Ein Komitee wurde gebildet, welches „alle dafür Interessierten“ zum 15. März 1874 zu einer Versammlung einlud. Im Mai des Jahres hatte sich der Verein dafür konstituiert, und am 4. Oktober 1874 wurde die „Fortbildungsschule“ feierlich eröffnet.635) Ein anderes Thema war das Feuerlöschwesen. Es müsste an die Stelle der alten allgemeinen ungeschulten Bürgerfeuerwehr, die es noch immer gab, eine aus Freiwilligen treten, die monatlich einmal übten, wie Photograph Mohr im Bürgerverein forderte. Der Vertreter des Turnerbundes teilte dazu mit, dass die Turner dazu bereit seien, wenn die Bürger einwilligten, eine Freiwillige Feuerwehr zu bilden. Der Bürgerverein bildete auch hier eine Kommission, der Bürgermeister wurde gewonnen, Informationen aus Kiel und Zwickau, wo derlei Feuerwehren schon bestanden, eingeholt. So erstand schon 1870 in Wilster die Freiwillige Feuerwehr. Eine weitere als dringend angesehene Angelegenheit war die Versorgung mit besserem Trinkwasser. J.P.A. Schwarck stellte den Antrag „Röhrenbrunnen“ zu erstellen, eine „für unsere Stadt außerordentlich wichtige Angelegenheit“ (1871). So erstanden bis 1876 6 kommunale Röhrenbrunnen, je einer in der Marktstraße, Kohlmarkt, Hofstelle, Bäckerstraße, Neumarkt und Zingelstraße. Dieses Wasser war gewiss nicht gut, jedoch besser als das immer mehr gesundheitsschädigende aus der Au. Dann gab es noch zahlreiche weitere Themen. Man war bestrebt vor jeder öffentlichen Sitzung beider Stadtkollegien eine eigene Versammlung abzuhalten, um zu beraten über Dauer des Marktes, Entwässerung des Kirchhofes, Schulneubau, Umgang mit den neuen Maßen und Gewichten, die Kirchensteuer, ev. Neuwahlen für Stadt- und Kirchenvertreter, einen Verschönerungsverein usw. Ein reges Vereinsleben kennzeichnete überhaupt das Stadtleben. Da gab es musikalische Darbietungen der Liedertafel, oder auf Veranstaltungen, die vom Bürgerverein vermittelt wurden, die Kräfte von auswärts hierfür gewannen, oder es sind einfach Gaststätten, die dieses tun. 1883 gibt es ein Wilsterscher Musikkorps. 1889 fand das Sängerfest der Liedertafeln in Wilster statt, 12 Vereine mit 350 Sängern waren beteiligt. Theaterensembles erschienen und wirkten in der Stadt, Cirkusse gastierten. 1888 bildete sich der Club „Gemütlichkeit“, der keine geistigen Ansprüche stellten wollte, nur Geselligkeit pflegen wollte. Kegelbahnen gab es in vielen Lokalen, 1872 gab es die „Ringreiter-Gesellschaft in Wilster“. Und dann war da der Turnverein, der sich nun Turnerbund nannte. 1880 entstand dann ein zweiter Turnverein, der Männer-Turn-Verein, der auf die Dauer Sieger blieb. 1883 zum Fest des dreijährigen Bestehens lud er auch „die ehemaligen Angehörigen des Turnvereins von 1861“ ein zur Fahnenweihe. 1884 war sodann die „Gauturnerstunde“ in Wilster. 1888 gab es auch einen Frauenverein „Marsia“, der bei Gründung 40 Mitglieder hatte, 1889 wird der „Verein vom Roten Kreuz“ erwähnt. Ein „Liberal-kirchlicher Verein“ wirbt für „liberales Christentum“, trifft bei den Gebildeten auf reges Interesse, ein Lehrerverein vertrat Berufsinteressen als Teil eines „allgemeinen s.h. Lehrervereins“, ein Geflügelzuchtverein (1883) will wirtschaftlichen Zwecken dienen. Großen Zuspruch und allgemeinen öffentlichen Rückhalt hatten auch die verschiedenen Kriegervereine. Da gab es den „Verein der Schl.-Holst. Kampfgenossen“, die Soldaten der Erhebung 1848-51. Es war ein allgemeines Volksfest, wenn sie des Jahrestages der Erhebung gedachten. Zum 25. Jahrestage 1873 bildeten den Umzug durch die Straßen: Feuerwehr als Spitze, Wagen mit den Invaliden, Musiker, die „Kampfgenossen“, die Prediger, die städtischen Kollegien, der Kriegerverein von 1870, Trommler, die Bürgergilde, die Liedertafel, die Schiffergilde, der Bürgerverein, ---- . Schon damals stand auf dem Kirchhofe ein Denkmal für die Erhebung. Schon im Oktober 1871 hielt der Kriegerverein von 1870/71 seine erste Versammlung ab, bald hatte man auch seine Fahne, wie es sich für einen Verein damals unumgänglich gehörte. Die Soldaten, die nach 1870 dienten, keinen Krieg mitgemacht hatten, bildeten 1883 einen „Militärverein“.636) Der errungenen Einheit und nationalen Freiheit entsann man sich immer wieder sehr. So erstand das Ehrenmal der Krieger von 1870/71 auf dem Neuen Kirchhofe ebenfalls und 1898 dort noch eine Doppeleiche zur Erinnerung an die 50. Wiederkehr der Erhebung von 1848.637) Wichtigste Einnahmequelle für die Bürgerschaft war nach wie vor die Landwirtschaft der Wilstermarsch. Verständlicherweise, wenn man die Fruchtbarkeit des Marschbodens berücksichtigt. Der preußische Staat hatte in den 70er Jahren eine Bodenuntersuchung zum Zwecke realer Grundsteuereinschätzung durchführen lassen. Ergebnis: die Geestböden des Kreises wurden (im Durchschnitt) auf 3,1 Tale je Hektar geschätzt, die Marschböden aber auf entsprechend 14,3 Taler.638) Dabei war gerade in der Wilstermarsch ein folgenreicher Wandel in der Bodennutzung eingetreten. „Am meisten tritt das Ackerland in der Wilstermarsch zurück“, schreibt 1926 Landwirtschaftsschul-direktor Wilhelm van der Smissen639) und weiter: „Ehemals ist auch hier eine umfangreichere Ackerwirtschaft betrieben worden. Auf einer großen im Besitz des landwirtschaftlichen Kreisvereins für den Kreis Steinburg befindlichen Karte im Maßstab 1:25 000, auf welcher die einzelnen Grundstücke so gekennzeichnet sind, wie sie Mitte der 1870er Jahre für die Grundsteuer eingeschätzt wurden, sieht man, wie damals große zusammenhängende Flächen der Wilstermarsch , die heute in Weide liegen, als Ackerland behandelt worden sind. Es scheint damals alles genügend hohe und pflugfähige Land unter dem Pfluge gelegen zu haben.“ 1907 waren in der Wilstermarsch dann nur noch 33,6 % Ackerland, dagegen 64,4 % Wiesen und Weiden.640) Dieser Prozeß hat sich seitdem fortgesetzt. Rotbunte Rinder und Pferde des holsteinischen Schlages wurden immer mehr „so recht der Schwerpunkt der ganzen Wirtschaft, der Stolz und die Freude des Landmannes“.641) Große Erfolge hatte man mit der Rinderzucht. „Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts begann man – mit der Einführung von Shorthorns aus England, um besonders die Form der Rinder zu verbessern. Die im Jahre 1863 in Hamburg abgehaltene internationale Viehausstellung richtete die Aufmerksamkeit mancher Züchter auf die Shorthornzucht, und ---- in den Elbmarschen fing man an, mehr und mehr mit Shorthorns zu kreuzen“.642) „In früherer Zeit standen zur Förderung der Rindviehzucht lediglich größere Staatsbeihilfen als Tierschaupreise zur Verfügung, ---- Viele Tierschauen sind seinerzeit abgehalten worden, um dieser Preise nicht verlustig zu gehen.“643) So gab es auch einen Tierschauverein in der Marsch um Wilster. Die Tierschauen fanden in Wilster statt, meinst ein öffentliches Ereignis. Die von 1870 fand am 6./7.Juli statt, endete mit Verlosung und Feuerwerk. Ausgestellt waren 10 Hengste, 26 Bullen, 36 Mutterstuten, 22 dreijährige Pferde, 5 noch jüngere Pferde und 98 Stück Hornvieh. 