Auszug aus dem Buch "Geschichte der Wilstermarsch" von Gustav J. J. Witt Seite 31:
Wie konzentriert die Macht und der Einfluss der katholischen Kirche vor der Reformation war, mag aus der folgenden ganz unbedeutenden Sache ersehen werden:
Im November 1516 war Detlef Witten in Wilster von Bertold Holste wegen Spolierung (berauben, plündern, stehlen) seines Hauses und verschiedener Güter vor dem geistlichen Gericht in Hamburg verklagt. Es scheint sich dabei um eine Entweihung irgendwelcher Art gehandelt zu haben. Detlef Witten wurde exkommuniziert.
Er wandte sich darauf direkt an den Papst Leo X (1513 - 1521), den hochgebildeten, prunk- und vergnügungssüchtigen Sohn des berühmtesten aller Medici, Lorenzo Jagnifico, und dieser entscheidet, dass Detlef Witten zu Unrecht exkommuniziert sei und befiehlt, die Sache nochmals zu untersuchen.
Das Original befindet sich im Stadtarchiv Wilster.
Hier die Vorgeschichte zur Urkunde:
Noch verhängnisvoller war für den Rat die Auseinandersetzung mit dem Bürger Bartelt Holste. Sie spielte in derselben Zeit. Der Rat hatte seine Klage gegen Bartelt Holste, weil es sich wohl auch um geistliche Stiftungen handelte, vor das Hamburger Domkapitel gebracht. Wahrscheinlich aber nahm der Prozess nicht den erwarteten Ausgang, und der Rat zögerte mit der Erlegung der nicht geringen gerichtlichen Gebühren. Die Folge war die Auferlegung des geistlichen Bannes seitens des Domkapitels. Auf des Rats Beschwerde hin schreibt der Domherr Jakob Hennings am 21. Oktober 1508 einen recht deutlichen und höchst ungeistlichen Brief, der heute noch im Stadtarchiv ruht. Er fordert zunächst Ersatz für seine baren Auslagen und redet die Ratsherren also an:
»Late gy juw dünken, dat ick sodanes alle uth mynem Büddel vorleggen schall. Ick denke solches nicht tho donde!« Dann verlangt er eine recht anständige Summe und schreibt weiter: »Darumme so gy erst gelt schicken, mach de sake ein ende nehmen unde Absolution krighen. Wenn gy erst uth dem Bann weren, mochten wy den wyder rede hebben.« Es wird für den Rat keinen andern Ausweg gegeben haben, um von dem Banne freizukommen, als die geforderte Summe zu erlegen.
Aber der Zwist mit Bartelt Holste ging weiter. Dieser klagte im Jahre 1516 vor eben demselben Domkapitel, dass eine ganze Anzahl von Bürgern sein Haus und verschiedene Güter verwüstet hätten, und erhob zugleich gegen den Rat eine besondere Anklage. Dieser scheint sich sogleich an den Landesherrn nach Kiel gewandt zu haben, der dann auch den Hamburger Dompropsten bat, die Schlichtung dieser weltlichen Streitsache ihm als dem rechtmäßigen Richter zu überweisen. Der Domprobst gab der Bitte des Herzogs nach. Inzwischen hatte aber der Anwalt des Bartelt Holste sich kurzerhand an den Papst nach Rom qewandt. Es kam wieder zur Exkommunikation. Die Gegenseite scheint jedoch ebenfalls sich nach Rom gewandt zu haben, und so ist das Stadtarchiv heute noch heute im Besitz einer mit der päpstlichen Bleibulle versehenen Urkunde Leos X vom 10. Mai 1518. Wie der Streit ausgelaufen ist, wissen wir nicht. Es ist aber bereits die Zeit, da die Hammerschläge des kühnen Wittenberger Mönchs weithin durch die deutschen Lande schallten. Ob dem Bartelt Holste in Wilster nach soviel Zwistigkeiten der Boden unter den Füßen zu heiß wurde? Unter dem 19. April 1519 verkaufte er seinen Speicher und vier ererbten Höfe an drei Bürger der Stadt. (Quelle: Heimatbuch des Kreises Steinburg, Band 3, Seite 139)
Und dieses ist die Übersetzung der Urkunde ins Deutsche von D. Dr. Wilhelm Jensen:
Leo, (oberster)Bischof, Knecht der Knechte Gottes. Den geliebten Söhnen, dem Kantor an der Marienkirche (Dom) zu Hamburg, bremischen Stifts, und dem Offizial zu Bremen, Heil und apostol. Segen!
In ihrer Bittschrift haben uns die geliebten Söhne Detlef Witt, Johannes Hannemann, Peter Stegemann, Gerhard Schröder und andere, die mit ihnen in dieser Streitsache zusammengehen, Laien des Kirchspiels Wilster im Bremischen Stift (Diöcese Bremen), angezeigt, dass seit längerer Zeit ein Prozess bestehe zwischen ihnen, den Prozessgenossen, einerseits und dem Bertold Holste, Laien genannter Diöcese, andererseits wegen gewisser Güter und Dinge, die damals schon deutlich bezeichnet wurden.
