Eines der stattlichsten Bürgerhäuser des späten 18. Jahrhunderts in ganz Schleswig-Holstein ist das sogenannte Bürgermeisterhaus von 1785 in Wilster. Als Sitz der Stadtverwaltung kann es von jedermann betreten werden; regelrechte Besichtigungen des "Neuen Rathauses" von Gruppen oder Einzelpersonen sind freilich zu vereinbaren.
Vor siebzig Jahren würdigte Carl Zetsche den Prachtbau mit einer ausführlichen und reich bebilderten Monographie, in deren "Vorwort" das "köstliche Besitztum" wie folgt gepriesen wird:
Mit unendlicher Liebe und Sorgfalt, mit erlesenem Geschmack und erstaunlichem Reichtum ist der ganze Bau bis in die kleinsten Einzelheiten, bis in den letzten Winkel einheitlich durchgeführt. Die entzückende Mannigfaltigkeit der Formen ist noch gesteigert durch reizvolle Stilübergänge und Stilmischungen vom reifsten Rokoko bis zum Empire (Carl Zetsche, Das Bürgermeisterhaus in Wilster, Berlin 1914, S. 7).
Unter welchen entstehungsgeschichtlichen Umständen konnte vor zweihundert Jahren in einem Ort von der Größe Wilsters, der damals knapp 1.700 Einwohner zählte (vgl. Otto Voss, a. a. 0., S. 39), ein solch vornehm bürgerliches Wohnhaus errichtet werden? So schreibt doch Georg Friedrich Schumacher, der von 1796-1798 Rektor der "Großen Stadtschule" Wilsters war, in seinen 1841 erschienenen Lebenserinnerungen recht abfällig über Wilster: "Die Stadt war ein kleines Nest, ein abgelegenes Abdera, selbst ohne Poststation, in der Marsch. Die Menschen durch und durch Kleinstädter, d. h. in allem zurück, aber voll Selbstgefühl" (G. F. Schumacher, a. a. 0. S. 228). Vermittelt dieser "Schulmann" sonst ein überaus anschauliches Bild des Wilsteraner Bürgertums (vgl. Steinburger Jahrbuch 1982), so ist dieses Pauschalurteil sicher einseitig und ungerecht. In der Friedenszeit zwischen den Nordischen und Napoleonischen Kriegen war Wilster vielmehr "ein blühender kleiner Handelsort, dessen Schiffe sich selbst auf den Ozean hinauswagten" (0. Voss, a. a. 0. S. 40). Umgeschlagen wurden im Hafen am "Rosengarten" Agrarerzeugnisse der gesamten Wilstermarsch und Dithmarschens. Und blieb die Stadt für das Binnenland weiterhin "abgelegen" (Schumacher), nur durch den "Steindamm" mit ihm verbunden, besaß Wilster zu den Nordseeanrainern, wohin die meisten Exportprodukte (Fleisch, Butter, Käse, Getreide) verschifft wurden, eine sehr günstige verkehrsgeographische Lage. Sie übertraf die Standortbedingungen der meisten vergleichbaren Orte in den Herzogtümern bzw. im südlichen Elberaum (vgl. Koch, 1982, a. a. 0., S. 181 f.).
Nutzen aus der neuen Blütezeit der Stadt zog vor allem die begüterte „Oberschicht", schreibt Otto Voss in dem schon mehrfach zitierten Beitrag zur 700-Jahr-Feier Wilsters, "die ihre Gelder sorgsam anzulegen verstand, eine Familienpolitik betrieb, in der bei Heiraten Geld zu Geld kam. Man war auf vielfältige Weise miteinander versippt und verschwägert" (a. a. 0., S. 40). Paradebeispiele solcher verwandtschaftlicher Beziehungen liefern insbesondere die "Stammtafeln" der Familien Breide, Sommer, Doose und Michaelsen, wie sie in der Stadtgeschichte von Heinrich Schulz (Wilster 1932, S. 125 u. 129) zu finden sind. Diese Wilsteraner Großbürger waren die Finanziers der Marschenstadt und gelangten durch die Zinsen aus Darlehen und geschäftliche Beteiligungen zu außerordentlichen Vermögen.