33 Stück von letzteren gingen nach Gumbinnen in Ostpreußen, andere nach Schlesien und Frankreich.644) Die Weiterentwicklung ging dann vom „Wilstermarsch-Verein“ aus, welchen patriotische Männer schon 1835 ins Leben gerufen hatten. Er führte 1876 für den Bereich der Wilstermarsch die Führung eines Herdbuches ein. Man begann also mit wirklich planmäßiger Zucht.645) 1875 erfolgte schon der Anschluss des alten Tierschauvereines an den „landwirtschaftlichen Verein für die Wilstermarsch“, der nun die Tierschauen auf dem Colosseumsplatz in eigener Regie führte. Niemals vorher und später war Wilster mehr geprägt durch solche Tierschauen als in jenen Jahrzehnten. Der Geburtstag des Landwirtschaftlichen Vereins war der 15. Juli 1871 im Wilstermarschhause in Wilster.646) Neben der Rinderzucht stand die Pferdezucht.647) Jahrhundertelang wurden Holsteiner Pferde exportiert, Niederländer und Franzosen, auch deutsche Staaten kauften sich Militärpferde in Holstein. Sie kamen auch stark aus den Marschen. Hier vor allem wurde dann auch das Holsteiner Pferd gezüchtet, in dem man den einheimischen Schlag mit Vollblut aus England kreuzte (bis 1835), wobei vor allem die Kremper Marsch führend war.648) Organisation wurde der Verband der Pferdezüchter in den holsteinischen Marschen. Die Pferde wurden als „Remonten“ gerne vom Militär genommen. Es lohnte sich, auf diesem Gebiete tätig zu sein, auch in Wilster. Hier blühte der Pferdehandel besonders in den letzten Jahren vom dem 1. Weltkriege. Die überragende Persönlichkeit war hier Heinrich Auhage, der größte Pferdehändler der Stadt. Er verkaufte Hunderte von Pferden in alle Welt von Wilster aus, an den britischen Hof oder an den Zaren etwa. Groß war sein Geschäft mit Remonten für das heimische Heer. Sein Anwesen lag in der Neuen Burger Straße. Insgesamt besaß er 16 Höfe. Als nach dem 1. Weltkrieg das Reich mit seinen Verpflichtungen in Verzug geriet, in kürzester Zeit eine große Anzahl von Pferden zu liefern, hat er vollbracht, was kaum einer für möglich hielt. Er starb am 14. September 1928, in einer Zeit, als das Geschäft mit Holsteiner Pferden wohl noch bestand, aber seinen Höhepunkt wohl überschritten hatte. Dadurch dass die Wilstermarsch immer mehr zu fast reiner Viehzucht übergegangen ist, hat man auf den Höfen an Menschen einer gespart, auf dem Lande hat denn auch die Marschbevölkerung nur noch gering zugenommen. Andererseits waren die Geburtsraten noch hoch, während die Sterblichkeitsrate sinkend war. Als 1892 die Cholera zum letzten Mal nach Hamburg eingeschleppt wurde, gab es im Kreisgebiet nur noch einige Fälle in Lägerdorf und Rethwisch. Wilster war nicht betroffen. Die Malaria hörte im Kreisgebiet auch in den Marschen nach 1887 auf. Diphterie erscheint seit 1862 in den ärztlichen offiziellen Listen. Der Kreis war in „Physikate“ eingeteilt. Im Physikat Wilster gab es 1868 22 Erkrankungen mit 1 Todesfall. 1869 war in Wilster ein starkes Scharlach-Jahr. Man hatte gelernt, die Krankheiten unter Kontrolle zu bringen. Dabei waren für heutige Begriffe die Geburtenraten hoch. In Wilster wurden auf 1000 Einwohner lebend geboren 28,5 im Jahre 1872, 1883 waren es 28,6, 1893 gar 35,3, um 1910 auf 24,7 zu „sinken“. Die Säuglingssterblichkeit war allerdings recht hoch, sie betrug in Wilster zwischen 1870 und 1880 22 %. Eine andere Geißel war die Schwindsucht. In Wilster starben an ihr 1875-80 42, an Krebs nur 14.649) Es wurden in Wilster 1895 217 geboren bei 78 Todesfällen, ein hoher Überschuss also. 1910 waren es 120 Geburten bei 96 Todesfällen. Interessant auch das Alter, in dem die einzelnen starben. 1896 starben 27 bis 5 Jahre, 4 bis 10, 2 bis 20, 6 bis 30, 2 bis 40, 3 bis 50, 4 bis 60, 13 bis 70, 9 bis 80, 6 bis 90 und 2 bis 100 Jahre.650)
Einer stark wachsenden Bevölkerung musste ein Wachstum der Arbeitsmöglichkeiten entsprechen. Geschah dieses nicht oder doch nicht in ausreichendem Maße, wie es einer damals jungen Industrienation wie der Deutschen noch der Fall war, trat etwas ein, welches man damals auch wohl den Pauperismus genannt hat. Er zeigte sich auch in Wilster. So bildete sich 1883 in der Stadt ein Verein gegen Bettelei. Er wollte Notleidenden helfen und vom Betteln abhalten. Es wurden innerhalb von 3 Monaten des Jahres 764 Personen mit zusammen 277 Mark unterstützt, weitere 149 wurden abgewiesen. Bei etwa damals 2500 Einwohnern war es eine Anzahl also, die 1/3 der Bevölkerung entsprach. Doch waren die Quanten je Monat variabel, für Januar 1883 also 300 Personen, für den Februar 285 usw. Es konnten immer einmal wieder dieselben sein, auch waren wandernde Handwerker in größerer Zahl dabei. Die Bedürftigkeit war jedoch ohne Frage groß, die Belästigung der Bevölkerung durch Betteln ebenfalls. Der Unterstützungssatz wurde auf 30 Pfennige pro Person festgelegt. „Wir bitten die Mitglieder dringend“, so ersuchte der Verein, „der statuarischen Verpflichtung, keinem fremden Bettler etwas zu geben, pünktlich nachzukommen. Es ist dies der einzige Weg, die vagabundierenden Bettler aus unserem Distrikt zu entfernen.“ Es waren Arbeiter, Schlachter, Bäcker, Schuhmacher, Maler, Tischler, Maurer; die ganze Skala des Handwerks tat sich da auf. Insgesamt wurden 1883 unterstützt 1830 Personen, 1881 waren es 2380 und 1882 2438 Personen. Wandernde Arbeitssuchende, die in Wilster übernachteten, gab es im 3. Vierteljahr 1883 dort 296.651)
Das Land und mit ihm Wilster vermochte nicht allen, die da heranwuchsen, Arbeit und Brot zu geben. So war Auswanderung das damalige wichtigste Ventil. Amerika war das begehrteste Ziel. Hamburg vor allem war der Auswanderungshafen. In Inseraten in Wilsters Zeitung wird geworben. Es heißt dort etwa: „Billigste und schnellste Auswanderer-Beförderung nach dem Westen Nordamerikas (wöchentlich zwei Mal) vermittelst der berühmten Postdampfschiffe der Allan-Linie via England und Quebek ---„ oder ein Jahr später (1872): „Kürzester Weg, billigste und schnellste Auswanderer-Beförderung nach dem Westen Nord-Amerikas, wie nach Chicago, Detroit, Milwaukee, Cincinnati, St. Louis, Oklahoma, Kansas City, San Francisco, sowie nach New York, Quebek, Boston, Portland und Baltimore ….“ Es sind zunächst meist Briten, die dieses Geschäft betreiben. 1883 hat Wilster eine Agentur für Auswanderer, eine deutsche. „Direkte Deutsche Dampfschifffahrt zwischen Hamburg und New York vermittelst großer, neuer, eiserner Schrauben-Dampfschiffe. Anerkannt beste Zwischendecks-Einrichtungen. Billige Überfahrtspreise. Vorzügliche Verpflegung. Abfahrt zweimal monatlich. Nähere Auskunft erteilen nur die obrigkeitlich befugten Schiffs-Expedienten Morris und Co. Hamburg, sowie Fritz Ehlers in Wilster. 1884 hat dann auch die HAPAG eine Agentur in Wilster.652)
Die Bedrängten, die im Lande blieben, wehrten sich. Auch in Wilster entwickelte sich eine Arbeiterbewegung, wie aus der Zeitung der Stadt zu ersehen ist. 1873 gab es einen „Baugewerk-Verein“, der zu einer Versammlung aufrief. Thema: Verhandlung über beanspruchte Lohnerhöhung der hiesigen Zimmerer- und Maurer-Gesellen. Neben der Gewerkschaftsbewegung erweckte die Sozialdemokratische Partei (SPD), die sich parallel bildete, Aufmerksamkeit. Besonders zahlreich waren Aufsätze zum Thema aus dem Jahre 1877. Da hieß es: „Ein Volksstaat – Die Gesellschafts-organisation der Sozialdemokratie“, „Mitarbeit der Kirche an den sozialen Fragen der Gegenwart“, „Eugen Richter gegen die Sozialdemokratie“ usw.653) Am 21.10.1878 gab es dann einen Rückschlag. Reichskanzler v. Bismarck setzte das sog. Sozialistengesetz durch, wodurch alle sozialistischen vereine, Versammlungen und Druckschriften verboten wurden. Die Sozialdemokratie ging durch eine Verbotszeit, die bis 1890 dauerte, aus der sie aber gestärkt hervorging. In diese Verbotszeit fällt andererseits die international vorbildliche deutsche Sozialversicherung. 1883 wurde die Krankenversicherung eingeführt. Ihr folgten 1884 die Unfall- und 1889 die Invaliden- und Altersversicherung. Man hatte sich bis dahin mit privaten Kassen geholfen. So entstand schon am 21. Mai 1866 die Witwen- und Sterbekasse zu Wilster, die 1874 mit ursprünglich 52 auf 172 Mitglieder im Jahre 1883 stieg. Aufgenommen wurde, wer das 45. Lebensjahr noch nicht überschritten hatte.654) „Eine Krankenkasse auf Gegenseitigkeit `Hoffnung` besteht seit 1891, hat reichlich 100 Mitglieder“, berichtet der Verwaltungsbericht der Stadt, weiter aber auch, dass sich auch die Betriebe ihrer Belegschaften durch Gründung von Betriebskrankenkassen angenommen hatten, nämlich die Gerbereien „Falk und Schütt“ und „Gebrüder Böhme“. Schließlich noch der knappe Vermerk: „Seit 1885 besteht hier eine Ortskrankenkasse“.655) Auch die anderen Versicherungen wirkten sich aus. 1896 wurde die Unfallversicherung in 15, 1900 in 26 Fällen betroffen, Quittungskarten der Alters- und Invalidenversicherung wurden ausgestellt 1896 646 und 1900 dann 779. Daneben wirkten und vermehrten sich weiterhin die Legate, welche in der Geschichte der Stadt so viel Segen gestiftet haben. 1864 gab es die Kühlsche Armenstiftung (ein Grundstück und 50 000 Mark. 1894 stiftete Emil Tetens für Witwen und Waisen 10 000 Mark, 1906 stiftete Stegemann für alte bedürftige Leute 47 000 Mark und ein Grundstück.656) Beachtenswert war auch, was die Geschwister Reichsgerichtsrat Wulf Tagg und seine Schwester Ida Caroline Friederike Tagg, die beide in Kiel im Jahre 1914 verstarben, ihrer Geburtsstadt Wilster (ihr Vater Dr. Heinrich Ludwig Tagg war hier bis zu seinem Tode Arzt) stifteten zur Unterhaltung bedürftiger Personen, die nicht öffentliche Armenunterstützung erhielten, dann zur Aufbesserung der Renten von Insassen der Stifter und Gasthäuser (Armenhäuser) der Stadt. Insgesamt waren es rund 200 000 Mark, welche die Stadt nach Abzügen und Verpflichtungen so erhielt. Später wurde die Bahnhofstraße in Taggstraße umbenannt, nachdem der Bahnhof verlegt worden war.657) Die Industrialisierung des Wilsteraner Raumes hatte gerade in den ersten Jahrzehnten der preußischen Zeit erhebliche Fortschritte gemacht. Freilich geschah dieses weniger in der räumlich beengten Stadt, zu eng waren ihr die Grenzen gezogen worden, zu gering war der Raumgewinn gewesen, welcher bis dahin von der Stadt erzielt werden konnte. Die Industrie entwickelte sich dafür im Landrecht, der Fortsetzung der Siedlung Wilster jenseits der Stadtgrenzen, entlang der Straße, welche noch heute den Namen Landrecht führt. Nikolaus Böhme hatte hier um 1850 mit 4-5 Leuten einen Gerbereibetrieb begonnen.658) Der Betrieb wurde nach und nach vergrößert. Ende der 70er Jahre wurde die Roßlederfabrikation aufgenommen und nunmehr fabrikmäßig betrieben. In den Jahren 1880-1890 erfolgte dann ein gewaltiger Aufschwung, es wurden bis zu etwa 350 Arbeiter beschäftigt. Die Konjunktur in der Fabrikation von lobgarem (?) Roßleder (vegetabilische Gerbung) hielt dabei bis etwa 1900 an. Ein weiterer Gerbereibetrieb wurde 1873 durch Johannes Falck ebenfalls im Landrecht gegründet. 1883 trat M. Schütt als Compagnon bei, daher der Firmennahme „Falck und Schütt“, Lederwerke G.m.b.H.“ „Es werden in der Hauptsache Chkrom-Roßchevreau und Chrom-Roßbox hergestellt.“ Auch diese Firma nahm einen erfolgversprechenden Aufschwung. 1899 waren hier 354 tätig, bei den Gebrüdern Böhm 320 Arbeiter.659) Den Wohlstand der Fabrikanten zeigt uns andeutungsweise noch heute die „Villa Schütt“ (Etatsrat Michaelsen-Straße), welche ihr Besitzer 1896/97 errichten ließ. Stolz berichtet der Bauunternehmer Hermann Kruse über das Bauwerk, wir sagen heute „im wilhelminischen Stil“, daher errichten durfte: „Vom 1. März des Jahres“ 1896 „bin ich speziell mit der Ausführung einer herrschaftlichen, mit allem Comfort der Neuzeit (Niederdruck Wasserheizung, Wasserleitung, elektrische Lichtanlage) ausgestatteten Villa für den Fabrikanten M. (Markus) Schütt hierselbst betraut, welchen Bau ich bis zum 1. Januar 1897 zu beendigen gedenke. Wilster, d. 15. Oktober 1896. Hermann Kruse.“ Die Siedlung Wilster diesseits und vor allem jenseits der Stadtgrenzen wurde immer mehr in jener Zeit eine Industrie- und Arbeitersiedlung. Dieses schuf eine neue Situation. Bäuerlicher, landrechtlicher Widerstand gegen eine Eingemeindung wurde beinahe utopisch. So ist es denn am 1. Juli 1896 zu der bisher größten Eingemeindung in die Stadt Wilster gekommen. „Eingemeindet sind --- von der Gemeinde Landrecht 1316 Personen, von der Gemeinde Dammfleth 145 Personen, von der Gemeinde Nortorf 621 Personen“, ein erheblicher Zuwachs. Die Stadt Wilster zählte denn auch 1900 5124 Einwohner.660) Das war in der Vorweltkriegszeit der Höhepunkt. Hinzu kamen die beiden Straßenzüge Landrecht und gegenüber Hinter der Stadt Straßenzüge, an denen viele Arbeiter wohnten. Weiter die Fortsetzung des Landrechts, die Rumflether Straße und dem Deich, weiter der heutige Straßenzug, damals Chaussee nach Burg, die Neue Burger Straße. Weiter kam hinzu ein Gebiet jenseits der Dammflether Brücke, weiter die Lange Reihe und der Bischofer Deich. Das Areal der Stadt wuchs auf nunmehr 185 ha 2 a 2 qm an. Verglichen mit anderen Städten, etwa Itzehoe, ist dies auch nunmehr nicht zu viel, aber die Zeit der großen Beengung war nunmehr Vergangenheit. Durch Beschluß der städtischen Kollegien wurde die Anzahl der Stadtverordneten nunmehr auf zunächst 12 erhöht, so am 4.12.1896. Etwas änderte sich trotz Zensuswahlrecht, das ja vor allem Arbeiter ausgeschlossen hatte, nun auch die Zusammensetzung des Stadtparlamentes. Bis 1896 saßen in ihm 5 Handwerksmeister und 3 Kaufleute, ein typischer Querschnitt für die alte Stadt. Jetzt wurde am 11.2.1898 gewählt der Gerber-arbeiter Hugo Werlich, der noch im selben Jahre ausschied und dem Zimmermann Cl. Junge Platz machte. Zu mehr allerdings schaffte es die Arbeiterbewegung angesichts der Umstände noch nicht.661)
Übrigens gehörte die Kirche Wilsters ebenfalls zur Stadt. Mit der einsetzenden preußischen Zeit war für derlei Enklaven, die sich da zähe durch die Jahrhunderte gehalten hatten, kein Platz mehr. Krumwehl war übrigens schon 1870 (zusammen mit der Langen Reihe) eingemeindet worden.662) Doch zurück zu den Beziehungen der Kirche zum Gemeinwesen. Dieses war nach wie vor ein praktisch rein evangelisch-lutherisches geblieben. Die alte Stadt zählte von 3046 Einwohnern im Jahre 1895 ganze 26 Katholiken, 1 war Mitglied einer Sekte, ohne Glauben gab es keinen, Juden ebenfalls nicht. Und 1900 nach Hinzufügung zahlreicher Arbeiter, die teils von auswärts zugezogen waren, gab es von den 5124 noch immer 5071 Evangelische, nur 48 Katholiken, der Sektierer war verschwunden, Juden gab es weiterhin nicht, aber doch 3 Glaubenslose.663) Kirchennachrichten waren für die Zeit: 1876/77 wurde das Archidiakonatgebäude abgerissen und neugebaut, 1897 wurde das Diakonathaus Burger Str. 2 verkauft, dafür Bahnhof-(Tagg-) Str. 7 gekauft. 1899 erfolgte die Einrichtung einer Gemeindepflegestation, 1905 der Bau einer Kirchenheizung. Wichtig war, dass am 22. Oktober 1893 das Kirchspiel in drei pfarramtliche Geschäftsbereiche eingeteilt wurde, dass die Amtsbezeichnungen Archidiakonus und Diakonus verschwanden, dafür gab es seitdem den 1. und 2. Kompastor. Mit dem Kommen der Preußen gab es auch eine neue Kirchenverfassung. Kirchenhauptleute und Geschworene verschwinden. Auf Grund der Gemeindeordnung vom 16. August 1869 wurde im Oktober darauf schon ein Kirchenkollegium gewählt, auch die von Kirchenältesten. Kirchenälteste gab es 5, Kirchenvertreter 18. Auch hier gewiß eine Wendung hin zu mehr Demokratie.664) Auch für die Schule änderte sich einiges in bezug auf das Verhältnis zur Kirche. Am 19. Oktober 1896 wurden die Lehrerämter von dem ursprünglichen Charakter als kirchliche Ämter gelöst. Das geschah auf Veranlassung der Kirchenbehörde. Den Beschluss fassten Regierungsvertreter, Kirche, Schule und Stadt gemeinsam. Die kirchliche Behörde verzichtete auf das Eigentumsrecht auf die Schulhäuser zugunsten der Stadt. Die Stadt übernahm dafür fortan die Besoldung der Lehrer.665) Auch der alte Kirchhof ging in dieser Zeit in die Hände der Stadt über. 1892 tauchte der Plan auf, den Platz, mehr war es damals schon nicht mehr, der Stadt zu übergeben, aber der Kirchenvorstand lehnte noch ab. Die umfassenden Gräben wurden seit 1885 etappenweise zugeworfen. Auch für die Entwässerung konnte die Stadt geradestehen. 1897 wurde der Platz dem „Verschönerungsverein“ Wilsters übergeben. Schon 1896 war der „Steindamm“ rund um den alten Kirchhof entfernt worden, ein Kiesweg war an die Stelle getreten. Bei den ungeklärten Verhältnissen drohte der Platz zeitweilig zu einem Schuttabladeplatz zu werden, auch war er Hühnerweide und Ledertrocknungsplatz. 