Sie hätten ihre Sache bereits vor den zuständigen Richter, den Offizial des Hamburger Domkapitels, Jacob Henning, gebracht. Aber ihr Gegner Bertold Holste habe an die erzbischöfliche Kurie in Bremen appelliert und der Erzbischof habe ungerechterweise den ganzen Prozess zur endgültigen Erledigung an Gerhard, den Abt des Marienklosters in Stade übertragen. Von diesem seien sie trotz der von ihnen vorgebrachten rechtmäßigen Exceptionen (berechtigte Einwände) mit der Exkommunikation belegt worden. Daraufhin hätten sie an den päpstlichen Stuhl in Rom appelliert. Er bestimme nun, dass beide Teile sowie Zeugen noch einmal zu vernehmen seien und dann die Sache zu entscheiden sei. Könnten beide zusammen sie nicht erledigen, so möge es einer tun. »Gegeben zu Rom bei St.peter im Jahre der Geburt des Herrn 1518, am sechsten Tage vor den Iden des Mai, im sechsten Jahre unseres Pontifikats.«
Eintragung auf der Rückseite der Urkunde:
Kantor Hinrich Meyer am Hamburger Dom, da er angeblich mit anderen Geschäften überhäuft war, hat die alleinige Durchführung des Prozesses an seinen Kollegen, den Domherrn Mag. Hinricus Jacobi übertragen. Es fragt sich, ob dieser kostspielige und für den Rat der Stadt so demütigende Prozess überhaupt zu Ende gekommen ist, da ja schon das Wetterleuchten der Wittenberger Reformation einsetzte. Er wird ein Grund dafür gewesen sein, dass Rat und Bürgerschaft in Wilster sich so auffallend früh der reformatorischen Bewegung anschlossen. (Vergleiche »Die Sonninkirche zu Wilster«, Wilster 1930 S.10 ff)
Und hier für Lateiner oder eventuelle Leser noch der lateinische Originaltext:
Leo, episcopus, servusservorum dei. Dilectis filis Cantori eclesia beate Marie Opidi Hamburgensis, Bremensis diocesis et Officiali bremensi salutem et apostolicam beb-nedictionem.
Sua nobis dilecti filii Ditlevus Witten, Johannes Hanneman, Petrus Stegheman, Ger-hardus Scroder et alii eorum in hac parte litis consortes, laici parochie Wilster, Bre-mensis diocesis, petitione monstraverunt, quod orta dudum inter ipsos litis con- sortes ex una et Bertoldum Holsten, laicum dicte diocesis, super certis bonis et rebus, tunc expressis, et illorum occasione coram Jacobo Hennigi, Officiali prepositi ecclesie beate Marie opidi Hamburgensis, eiusdem diocesis, ad quem cognitio causarum similium que inter tales personas oriuntur, pro tem- pore de antiqua et approbata consuetu-dine pertinet, mon ex delegatione apostolica, materia questionis, prefatus Bertoldus a quodam conficto sibi, ut dicebat, in huiusmodi causa de facto illato gravamine ad Curiam Archiepiscopalem Bremensem appellavit et in causa appellationis hujusmodi fecit dictos litis consortes coram Gerhardo, Abbate Monasterii beate Marie Stadensis, predicte diocesis, eius venerabilis frater noster Archiepiscopus Bremensis causam ap-pellationis hujusmodi audiendam et fine debito terminandam ordinaria auctoritate commisisse dicebatur, ad iudicem evocari. Et quia idem Abbas nonnullis legitimis ex-ceptionibus contra eum sententiis eius iurisdictionem pro parte dictorum litis consor-tum coram eo loco et tempore congruis exhibitis, que de iure admittende erant, saltem tacite reiectis, ac per operam et de facto iuris ordine pretermisso procedens dictor litis consortes excommunicationis sententia et forsan aliis censuris ecclesiasticis innodavit pro parte eorundem litis consortum sententiam exinde inter alia se indebite gravari, ad sedem apostolicam fuit appellatum. Que notitia discretioni vestre per apostolica scripta mandavimus, quatunis vocatis, qui fuerint evocandi, et auditis hincinde pro-positis, quod instrumentum fuerit appellatione remota, decernatis, facientes, quod decreveritis per censuram ecclesiasticam, firmiter observari. Testes autem, qui fuerint nominati, si se gratia, odio vel timore subtraxerint, censura simili, appellatione ces-sante, compellatis, veritati testimonium perhibere. Quod si non ambo his exequendis potueritis interesse, alterorum ea nihilominus exequatur. Datum Rome apud Sanc-tum Petrum Anno incar- nationis dominice Millesimo quingentesimo decimo octavo. Sexto Jdus Maji. Anno sexto pontificatus nostri.
Und hier noch ein Beitrag aus dem Buch »Aus der alten Stadt Wilster« von Pastor D. Dr. Wilhelm Jensen von 1932: