Auszug aus dem Buch "Geschichte der Wilstermarsch" von Gustav J. J. Witt Seite 31: Wie konzentriert die Macht und der Einfluss der katholischen Kirche vor der Reformation war, mag aus der folgenden ganz unbedeutenden Sache ersehen werden: Im November 1516 war Detlef Witten in Wilster von Bertold Holste wegen Spolierung (berauben, plündern, stehlen) seines Hauses und verschiedener Güter vor dem geistlichen Gericht in Hamburg verklagt. Es scheint sich dabei um eine Entweihung irgendwelcher Art gehandelt zu haben. Detlef Witten wurde exkommuniziert.
Er wandte sich darauf direkt an den Papst Leo X (1513 - 1521), den hochgebildeten, prunk- und vergnügungssüchtigen Sohn des berühmtesten aller Medici, Lorenzo Jagnifico, und dieser entscheidet, dass Detlef Witten zu Unrecht exkommuniziert sei und befiehlt, die Sache nochmals zu untersuchen.
Das Original befindet sich im Stadtarchiv Wilster.
Hier die Vorgeschichte zur Urkunde: Noch verhängnisvoller war für den Rat die Auseinandersetzung mit dem Bürger Bartelt Holste. Sie spielte in derselben Zeit. Der Rat hatte seine Klage gegen Bartelt Holste, weil es sich wohl auch um geistliche Stiftungen handelte, vor das Hamburger Domkapitel gebracht. Wahrscheinlich aber nahm der Prozess nicht den erwarteten Ausgang, und der Rat zögerte mit der Erlegung der nicht geringen gerichtlichen Gebühren. Die Folge war die Auferlegung des geistlichen Bannes seitens des Domkapitels. Auf des Rats Beschwerde hin schreibt der Domherr Jakob Hennings am 21. Oktober 1508 einen recht deutlichen und höchst ungeistlichen Brief, der heute noch im Stadtarchiv ruht. Er fordert zunächst Ersatz für seine baren Auslagen und redet die Ratsherren also an: »Late gy juw dünken, dat ick sodanes alle uth mynem Büddel vorleggen schall. Ick denke solches nicht tho donde!« Dann verlangt er eine recht anständige Summe und schreibt weiter: »Darumme so gy erst gelt schicken, mach de sake ein ende nehmen unde Absolution krighen. Wenn gy erst uth dem Bann weren, mochten wy den wyder rede hebben.« Es wird für den Rat keinen andern Ausweg gegeben haben, um von dem Banne freizukommen, als die geforderte Summe zu erlegen. Aber der Zwist mit Bartelt Holste ging weiter. Dieser klagte im Jahre 1516 vor eben demselben Domkapitel, dass eine ganze Anzahl von Bürgern sein Haus und verschiedene Güter verwüstet hätten, und erhob zugleich gegen den Rat eine besondere Anklage. Dieser scheint sich sogleich an den Landesherrn nach Kiel gewandt zu haben, der dann auch den Hamburger Dompropsten bat, die Schlichtung dieser weltlichen Streitsache ihm als dem rechtmäßigen Richter zu überweisen. Der Domprobst gab der Bitte des Herzogs nach. Inzwischen hatte aber der Anwalt des Bartelt Holste sich kurzerhand an den Papst nach Rom qewandt. Es kam wieder zur Exkommunikation. Die Gegenseite scheint jedoch ebenfalls sich nach Rom gewandt zu haben, und so ist das Stadtarchiv heute noch heute im Besitz einer mit der päpstlichen Bleibulle versehenen Urkunde Leos X vom 10. Mai 1518. Wie der Streit ausgelaufen ist, wissen wir nicht. Es ist aber bereits die Zeit, da die Hammerschläge des kühnen Wittenberger Mönchs weithin durch die deutschen Lande schallten. Ob dem Bartelt Holste in Wilster nach soviel Zwistigkeiten der Boden unter den Füßen zu heiß wurde? Unter dem 19. April 1519 verkaufte er seinen Speicher und vier ererbten Höfe an drei Bürger der Stadt. (Quelle: Heimatbuch des Kreises Steinburg, Band 3, Seite 139)
Und dieses ist die Übersetzung der Urkunde ins Deutsche von D. Dr. Wilhelm Jensen: Leo, (oberster)Bischof, Knecht der Knechte Gottes. Den geliebten Söhnen, dem Kantor an der Marienkirche (Dom) zu Hamburg, bremischen Stifts, und dem Offizial zu Bremen, Heil und apostol. Segen! In ihrer Bittschrift haben uns die geliebten Söhne Detlef Witt, Johannes Hannemann, Peter Stegemann, Gerhard Schröder und andere, die mit ihnen in dieser Streitsache zusammengehen, Laien des Kirchspiels Wilster im Bremischen Stift (Diöcese Bremen), angezeigt, dass seit längerer Zeit ein Prozess bestehe zwischen ihnen, den Prozessgenossen, einerseits und dem Bertold Holste, Laien genannter Diöcese, andererseits wegen gewisser Güter und Dinge, die damals schon deutlich bezeichnet wurden.
Sie hätten ihre Sache bereits vor den zuständigen Richter, den Offizial des Hamburger Domkapitels, Jacob Henning, gebracht. Aber ihr Gegner Bertold Holste habe an die erzbischöfliche Kurie in Bremen appelliert und der Erzbischof habe ungerechterweise den ganzen Prozess zur endgültigen Erledigung an Gerhard, den Abt des Marienklosters in Stade übertragen. Von diesem seien sie trotz der von ihnen vorgebrachten rechtmäßigen Exceptionen (berechtigte Einwände) mit der Exkommunikation belegt worden. Daraufhin hätten sie an den päpstlichen Stuhl in Rom appelliert. Er bestimme nun, dass beide Teile sowie Zeugen noch einmal zu vernehmen seien und dann die Sache zu entscheiden sei. Könnten beide zusammen sie nicht erledigen, so möge es einer tun. »Gegeben zu Rom bei St.peter im Jahre der Geburt des Herrn 1518, am sechsten Tage vor den Iden des Mai, im sechsten Jahre unseres Pontifikats.«
Eintragung auf der Rückseite der Urkunde: Kantor Hinrich Meyer am Hamburger Dom, da er angeblich mit anderen Geschäften überhäuft war, hat die alleinige Durchführung des Prozesses an seinen Kollegen, den Domherrn Mag. Hinricus Jacobi übertragen. Es fragt sich, ob dieser kostspielige und für den Rat der Stadt so demütigende Prozess überhaupt zu Ende gekommen ist, da ja schon das Wetterleuchten der Wittenberger Reformation einsetzte. Er wird ein Grund dafür gewesen sein, dass Rat und Bürgerschaft in Wilster sich so auffallend früh der reformatorischen Bewegung anschlossen. (Vergleiche »Die Sonninkirche zu Wilster«, Wilster 1930 S.10 ff)
Und hier für Lateiner oder eventuelle Leser noch der lateinische Originaltext: Leo, episcopus, servusservorum dei. Dilectis filis Cantori eclesia beate Marie Opidi Hamburgensis, Bremensis diocesis et Officiali bremensi salutem et apostolicam beb-nedictionem. Sua nobis dilecti filii Ditlevus Witten, Johannes Hanneman, Petrus Stegheman, Ger-hardus Scroder et alii eorum in hac parte litis consortes, laici parochie Wilster, Bre-mensis diocesis, petitione monstraverunt, quod orta dudum inter ipsos litis con- sortes ex una et Bertoldum Holsten, laicum dicte diocesis, super certis bonis et rebus, tunc expressis, et illorum occasione coram Jacobo Hennigi, Officiali prepositi ecclesie beate Marie opidi Hamburgensis, eiusdem diocesis, ad quem cognitio causarum similium que inter tales personas oriuntur, pro tem- pore de antiqua et approbata consuetu-dine pertinet, mon ex delegatione apostolica, materia questionis, prefatus Bertoldus a quodam conficto sibi, ut dicebat, in huiusmodi causa de facto illato gravamine ad Curiam Archiepiscopalem Bremensem appellavit et in causa appellationis hujusmodi fecit dictos litis consortes coram Gerhardo, Abbate Monasterii beate Marie Stadensis, predicte diocesis, eius venerabilis frater noster Archiepiscopus Bremensis causam ap-pellationis hujusmodi audiendam et fine debito terminandam ordinaria auctoritate commisisse dicebatur, ad iudicem evocari. Et quia idem Abbas nonnullis legitimis ex-ceptionibus contra eum sententiis eius iurisdictionem pro parte dictorum litis consor-tum coram eo loco et tempore congruis exhibitis, que de iure admittende erant, saltem tacite reiectis, ac per operam et de facto iuris ordine pretermisso procedens dictor litis consortes excommunicationis sententia et forsan aliis censuris ecclesiasticis innodavit pro parte eorundem litis consortum sententiam exinde inter alia se indebite gravari, ad sedem apostolicam fuit appellatum. Que notitia discretioni vestre per apostolica scripta mandavimus, quatunis vocatis, qui fuerint evocandi, et auditis hincinde pro-positis, quod instrumentum fuerit appellatione remota, decernatis, facientes, quod decreveritis per censuram ecclesiasticam, firmiter observari. Testes autem, qui fuerint nominati, si se gratia, odio vel timore subtraxerint, censura simili, appellatione ces-sante, compellatis, veritati testimonium perhibere. Quod si non ambo his exequendis potueritis interesse, alterorum ea nihilominus exequatur. Datum Rome apud Sanc-tum Petrum Anno incar- nationis dominice Millesimo quingentesimo decimo octavo. Sexto Jdus Maji. Anno sexto pontificatus nostri.