1904 wollte das Amtsgericht hier gerne Amtsgebäude und Gefängnis errichten. Erst 1907 kam es zur Einigung zwischen Stadt und Kirchengemeinde zusammen mit einem Rechtsstreit um die Unterhaltung der Schweinsbrücke und den Weg von dort bis zum Friedhof allein zu unterhalten. Die Kirchengemeinde verzichtete nunmehr auf Klüvers Gang, der ja auch Kircheigentum war, auch auf Rückzahlung für Ausbesserung der Schweinsbrücke, die von ihr gezahlte Summe sollte der Stadt bleiben, wenn die Stadt den Kiesweg um den Alten Kirchhof als Kircheneigen anerkenne. Die Stadt erklärte, es war eben eine Geldfrage gewesen, sich nunmehr bereit, den ganzen Platz für 4000 Mark zu kaufen „mit allen Lasten und Beschwerden“, verpflichtete sich zur Instandhaltung des Dooseschen und Kommeterschen Grabes, und sie darf ihn nur als Schmuckplatz verwenden, auch 30 Jahre nicht verkaufen.666) Nun konnte hier endlich der Stadtpark entstehen. Auf ihm steht heute noch ein Denkmal aus jener Zeit. Es ist gewidmet Johann Meyer, geboren in Wilster am 5. Januar 1829, gestorben in Kiel am 15. Oktober 1904. Er war ein einst gefeierter Dichter in niederdeutscher Sprache. Adolf Bartels bezeichnete ihn als den hervorragendsten Nachfolger von Klaus Groth. Hebbel sagt von seinen „Plattdeutschen Gedichten in Dithmarscher Mundart“, dass in ihnen „vom hellen sangbaren Lied an durch die saftige, frische Idylle hindurch bis zum historischen Genrebild hinauf, alle Töne, wenn auch zum Teil schwächer und matter, dem Leser wieder entgegen klingen, die Klaus Groth den verdienten Beifall gewannen.“ Seine Heimatstadt ehrte ihn durch das Denkmal.667) Der jetzige Neue Kirchhof ist heute noch in Benutzung. Schon 1886 wurde eine Erweiterung in Aussicht genommen. 1888 wurde der ganze Rest des städtischen Kleinen Brooks hinzugekauft, auch noch weitere Ländereien vom Heeschen Anwesen. Der Kauf zögerte sich freilich bis 1893 hin. 1894 konnte dieser neue Teil in Nutzung genommen werden.668)
Das Wachstum der Stadtbevölkerung und die beträchtlichen Eingemeindungen mussten sich natürlich auch auf die Schule auswirken. Es konnte auf die Dauer nicht bei einer 3-klassigen Schule für 8 bzw. 9 Schuljahrgänge sein Bewenden haben, auch genügte das Schulhaus, das Anfang des Jahrhunderts in der Zingelstraße errichtet worden war, immer weniger den Erfordernissen. Das Thema Schulneubau war zum mindesten in den 70er Jahren oft diskutiert. Es wurde daran gedacht, den erforderlichen Neubau im einstigen Michaelsenschen Garten zu errichten, doch war der Bürgerverein dagegen, weniger gegen einen Neubau, der ja notwendig war, als gegen eine Verkleinerung dieses großen öffentlichen Gartens der Stadt.669) Der Schulneubau erfolgte dann im Jahre 1885 in Nachbarschaft des Alten Kirchhofes und späteren Stadtparkes, hinter der Zingelstraße. Der Kirchhofsgraben wurde eben in demselben Jahre 1885 „vor der neuen Schule“ zugeschüttet.670) Es entstand eine jener Schulen „wilhelminischen Stils“, wie sie damals allerorten errichtet wurden. Schultechnisch gewiß ein großer Schritt nach vorne. Hinter dem Landrecht stand die zweiklassige Gemeindeschule, die mit Eingemeindung 1896 auch in den Besitz des Stadtfiscus überging. Nun, im Jahre 1896, wurde die Knabenklasse 8-klassig, die Mädchenklasse jedenfalls 7-klassig. Jetzt also hatte jeder Schuljahrgang endlich seine eigene Klasse, getrennt natürlich in jener Zeit nach Jungen und Mädchen. „Für sämtliche Schulkinder wurden in den Jahren 1898 (Mädchenschule) und 1913 (Knabenschule) neue Schulräume gebaut und die alten Schulgebäude anderweitig verwendet“.671) Der Mädchenschulbau erfolgte im Bereich der alten Landrechtschule, die 1913 noch einmal erfolgende Neubautätigkeit wurde notwendig, als die neue Mittelschule die Schule von 1885 übernahm. Das Volksschulwesen war also ausgebaut. Kinder, die für weiterführende Schulzweige vorgesehen waren, mussten als „Auswärtige“ nach Itzehoe, wenn sie nicht eine Privatschule besuchten, die zuletzt an der Stelle sich befand, wo früher einmal das Michaelsensche Haus gestanden hatte am Marktplatz (Kirchplatz). Diese Privatschule war eine Mischung von Zubringerschule für Gymnasien oder andererseits Bildungsstätte für solche, die eine etwas umfassendere Ausbildung erhalten sollten. Diese Zwitterstellung hatte dann ein Ende, als man sich entschloss, in Wilster eine Mittelschule zu errichten, eine Schule, die gedacht war für solche Kinder, die einmal nicht studieren sollten oder konnten, die aber für ihr Fortkommen eine höhere schulische Qualifikation erhalten sollten. „Die Mittelschule zu Wilster ist hervorgegangen aus der höheren Privatschule, die hier seit 1903 bestand“, so heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt Wilster für die Zeit von 1911 bis 1930, (sie war die letzte Institution dieser Art in der Stadt). Diese habe anfangs guten Zuspruch gehabt, die Schülerzahl sei dann immer mehr zurückgegangen. Hohe Schulgeldsätze und häufiger Wechsel unter den Lehrkräften „waren vielleicht schuld daran“. Am 3.2. 1910 erfolgte für Preußen eine Neuordnung des Mittelschulwesens. Die Schuldeputation der Stadt erwog nunmehr, in Wilster eine solche Mittelschule einzurichten, die erste Beratung fand am 6.1. 1912 im Rathaus statt. Der damalige Bürgermeister Christian Dethlefsen tat sich sehr für diese neue Schule einsetzen. Er berichtet in einem handschriftlich überlieferten „Beitrag zur Geschichte der Stadt Wilster für die Jahre 1904 – 1929“ folgendermaßen: „Es folgte die Gründung der Mittelschule. Es gab in Wilster eine höhere Schule und 2 Volksschulen, eine Knaben- und eine Mädchenschule. Die höhere Schule, eine Interessenschaft, war im Anbau der Turnhalle auf dem Michaelsenschen Grundstücke untergebracht, die beiden Volksschulen waren räumlich voneinander getrennt mit 2 Rektoren, die Knabenschule war die 1885 erbaute am Stadtpark gelegen, während die Mädchen seit 1898 ihre Schule im Bereich der alten Landrechtschule hatten. Die höhere Schule leistete nicht das, was man von einer solchen erwarten musste, und der Beschluss, eine Mittelschule zu gründen, wurde der Stadt nicht schwer. Nur die Errichtung des Mittelschulgebäudes bereitete Sorgen. So kam man auf den glücklichen Gedanken, das Gebäude der Knabenschule zur Mittelschule zu machen und eine neue Knabenschule neben der Mädchenschule zu errichten.“672)
Am 6.2.1912 legte Bürgermeister Dethlefsen den städtischen Kollegien den Entwurf über die Einrichtung einer Mittelschule vor. Die Schule sollte sich nicht unsozial durch sich selber, also durch hohe Schulgelder, tragen, die Stadt sollte also Träger sein. Pläne, die Schule im Armenhaus, dann nach Ausbau in der Privatschule unterzubringen, wurden fallen gelassen. Man wollte dann die Schule zum Realgymnasium in Itzehoe in Beziehung setzen, also die Mittelschule doch (auch) zur Zubringerschule für Höhere Schulen machen. Dies wurde vom Minister aber abgelehnt, man solle die Entwicklung der Mittelschule zunächst einmal abwarten. Der „Verein zur Unterhaltung einer Privatschule in Wilster“ stimmte am 21.2.1912 zu, dass die Privatschule in eine städtische Mittelschule umgewandelt werde. Dabei sollte diese auf den 3 ersten Jahrgängen der Privatschule aufbauen, um den Übergang schneller zu vollziehen. In der Zeit vom 17.5. bis 30.11.1912 wurden die Lehrerstellen ausgeschrieben und gewählt, Rektor wurde Mittelschullehrer H. Schulz, Lüneburg. Am 3. April 1913 konnte dann die neue Schule feierlich in der Turnhalle (neben der Privatschule) eröffnet werden, wobei Bürgermeister Dethlefsen noch einmal herausstellte, dass „die Bedeutung der Mittelschule für unsere Stadt darin liege, dass bei einem mäßigen Schulgeld es allen Ständen unserer Bürgerschaft ermöglicht werde, ihren Kindern eine Schulbildung mitzugeben, die sie befähige, den gesteigerten Anforderungen, die das Leben heute auch an den gewerblichen Mittelstand stelle, gerecht zu werden, dann aber auch darin, dass die Mittelschule die Kinder auf andere, höhere Schulen vorbereite“.673) 1914 konnte diese Mittelschule die zu engen Räumlichkeiten der Privatschule verlassen, die Schule am Stadtpark beziehen, nachdem die Knabenvolksschule ihre neu errichtete Schule unmittelbar neben der Mädchenschule hatte beziehen können.