Einer dieser wohlhabenden Bürger Wilsters war der Kanzleirat Johann Hinrich Doos (1738-1804), der Schwager des reichsten Mannes der ganzen Marsch, des Etatsrates Michaelsen (1730-1797). Doos heiratete am 6. Oktober 1784 die Nichte Michaelsens, Louise Charlotte von Wolters (1758-1829). Schon im kindlichen Alter von neun Jahren war die kleine Louise dem 20 Jahre älteren Kanzleirat versprochen worden.
Ein Jahr nach seiner Hochzeit ließ Johann Hinrich Doos für sich und seine Frau Louise jenes großartige Gebäude errichten, das heute als "Bürgermeisterhaus" oder als "Neues Rathaus" bezeichnet wird.
Als Architekt wird bis heute immer wieder Ernst Georg Sonnin (1713 bis 1794) genannt oder vermutet. Doch Hermann Heckmann, ein profunder Kenner der Materie, weist in seiner 1977 erschienenen Monographie über Sonnin jegliche Spekulation hinsichtlich einer Beteiligung des Baumeisters der Wilsteraner Kirche (1775-1780) am Hause der Familie Doos zurück und formuliert eine überraschende Hypothese:
Zur Beteiligung Sonnins ist dasselbe festzustellen wie beim Wohnhaus Michaelsen: Eine so differenzierte Backsteindekoration kommt an seinen Bauten nie vor; eine so klassizistische Portaleinfassung auch nicht. Er hat auch nie in Mauerwerksblenden die von Rosenbergs Architektur her bekannten Ausklinkungen der Ecken vorgesehen. Die Bauzeit spricht schon gar nicht für seine Beteiligung. Kein Hinweis existiert, dass er nach 1783 nochmals nach Wilster gekommen ist, kein Hinweis auf eine Verbindung mit Doos. Anscheinend hat dieser wohlhabende und - nach seiner umfangreichen Bibliothek zu urteilen - sehr gebildete und gut informierte Mann das Haus allein nach dem Vorbild des Michaelsenschen Wohnhauses erbauen lassen (Hermann Heckmann, Sonnin - Baumeister des Rationalismus in Norddeutschland, Hamburg 1977, S. 134).
Es handelt sich bei dem einstigen Besitztum der Familie Doos um einen würfelförmigen, zwei Geschosse hohen Backsteinbau mit nur etwa 50 cm in der Erde liegendem Untergeschoß und völlig ausgebautem Dachgeschoß mit Mansardendach und übergiebeltem Frontispitz über Straßen- und Gartenseite. Das Gebäude selbst ist 15 m breit und 19 m tief. Die Zimmer sind im erhöhten Erd- und Obergeschoß 3,80, im Dachgeschoß 3,50 m im Lichten hoch, die Zwischendecke etwa 50 cm stark. Das Mansardendach ist mit glänzenden roten Pfannen eingedeckt. Der das Untergeschoß umschließende Sockel sowie das eigentliche Fundament bestehen aus Granitquadern der einstigen Ritterburgruine Hanerau. Die Vorderfront wird durch sieben Fensterachsen, durch rustikale Wandstreifen zwischen den enggestellten Fenstern und verkröpfte geschossteilende Ziegelbänder wirkungsvoll gegliedert. Erst seit 1938 präsentiert sich die Straßenfront wieder in ihrer ursprünglichen Form, denn bis dahin war sie durch einen Umbau in "hannoverscher Gotik" aus dem Jahre 1894 unglaublich verunstaltet.
Über eine Freitreppe mit kunstvollem, schmiedeeisernem Geländer gelangt man durch die Haupttür an der Vorderseite unmittelbar in die große Diele, wobei die Glasfenster der rückseitigen Tür schon beim Betreten des Hauses einen Blick auf den wunderschönen Garten gewähren.