Und hier noch ein Beitrag aus dem Buch »Aus der alten Stadt Wilster« von Pastor D. Dr. Wilhelm Jensen von 1932:
Das prächtige Doos´sche Wohnhaus entstand in den Jahren 1785/1786 und zeigt vornehm-bürgerliche Bau- und Einrichtungskunst. Hinter dem Gebäude wurde der "Blumengarten" angelegt - heute bekannt als "Bürgermeistergarten". Er zeigt auf rund 2,4 Hektar barocke Gartenkunst aus dem 18. Jahrhundert.
In Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein soll die unter Denkmalschutz stehende Parkanlage hinter dem Neuen Rathaus nach historischem Vorbild umgestaltet werden.
Das Buch wurde von Carl Zetsche im Jahr 1914 herausgegeben. Darin werden das Gebäude und der Bürgermeistergarten beschrieben sowie mit Bildern illustriert.
Von dem Buch existieren unseres Wissens nur noch zwei Exemplare. Das Ehepaar Knötgen hat eine Ausgabe der Bürger Schützen Gilde von 1380 zu Wilster gespendet. Diese Ausgabe wurde dem Förderverein Historische Rathäuser in Wilster e. V. zum Einscannen überlassen. Das Buch haben für Mobilgeräte optimiert aus Darstellungsgründen geteilt.
Für die Stadt Wilster bedeutete das Jahr 1914 den Abschluss einer im Allgemeinen ergebnisreichen Epoche in der Stadtgeschichte. Ergebnisreich im positiven Sinne, wenn man von den allerdings fatalen Rückschlägen im industriellen Bereich absieht. Wilster ist damals wirklich, wie Bürgermeister Dethlefsen festgestellt hat, eine moderne Stadt geworden. Diese Epoche endete zugleich mit einem für das ganze Reich, nicht etwa nur für Wilster folgenreichen tragischen Ereignis. Die Träger der Verantwortung in der europäischen Staatenwelt vermochten, nachdem der Kontinent schon jahrelang von Krise zu Krise getaumelt war, die sich ballenden Konfliktstoffe zwischen den Staaten nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Im entscheidenden Augenblick vermochte keiner von ihnen zurückzustecken, und der Kontinent und mit ihm die übrige Erde schlitterte in den 1. Weltkrieg (Aug. 1914). Für eine Stadt wie Wilster bedeutete dieses, dass nunmehr die vielen Probleme des Winkels, so wichtig sie für diesen auch gewesen sein mochten und auch einmal wieder werden sollten, vor dem einem großen Probleme zurückzustehen hatten. Die wehrfähigen Männer fanden sich in verlustreichen Materialschlachten wieder, die Daheimgebliebenen hatten vor allem für sie die Versorgung mit allem dafür Notwendigen zu gewährleisten. Leben mit dem Mangel, teilweise regelrechter Hunger, Versorgungswirtschaft waren hier das Dasein, wenn auch in einer Landstadt wie Wilster die Ernährungsnot des blockierten Landes nicht so stark gewesen ist, wie in den Großstädten und Industriezonen. Natürlich war der Blutzoll, der im jahrelangen Ringen zu erbringen war, auch für die Wilsteraner erheblich. Es fielen, von den Verwundeten und Kriegsinvaliden, die zusammen ein Vielfaches ergaben, abgesehen, im Jahre 1914 1, 1915 21, 1916 13, 1917 28 und 1918 16. Es erlagen noch ihren Verwundungen 1919 8, 1920 2 und 1921 1. Das waren zusammen 90. Der Staat bezahlte die Kriegskosten vor allem mittels sog. Kriegsanleihen, die nach dem Kriege zurückgezahlt werden sollten. Sie wurden in patriotischer Haltung von allen Parteien des Reichstages geschlossen bewilligt. Unter „Schulden“ sind sie im Verwaltungsbericht aufgeführt. Am 26.9.1916 war es schon die 5. (98 000 Mark), die 6. Vom 21.4.1917 musste mit 196 000 Mark unter Schulden verrechnet werden. Noch am 26.11.1918, als schon alles vorbei war, ergaben sich auf „Zeichnung der 9. Kriegsanleihe“ weitere 117 600 Mark Schulden. Man hatte Schulden gemacht, um dem Staate zu geben. Dieser zahlte dann 1923 zurück mit inzwischen restlos wertlosem Gelde. Die Nation fühlte sich in diesem Kriege eingekreist und angegriffen. Im „Burgfrieden“ standen alle Parteien zusammen, taten alle, gerade auch Arbeiter, eine patriotische Pflicht. Doch musste man zuletzt feststellen, dass alle Anstrengungen und Opfer umsonst gewesen waren angesichts einer feindlichen Übermacht an Menschen und Material. Vor allem seit dem Eingreifen der USA 1917 war der Krieg kaum mehr zu gewinnen, und im August 1919 wusste man in der Heeresleitung, dass die Niederlage unumgänglich war. Als im Oktober 1918 das Reich um Waffenstillstand bat, sahen Matrosen und Heimattruppen eine Fortführung des Kampfes nicht mehr ein und meuterten. Die Industriearbeiterschaft schloss sich allenthalben an. Die Novemberrevolution stürzte das Kaiserreich über den Haufen. Deutschland wurde eine Republik, nach einigem Schwanken war aus ihm bald danach eine parlamentarische Demokratie geworden, nach dem Ort, an dem die Nationalversammlung die neue Verfassung schuf, die Weimarer Republik benannt. Die Deutschen hatten endlich auch eine ausgeprägte Demokratie, leider wurde diese Tatsache hatten endlich auch eine ausgeprägte Demokratie, leider wurde diese Tatsache dadurch beeinträchtigt, dass dieses Ereignis mit einer nationalen Niederlage zusammenfiel, die sie finanziell und wirtschaftlich belastete, solange sie existiert hat.
Die Städteverordnung blieb die vom 14. April 1869. Geändert wurde aber das Wahlrecht, auch was die Stadt selber betraf, zunächst provisorisch, dann gesetzlich, nämlich am 9.4.1923 und 12.2.1924, festgelegt im Gemeindewahlgesetz. Alle mündigen Bürger, Männer und nun auch Frauen, die 6 Monate in Wilster wohnhaft waren, hatten gleiches, geheimes, direktes Wahlrecht, das so auch allgemein war. Es blieb beim hauptamtlichen, auf 12 Jahre zu wählenden Bürgermeister, den ehrenamtlich tätigen städtischen Kollegien, dem zu wählenden Stadtverordnetenkollegium, aus dem der Magistrat durch Wahl hervorzugehen hatte. Demokratisch war jetzt nicht nur, wie schon bisher die Reichstagswahl, sondern auch die für den preußischen Landtag. Diese Wendung war der Bevölkerung Schleswig-Holsteins und Wilsters durchaus genehm. Man hat ihr nach 1945 unterstellt, dass sie für autoritäre Strukturen besonders anfällig sei. Das Gegenteil ist allenfalls richtig. Die Marschen vor allem hatten durch Jahrhunderte ihre Selbstverwaltungsorgane, als andere Teile an derartiges noch nicht zu denken vermochten. Während der gesamten Zeit, in der das Land zu Preußen gehörte und einen Landtag und seit 1871 einen Reichstag mitwählen konnte, haben die Schleswig-Holsteiner mit großer Mehrheit immer liberal gewählt. Im Kreise Steinburg wählte man meistens „fortschrittlich“, d.h. linksliberal, manchmal auch national-liberal (rechtsliberal), konservativ dagegen nie. Dass dieses einmal anders wurde, ist ein Ergebnis besonderer Notsituationen, die in den Jahren der Weimarer Republik entstanden. Die Wahlen für die Weimarer Nationalversammlung am 19.1.1919 waren für diese Haltung der Wilsteraner kennzeichnend. Es wählten damals 1108 die SPD, 1128 die DDP (linksliberal), nur 61 die rechtsliberale Volkspartei (DVP), „rechts“ wählten ganz 128 (die Deutsch Nationalen der DNVP). Die Zahlen haben dann bei den zahlreichen Wahlen der folgenden Jahre geschwankt. Die Stimmen für die SPD gingen etwas zurück, schwankten aber immer zwischen 700 und 900, wofür sich denn daneben die KPD auf dem linken Flügel einstellte mit allerdings nur zwischen 40 und 80 Stimmen. Die DDP schrumpfte wie überall im Reich auch in Wilster zusammen von 1000 auf gut 100 Stimmen, dafür stieg vorübergehend die Deutsche Volkspartei Gustav Stresemanns auf 600 und mehr Stimmen an. Die rechten Deutsch-nationalen kamen vorübergehend auf ebensoviele Stimmen. Sie erreichten normalerweise doch nur um die 400 Wahlstimmen. Die Hitlerpartei zuletzt brachte es 1924 erstmals auf ganze 55 Stimmen in einer angeblich für Rechtsradikalismus anfälligen Bevölkerung. Derartige Behauptungen gehören also in den Bereich der Legende. Im kommunalen Bereich standen sich Sozialdemokraten und Bürgerliche, die sich hier zu einem Wahlblock zusammenschlossen, etwa im Verhältnis 4:6 gegenüber wie auch schon vor dem Kriege, wie es auch etwa der Gliederung in der Bevölkerung, in der es neben Arbeitern besonders viele Kleinbürger gab, entsprach. Die Kommunalwahlen ergaben am 2. März 1919 9 Mitglieder der „Bürgerlichen Fraktion“ und 7 Sozialdemokraten. 1924 war das Verhältnis 10:6 und 1929 dann schließlich 1:7. 1929 waren die bürgerlichen Vertreter 3 Kaufleute, 1 Rektor, 4 Handwerksmeister und 1 Gastwirt. Bei den Sozialdemokraten waren es 2 kleine Beamte, 3 gelernte Arbeiter und 2 ungelernte Arbeiter. Dem Magistrat gehörten 4 Mitglieder an, die jetzt eine „Aufwandsentschädigung“ von je 100 Mark jährlich erhielten. Es waren meist 3 Bürgerliche und 1 Sozialdemokrat. Seit dem 9.3. 1926 war Stadtverordneter der Sozialdemokraten der Maurergeselle Hans Prox, der dann dem Hitlerregime ja besonders gegen den Strich ging. Da Arbeitern kaum zuzumuten war, unentgeltlich an den Sitzungen teilzunehmen, gab es Regelungen der Entschädigung. Zuletzt seit 1923 bekamen alle Dienstaufwandsentschädigungen, bzw. Erstattung des Arbeitsverdienstes, der versäumt wurde. Mit dem Wachsen der kommunalen Aufgaben wuchsen auch die städtischen Kommissionen an, zu denen jeder Abgeordnete gehörte. Es waren in der Zeit der Weimarer Republik 17 an der Zahl.691) Zögernd setzte nach dem Kriege das öffentliche kommunale Leben wieder ein. So wurde ja gleich im Winter 1918/19 die Restaurierung des Alten Rathauses zu Ende geführt. Das war noch in den Zeiten, die nach erfolgter Novemberrevolution auch in Wilster ein Arbeiterrat die Macht übernommen hatte und dem Bürgermeister als Beigeordneten den Maurergesellen (späteren Meister) August Bredfeld an die Seite setzte. Diese Zeit verging, als sich dann schnell der Wille im Lande durchsetzte, keine Räterepublik sondern eine parlamentarische Demokratie zu schaffen. Dann wandte man sich dem Gedenken der Gefallenen zu. Zur Erläuterung ist es wohl notwendig, festzustellen, dass damals das deutsche Volk etwa so dachte, wie die anderen europäischen Völker noch heute denken. Vertreten wurde ein Haltung, die man bei sich selber Patriotismus nannte, beim Feinde dagegen abwertend Nationalismus. Das Volk ging aus dem Kriege mit der Überzeugung hervor, einen gerechten Verteidigungskampf geführt zu haben. Als man im Friedensvertrag von Versailles gezwungen wurde, eine deutsche Kriegsschuld zu unterschreiben, sprach die gesamte Nation unabhängig von ihrer parteipolitischen Einstellung von der Kriegsschuldlüge. Die Gemeinde wollte ihre Toten, die für die Heimat gefallen waren, auch in der Kirche bei sich haben (ähnlich übrigens auch in Itzehoe). Um dafür Platz zu schaffen, wurden Logen beseitigt. Am 9. Januar 1921 konnte die vom Architekten Brandes entworfene Gedächtnistafel für die im 1. Weltkriege gefallenen Söhne des Kirchspiels Wilster feierlich eingeweiht werden.
Sonst wurde mehr eingespart und der Not begegnet. Als der Archidiakon oder Kompastor, wie die Bezeichnung seit 1893 war, Heinrich August Meyer am 7.2. 1920 starb, blieb seine Stelle seitdem unbesetzt, man begnügte sich seitdem mit 2 Pastoren.692) Auch kam es 1918 zum Verkauf sämtlicher Pastoratsländereien. Für Wilsters Kirchenwesen wichtig war, dass 1925 der Magistrat sein Patronats-recht an den jeweiligen Kirchenvorstand abtrat.693) Einsparungen auch im Schulsystem. Als am 1. Oktober 1917 Rektor Plagmann, der Leiter der Mädchenschule, sich pensionieren ließ, wurden die Rektoratsgeschäfte der Mädchenschule dem Rektor Hansen an der Knabenschule mit übertragen.694) Das war unschwer möglich, lagen doch beide Anstalten seit 1913/14 benachbart im Gelände der alten Landschule vom Landrecht. Sie blieben dann auch zusammen, wie es ja auch andern Orts der Fall war. Es gab hier jetzt einen Rektor (seit 1925 Rektor Lindschau) und 2 Konrektoren. Die Mittel-schule in der alten Knabenschule am Stadtpark entwickelte sich gut, wurde 1918 als solche vom Ministerium voll anerkannt. „Die Mittelschule entwickelte sich unter der Leitung des zum Rektor gewählten Mittelschullehrers Schulz aus Lüneburg zu einer Musteranstalt“, so schreibt Altbürgermeister Dethlefsen in seinem Rechenschaftsbericht895) und fährt fort: „Die Gründung der Mittelschule und die Zusammenlegung der beiden Volksschulen haben das ganze Schulwesen auf eine bessere Grundlage gestellt. Der größte Verdienst um die Hebung der Volksschulen erwarb sich Rektor Lindschau. Die Schulen wurden der Stolz der Stadt.“ Vollendet wurde seitens der staatlichen Instanzen das in der Vorkriegszeit schon weitgehend fertiggestellte Unternehmen zur Verlagerung der Marschenbahn nach Hochdonn über Wilster. Der neue Bahnhof wurde nordöstlich vor der Stadt angelegt. Die Bahnverwaltung legte an und pflasterte eine neue Bahnhofstraße. Durch Vertrag vom 21.12.1917/16.1.1918 wurde sie sodann mit allen Rechten und Pflichten von der Stadt übernommen. Der Bau des Bahnhofes, eines attraktiven, architektonisch gelungenen Baus, erfolgte trotz Warnung seitens der staatlichen Behörden in falsch verstandener Sparsamkeit. Der Bau wurde nicht gegründet, er hat so denn auch nicht lange gehalten, musste dann durch den jetzigen Bau ersetzt werden. Am 1. Juni 1920 konnten dann der neue Bahnhof und die gesamte neue Bahnstrecke eröffnet werden.696) Dieser Bahnhof war nunmehr ein Umsteigebahnhof, denn von hier aus fuhren die Züge nach Brunsbüttelkoog-Süd. Wichtig auch, weil daher hier auch Eil- und D-Züge hielten (damals). Das Gelände des neuen Bahnhofes und der neuen Bahnhofstraße wurde am 8.10.1921 von der Gemeinde Landrecht in die Stadt eingemeindet mit 18 ha 46 a 63 qm. Die Gesamtfläche des Stadtareals wuchs somit auf 203 ha 48 a 65 qm.697)
Das Jahr 1923 konnten die Zeitgenossen nie ganz vergessen. Es ist das Jahr der Inflation, wo der Wert der Reichsmark (normal im Wert 1 Dollar = 4 RM gehandelt) derart an Wert einbüßte, dass im November des Jahres 1 Dollar im Werte betrug 4,2 Billionen Reichsmark. Die neue Staatsver-schuldung während des Krieges, die hohen Reparationslasten, von den Siegermächten verhängt, die Besetzung des Ruhrgebietes durch französische Truppen als „Sanktion“, das alles wirkte hier zusammen. Die Inflation war der Preis, den jeder einzelne Einwohner eines besiegten Landes zwangsläufig zu entrichten hatte, vor allem die Geldwertbesitzer naturgemäß. „Die Entwertung traf die Einwohner unserer Stadt“, heißt es im Verwaltungsbericht,698) „die zu einem sehr großen Teile Rentner sind, in schwerster Form. Viele alte Leute, die sich durch ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit ein kleines Vermögen erworben hatten, um an ihrem Lebensabend keine Not zu leiden, sahen ihre Ersparnisse dahinschwinden. --- Es gab Zeiten, wo die ganze Verwaltung einfach eine Unmöglichkeit wurde. Die städtischen Gelder schrumpften zu einem Nichts zusammen. Erst durch die Stabilisierung der Renten-(Reichs)-Mark im Herbst 1923“, der Währungs-Schnitt also, der aus 1 Billion Reichsmark 1 Rentenmark machte, „konnte wieder mit festen Beträgen gerechnet werden. Die Folgen des verlorenen Krieges lasten schwer auf uns.“ Zwei besonders eklatante Folgen der Inflation werden hier heraus gehoben. Einmal die weitgehende Verarmung des Rentnerstandes, bedeutsam für eine Landstadt, die in der Kaiserzeit immer mehr auch zum Wohnsitz von Rentnern aus der umliegenden Marsch geworden war. Das Adressbuch aus dem Jahres 1926, welches im Archiv der Stadt vorliegt, verzeichnet für die Stadt bei seinen 4196 Einwohnern nicht weniger als 99 Rentner. Zum anderen hörte Wilster damals auf, eine wohlhabende Stadt zu sein. Stiftungen und Legate von Jahrhunderten verflogen in wenigen Monaten zu Staub. Dabei waren nach den Geschwistern Tagg 1914 noch einige Stifter hinzu gekommen. 1917 starb der Rentner Johann Eggers und hinterließ ein Wohnhaus in der Burger Straße, das 2 alleinstehenden und bedürftigen Frauen aus der Stadt Wohnung sein sollte. 1918 stifteten das Ehepaar Johann Heutmann nach Ableben 10 000 Mark. Die Zinsen sollten zu gleichen Teilen an die Armen vom Stadt- und Landarmenhaus verteilt werden. Im August stiftete Emma Margareta Magdalena Schütt 1/3 ihres Nachlasses für Wilsteraner Studierende, 1/3 weiter an unverheiratete Pastoren-, Organisten-, Lehrer- oder Beamtentöchter und 1/3 für die Insassen im Doosschen Stift. Im Verwaltungsbericht der Stadt (1911-30 S. 201-205) werden die Stiftungen angegeben. Es sind 15, „an denen die Stadt als solche beteiligt oder doch stark interessiert ist“. Unter den einzelnen Punkten sind oft zahlreiche Legate zusammengefasst. Unter 1. Sind es 23 insgesamt, die zusammen 9780 „Papiermark“ ausmachten, aus denen nunmehr 13,18 Rentenmark wurden. Ähnlich gingen es das „kleine Wilstersche Stipendium“ und das „große Wilstersche Stipendium“, das erstere Sühnegeld aus dem Jahre 1574, das letztere „zur Unterstützung Studierender“ aus 4 Beiträgen 1629-1684, dahin, ebenso die Gelder für das Doossche Gasthaus und für das Bürgermeisterhaus. Von den 187 00 Mark der Taggstiftung blieben noch 3600 Rentenmark. Das war die eine Seite der Medaille. Am 16. Juli 1925 trat das Reichsgesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen in Kraft. Die alten Papiermarkanleihen wurden in Ablösungsschuld umgewandelt. Vorhanden waren Papiermarkschulden der Stadt von 4 067 701 Mark damals. Und nach Abschluss der Aufwertung gab es an städtischen Schulden noch 63 698 Mark für die Stadt. Betreibswerke (?) und 4 705 Mark für die allgemeine Verwaltung. Auch die Stadt wurde ihre Schulden durch die Entwertung (sie hatte anschließend Schulden von 3 322 000 Papiermark „sofort in bar zurückgezahlt“) los, nicht nur ihre Guthaben.
1925 waren die ersten schweren Jahre vorbei, und es folgten die wenigen „goldenen 20er Jahre“, die sich für Reich und Volk letzten Endes allerdings nur als eine Scheinblüte auf Basis geliehenen Auslandsgeldes herausstellen sollten. Wilster zählte damals 4182 Einwohner. Noch immer waren von ihnen 4119 evangelisch-lutherisch, nur ganze 19 waren katholisch, 11 gehörten Sekten an, 33 waren glaubenslos, Juden gab es auch jetzt keine. Die Geburten sanken in dieser Epoche laufend erklärlicherweise. 1911 gab es noch 108 in der Stadt, 1929 nur noch 62. In der Nachkriegszeit gab es Wohnungsnot und eine erste Zwangsbewirtschaftung. Am 26. 7. 1923 erfolgte das Wohnungs-mangelgesetz. Die Baukommission wurde zum Wohnungsamt. Die Stadt errichtete in Form von An-und Ausbauten 34 Wohnungen, machte zum Beispiel aus der Turnhalle am Markt 3 Wohnungen. 1.4.1924 gab es eine Hauszinssteuer. Hausbesitzer mussten eine Hauszinssteuer aufbringen, um neue Wohnungen zu schaffen. Dadurch waren sie oft nicht im Stande, die eigenen Wohnungen zu unterhalten. Die städtische Sparkasse stellte daher ihnen zinsgünstige Darlehen zur Instandsetzung von Altwohnungen zur Verfügung. Die Wohnungszwangswirtschaft konnte für Wilster (Gemeinden bis zu 8000 Einwohner) am 29. Mai 1929 aufgehoben werden. – An Beamten hatte bei steigenden Anforderungen die Stadt in leicht an steigender Tendenz den Bürgermeister (bis 1932 Christian Dethlefsen), den Stadtsekretär (seit 1930 Oberstadtsekretär Nikolaus Bokelmann), den Stadtkassierer (bzw. Stadtkassenrendant, einen Oberpolizeisergeanten und einen Polizeisergeaanten. An ihre Stelle treten als neue Dienstgradbezeichnungen Polizeihauptwachtmeister und Polizeiwachtmeister. Als im Jahre 1925 eine Änderung des Polizeiaußendienstes erfolgte, erloschen die 4 Wächterstellen, die es bis dahin noch gegeben hatte. An der Spitze der Städtischen Betriebswerke stand ein Stadtbau-techniker, an der Spitze der Sparkasse der Sparkassenrendant. Es gab dann noch in der Verwaltung zwei Verwaltungssekretäre und zwei Verwaltungsgehilfen, in der Kasse einen Kassensekretär, bei der Sparkasse ein Sparkassengegenbuchführer, einen Technischen Leiter bei den Betriebswerken, schließlich noch zwei Amtsgehilfen. Fürs Altersheim blieb es beim Armenhausökonom. 9 Arbeiter wurden von der Stadt beschäftigt (4 Arbeiter, 4 Monteure und 1 Rohrleger), für sie gab es seit 1928 Reichsmanteltarif und Lokaltarif für die Provinz S.-H. (Übrigens waren 2 Lehrer, 4 Bürogehilfen und 1 Arbeiter der Stadt im Kriege gefallen). Das Archiv der Stadt kam 1925 in den oberen Saal des Gartenhauses des Doosschen Anwesens.699)
Eine der wenigen von der Stadt erwünschten Folgen hatte die Inflation von 1923. Die Wilster Spar- und Leihkasse von 1841 kam in finanzielle Schwierigkeiten wegen der Geldentwertung und war nunmehr verhandlungsbereit. Der Vorstand trat deshalb am 5.8.1922 an den Magistrat heran. Es kam am 12. Oktober 1922 zu dem Vertrag über die Verschmelzung mit der städtischen Kasse zustande, der für den 1.1.1923 wirksam wurde. Die Leitung übernahm der aus der Kasse übernommene Sparkassenrendant Johannes Busch, unter dessen Leitung die städtische Spar- und Leihkasse sich zum ersten Geldinstitut der Stadt aufschwang. Übernommen wurde auch das Sparkassengrundstück Kohlmarkt 4. Um eine notwendige Erweiterung der Geschäftsräume durchführen zu können, wurden die Grundstücke Kohlmarkt 56 und 57 erworben, wo 1930 der Neubau aufgeführt wurde. Das Reinvermögen wuchs von (1924) 140 399,91 Mark auf (1929) 2 375 441,07 Mark, ein Zeichen für das Gedeihen des Instituts.
Eine der Folgen der Erschütterung durch den 1. Weltkrieg und die mit ihm verbundenen Erschütterungen war ein neues Erwachen des Heimatgedankens auch in der heimatbewußten Wilstermarsch. Voran ging schon 1919 Johann Schwarck mit seinem im eigenen Verlag herausge-gebenen Buch „Wilster vor hundert Jahren“. Dann war es vor allem der Pastor W. Jensen aus St. Margarethen, der forschend und organisierend wirkte. Er schuf den Heimatverein der Wilstermarsch und hat auch über die Stadt Wilster und ihre Geschichte geschrieben. Er war wohl der fundierteste Kenner der Wilstermarsch und seiner Geschichte bis heute. 1925 gab er „Das alte Ratsbuch der Stadt Wilster“ heraus mit vorangesetzten Artikeln über „Das alte Wilster“, „Die Gründungsurkunden der Stadt“, und als Nachtrag „Die Stadtpläne“ von 1775 und 1860 und „Die Wappen der Stadt Wilster und der Wilstermarsch“. 1926 gab er Gregorius Culemanns „Denk-Mahl von den hohen Wasser-Fluthen“ (1728) heraus und 1932 „Aus der alten Stadt Wilster. Urkunden und Einwohnerverzeichnisse“ zum 650-Jahr Jubiläum. Wesentlich hat er auch an dem großen Haupt-produkt dieser Heimatbewegung im Kreise, am „Heimatbuch des Kreises Steinburg“ mit ausführ-lichen Artikeln über Wilster und der Wilstermarsch beigetragen (1925/26). Dazu sind noch zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und seine „Chronik von St. Margarethen“ zu nennen. Im Heimatbuch zeigte sich, dass D. Dethlefsen und W. Jensen Schule gemacht hatten. Aus dem historisch aufgeschlossenen Elbmarschen gab es zahlreiche Artikel aus kompetenter Hand. In Wilster selbst wirkte bis zu seinem Tode 1937 der Mittelschulrektor H. Schulz, auch er im Heimatbuche vertreten. Er hat 1932 eine Geschichte der Stadt Wilster geschrieben, noch 1936 eine Abhandlung über „Die Bürgergilde in Wilster“. Man hat ihn für „nicht seriös“ gehalten. Er galt als Mann schneller Urteile. Manche von ihnen mögen allerdings anfechtbar sein. Ganz sicher ist aber, dass wir seinem unermüdlichen Forschen unendlich viele Einzelkenntnisse verdanken, viele auf mannigfachen Zetteln unverarbeitet hingeschrieben. In der vielleicht wichtigsten Edition zur 650-Jahr-Feier der Stadt „Die Sonninkirche zu Wilster“, in der auch W. Jensen und H. Schwede schrieben, trug er den großen Hauptteil bei. Eine Fundgrube, was er über die Lehrer der Großen Stadtschule, die Pastoren, Organisten, die alte Kirche, das Wirken Sonnins, die Familienstammbäume der Doose und Michaelsen, der Sommer und Breide zusammentrug, was er über die Kriegsgeschichte als Leidensgeschichte der Stadt zwischen 1627 und 1713 zusammengetragen hat usw. Eine derartige Aufgeschlossenheit der eigenen engeren Heimat gegenüber wie damals hat es nie wieder gegeben seitdem, ihr vor allem verdanken wir einen Großteil der Kenntnisse, welche wir über Wilster und die Wilstermarsch besitzen.
Aufschluss über das Wilster der 20er-Jahres gibt uns das Adressbuch von 1926 vorliegend im Stadtarchiv. Von den 4196 Einwohnern gab es an Akademikern den 1 Apotheker (die Schwan-Apotheke Kohlmarkt 59), 1 Architekten, 4 Ärzte, 2 Tierärzte, 1 Zahnarzt und natürlich den Amtsgerichtsrat (aber die Beamten sollen hier einmal ausgeschlossen werden zunächst). Es bestanden inzwischen 6 Banken in der Stadt, nämlich 1. G. Bockelmann, Komm. Ges. Am Markt 14, 2. die Beamtenbank e.G.m.b.H. Burger Str. 25, 3. Calmann, E. Marktstraße 31, 4. Schleswig-Holsteinische Bank Markt 4, 5. Die Westholsteinische Bank Schmiedestraße 5, schließlich die Wilster Kreditbank von 1869 Klosterhof 37. Weiter bestanden die beiden Sparkassen: 1. Die Städtische Sparkasse (Wilster) 1841 Kohlmarkt 3 und 2. Die Spar- und Darlehnskasse für die Wilstermarsch Rathausstr. 11. Das Amtgericht lag Rathausstr. 1, 2 Rechtsanwälte und Notare als weitere Akademiker verdienten in der Stadt ihr Brot. Es gab auch, wenn auch in verringerter Ausgabe, die Industrie: zunächst die Lederfabriken, nämlich die Vachelederwerke Ballin G.m.b.H. Rumflether Str. 29 und Falk und Schütt, Lederwerke G.m.b.H. Rumflether Str. 6. Auch gab es noch eine Brauerei, die Tivoli-Brauerei A.G. Deichstraße 71. Die Maschinenfabrik Apel (Rudolf) und Sachau (Johannes) Steindamm 22/23 baute die Windmotoren und Windturbinen, die allmählich Hollers Schöpfmühlen ersetzten, (um dann selber durch große Pumpwerke ersetzt zu werden). Heinrich Simonsen vom Krumwehl 1 nannte sich Fabrikant. Er war als Zigarrenfabrikant ein Vertreter eines aussterbenden Gewerbes. Dann gab es noch die Holzwerke von H. Langfeld (schon 1867 gab es einen Zimmermeister Nicolaus Langfeld, der auf dem Klosterhof eine Sägerei betrieb). Schließlich gab es in der Rumflether Straße 6 noch einen Betrieb der Nachkriegszeit in der Stadt, die Schleswig-Holsteinischen Trocknungs- und Mahlwerke m.b.H., „die“, so Walter C. Bröcker als Referent für Industrie im Heimatbuch des Kreises Steinburg (Bd. I S. 227), „einen eigenartigen und bedeutenden Sonderbetrieb darstellen.“ 2 Ingenieure waren in Wilster tätig, weiter 2 Bauunternehmer. Es gab 2 Buchdruckereien in der Stadt, die eine war die von Peter Schwarck im Kohlmarkt 12, wo die Wilstersche Zeitung gedruckt wurde. Nun zum Handwerk: Es gab an Betrieben 5 Barbiere, 1 Böttcher, 2 Buchbinder, 1 Bürstenmacher, 1 Drechsler, 1 Elektriker, 3 Gärtner, 3 Gerber, 1 Glaser, 1 Goldschmied, 1 Imker, 2 Installateure, 4 Klempner, 1 Korbmacher, 3 Konditoren, 1 Maschinenbauer, 15 Maler, 14 Maurer, 4 Mechaniker, 3 Meieristen, 3 Müller, 1 Ofensetzer, 3 Photographen, 2 Putz-machereien, 7 Sattler, 14 Schlachter (in 5 Schlachtereien), 3 Schlosser, 9 Schmiede, 14 Schneider, 2 Schornsteinfeger, 17 Schuhmacher, 1 Steinmetz, 4 Stellmacher, 4 Techniker, 11 Tischler, 8 Uhrmacher, 1 Zigarrenmacher und 19 Zimmerer. Das waren 190 Handwerksmeister und Gesellen mit eigener Adresse. Dann kamen die Kaufleute. Größtes Geschäft war „J.P.T. Andersen. Größtes Geschäft am Platze (Kaufhaus für Damen-, Mädchen-, Herren- und Knaben-Bekleidung, Teppiche, Gardinen, Kurzwaren, Besatzartikel, Kleider- und Seidenstoffe, Aussteuer-Artikel) gegründet 1797“ am Markt 28/29 (in der Tat gab es schon 1867 „Andersen J.P.F., Manuf.-W.-Hdlg, Färberei und Druckerei, Markt“). Es gab 53 „Kaufleute“, nämlich 6 am Markt, 14 in der Deichstraße, 9 am Kohlmarkt, 4 in der Bürger Straße, 2 in der Taggstraße, 4 in der Schmiedestraße, 1 am Klosterhof, 5 in der Rathausstraße, 1 in der Blumenstraße. In der Neustadt und in der Schulstraße (Zingelstr.) gab es keine. Weiter gab es 56 „Händler“, nämlich 13 Viehhändler, 2 Fischhändler, 1 Weinhändler, 1 Bierhändler u.a.m.. Es wohnten allerdings nur 33 in der Stadt, der Rest an der Peripherie. Im Manufakturhandel gab es 2 große und 3 Höker-Läden. Es gab 1 Schuhgeschäft, 1 Zigarrengeschäft, 2 Kohlenhändler, 1 Gütermakler, 3 Drogisten. In der Stadt gab es 1 Musiklehrer und 7 Musiker. Eine Hebamme war vorhanden. Dann gab es in der Gastronomie und im Beherbungswesen 27 Gastwirte. Noch immer stark war die Schifffahrt. Es gab, einschließlich „Reeder“, noch immer 20 Schiffer, viele wohnten Hinter der Stadt, der Straße auf der anderen Auseite, Deichstraße und Landrecht gegenüber. Auch gab es noch 5 Fuhrmänner. Schließlich gab es noch die Adressen von 207 Arbeitern (an- und ungelernten), nämlich Hinter der Stadt allein 31, in der Rumflether Straße 24, am Rumflether Deich 26, im Landrecht 21, auf dem Bischofer Deich 14 und in der Haackstr. 13; d.h. aus den 1896 neu eingemeindeten Gebiet kamen allein 129. Es waren Adressen angegeben vom Markt 47, dem Kohlmarkt 78, der Burger Str. 64, der Deichstr. 109, der Schulstr. 22, der Taggstr. 20, der Rathausstr. 79, der Blumenstr. 25, dem Klosterhof 70, der Schmiedestr. 48, dem Rosengarten 6, der Neustadt 45, Hinter der Stadt 70, Am Steindamm 33, der Rumflether Str. 49, dem Rumflether Deich 36, der Neuen Burger Straße 31, dem Krumwehl 46, der Haackstraße 20, dem Bischofer Deich 38, Am Neudeich 1, der Bahnhofstr. Erst 5, der Mühlenstr. 24, dem Audeich 6, der Langen Reihe 21, der Allee 6 und dem Landrecht 66. Dass es 99 Rentner davon gab, wurde schon andern Ortes erwähnt, ebenso die Stadtbeamten. Die beiden Pastoren hatte ihre Amtssitze Am Markt 17 und Taggstr. 7. Das Krankenhaus „Menckestift“ lag Klosterhof 28 und die Städtischen Elektrizitäts- Gas- und Wasserwerke ebenda Nr. 38. Soweit das Adressbuch.700)