Auch weiterhin spielte die Schifffahrt für Wilster eine gewichtige Rolle, wenn auch nunmehr die Eisenbahn das Hauptverkehrsmittel geworden war. Der Schiffer blieb ein gewichtiger Beruf in der Stadt. „Neumanns Orts- und Verkehrs-Lexikon des Deutschen Reiches“ aus dem Jahre 1905 nennt für Wilster für das Jahr 1902 14 Segler mit 312 Netto- und 415 Brutto-Register Tonnen.674) Henning Oldekop gibt Wilsters Schifffahrt in seiner „Topographie des Herzogtums Holstein“ 1908 mit 12 Seeschiffen an, „außerdem etwa 20 Flußschiffe, die ihre Fahrten fast ausnahmslos von Hamburg-Altona aus betreiben. Hafenanlage am Rosengarten mit Kaimauer, Ladeplatz, Krahn und Lagerschuppen.“675) Allerdings befand sich lange Zeit die Kasenorter Schleuse in miserabler Verfassung, worunter der Schifffahrtsverkehr zur Stadt litt. Dazu kam der Bau des Nord-Ostsee-Kanals, der in der Zeit von 1887 bis 1895 erfolgte. Feierlich eröffnet wurde er am 21.6.1895 durch Kaiser-Wilhelm II., er wurde dann auch früher Kaiser-Wilhelm-Kanal genannt. Dieser Hochseeschfffahrts-Kanal trat an die Stelle des alten Eiderkanals, erreichte nunmehr aber die Niederelbe bei Brunsbüttel Koog. Der Magistrat von Wilster hatte wohl einst davon geträumt, dass der Eiderkanal einmal mit der Wilsterau verbunden werden möge. Das blieben Träume. Der Nord-Ostsee-Kanal nun führte in gebührender Entfernung an Wilster vorbei. Er nutzte Orte wie Burg i. D., Wilster jedoch in keiner Weise. Im Gegenteil, er kappte nicht nur den Oberlauf der Eider ab, er tat das gleiche bei der Wilsterau, trennte Wilster von seinem Hinterland (Burg, Albersdorf-Schafstedt, Hanerau-Hademarschen), dessen Warenverkehr bisher über Wilster geführt hatte. Die 1868 entstandene Schiffsverbindung durch den Kudensee und Bütteler Kanal in die Niederelbe wurde durch den neuen Kanal an zwei Stellen durchgetrennt, wurde Vergangenheit. Für Wilsters Flussschifffahrt sicher ungünstig. Oberhalb der Stadt hörte Schifffahrtsverkehr nunmehr praktisch auf. Die Abkappung der Au hatte zudem schwerwiegende Folgen für die Wasserführung des Flusses und zwar naturgemäß sehr zum Nachteil. „Die Schifffahrt Wilsters ist bei der Unbrauchbarkeit der Kasenorter Auschleuse und der seit der Anlage des Kaiser-Wilhelm-Kanals, der den Oberlauf der Au durchschneidet, drohenden völligen Verschlickung derselben immer mehr zurückgegangen“, schreibt W. Jensen 1926.676) „Im Jahre 1910 zählte die Stadt darum nur noch 12 Seeschiffe. Es steht zu hoffen, dass diese Zahl mit dem Neubau der Kasenorter Schleuse und der Verbesserung des Aulaufes in unseren Tagen wieder beträchtlich steigen wird.“ Zunächst allerdings drohte der Schifffahrt auf der Au das Ende durch das Wassergesetz vom 7. April 1913. „Nach diesem gibt es Wasserläufe erster, zweiter und dritter Ordnung, je nach ihrer Bedeutung für die allgemeine Wasserwirtschaft. Bei Wasserläufen 1. Ordnung war Schifffahrt in erster Linie maßgebend. Sie sind Eigentum des Staates, werden vom Staate unterhalten, wenn es natürliche Wasserläufe sind.“ Nun sollte im Gesetz die Wilsterau ein Wasserlauf 2. Ordnung werden. Hiergegen wandte sich die Stadt Wilster mit Nachdruck.677) Auf die Nachricht hin, dass im Gesetzesentwurf die Wilsterau unter die Wasserläufe II. Ordnung eingestuft worden sei, erhob die Stadt Widerspruch. Sie stellte den Antrag, die Au unter die Wasserläufe I. Ordnung einzustufen. Der Bürgermeister wandte sich im Auftrage des Magistrates an den Landtagsabgeordneten des Kreises Dr. Engelbrecht-Obendeich mit der Bitte, „sich für die Interessen der Stadt Wilster und der Schifffahrt einzusetzen.“ Dieser wandte sich an die zuständigen Mitglieder des Ausschusses. Er gehörte diesem selber an. Es gelang ihm, „den Antrag der Stadt Wilster auf Einstufung der Wilsterau unter die Wasserläufe I. Ordnung trotz heftigen Widerstandes des Regierungsvertreters durchzubringen.“ Der Landtag folgte dem Beschluss des zuständigen Ausschusses, womit die Unterhaltungspflicht des Staates für die Wilsterau feststand. „Der Kampf war im Ausschuss, wie mir Dr. Engelbrecht später erzählt hat, ein äußerst schwerer gewesen“, berichtet Alt-Bürgermeister Dethlefsen. In der 1. Ausschusssitzung sei der Antrag abgelehnt worden. Er habe aber vor der 2. Sitzung die Mitglieder des Zentrums überzeugt, „dass die Wilsterau nach ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem starken Schiffsverkehr unbedingt unter die Wasserläufe I. Ordnung gehöre.“ So sei der Antrag angenommen worden. „Der Regierungsvertreter sei äußerst erstaunt gewesen und habe erklärt, dass er nach wie vor die Wilsterau als Wasserlauf I. Ordnung ablehne“. „Durch Verfügung des Regierungspräsidenten in Schleswig vom 12. November 1898 – J. Nr. >I B 12 209 – wurde entschieden, dass die Wilsterau ein schiffbarer Strom sei, auf den die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit der Strom- und Schifffahrtspolizei Anwendung finden“, so wird schon im Verwaltungsbericht der Stadt Wilster festgestellt.678) „Damit übernahm die Staatsbehörde die Zuständigkeit der Strom- und Schifffahrtspolizei, während die Instandhaltungs- und Reinigungspflicht nach wie vor den Verpflichteten (Anliegern bzw. Wilsterauschleusenkommune) oblag. Die Stadt hatte die Unterhaltspflicht für den Auarm im Stadtgebiet, soweit das Schifffahrtsinteresse es erforderte. In den Jahren 1897/98 sind in der Stadt größere Baggerarbeiten zur Förderung der Schifffahrt durchgeführt worden.“ Das wurde nun anders. Es hatte der Staat die Au bis zum Kaiser- Wilhelm-Kanal zu unterhalten und es wurde Zeit. „Der Auarm war inzwischen, zumeist durch den Verlust des Oberwassers, derart verschlammt, dass er oberhalb der Stadt für Schifffahrtszwecke überhaupt nicht mehr zu gebrauchen war. Aber auch für die Aufnahme und Abführung des Wassers aus den Entwässerungen oberhalb der Stadt bildete der Zustand der Wilsterau ein großes Hemmnis.“ Da durch große Pumpwerke wieder möglich, hatten die Entwässerungskommunen erneut begonnen, ihre Wasser in die Au zu fördern, nachdem vorher in den letzten ein bis drei Jahrhunderten dieses mehr und mehr aufgegeben worden war. Nunmehr wurden die Entwässerungsnetze noch einmal, zum dritten Male gleichsam wieder zur Au hin umgestaltet. Das geschah durch die Aebtissinwischer Interessenschaft, weiter 1906 durch die Neuendorf-Sachsenbander Entwässerungsgenossenschaft, dann 1913 durch die Genossenschaft für Entwässerung der Hackeboer und Alte Wilsterau-Niederung. Nach den Verwaltungsberichten der Stadt Wilster waren in der Stadt beheimatet: 1896 nur 5, 1900 dann 14, 1905 13, 1910 schließlich 12 Schiffe; 1914 waren es 13 Schiffe. Das Problem für die Schifffahrt auf der Au blieb die Kasenorter Schleuse, die immerhin jährlich von durchschnittlich 1200 Schiffen (Ein- und Ausfahrt) passiert wurde. Ein Schleusenneubau kam jedoch vor dem 1. Weltkriege nicht mehr zustande.
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal erzeugte aber noch ein anderes Problem, das Wilster beinahe in den Winkel abseits der Verkehrsadern verbannt hätte. Rechnung getragen hatte man dem Zugang des im Bau befindlichen Kanals in die Niederelbe von vornherein. Dieser Punkt, Brunsbüttelkoog bedurfte eines Anschlusses an das Bahnnetz. So vermerkt das Provinzial-Handbuch für Schleswig-Holstein aus dem Jahre 1891 auf Seite 614 kurz als Nachtrag: „Im Bau begriffen ist die Bahn St. Margarethen- westliche Mündung des Nord-Ostsee-Kanals, ein Bahnanschluss, der auch heute noch existiert. Diese Stichbahn zweigte damals in St. Margarethen von der Hauptbahn ab, die ja über diesen Ort führte damals. Das sollte aber anders werden, als man in den Jahren 1907-1914 den Kanal wesentlich erweiterte. Dabei wurde die Eisenbahndrehbrücke bei Taterpfahl untragbar. Ebenerdige Brücken waren durch Hochbrücken zu ersetzen, Höhe 42 Meter über NN.679) So entstanden die Prinz-Heinrich-Brücke zwischen Kiel und Holtenau als Straßenbrücke. Eine Eisenbahnbrücke hatte weiter nun für die Schleswig-Holsteinische Marschenbahn zu erstehen, ein schwieriges Projekt in einem weithin von Marsch und Moor eingenommenen Gebiet. „Als im Jahre 1907 der Plan laut wurde, die Schleswig-Holsteinische Marschenbahn aus Anlass der Erweiterung des Kaiser-Wilhelm-Kanals zu verlegen, bemächtigte sich der Einwohner der Westküste einer allgemeinen Erregung,“ heisst es im Verwaltungsbericht der Stadt Wilster 1911-1930.680) Ursprünglich sollte die Hochbrücke an derselben Stelle aufgeführt werden, wo sich die Drehbrücke befand. Diesen Plan gab man aber „aus technischen und finanziellen Gründen“ auf. Man entschloss sich für einen Bau bei Hochdonn. Dabei sah man vor, die Bahn auf dem Geestrand von Itzehoe über Heiligenstedten (wo die bisherige Route verlassen werden sollte) nach Vaale und über den Kanal nach Hochdonn zu verlegen, eine gerade, kurze und zweckmäßig billige Lösung für Staat und Bahn. Von Heiligenstedten sollte eine Zweigbahn über Wilster nach Brunsbüttelkoog führen. Wilster wurde so aufs Nebengleis geschoben zusammen mit der ganzen Wilstermarsch. „So wollte es die Kanalverwaltung, und sie wurde unterstützt vom Oberpräsidenten unserer Provinz,“ berichtet Alt-Bürgermeister Dethlefsen in seinem Rechenschaftsbericht.681) „Es stand für Wilster in den beiden Verkehrsfragen des Wasser- (s.o.) und Schienenweges unendlich viel auf dem Spiel. Wenn zu den Bränden, denen die beiden großen Leder-fabriken zum Opfer fielen“, worüber noch zu berichten sein wird, „mit ihren schweren Folgen --- noch die Abdrängung von der Haupteisenbahnlinie, die Degradierung der Wilsterau zu einem Genossenschaftsgewässer,“ die ja verhindert wurde, „---- und als Folge davon eine allmähliche Abwürgung der Schifffahrt gekommen wäre, dann wäre das Schicksal von Wilster wohl besiegelt gewesen, und es hätten die Leute recht behalten, die damals von einer absterbenden Stadt sprachen. Aber davor hat ein gütiges Geschick uns bewahrt.“ Dem Geschick hat allerdings die Vertretung der Stadt Wilster tatkräftig nachgeholfen. Sie hob ihren gewichtigen Rechtsanspruch hervor, nämlich dass sie zum Bau der Marschenbahn finanziell erheblich beigetragen habe. Sie war Aktionär, bis im Jahre 1890 der Staat Preussen alle Bahnen in seinem Territorium verstaatlichte. Aus den Provinzial-Handbüchern für Schleswig-Holstein geht hervor: „Die Activa der Stadt Wilster bestehen aus----zinstragenden Kapitalien von ca. 71.340 Mark und aus 234 Stammactien für die Holsteinische Marschbahnactien zu 450 Mark und aus 50 Stammprioritätsactien derselben Bahn zu 450 Mark.“ „Die Stadt Wilster“, heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt weiter, „vertrat in zahlreichen Eingaben an den Minister, Abgeordnete usw. den Standpunkt, dass sie einen Rechtsanspruch auf Verbleib an der Hauptbahn hätte, denn sie habe sich an Bau, der seinerzeit von einer Aktiengesellschaft errichteten Marschbahn mit Aktien in Höhe von 127.800 Mark beteiligt. Von diesen Aktien habe sie bei der Verstaatlichung der Bahn nur 67.000 Mark zurückerhalten. Von Privaten der Stadt seien außerdem 91 Aktien gezeichnet worden. Die Lage der Stadt an der Hauptbahn habe somit die Stadt ein Opfer von rund 60 000 Mark gekostet. Der Schaden, den die Stadt von der Verlegung erhalten würde, sei unabsehbar.“ Einspruch erhoben auch die Landgemeinden der Wilstermarsch, die Gewerbetreibenden dortselbst und der Landwirtschaftliche Verein. Auch der Kreis Steinburg setzte sich durch seinen Landrat Pahlke tatkräftig für die Stadt ein, auch der Regierungspräsident der Provinz stand hinter ihr. Am 17. Dezember 1910 kam es im Innenministerium zu einem Termin, an dem alle in Anspruch genommenen Behörden vertreten waren. Landrat Pahlke forderte, dass der Bahnhof Wilster an der Hauptbahn liegen müsse, und da er dann offensichtlich nicht am alten Platze bleiben durfte (die Schleife der neuen Bahnlinie wäre nicht tragbar gewesen), dürfe er aber höchstens ¾ km von der Stadt entfernt gelegen sein. Solle Wilster auf eine Nebenbahn verwiesen werden, so fordere die Stadt als Entschädigung 1 Million Mark. Man feilschte lange, wollte den Bahnhof in Honigfleth liegen haben. Zuletzt setzte die Stadt sich durch. „Wir hatten versucht“, so sprach Minister von Breitenbach im Abgeordnetenhaus am 7. Mai 1912, „die Verlegung zu beschränken auf die Strecke Heiligenstedten-St. Michaelisdonn. Dieser Versuch ist an dem energischen Widerstand der Stadt Wilster gescheitert, die den Mittelpunkt der Wilstermarsch bildet. Die Interessen der Stadt Wilster wurden nach Auffassung der dortigen Gemeinde so schwer berührt, dass Wilster sich nicht entschließen konnte, durch eine erhebliche Abfindung, die das Reich zahlen wollte, zufrieden gestellt zu sehen. Wir mussten daher die Linie über Wilster führen. Die Bauten für Bahn (über Wilster) und Hochbrücke von Hochdonn wurden in den folgenden Jahren durchgeführt. Die Inbetriebnahme erfolgte aber erst nach Abschluss des 1. Weltkrieges.
Im oben angeführten Zitat von Alt-Bürgermeister Dethlefsen wird angedeutet, dass sich Wilster, welches sich in der Zeit „zu Wasser und zu Lande“ sehr nachdrücklich gegenüber den Staatsorganen behauptete, gerade im letzten Jahrzehnt vor dem 1. Weltkriege, sonst einer Blütezeit im Deutschen Reiche weit hin, schweren wirtschaftlichen Rückschlägen gegenüber sah, so dass es eine „absterbende Stadt“ genannt wurde. Wilster erlitt damals als Industriestadt einen sehr schweren Schlag. 1899 gab es in den beiden Lederfabriken im Landrecht 674 Beschäftigte. Wilster konnte man sehr wohl damals eine Arbeiterstadt nennen. „Die Haupterwerbszweige in Wilster“, so heißt es im Verwaltungsbericht 1896 – 1910, „sind Industrie und Handel. Leider ist die Industrie im Berichtszeitraum sehr zurückgegangen.“ Das begann in eben jenem Jahre 1899. Damals stand die Fabrikation von lohgarem Roßleder noch in Konjunktur. Damals brach zwischen den Tarifpartnern, die sich freilich nicht als solche verstanden, der Konflikt aus. Den Fabrikanten stand eine gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft gegenüber, die ihre Bedingungen stellte. In der Zeit vom 29. Mai bis zum 24. Juni des Jahres steigerte sich der Konflikt zu allgemeiner Arbeitsniederlegung. Zunächst wurde bei Falck und Schütt gestreikt, dann bei Gebr. Böhme ausgesperrt. Der Arbeitskampf, hartnäckig durchgeführt, dauerte bis zum 15. November. „Diese Arbeitseinstellungen“, so der Verwaltungsbericht der Stadt, „haben zahlreiche Existenzen in Wilster vernichtet und viele Arbeiterfamilien sind 1899 und in den folgenden Jahren wegen Arbeitsmangels von hier weggezogen.“ Glück hat der Streik der Arbeiterschaft damals nicht gebracht. Letzter Grund für den folgenden Zusammenbruch der Lederindustrie war er aber nicht, allenfalls indirekt.
Walter C. Bröcker schreibt im Heimatbuch des Kreises Steinburg in seinem Überblick über die Industrie des Kreises auch über die Lederfabrikation Wilsters. Es heißt da682): „Eine andere, für den Kreis charakteristische Industriegruppe ist die Gerberei.----- Es besteht im Wesentlichen darin, dass man Tierhäute, also organische Zellgebilde, durch Zusätze von Stoffen so umwandelt und verhärtet, dass sie nicht mehr verfaulen und sich zersetzen können, sondern ihre feste Struktur durch Jahrzehnte und Jahrhunderte bewahren. Es gibt eine ganze Reihe von Stoffen, die eine solche feste Verbindung mit organischen Zellgeweben eingehen, und zwar sind es neben vegetabilischen Stoffen, die aus Holz und Baumrinde – Eichenlohe und Quebracho sind die bekanntesten – gewonnen werden, auch unorganische Stoffe wie Metalle. Das bekannteste ist Chrom. Die Chromgerbung gibt ein weiches, schmiegsames Produkt, das allgemein als Oberleder verwendet wird, während die durch vegetabilische Gerbstoffe erzeugten, schweren, festen Leder als Sohlleder Verwendung finden. Eine dritte Gruppe von Gerbstoffen sind die sogenannten synthetischen Gerbstoffe. --- Die Häute, das Rohprodukt der Gerbereien, stammen meistens aus Südamerika,--- da die einheimischen Häute --- bei weitem nicht ausreichen. – Die Gerbereibetriebe unseres Kreises erfreuen sich eines guten Rufes, ihre Fabrikate gelten zum Teil als sehr hochwertig.“ Zur Krise der Wilsterschen Lederwerke schreibt Bröcker dann weiter: „Die Konjunktur in der Fabrikation von lohgarem Roßleder (vegetabilische Gerbung) hielt ungefähr bis zum Jahre 1900 an und wurde dann durch die Chromlederfabrikation (mineralische Gerbung) verdrängt.“ Diesen Wandel haben die streikgeschwächten Werke nicht entsprechend mit vollziehen können. Dazu kamen zwei Brandkatastrophen. „Im Jahre 1903“, so schreibt Bröcker weiter, „brannte die Fabrik der Gebrüder Böhme zum größten Teil ab und blieb in diesem Zustande liegen.“ Entsprechend der Verwaltungsbericht der Stadt: „Am 27.3.1903 ging die Lederfabrik von Gebr. Böhme in Flammen auf. Der Betrieb konnte nicht wieder aufgenommen werden und blieb jahrelang still liegen.“ 1907 kaufte dann die dänische Firma „Aktie selskabet M.J. Ballin Söhner, Kopenhagen“ das Ganze, und 1908 erstanden hier die „Vachlederwerke Ballin G.m.b.H.“, die jedoch mit wenigen Arbeitskräften auskam, jedenfalls im Vergleich zum alten Betrieb. Es folgte der 2. Schlag. Der Verwaltungsbericht 1896-1910 berichtet hierüber: „Am 9.12.1907 brannte die andere große Lederfabrik von Falck und Schütt A.G. ab, die jetzt noch zum größten Teil in Trümmern liegt, aber den Betrieb immerhin, wenn auch in kleinerem Umfange wieder aufgenommen hat. In dieser Fabrik sind reichlich 100 Arbeiter tätig.“ Bei diesen Schlägen habe sich gezeigt, vermerkt der Verwaltungsbericht weiter, „dass eine einzelne Industrie für einen kleinen Ort unter Umständen gefährlich werden kann“. Andere Betriebe, wie die Meierei, Müllerei und Schweinemästerei von Wilhelm Wulf, die Mühle (mit Sauggasmotor betrieben) von Gustav Lumpe, die Maschinenfabrik von Apel und Sachau, die Dampfbierbrauerei fielen demgegenüber nicht ins Gewicht. Niemals ist übrigens Wilster wieder in dem Maße einen Industriestadt geworden wie vor den beiden Brandkatastrophen, deren Ursache niemals voll aufgeklärt werden konnte. Und die Bevölkerungszahl war seitdem rückläufig, „Wilster verlor 1200 Einwohner“.683) 1905 gab es noch 4491 Einwohner in der Stadt, 1910 waren es 4424 und im Jahre 1916 nur noch 3879. Aufgeben tat die Stadt jedoch nicht.
Das Gegenteil ist wohl der Fall. Christian Dethlefsen rühmt sich, Wilster in diesen Jahren zu einer „modernen Stadt“ gemacht zu haben. Als er 1904 sein Amt als Bürgermeister der Stadt übernommen habe, habe „wohl der wichtigste und zugleich gefahrvollste Zeitabschnitt in der Geschichte unserer Stadt“ begonnen.684) Damals sei „die städtische Verwaltung äußerst eingeengt“ gewesen. „Sie beschränkte sich in der Hauptsache auf Polizei, Standesamt, Armen- und Schulwesen“. „Die großen, die Öffentlichkeit interessierenden Anstalten befanden sich in privater Hand. So war das Elektrizitätswerk eine Aktiengesellschaft, die höhere Schule eine Interessenschaft, die Sparkasse in der Verwaltung von 5 Bürgern, die sich selbst ergänzten, und das Krankenhaus ein Vereinsunternehmen. Es lag „im städtischen Interesse, diese Anstalten so bald wie möglich in die städtische Verwaltung zu überführen.“
Es ist nun gewiß nicht der Fall gewesen, dass bis 1904, dem Jahre, in dem Christian Dethlefsens Amtszeit begann, in Wilster nichts geschehen wäre. Es waltete nur ein etwas anderer Geist. Das, was zu geschehen hatte im öffentlichen Interesse, geschah weniger durch städtische Behörden, mehr aus Bürgerinitiative heraus. Das dieser Weg oft unzureichend bleiben musste, liegt auf der Hand. Aus solcher Bürgerinitiative war zum Beispiel die letzte „Privatschule“ im Jahre 1903 entstanden, unterhalten von einem „Verein zur Unterhaltung einer Privatschule in Wilster“. 1912 musste derselbe Verein zustimmen, dass an die Stelle eine städtische Mittelschule zu treten habe. Einer bürgerlichen Privatinitiative entsprang schon 1841 die Gründung der Wilster Spar- und Leihkasse. „Die Spar- und Leihkasse hat deshalb so große Bedeutung für die Gemeinde,“ schreibt Otto Neumann,685) „da sie in jedem Jahre eine beträchtliche Summe von ihrem Gewinn für gemeinnützige und wohltätige Zwecke zur Verfügung stellt“. Er führt weiter Beträge auf, die von ihr zwischen 1870 und 1890 für gemeinnützige und wohltätige Zwecke aufgebracht wurden, z.B. 1871 4375 Mar, 1873 5651 Mark, 1883 5905 und 1885 6242 Mark. Wenn man bedenkt, dass man öffentliche Anliegen weitgehend privater Initiative überließ, so verwundert der geringe Personalbestand im kommunalen Bereich nicht weiter. Neben dem hauptamtlich tätigen Bürgermeister gab es die ehrenamtlich tätigen kommunalen Kollegien, von denen das Stadtverordnetenkollegium, welches 1896 auf 12 erhöht worden war, 1901 wiederum auf 9 herabgesetzt wurde, da man zu der Auffassung gelangt war, dass die Zahl 12 „in keinem Normalverhältnis zur Größe der Stadt stand. „Neben dem Bürgermeister gab es als städtischen Beamten den Stadtkassierer. 2 Polizisten genügten. Am 1.1.1900 kam ein weiterer Polizeisergeant hinzu, „weil sich bei dem Gerbereistreik im Jahre 1899 herausgestellt hatte, dass 2 Beamte hier nicht genügten“, wie der Regierungspräsident verfügte. Sie ging dann wieder ein, „da die Einwohnerzahl und insbesondere die Industrie der Stadt bedeutend zurückgegangen war.“ Der „Armenhausökonom“ war ein Angestellter auf Kündigung, 1908 der Kutscher Peter Niemeier. Man beschäftigte dann noch 4 Nachtwächter und den Schuldiener. Die große gewichtige Neuerung war im Jahre 1900 die Schaffung der Stelle eines Stadtsekretärs, „Bürovorsteher“ Bockelmann wurde damit Kommunalbeamter auf Lebenszeit.686) Ein Ziel Bürgermeister Dethlefsens war die „Kommunalisierung der Sparkasse“. Diese scheiterte jedoch in der Vorkriegszeit am Widerstand der hiesigen Spar- und Leihkasse. Daraufhin beschlossen die städtischen Kollegien am 12. September 1912 die Einrichtung einer eigenen städtischen Sparkasse, die auch am 1.4.1914 eröffnet wurde im Hause des Stadtrates Hansen, dem Rechnungsführer derselben.687) Er übernahm das Amt ehrenamtlich, verursachte daher auch keine Verwaltungskosten, eine harte Konkurrenz für die Kasse von 1841 also. Dabei blieb es bis zum Kriege.
Immer dringlicher wurde städtisches Handeln auf dem Gebiete wirtschaftlicher Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe in dieser Zeit.688) Ein Elektrizitätswerk gab es in der Stadt seit 1895, unterhalten von einer Aktiengesellschaft. Sie begann mit 2 Dampfmaschinen von je 60 PS. Eine Akkumulatoren-batterie diente der Aufspeicherung und dem Belastungsausgleich. Aufgabe war zunächst die Straßenbeleuchtung. Älter war hier eine Petroleumbeleuchtung, die auch noch jahrelang daneben weiterbestehen blieb. 1896 installierte man 20 Bogen- und 32 Glühlampen, der sodann in den folgenden Jahren weitere folgten. Weiter ging es um Versorgung mit Hausanschlüssen. 1896 gab es etwa 70, 1910 dann rund 400. Das Werk lag schon damals im Klosterhof. Hier kam 1907 nach Erwerb des Nachbargrundstückes Nr. 11 eine Sauggasanlage von 35 PS hinzu. 1912 entstand auf Grundstück Klosterhof 38 eine neue Zentrale, wo ein 100-PS-Dieselmotor aufgestellt wurde, die alte Zentrale blieb daneben. Im März 1914 wurde auf Antrag der Stadt die Liquidation der Aktiengesellschaft, die sich von vornherein als gemeinnütziges Unternehmen betrachtet hatte, beschlossen. Das Werk wurde von der Stadt übernommen mit allen Aktiva und Passiva. Im gleichen Jahre wurde das Elektrizitätswerk mit Wasserwerk und Gasversorgungsanlage vereinigt zu den „Städtischen Betriebswerken“, auch hier also wie im Schulwesen ein Abschluss einer längeren Entwicklung noch gerade vor Ausbruch des Krieges.
Die Wasserversorgung war in Wilster ein besonders drängendes Problem. Denn Wilster besaß in Au und Burggräben wohl reichlich Wasser, aber solches in einem unbeschreiblichen Zustand. Die Röhrenbrunnen ergaben ein gewiss besseres jedoch ebenfalls unzureichendes Wasser. Am 3. Juli 1901 erstattete Prof. Dr. Dunbar aus Hamburg auf Ersuchen der Stadtverwaltung ein eingehendes Gutachten über die Wasserversorgung der Stadt. Sein Schluss: Das Wasser der Au komme für städtische Versorgungszwecke gar nicht in Frage. Auch erscheine das Grundwasser der Stadtgebiete nicht dafür geeignet. Er forderte, Erhebungen durchzuführen, ob nicht in der weiteren Umgebung besseres Wasser zur Verfügung stehe. Am 25. Januar 1910 setzte eine Bürgerversammlung daraufhin eine Kommission ein für Vorarbeiten für ein solches Wasserwerk. Der Ingenieur Rosenboom aus Wandsbek legte ihr mehrere Projekte in dieser Hinsicht vor. Die Kommission stellte darauf in einer weiteren Bürgerversammlung den Antrag, das Wasserwerk von der Stadt bauen zu lassen, mit Zwangsanschluss. Der Antrag wurde angenommen. Die städtischen Kollegien fassten daraufhin am 19. Juli 1913 den entsprechenden Beschluss. Der Bau begann am 6. Januar 1914 und war bei Kriegs-ausbruch noch nicht ganz vollendet, aber Anfang September des Jahres konnte die Wasserver-sorgung zunächst durch eine öffentliche Zapfstelle aufgenommen werden. Die Hausanschlüsse folgten bis Anfang 1915 nach. Für das Wasserwerk war ein Grundstück von 3 ha 99 a 90 qm in der Gemarkung Kleve auf der Geest erworben worden. Die hier errichteten Pumpen wurden im elektrischen Fernbetrieb vom städtischen Elektrizitätswerk aus betrieben. Das Wasser wurde durch eine 7 km lange, 175 mm starke Rohrleitung einem Tiefbehälter beim Elektrizitätswerk zugeführt, von dort durch Kreiselpumpen in das Rohrnetz gefördert. Ein Wasserturm ist nicht vorhanden. Man führte keine Wassermesser ein, berechnete das Wassergeld nach dem Mietwert der Wohnungen, so dass der Wohlhabende mehr für das Wasser bezahlen musste. Man wollte damit erreichen, dass das Wasserschöpfen aus der Au in Zukunft unterbliebe, dass der Arme nicht am Wasserhahn spare. Die Gasversorgung schloss sich als drittes an. Man entschloss sich 1913 hierzu, als man die neue Wasserversorgung beschlossen hatte. Ein erstaunlich später Termin. Um ein eigenes Gaswerk ersparen zu können, fühlte man bei der Stadt Itzehoe vor, die ein günstiges Angebot machte. Man befürchtete auch, dass ein eigenes Gaswerk nicht rentabel sein würde. Über Belieferung mit Gas für zunächst 20 Jahre kam es darauf am 28.2./2.3.1914 zum Vertragsabschluss. Mitte September konnte von Itzehoe aus mit der Abgabe von Gas begonnen werden. Die ersten 200 000 cbm waren zu 10 Pf, von da an zu 8 Pf. Zu liefern. Der Vertrag hat verschiedene Nachträge erhalten. Grundstücke der städtischen Betriebswerke waren Klosterhof 10, 11, 12, 13 und 14. Als Geschäfts- und Wohnhaus wurde 1929 zudem Klosterhof 37 von der Kreditbank erworben.
Wichtig war auch die Entsorgung. Schon seit 1895 gab es eine Fäkalienabfuhr und zwar eine Zwangs-kübelabfuhr, wichtig um endlich die Au von derartiger Zufuhr zu befreien. Am 1.4. 1909 konnte sie auf die 1896 eingemeindeten Teil ausgedehnt werden. Seit dem 1. April 1902 kam noch eine freiwillige Scherbenabfuhr hinzu. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges gab es in der Stadt also ein funktionierendes städtisches Versorgungs- und Entsorgungssystem.
Es folgen noch einige Ereignisse, Schritte und Maßnahmen in bunter Reihenfolge, die alle in die Vorkriegszeit gehören und alle ihren Platz in der Geschichte Wilsters haben. 1902 wurde das Stadtmoor, in der Gemeinde Neuendorf gelegen und 56 ha 97 a 67 qm groß, für 42 000 Mark an den Kaufmann Nikolaus Springer in Wilster verkauft. Ebenfalls 1902 wurde der Rest des Michaelsenschen Stadtlandes (30 a 86 qm) an H. Auhage verkauft. 1903 gab man für die Straßenkanalisation 15 000 Mark aus. Man schickte die Abwässer und Regenwasser noch ungeklärt in die Au. Im Januar 1901 wurde das alte Armenhaus in der Burger Straße verkauft. Dafür wurde ein Grundstück am Wege nach Bischof in der Nähe des Neuen Kirchhofes erworben und hier ein Neubau erstellt. 1909 übernahm die Stadt den einen Tanzsalon enthaltenen Bau des Colosseums für 29 331,83 Mark, das Gebäude wurde daraufhin wesentlich vergrößert. Schon 1895 wurde Wilster dem Fernsprechverkehr angeschlossen. Es hatte damals 17 Fernsprechstellen, 1911 waren es schon 123. Die Post besaß damals 7 Beamtenstellen, dazu 14 Unterbeamtenstellen (Briefträger und 6 Landbriefträger). Die Eisenbahn hatte den Bahnhofvorsteher, zwei Eisenbahn-Assistenten, zwei Eisenbahngehilfen, 4 Weichensteller, 1 Hilfsweichensteller, 1 Aushelfer und 4 Bahnhofsarbeiter. Sie fertigten ab 1896 46 234 und 1910 dann 110 264 Personen ab. An Großvieh gingen ab 1896 4981 und 1910 6072 Stück, an Kleinvieh waren es 19 714 bzw. 338 058 Stück (Schweine vor allem). Auf dem Amtsgericht waren der Amtsrichter, 2 Gerichtsschreiber, 1 Kanzlist und 1 Gerichtsdiener. Am 15. Mai 1906 wurde eine neue Marktordnung erlassen. Es gab nun einen Jahrmarkt, den berühmten Wilster Markt, der weit über den Rahmen hinausging, den sonst ein Ort von der Größe Wilsters aufzubieten hatte. Er wurde begonnen am 1. Sonntag im August und dauerte 4 Tage. Es gab weiter 2 Pferdemärkte am 4. Jan. und am 30. Juli, wenn da nicht gerade Feiertage lagen. Ein Vieh- und Pferdemarkt wurde am 26. April abgehalten. Schließlich gab es 2 Viehmärkte an den dem Itzehoer Oktober-Viehmarkt nächstvorher-gehenden beiden Mittwochtagen im Oktober. Ein Zuchtviehmarkt fand am 1. Mittwoch im September für solches Rindvieh statt, das im Herdbuch des Viehzuchtvereins für die Wilstermarsch eingetragen war. Dann gab es den Wochenmarkt. Am 16. Februar 1914 starb der Ehrenbürger der Stadt, Stadtrat J. P.A. Schwarck. 1914 wurde Rudolf Busch als Stadtbauführer mit der Leitung der jungen städtischen Betriebswerke und mit städtischen Bausachen betraut. Bis zum 1. September 1900 erfolgte eine gründliche Ordnung der Archivbestände durch den damaligen Archivassistenten Dr. Ernst Müsebeck, nachdem schon bis 1878 der gebürtige Wilsteraner Oberbibliothekar Dr. Wetzel in Kiel für die Zeitschrift für S.-H. Geschichte die ältesten erhaltenen Urkunden und Akten des Stadtarchivs zusammengestellt hatte. Untergebracht war es im Giebelzimmer des Neuen Rathauses. Bei den Reichstagswahlen im Januar 1912 gaben in Wilster 165 für die National-Liberalen (rechtsliberal) ihre Stimme ab, 341 für die fortschrittliche Volkspartei (linksliberal) und 387 für die Sozialdemokraten. Diese Wahl gab Aufschluss über die ´politische Haltung der Einwohner, da es sich bei der Reichstagswahl um wirklich demokratische Wahlen handelte im Unterschied zu den Land-tagswahlen, bei denen das sogenannte Dreiklassenwahlrecht galt. Seit 1.4.1902 wurde der Besuch der Berufsschule in Wilster, durchgeführt in den städtischen Schulgebäuden, durch Ortsstatut Vorschrift. Nachdem die Wilsterau nach dem Wassergesetz von 1913 als I. Ordnung eingestuft worden war, versuchte man 1914, den Unterhalt der Kasenorter Schleuse seitens der Wilsteraukommune dem Staate zuzuschanzen. Der Staat wehrte sich (schließlich mit Erfolg) dagegen. Sachverständige stellten fest, dass die Schleuse dringend erneuert werden müsse, jedoch kam es vor dem Kriege hierzu nicht mehr. 1913 gab es in der Stadt an Vieh 280 Pferde, 471 Rinder, 117 Schafe, 2976 Schweine und 11 Ziegen. 1914 erfolgte der Neubau der Landrechter Brücke. Eine Last kam auf die Stadt 1912 zu. Damals erwirkte die Interessengemeinschaft am Burggraben, die diesen seit Jahr-hunderten zu reinigen hatte, einen Spruch des Oberverwaltungsgerichtes, dass der Burggraben als Teil der Wilsterau anzusehen sei, damit von dem zu reinigen und zu unterhalten sei, der im Stadtgebiet die Au zu unterhalten habe. Das war die Stadt. Als am 1. Mai 1914 das neue Wasser-gesetz in Kraft trat, wurde die Unterhaltung der Wilsterau, also auch des Burggrabens Sache des Staates, worauf die Stadt alsbald zurückkam, doch musste dieser Sachverhalt dem Staate gegenüber zunächst einmal gerichtlich erstritten werden. Der Krieg trat zunächst dazwischen. 1913 verschwanden in der Straßenbeleuchtung die letzten Petroleumlampen. 1914 konnten im Zuge des Baues der Wasserleitungen Hydranten aufgestellt werden, eine Verbesserung für die Feuerwehr. Schon seit dem 19. August 1898 hatte Wilster auch eine Stadt-Bibliothek. Die Entleihung war anfangs unentgeltlich, was sich jedoch nicht durchhalten ließ. 1914 zählte sie 799 Bücher. Untergebracht war sie in der „alten Knabenschule“ von 1885, der späteren Mittelschule. Das Denkmal des Dichters Johann Meyer, eines gebürtigen Wilsteraners, erfolgte im Stadtpark am 5.1.1909. Seit dem 20.1.1886 bestand ein Regulativ für die Verwaltung des Armenwesens der Stadt. Es gab 2 ehrenamtliche sog. Armenvorsteher, je einen für die Alte und Neue Seite. Am 31.1. 1910 wurde mit dem Gesamtverband der Landgemeinden der Wilstermarsch ein Abkommen getroffen, wonach die von diesem Armenver-band überwiesenen Armen im städtischen Armen- und Altersheim, soweit hier Platz war, Unterkunft und Verpflegung erhalten sollten. Das vom Dr. Mencke eingerichtete Krankenhaus wurde in den Jahren 1912/13 durch einen Anbau erweitert, so dass die Zahl der Krankenbetten von 16 auf 32 stieg. Schließlich hat man noch 1914 mit der Restaurierung des Alten Rathauses begonnen. Es wurde durch Vertrag vom 6. August 1867 einst der Justizverwaltung als Gerichtsgefängnis und Gefangenenwärter-wohnung übergeben und seitdem entsprechend genutzt. Dieser Vertrag wurde nunmehr zum 1.4.1912 von der Justizverwaltung gekündigt. Das Gerichtsgefängnis wurde nach Itzehoe verlegt. Ein Glücksfall. Eine Dämmerung war zudem inzwischen erfolgt. So regte der Verkehrs- und Verschönerungsverein, Vorsitzender Bürgermeister Dethlefsen, die Renovierung an, die dann am 6.12. 1912 von den städtischen Kollegien beschlossen wurde. Mit den Arbeiten wurde der Bruder des Provinzialkonservators, Prof. Dr. Albrecht Haupt aus Hannover, beauftragt. Dr. Haupt erläuterte: „Es wird beabsichtigt, den Zustand des Gebäudes von 1585 wieder herzustellen“. Beseitigt solle werden, was „später aus Gründen der gewöhnlichen Notdurft ---- auf die dürftigste und billigste Manier für immer unerfreulichere Zwecke umgeformt wurde.“ Diele und Vorsaal sollten wieder „als die sprechenden Räume des Bauwerkes wirken“. Der Raum hinter der alten Ratsstube im Erdgeschoss könne, da feuerfest, die Stadtkasse aufnehmen mit der Ratsstube selber. Die Gerichtsstube im Obergeschoss soll voll wieder hergestellt werden mit dem Kaminraum dahinter. Sie könnten für Kunstaltertümer Verwendung finden. Der Vorsaal könne als Jugendheim dienen. Fachwerk und die alten Fenster im Fachwerk erhalten ihre alte schönere Form zurück. „Nach dieser Herstellung wird das Haus neben dem aus Krempe sich als das interessanteste und anmutigste in Holstein aus der Renaissancezeit darstellen. Alles ist an ihm ja noch ganz, teilweise oder wenigstens in Resten so wohl erhalten und erkennbar, dass Fehlgriffe wohl nicht gemacht werden können. Dabei ist anzunehmen, dass das Gebäude nachher nicht nur der Stadt und Land aufs neue zur Zierde gereichen wird, sondern dass es auch dazu beitragen muss, den Sinn für vaterländische alte Kunst und ihre Erhaltung im holsteinischen Volke weiter zu fördern.“ Prof. Haupt entsandte für die Durchführung des Baues den Architekten Brandes, unter dessen Leitung die Restaurierung im Frühjahr 1914 begonnen wurde. Der Krieg störte dann sehr, doch konnte das Werk nach Kriegsende im Winter 1918/19 vollendet werden. Das alte Eckhaus unmittelbar neben dem Rathause wurde von der Stadt im Zusammenhang mit dieser Herstellung am 29.4.1910 erworben