Zwei kostbare, hohe Schränke, ein zierliches Wandtischchen mit Marmorplatte sowie acht Ölgemälde über den Türen (Supraporten mit ländlichen Szenen) verleihen der Diele eine vornehme und fast wohnliche Atmosphäre. Sie dürfte früher noch eindrucksvoller gewesen sein, als zu beiden Seiten des Eingangs zwei Truhen gestanden hatten, über denen ovale Spiegel hingen. Aber auch durch die Architektur wird jeglicher unbehagliche Hallencharakter vermieden, den solche großen Flure leicht an sich haben. Denn dadurch, dass die Wände des zweiten und dritten Zimmers beiderseits stark vorspringen, wird die Diele geschickt dreigeteilt und nach hinten verjüngt.
Auf der linken Seite des Flurs liegt zunächst das einstige Zimmer des Hausherrn, jetzt das Zimmer des Bürgervorstehers. Es besitzt äußerst reizvolle, mit Ornamenten verzierte Tapeten, die fünf Ovalfelder umrahmen, auf denen allegorische Figuren in Öl gemalt sind. Auch über den Türen prangen noch zwei Bilder unbekannter Meister.
Die musizierenden Engelchen auf den Supraporten des dann folgenden größeren Zimmers lassen eine Art Musikzimmer vermuten, das aber auch als gemeinsames Wohnzimmer gedient haben dürfte. Blickfang des Raumes sind heute zwei elegante Empirespiegel zwischen den Fenstern der Nordseite. Das dritte Zimmer mit einem sehr hübschen Blick in den mit großen Bäumen bestandenen Garten hinein war offenbar ein Esszimmer, dem auf der anderen Flurseite die große Kachelküche gegenüberliegt. Das Speisezimmer besitzt eine schwungvolle Deckenrosette und fünf große Spiegel unterschiedlicher Stilrichtungen, da nicht alle von ihnen schon immer hier gehangen haben. Genutzt wird dieses kleine "Spiegelkabinett' sinnigerweise als Stadtkasse.
Neben dem Haupteingang zur rechten Seite liegt das einstige Zimmer der Frau und daran stoßend ein kleineres Kinderzimmer. Beide Räume waren früher an den Wänden wahrscheinlich mit Stoff bespannt, wie vor Jahrzehnten aus entsprechenden Wandleisten geschlossen wurde. Die herrliche Deckenrosette sowie der kostbare Kronleuchter aus feinstem venetianischen Kristall, die von Zetsche noch gepriesen werden, sind heute nicht mehr vorhanden. Das Zimmer der Hausherrin präsentiert sich gegenwärtig leider in pseudoklassizistischer Strenge und weiß gekalkter Schlichtheit.
Hinter dem einstigen Kinderzimmer folgen die Treppen nach oben wie zum Keller, letztere durch eine Tür völlig abgeschlossen. Früher befand sich zwischen Kinderzimmer und Küche eine Verbindung, die unter dem Treppenabsatz hindurchführte. jetzt ist dort eine Toilette eingebaut. In der Küche ist die ursprüngliche Herdanlage natürlich modernisiert worden, aber der schrankartige Umbau, in dem der vom Waschhause des Untergeschosses schräg heraufgezogene Schornstein liegt, und ein stattlicher Teil des alten schönen Kachelbelages sind erhalten. Da Platz im Neuen Rathaus knapp ist, werden selbst die ehemalige Küche und das Herdzimmer für Bürozwecke genutzt.
Einen repräsentativen Eindruck vermittelt dagegen auch heute noch das Treppenhaus zum Obergeschoß mit seiner illusionistischen Malerei, darunter die Bilder Jüngstes Gericht (170x106), Tandem, tandem iustitia obtinet (176x102) und Neptun auf Ungeheuer. Die Treppe mündet in einen zentral gelegenen Flur, der wie die Diele zwei prachtvolle Schränke aufweist, sechs Supraporten besitzt und eine reiche Stuckdecke mit Trophäenrosette.
Sämtliche um den Flur gruppierten Räume bestanden entsprechend der damaligen Wohnkultur des Großbürgertums nur aus Empfangsräumen. Deren Umfang und Pracht könnten auf einen bedeutenden geselligen Verkehr schließen lassen, wenn man nicht von Zeitgenossen wüsste, dass das Ehepaar Doos in Wirklichkeit recht zurückgezogen lebte.
Der größte Raum des Obergeschosses liegt quer zur Straße hin und erstreckt sich durch das ganze Gebäude, Blickfang sind zehn herrliche Spiegel, die dem einstigen Empfangssaal des Hauses auch den Namen „Spiegelsaal" eingebracht haben. Er wird heute als Ratssaal der Stadt Wilster genutzt. Seine Wände und die Decke sind mit Rokokostuck verziert. Aus dem ehemaligen Schloss Friedrichsruh bei Drage stammen drei Supraporten. Als ganz persönlichen Eindruck möchte ich noch hinzufügen, dass mich nicht zuletzt die Spiegel und Raumarchitektur des Ratssaales sehr stark an den „Gartensaal" des Ahrensburger Schlosses erinnern. Mehrfach musste der große Saal im Neuen Rathaus übrigens restauriert werden, zumal er an der Wetterseite gelegen ist.
Neben ihm auf der Treppenseite befindet sich ein Anrichtezimmer mit klassizistischem Spiegel, Konsoltisch und stukkierten Figuren. Nach Norden hin liegt ein großer, ehemals mit rotem französischen Seidendamast ausgeschlagener Salon, heute das Vorzimmer des Bürgermeisters. Die dem Flur zugewandten Ecken sowie die Decke des roten Salons sind mit Rokokostuck verziert, zwischen den drei Fenstern prunken zwei klassizistische Spiegel mit Konsoltischen. Über den drei Türen sind Supraporten mit Parkszenen.
Nach der Gartenseite hin befinden sich drei Räume: in der Mitte der sogenannte „grüne Salon" mit Empirestuck an Decke und Wänden, einem schönen Kronleuchter und zwei Spiegeln mit Konsoltischen; rechts davon (nach Süden) ist ein kleineres Zimmer mit Wandmalereien im Stil Ludwigs XVI., links dagegen ein ähnliches, aber mit Malereien in Schinkelscher Art. Das ehemalige Herrenzimmer im Obergeschoß ist heute das Amtszimmer des Bürgermeisters.
Ebenfalls völlig ausgebaut war das Dachgeschoß des Hauses. So diente der große Raum nach dem Osten mit prachtvollem Blick auf den großen Garten als Schlafzimmer der Eheleute. Von hier aus gelangte man in das dahinter liegende, schon damals beheizbare Kinder-Schlafzimmer, welches gleich dem darunter liegenden Eckzimmer mit Wandmalereien im Stile Ludwigs XVI. verziert ist. Dem großen Schlafzimmer gegenüber lag nach der Straße hin das Bibliothekzimmer. Als die Etatsrätin 1829 starb, umfasste die Doos'sche Bibliothek knapp 5.000 Werke in etwa 10.000 Bänden. Diese stattliche Sammlung diente wahrscheinlich nicht nur der Repräsentation, denn Zeitgenossen berichten, dass die Doos'sche Bibliothek mit Büchern aus allen Wissensgebieten, darunter vor allem naturwissenschaftliche und historische Werke sowie seltene Landkarten, intensiv genutzt wurde (vgl. den Beitrag "Die Doos'sche Bibliothek' von Jutta Kürtz in dem Sammelband zur 700-JahrFeier, a. a. 0., S. 110). Heute befinden sich die etwa 2.700 Werke, die aus der Doos'schen Bibliothek über die Zeiten gerettet werden konnten, im Alten Rathaus von 1585.
Der übrige Raum auf der Nordseite des Dachgeschosses; nur durch zwei Fenster von der Straße und vorn Garten her erhellt, beherbergte diverse Sammlungen des vielseitig interessierten Kanzleirates, Außerdem befinden sich hier zwei wertvolle eingebaute Mahagonischränke und zwei Kamine, die in ihrem oberen Teil Reliefs der Kreuzigung und Auferstehung tragen. Diese Alabasterarbeiten stammen vermutlich aus der abgerissenen alten Kirche der Stadt Wilster, denn Johann Hinrich Doos hat noch einiges davon gerettet, um es in sein Anwesen einzubauen (so diente die einstige Altarplatte als Gartentisch).
Der Bodenraum zwischen Treppe, Flur und Bibliothekszimmer enthielt ebenfalls Wandschränke, die wahrscheinlich für Wäsche, Kleidung usw. bestimmt waren. Im übrigen weist auch der Flur im Dachgeschoß genau wie der darunterliegende Wandmalereien und eine herrliche Rokoko-Stuckrosette an der Decke auf.
Nicht weniger sehenswert als das Wohnhaus der Familie Doos war einst der dahinter liegende Garten mit seinen Gartenhäusern, Alleen und zahlreichen künstlerisch wertvollen Standbildern aus leuchtend weißem, carrarischem Marmor . Abgesehen von Witterungseinflüssen und gestalterischen Eingriffen nach dem Tode der Familie Doos hat nicht zuletzt ein Bombenangriff im Sommer 1944 das Antlitz des Gartens erheblich verändert und seinen ästhetischen Wert gemindert. Unbestritten ist dagegen sein heutiger Wert für Freizeit und Ökologie der Stadt Wilster.
In den Garten gelangt man über die hintere Freitreppe des Hauses oder über zwei Wege von der Straße her, d. h. eigentlich kommt man erst auf den gepflasterten Hof, der früher wiederum durch eine Mauer mit einem schönen schmiedeeisernen Tor in der Mitte und zwei kleinen Häuschen an den Seiten vom Garten geschieden war.
Die Gartenpforte samt Mauer und Häuschen sowie die schmiedeeisernen Gittertore vor den Zugängen zur Straße sind dem schon erwähnten Bombenangriff auf Wilster am 15. Juni 1944 zum Opfer gefallen. Am gleichen Tage wurden auch die beiden Gartenhäuser vernichtet, von denen weiter unten noch zu sprechen sein wird.
Der Garten selbst war ursprünglich ganz in französischer Art streng geometrisch angelegt und dann durch Zukauf erweitert worden. Doch auch der neu erworbene hintere Teil war zunächst wohl in französischer Manier eingerichtet worden, wie aus einer Lithographie des 19. Jahrhunderts geschlossen werden kann. Den Abschluss des Gartens bildete damals wie heute ein kleiner Teich, nur dass auf seiner Ostseite noch ein kleines Gartenhaus, das sogenannte Badehaus gestanden hat. Ein weiteres großes Gartenhaus auf der Höhe des heutigen Städtischen Kindergartens ist vermutlich erst nachträglich in die gesamte Anlage hineingebaut worden, wodurch allerdings die Symmetrie des alten Konzepts verlorenging. Gleichzeitig mit der Errichtung des großen Gartenhauses wird der hintere Teil des Gartens englisch verändert worden sein. Dass es sich bei den Gartenhäusern um geschmackvoll eingerichtete Bauwerke von beachtlichen Ausmaßen gehandelt hat, geht aus alten Grundskizzen (im „Zetsche") und Photos (W. Behning) hervor: So besaß zum Beispiel das große Gartenhaus einen quadratischen Saal von 8,60 m Seitenlänge und 4,14 m Höhe; das kleine Gartenhaus hatte eine umbaute Fläche von 6,05x5,76 m mit einfachen Fachwerkwänden.
Die Marmorbilder des „Bürgermeister-Gartens" stammen wie die Spiegel im Ratssaal und auch anderes Inventar des Hauses (Kronleuchter, Truhen) aus dem ehemaligen Schloss Drage, das zwischen 1787 und 1790 abgebrochen wurde. Leider sind von den einst recht zahlreichen Marmorplastiken nur noch zehn erhalten, und zwar stehen sie um den großen Rasenplatz beim Hof-Eingang, um das Rondell in der linken Gartenhälfte sowie verstreut an den Gabelungen der Gartenwege.