Insgesamt konnte man Wilster eine Landstadt mit ausgewogener Struktur nennen. Eine Industriestadt war es allerdings einmal gewesen, doch fehlten Fabriken nicht, war das Sortiment hier etwas vielseitiger angelegt. Schwerpunkt lag bei Handwerk und kleinbürgerlichem Handel. Beachtlich das Dienstleistungsgewerbe für Stadt und Umland. Diese Stadt schien mit 4000 Einwohnern sich ausgewachsen zu haben. In den wenigen besseren Jahren der Weimarer Republik wurden einige wichtige wasserbauliche Maßnahmen durchgeführt. Das wichtigste Erfordernis war der Neubau einer den Anforderungen genügenden Schleuse für die Wilsterau in Kasenort. Als 1914 der Staat verpflichtet war, die Au als Wasserlauf I. Ordnung zu unterhalten, hatte man versucht dem Staat auch die Schleuse aufzubürden, jedoch legte 1924 das Oberverwaltungsgericht fest, dass die Wilsterauschleusenkommune auch in Zukunft unterhaltspflichtig sei. Sachverständige hatten schon vor dem Kriege festgesetzt, dass der Neubau der Schleuse dringend nötig sei. Der Krieg kam dazwischen. Am 4. September 1920 setzte sich ein Schiff in der Schleuse fest, weil die die Schleusendecke gesenkt hatte. Sie konnte deswegen nicht geschlossen werden. Es bestand Überschwemmungsgefahr. Man konnte schließlich das Schiff herausziehen. Die nächsten Jahre waren indessen von Inflation und Not gekennzeichnet. Am 25. März 1925 kam dann endlich ein Vertrag zwischen den beiden Wilsterauschleusenkommunen (Neue und Alte Seite) und der Stadt Wilster zustande. Man wollte an die Stelle der alten Au-Schleuse eine neue Kammerschleuse errichten. Dazu wollten die Kommunen 90 000 Mark beitragen, auch wollten sie in Zukunft jährlich 400 Mark den Unterhalt der Schleuse beitragen. Der Schleusenbetrieb ging an die Stadt über, der auch die Gebühren für die Schiffe zufielen in Zukunft. Wilster setzte sich so in das Eigentum der Schleuse. Der Staat gab zum Bau 75 000 Mark, die Provinz 50 000 Mark und der Kreis 25000 Mark. Den Rest von 60 000 Mark hatte die Stadt zu tragen. Der Bau dauerte vom 1. Juli 1925 bis zum 11. August 1926. Die Gesamtkosten betrugen für die Stadt dann doch rund 155 000 Mark. Schwierigkeiten machte nunmehr eine wasserpolizeiliche Anordnung, in welcher der Kreis auf ein Regulativ vom 3. März 1869 zurückgriff. Dieses war seiner Zeit erlassen bzw. abgeschlossen worden, als das Burg-Kudenseer Niederungsgebiet von der Au abgedämmt wurde. Ihr wurde damals auferlegt, eventuell Wasser von der Au abzunehmen durch die damalige Bebeker Schleuse, wenn hier ein Staumaß von 3 ½ Fuss über Glückstädter Null am Pegel war, ein Vertrag, der schon lange Zeit gegenstandslos geworden war. Kreis und Schleusenkommune kamen jedoch nunmehr darauf zurück. Es wurde, um Stau beim Öffnen der Schleuse zu verhindern, daher nun angeordnet, dass die Schleuse nur bei Tiefstand der Ebbe, „wenn der Strom kantelt, d.h. also, wenn der Flutstrom einsetzt“, geöffnet werden dürfe. Weiter dürfe während des Ebbstromes, um die Entwässerung zu gewährleisten, kein Schiff zwischen Schleuse und der Stadt in Bergfahrt befinden. Damit wurde eine Schifffahrt weitgehend lahmgelegt. Daher beschwerte sich die Stadt am 27. Mai 1927 beim Oberpräsidenten der Provinz. Es wurde dabei festgestellt, dass das Regulativ von 1869 nicht mehr existiere, dass derartige wasserpolizeiliche Anordnung Sache des Regierungspräsidenten sei, dass die Stadt sich mit der Wilsterauschleusenkommune voll einig sei, vor allem: „ Die wasserpolizeiliche Anordnung unterbindet den Schiffsverkehr auf der Wilsterau vollständig.“ Die wasserpolizeiliche Anordnung wurde darauf am 23. August 1928 abgeändert. Entscheidend an dem Neubau der Schleuse ist, dass, während früher die Schiffe bei Ebbe vor der Schleuse liegen mussten, da die Schleuse dann zu wenig Tiefgang hatte, nunmehr die Schiffe ungestört passieren können.701) Auch über die Größe der Schleuse hatte es beim Neubau Kampf gegeben.702) Die alte Schleuse war nur 4 Meter breit, ein veraltertes Maß für die Schifffahrt. Daher wollte die Stadt nicht eine bloße Wiederher-stellung in alten Maßen zu 90 000 Mark. „Diesen Neubau musste die Stadt Wilster verhindern, da er jede Entwicklung auf Jahrhunderte hinaus verhinderte. „Die Schleusenkommune willigte ein, zahlte die 90 000 Mark der Stadt, welche den Neubau durchführen wollte, und zwar sollte die Schleuse 7 Meter breit werden. Das lehnte aber die Wasserbaubehörde ab, sie wollte nur eine Breite von 5 Metern bewilligen. „Zum Glück hat die Stadt ihre Ziele erreicht. „Verlagert hatte sich das Schwergewicht des Warentransportes auf der Au. 1911 fuhren 635 Schiffe beladen und nur 50 leer hinein, aber 563 beladen und 87 leer hinaus. In cbm kamen 38 744 herein und dagegen 36 838 cbm hinaus, eine ziemlich ausgeglichene Angelegenheit. 1929 war es anders. Es kamen 499 Schiffe beladen herein und nur 61 leer. Hinaus aber fuhren nur 85 beladen und dagegen 446 leer. Die Schiffe transportierten also vor allem nach der Stadt hin nunmehr.
Auseinandersetzungen mit dem Staat gab es auch, nachdem dieser seit 1914 verpflichtet war, den schiffbaren Fluß Wilsterau zu unterhalten. Er musste sich jedoch immer wieder drängen lassen, musste dabei feststellen, dass es sich dabei um eine sehr mühselige und kostspielige Sache handelte. „Der Staat gab schließlich dem Drängen nach“, heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt 1911 – 1930 auf Seite 167, „und begann zunächst mit der Ausbaggerung des Stadtarms. Es wurde im Jahre 1926 eine 6 Meter breite Rinne bis auf 2 ¼ Meter Tiefe gebaggert. Sodann wurde im Jahre 1927 die Baggerung stromaufwärts fortgesetzt. Aber was Laien vorausgesagt und was der Magistrat den Staatsbehörden vorher gemeldet hatte, geschah. Schon nach Jahresfrist war der alte Zustand im Stadtarm an mehreren Stellen wieder da. Im Frühjahr 1928 musste eine erneute Baggerung erfolgen, bei der die Rinne wohl etwas erweitert worden war, aber noch nicht ganze Arbeit geleistet wurde. Unterhalb der Stadt wurden nur auf einigen Stellen Untiefen entfernt, eine durchgreifende Aufräumung hielt der Staat dort nicht für erforderlich. Die Überschwemmungen im Stadtgebiet nehmen daher bei der mangelnden Aufräumung der Wilsterau und der erhöhten Wasserzufuhr einen bedrohlichen Charakter an. Wochenlang standen Ländereien und Keller unter Wasser. Leider müssen wir – feststellen, dass die unteren Staatsbehörden den Stadtbewohnern zur Behebung dieses Überstandes sehr wenig Entgegenkommen erwiesen. „Sie sind“, heißt es im Bericht 1930, „ bisher, obwohl der Übelstand schon länger als 10 Jahre besteht, nicht über Erwägungen hinausgekommen.“ Der ausreichende Unterhalt der Wilsterau als Entwässerungs- und Schifffahrtssystem blieb ein heißes Eisen auch in der Folgezeit. Die Stadt selber unterhielt und durfte laut Vertrag vom 26. Juni 1670 unterhalten die Verlatschleuse an der Brücke in Wilster Neustadt zum Zwecke einer dauernden Stauhöhe, wenn nötig durch Hemmung des Wasserlaufes. Die Stauhöhe ist geregelt durch die Toroberkante (gelegen bei -0,47 NN). Die Stadt unterhielt einen Lösch- und Ladeplatz mit Hafenmauer, Kahn und Lagerschuppen am Rosengarten. Die Stadt schickte ihre Abwässer der Wilsterau zu an 10 Stellen. Diese bestehende städtische Kanalisationsanlage stammte aus der Vorweltkriegszeit. Nunmehr gehörte auch die Öffnung der Kasenorter Schleuse in städtische Kompetenz. Seeschiffe besaß Wilster 1923 8, 1925 wieder 10 und 1930 7 Schiffe. In das Jahr 1926 fällt auch die Verrohrung des Burggrabens, die erste dieser Art, der später andere folgen sollten. Die einzelnen Arme der Wilsterau in und um die alte Stadt waren ein Kennzeichen derselben, die Stadt verlor bei ihrem Verschwinden vieles von ihrem Gesicht, doch wogen die Gegenargumente schwerer. Der Burggraben, ursprünglich von einer Interessentenschaft zu unterhalten, musste nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom 10. Mai 1912 als Teil der Wilsterau von der Stadt unterhalten werden. Durch das Wassergesetz vom 7. 4. 1913 ging dann die Unterhaltung auf den Staat über. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom 20. März 1924 musste dem säumigen Staat klar machen, dass er auch den Burggraben als Teil der Wilsterau zu unterhalten habe. Der Staat trat nunmehr in Unterhandlung mit der Stadt wegen Übernahme der Unterhaltung des mittlerweile völlig verschlammten, übel stinkenden, die Gesundheit gefährdenden Burggrabens. In einem Vertrag vom 5. /14. Juni 1926 übernahm die Stadt dann die Unterhaltung mit allen Rechten und Pflichten, wofür der Staat eine einmalige Entschädigung von 25 000 Mark zahlte. Die Anlieger waren inzwischen reif dafür, einer Kanalisierung zuzustimmen. Diese erfolgte dann im Sommer 1926 für Kosten von 49 584,32 Mark. Das so gewonnene Land (27 a) wurde Eigentum der Stadt, die auf dem alten Burggraben vom Kohlmarkt zur Burger Straße, weiter zur Schulstraße und dem Stadtpark öffentliche Fußsteige errichten ließ, so ist der Verlauf des alten Burggrabens für jeden Kundigen unschwer zu erkennen.703) In die „goldenen 20er Jahre“ fällt auch die Rettung des Giebels des Hudemannschen Hauses Schmiedestraße 24. Unter Vermittlung des Heimatverbandes der Wilstermarsch schenkte eine Erbengemeinschaft (Familie Lübbe) das durch Alter und Verwitterung stark gefährdete und mit einer Hypothekenlast belastete Haus im Inflationsjahr 1923 der Stadt. Diese konnte sich 1926 zur Restaurierung entschließen.704) Der Wiederaufbau wurde 1927 dann auch begonnen.
Weitere Maßnahmen, die noch in diese Zeit fallen: Mit dem Ausbau eines Netzes der Schleswig-Holsteinischen Elektrizitätsversorgung in Rendsburg, wodurch die fällige Elektrifizierung der Provinz endlich durchgeführt werden konnte, erfolgte auch der Anschluss Wilsters an die Überlandzentrale. 1922 wurden die notwendigen Maßnahmen für den Anschluss durchgeführt und dafür zweimal Anleihen aufgenommen. Im Februar 1932 wurde die Hochspannungsanlage dann mit dem Netz der Schleswag verbunden. 1928 konnte diese Verbindung mit der Überlandzentrale, bisher oberirdisch, durch Anschluss an ein neues 15000-Volt-Kabel von Itzehoe nach Ostermoor verbessert werden. – 1928 erfolgte der Bau einer Fußgängerbrücke über die Au hinter dem Haus Deichstraße 40. Hier bestand seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Privatsteg, der aber auch öffentlich genutzt wurde, nämlich als Verbindung zwischen der Deichstraße und der Straße an der anderen Au-Seite, die auch nach der Eingemeindung 1896 noch immer den Namen Hinter der Stadt trug. Der Hausbesitzer, ein Gastwirt hatte hieran naheliegendes Interesse. Als die Gaststätte einging, begann der Verfall des Steges. 1928 überließ der Hauseigentümer der Stadt den Zugang zur Fußgängerbrücke, wofür diese dieselbe neu erstellte.705) – 1925 erhielt die Feuerwehr (auch für die Landgemeinden) eine Automobil-feuerspritze, schon im Jahre 1922 gab es eine Feuersirene. – Am 16. Juli 1927 trat das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Kraft. Wilster erhielt eine Außenstelle des Arbeitsamtes Elmshorn. – Sehr bemüht war die Stadt in dieser Zeit, auch in den Besitz einer Badeanstalt zu kommen. Es gab allerdings das „Dianabad“, das seit dem 1.4.1893 schon öffentliche Badeanstalt geworden war, wogegen die Stadt einen jährlichen Zuschuss von 600 Mark zahlte. Am 26. März1918 übernahm die Stadt das Bad käuflich. Solche kommunalen Wannenbadeanstalten waren zu der Zeit wichtig, da nur wenige Wohnungen selber Badezimmer besaßen. Der Versuch, eine Freibadeanstalt zu errichten, scheiterte an den zu großen Problemen. 1921 hatte man in Rumfleth oberhalb der Stadt eine solche errichtet. Sie musste 1923 schon wieder aufgegeben werden. Die Stadt wollte eine Badeanstalt auf dem Brook errichten. Doch einer solchen, die nicht mit fließendem Wasser versehen ist, droht die Verschlickung. So wurde dieser Plan wieder fallengelassen. Im fließenden Wasser der Au unterhalb der Stadt konnte man ein Freibad deshalb nicht errichten, weil in dem Wasser „fließende Abgänge der Stadt“ enthalten werden, da die Stadt ja ihre Abwässer ungeklärt in die Au entließ. Ein solches Bad gab also „in gesundheitlicher Beziehung zu großen Bedenken Anlaß“. Oberhalb der Stadt besaß diese aber kein Land dafür. Die Stadt blieb also ohne Freibad. – Die Volksbibliothek wurde 1923 an den Verband Schleswig-Holsteinischer Büchereien angeschlossen. 1929 hatte sie immerhin 1330 Bände. – Am 15. September 1929 erstand im Stadtpark ein Denkmal zum Gedenken der 1914-18 Gefallenen aus dem Kirchspiel, aufgebracht durch Spenden, der Rest durch die Stadt. – Am 1. Januar 1924 ging das Krankenhaus in die Hand eines dafür gegründeten Zweckverbandes „Menckestift“ über, bestehend aus der Stadt Wilster, den Landgemeinden fast der gesamten Wilstermarsch. Das war eine bessere und leistungsstärkere Lösung. Der Kirchenvorstand stellte zur Pflege 2 Diakonissen.
Vom Jahre 1930 bis zum Jahre 1947 gibt es in den Beständen im Archiv einen großen Sprung, Verwaltungsberichte der Stadt Wilster für diese Jahre sind nicht vorhanden. Versucht man sich ein Bild über die Tätigkeit von Vereinen zu machen, oder sucht man nach Protokollen der Lehrerschaft aus diesen Jahren usw., so findet man immer wieder dieselbe Lücke, so als sollten diese Jahre, sehr inhaltsschwere Jahre für das deutsche Volk, ausgeklammert werden. Und so ist es wohl auch. In diese Jahre fallen der Untergang der Weimarer Republik, die Machtübernahme durch die National-sozialisten, das 3. Reich mit allem, was dieses enthält, den 2. Weltkrieg und den Zusammenbruch 1945 und die Übernahme durch die Militärregierung der Siegermächte am Ende. Gewiss ist dieses alles verständlich. Die Jahre waren außerordentlicher Art, von 1933 bis 1945 herrschte im Deutschen Reich ein totalitäres Regime, in dessen Namen Dinge geschahen, die man später lange Zeit kaum glauben wollte, andererseits hatte dasselbe Regime Erfolge aufzuweisen gehabt, die zur Folge hatten, dass es etliche Jahre die Masse der Bevölkerung, die von Verbrechen allerdings wenig erfuhr, gewinnen ließ. Als die Siegermächte das Land besetzten 1945, drohte ein großes Strafgericht, man hatte, obwohl in der Masse unbescholten, Ursache, vieles verschwinden zu lassen. Die Entnazifizierung der Nachkriegszeit machte die Dinge nicht übersichtlicher. Es wurde versucht, das Mitmachen zu verkleinern, zu leugnen, ins Gegenteil zu verkehren. Die eingehende Aufklärung über Verbrechen verschiedenster Art ließ die Generation dieser Zeit weiter schweigen, da ihr Handeln der Nachwelt nun immer unerklärlicher wurde, inzwischen sterben ihre Vertreter dahin und nehmen das Wissen mit ins Grab, wie es nun eigentlich z.B. in der Stadt Wilster gewesen ist. Für den Stadthistoriker ein Handikap.
Es bleibt zunächst nur ein Überblick, und der ist allerdings für diese Zeit auch für Wilster zu geben. Detaillierteres können allerdings nur speziellen Untersuchungen erbringen, die nicht vorliegen, die bald erfolgen müssten und zwar mit dem Ziel, auch diese Zeit, d.h. das Verhalten z.B. der Wilsteraner in dieser Zeit verständlich zu machen, denn sie waren Menschen, nicht schlechter und nicht besser als die Menschen davor und danach.