Die Marmorbilder stellen antike Götter, Musen und allegorische Gestalten (die Jahreszeiten, die Weltteile, Mymphen) dar. Bedauerlicherweise wurde in jenen Wochen, als diese Zeilen entstanden, schon wieder eine der Figuren mutwillig zerstört. Dass der Garten, insbesondere aber das Wohnhaus der Familie Doos und ein Teil seiner kostbaren Ausstattung überhaupt so gut erhalten geblieben sind und heute der Stadt Wilster gehören, dass das Haus nicht in private Hand überging oder ihm ein Schicksal wie dem Wohnhaus des Etatsrates Michaelsen widerfuhr (es wurde 1826 abgerissen), ist der weisen Vorausschau der Etatsrätin Doos zu verdanken. Ihr Mann, der Kanzleirat, war 1804, ihr Sohn Johann Diederich drei Jahre später verstorben. Weil sie somit ohne direkte Erben war, setzte sie ein umfangreiches Testament auf, das die Verfügung über das Besitztum der Familie Doos regeln sollte. Die Etatsrätin selbst starb als hochvermögende Witwe am 15. Juni 1829 und ist als große Wohltäterin in die Geschichte der Stadt Wilster eingegangen. In ihrem Testament heißt es u. a.:
Aus Liebe zu meinem seeligen Ehemann, der das von mir bewohnte Haus für sich und seine Nachkommen, wie auch zur Zierde der Stadt Wilster aus seinen eigenen Mitteln von Grund aus neuerbaut hat und zwar so solide und dauerhaft, dass es langer als Ein Menschenleben stehen kann - und da ich nach meiner festen Überzeugung glaube seinen Willen am besten zu erfüllen, wenn ich dafür sorge, dass dies sein Lieblingswerk nach meinem Tode nicht mutwilligerweise zerstört, sondern zu seinem Andenken so lange erhalten werden möge, als ein Werk von Menschenhänden bestehen kann; so legiere und vermache ich ... mein Wohnhaus cum pert: nebst Garten, Gartenhäuser, Stall und dem dahinter liegenden Stück Grasland, der Stadt Wilster, bestimme jedoch dass der jedesmalige Bürgermeister von Wilster das Haus cum pert: nebst Garten, Gartenhäuser, Stall und Land resp. bewohne und dass in der zweiten Etage das große Zimmer nach hinten zur Rathversammlung und das daran stoßende kleine Zimmer zur Kämmerei eingerichtet und benutzt werde; alle übrigen Zimmer behält der jedesmalige Bürgermeister zu seinem eigenen Gebrauch, darf jedoch in der Hauptsache nichts daran ändern. Als Theile des Hauses, mithin in diesem Legate mit begriffen sollen zu betrachten seyn: alle an den Wänden festgeschrobenen Trumeaux nebst dem dazu gehörigen Tischen mit Marmorblättern ... Alle gläsernen Kronleuchter. Die beiden großen Schränke auf der Diele mit den beiden dazu gehörigen Tritten. Die beiden großen Koffer mit den darüber angebrachten ovalen Spiegeln. Die beiden großen Schränke auf dem untersten Vorboden, welche als zur Aufbewahrung von Documenten bestimmt, zur Disposition des Magistrats sind. Alle bey der Treppe herum angebrachten Gemälde. Solange die beiden Gartenhäuser durch eine mäßige geringe Reparatur in Ordnung gehalten werden können, mögen selbige stehen bleiben ... Die Statuen und steinernen Tische im Garten sollen ihren Platz behalten, so wie überhaupt in dem oberen Theil des Gartens, bis zum Baumgarten nichts wesentliches verändert werden darf... Die beiden Kellerstuben nach vorne in dem Wohnhause, sollen für einen Polizeidiener zur freien Wohnung bestimmt seyn und demgemäß eingerichtet werden. Diesem Polizeidiener ist es erlaubt diejenigen, welche Geschäfte auf dem Rathause haben und solange bey ihm eintreten wollen bis sie vorgelassen werden, mit Getränken u. d. gl. für Bezahlung zu bewirten; er darf aber sonst keine sitzende Gäste bey sich aufnehmen oder Spiel u. d. gl. zulassen, damit den anderen Wirthen der Stadt dadurch kein Abbruch geschehe. Weder das Wohnhaus noch ein Theil desselben, weder der Garten noch das Land, noch irgend eine Pertinenz soll vermithet oder anders benutzt werden, als von mir hier vorgeschrieben worden, auch sollen nie öffentliche Feste, Bälle u. d. gl. in dem Hause veranstaltet und gegeben werden . . ." (zitiert nach Jutta Kürtz, Das Bürgermeisterhaus von 1785 das Neue Rathaus, in: 700 Jahre Stadt Wilster, a. a. 0., S. 104-106).
Das Vermächtnis der Frau Doos ist über Generationen hinweg nicht buchstabengetreu eingehalten worden, denn es hat bauliche Veränderungen im Gebäude gegeben, das Inventar ist nicht immer an Ort und Stelle geblieben, der Garten hat neue Züge bekommen, und die Nutzung der Räume als „Neues Rathaus" hat manchen Wandel erfahren. "So wird auch", schrieb 1914 Provinzialkonservator Prof. Haupt, "was diese Frau mit irdischen Mittel fürs Diesseits getan und gewollt hat, nicht für alle Zeiten gesichert sein", denn "keines Menschen Wille kann übers Grab hinaus dauern und in reiner Wirkung bleiben" (R. Haupt in der "Einführung" zum Zetsche", a. a. 0., S. 22). Aber das Juwel vornehm-bürgerlicher Bau- und Einrichtungskunst", das der Stadt Wilster verblieben ist, hat doch einen unschätzbaren Wert. Und es muss in Anlehnung an Jutta Kürtz gesagt werden, dass die Wilsteraner das Doos'sche Haus - ihr Neues Rathaus - nicht haben zum Kulturdenkmal erstarren lassen.
Literaturhinweise:
Das Bürgermeisterhaus in Wilster (Das Haus der Frau Etatsrätin Doos). Hrsg. v. Carl Zetsche. Mit einem einleitenden Text von Prof. Richard Haupt. Berlin 1914. Haupt, Richard: "Einführung" zu "Das Bürgermeisterhaus in Wilster', vgl. Anm. 1, S. 2-22. (Ein Auszug dieses Textes befindet sich auch im Heimatbuch des Kreises Steinburg, Bd. III, Glückstadt 1926/Itzehoe 1981, S. 172-176.)
Heckmann, Hermann: Sonnin - Baumeister des Rationalismus in Norddeutschland. (Mitteilung aus dem Museum für Hamburgische Geschichte; Bd. XI). Hamburg 1977. Koch Manfred: Schiffahrt, Hafen und Handel in Wilster. In: Steinburger Jahrbuch 1983, Itzehoe 1982, S. 173-188.
Die Kunstdenkmäler des Landes Schieswig-Holstein. Hrsg. v. Hartwig Beseler./Kunst.opographie Schleswig-Holstein. Neumünster 1969, S. 833-835.
Kürtz, Jutta: Das Bürgermeisterhaus von 1785 - das Neue Rathaus. In: 700 Jahre Stadt Wilster. Skizzen aus der Geschichte einer alten Marschenstadt, hrsg. v. j. Kürtz. Neumünster 1982, S. 101-106.
diesselbe: Wohltäterin der Stadt: Etatsrätin Doos. Ebd., S. 107-109. diesselbe: Die Doos'sche Bibliothek. Ebd., S. 110.
Schulz, Heinrich: Wilster. Eine kurze Geschichte der Stadt und ihrer Baudenkmäler. Wilster 1932.
Schumacher, Georg Friedrich: Genrebilder aus dem Leben eines siebenzigjährigen Schulmannes - ernsten und humoristischen Inhalts. (Unveränderter Nachdruck der Schleswiger Ausgabe von 1841). Neu hrsg. v. Deutschen Grenzverein in Gemeinschaft mit der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. Mit einem Nachwort und einem Personenregister von Franklin Kopitzsch. Flensburg 1983.
Stender, Friedrich: Das Bürgerhaus in Schleswig-Holstein. Tübingen/Neumünster 1971.
Voss, Otto: Wilster im Wandel der Jahrhunderte. In: 700 Jahre Stadt Wilster. Hrsg. v. Jutta Kürtz, Neumünster 1982, S. 19-51.
Für wertvolle Hinweise und Materialien danke ich Frau Gertrud Schippmann, die Über 40 Jahre im Neuen Rathaus zu Wilster berufstätig gewesen ist, des weiteren den aktiven Mitarbeitern der Wilsteraner Stadtverwaltung sowie Herrn Werner Behning, einem alteingesessenen Photographen und großen Kenner der Stadtgeschichte.
Quelle: Steinburger Jahrbuch 1985 (Manfred Koch)