Mit der sogenannten Weltwirtschaftskrise 1929-32 setzte der Todeskampf der jungen weimarer Republik ein. Die Krise ging von den USA aus, war hier das Ergebnis einer ausgesprochenen Überproduktion. Nachdem der große Nachholbedarf nach dem 1. Weltkriege befriedigt worden war, geriet die amerikanische Wirtschaft in Absatzschwierigkeiten. In der Zeit der Konjunktur hatten amerikanische Wirtschaftsinstitute in großem Maße Kredite ins Ausland gegeben, vor allem auch nach Deutschland, wo man wegen drückender Tributleistungen (sog. „Reparationen“) an die Siegermächte solche Gelder brauchte, auch konnte Deutschland seinen Nachholbedarf in der Nachkriegszeit kaum anders befriedigen. So war man in Deutschland gegenüber den USA hoch verschuldet. Am 29.10.1929 war an der New Yorker Börse der sog. „Schwarze Freitag“, die Kurse sanken ins Bodenlose, die USA erlebten eine schwere Rezession, und – seine Geldleute forderten ihre Kredite zurück, rissen Deutschland, das sie kaum zurückerstatten konnte, mit sich. In den USA gab es eine Wirtschaftskrise aus Überfluss, den man nicht absetzen konnte. Im Reich wurde daraus eine Krise des Mangels, man konnte seine Schulden, weder Reparationen noch die Kredite, zurückerstatten. Das Reich erlebte eine Zeit der Pleiten, einer durch die Jahre immer mehr anwachsenden Arbeitslosigkeit, der bitteren Not, des massenhaften Ruins ganzer Berufsstände, der Radikalisierung.706)
In der Landwirtschaft setzte die Wirtschaftskrise schon 1928 ein. „Die landwirtschaftlichen Preise entwickelten sich trotz Abschirmung gegen die Folgen der weltweiten Überproduktion von Nahrungsmitteln – im Allgemeinen ungünstiger als die Kostenpreise der Landwirtschaft. 1925 bis 1928, in einer relativ günstigen Phase, waren die Durchschnittseinkommen der in der Landwirtschaft Tätigen nur noch etwa halb so hoch wie die Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen, gegenüber 2/3 in den Jahren 1910-1913.707) „Innerhalb des Zeitraumes 1924 -1928 war bei den meisten Erzeugnissen ein lebhafter Preisanstieg festzustellen, der im allgemeinen im Jahr 1928 den Gipfel erreichte. Kurz darauf verursachte der Ausbruch der Weltagrarkrise einen Preissturz auf der ganzen Linie. --- Bei den Erzeugnissen der Viehhaltung war die Preisentwicklung in vielen Punkten ungünstiger als bei den Feldfrüchten. -- - Mit dem Ausbruch der Weltagrarkrise fielen die Preise der tierischen Erzeugnisse noch erheblich tiefer als die der Agrarprodukte.“708) Das heißt also, dass die Landwirtschaft seit 1928 in einer Weltagrarkrise des Überflusses nicht genügend abgeschirmt werden konnte durch den Staat, damit in Schwierigkeiten geriet, wie man sie vor dem Weltkriege, vor der Republikzeit also, nicht gekannt hatte. Weiter traf dieses die Viehzuchtgebiete, das heißt besonders Schleswig-Holstein und in ihm vor allem die Marschen der Westküste und hier wiederum besonders die Wilstermarsch, ganz besonders. Die Landwirtschaft stand vor dem Ruin, organisierte sich in der „Landvolkbewegung“. „Landvolkbewegung, bäuerliche Protestbewegung in der Agrarkrise 1928-32“, so erläutert der Große Brockhaus (1979) Band 6 Seite 647, „ausgehend von Schleswig-Holstein unter der Führung der Bauern C. Heim und W. Hamkens. Steuerverweigerungen, Widerstand gegen Pfändungen und Versteigerungen, schließlich Bombenanschläge führten im Bombenlegerprozess (1930) zu Zuchthausstrafen für die Anführer, die jedoch bald amnestiert wurden. Der National-sozialismus nutzte die durch die Landvolkbewegung gesteigerte Verbitterung der Bauern seit 1930 erfolgreichaus. „Schon 1928 kam es bei Beidenfleth zum Zusammenstoß. Erzürnte Bauern hinderten den Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte daran, für Steuerschulden gepfändetes Vieh wegzutreiben. Das Staatswappen, den Reichsadler, nannte man den „Pleitegeier“. Im April 1929 tagte das Landgericht, das von Altona deshalb extra nach Itzehoe gekommen war, im Ständesaal. Es gab den „Beidenflether Pfandbruch-Prozeß“. 25 bekamen Gefängnis- und Geldstrafen, was die Erregung steigen ließ. Seit dem 1. März 1929 wurde in Itzehoe als Tageszeitung „Das Landvolk“ herausgegeben.709) Am 24. Mai 1929 gab es (auf das Landratsamt zu Itzehoe) den ersten Bombenanschlag. Weitere Anschläge folgten nach. Die Bauern wollten auf diese Weise auf die verzweifelte Notlage ihres Standes aufmerksam machen. Sie wurden in Prozessen, die Aufsehen erregten, verurteilt. Die Not blieb, wurde von den Nationalsozialisten geschickt ausgenutzt. Schon seit dem 1. Januar 1929 wurde als zweite Zeitung von ihnen in Norddeutschland in Itzehoe die “Schleswig-Holsteinische Tageszeitung“ herausgegeben. Die Bauern fühlten sich von der Republik, ihren Parteien, verraten und verkauft. Hier griff die nationalsozialistische Bewegung ein. Die Bauern schlossen sich ihr beinahe geschlossen an. Dass von der Not der Bauern, besonders der Viehzucht treibenden Bauern ihrer Marsch, eine Landstadt wie Wilster, die von der Landbevölkerung lebte, auf das härteste betroffen war, liegt auf der Hand. Die Krise der Bauern zog eine Krise des Wilsteraner Kleinbürgertums (Krämer, Handwerker, Gastwirte usw.) nach sich. Auch hier drohte der „Pleitegeier“, auch hier folgte man den Bauern auf ihrem Weg nach rechts. Und dazu kam der wirtschaftliche Kollaps als Folge des New Yorker „Schwarzen Freitags“ hinzu, womit alle Zweige der Wirtschaft voll betroffen wurden. Auch die Industrie Wilsters spürte nun die Schwere der Zeit. Die Wilsteraner Lederindustrie, seit der Vorkriegszeit schon schwer angeschlagen, überlebte diese Krise nicht, sie hörte auf zu bestehen. 1929 stellten auch die Ballinschen Lederwerke ihren Betrieb ein. Arbeitslosigkeit unter den Arbeitern, zuletzt bittere Not, wenn die Zeit der Arbeitslosenunterstützung ablief und man von der „Fürsorge“ leben musste, ohne Hoffnung in der Zukunft und durch Jahre hindurch, verbreitete auch hier den Radikalismus. Die Weimarer Demokratie war noch zu jung, hatte in den wenigen Jahren seines Bestehens zu viele Nackenschläge einstecken müssen (Versailler Friedensdiktat, Inflation und nun die Weltwirtschaftskrise), als dass sie viel Vertrauen in der Bevölkerung hatte erwerben können. So trat der Radikalismus von rechts und links auf und versprach die Wende. Sicherheit und Geborgenheit durch einen starken Staat, der sie durch Gebote und Verbote vor solchen Miseren wie einer jahrelangen Wirtschaftskrise bewahrte und zwar schnell, das wünschten sich Bauern und Kleinbürger und auch Arbeiter. Andere Arbeiter folgten den Kommunisten, der die Wende durch den Sozialismus versprach, was wieder von Bauern und Kleinbürgern als neue Gefahr angesehen wurde. Zwei Heilslehren prallten in einer „Kampfzeit“ aufeinander. Demonstrationen, Umzüge, Flugblätteraktionen, Massenversammlungen, und dann bald Saalschlachten, Schlägereien der organisierten und uniformierten Gegner bestimmten den Tag. Und von Monat zu Monat schwoll die „Fieberkurve“, mit der die Bürgerlichen diese Entwicklung verglichen, an. Am Ende dieser Entwicklung stand die „Machtübernahme“ durch Adolf Hitler am 30.1.1933.
Die Nationalsozialisten betrachteten dieses alles als Revolution, und so benahmen sie sich auch, wandten Gewalt an, um ihre politischen Gegner auszuschalten. Das traf vor allem die Linke. Den Reichstagsbrand im Februar 1933 benutzte man, um die Organisationen der Kommunisten, denen man einen Versuch einer Gegenrevolution vorwarf, auszuschalten. Als die Sozialdemokraten versuchten, vorsorglich eine Auslandsorganisation aufzubauen, wurde im Juni des Jahres auch diese Partei verboten, ihre Organisation zerschlagen. Im Mai 1933 nach dem zum Tag der Deutschen Arbeit umgewandelten 1. Mai beseitigten sie auch die Gewerkschaften, schufen dafür die Deutsche Arbeitsfront. Die Masse oder doch sehr viele aus allen diesen Organisationen wanderten in Konzentrationslager, wo sie grausamen Zeiten entgegengingen, sehr oft ihr Leben einbüßten. Diese Zerschlagungs- und Verhaftungswelle ging durch alle Orte, hat auch Wilster betroffen. An diese Vorkommnisse erinnert heute die Hans-Prox-Straße, wie die Straße Hinter der Stadt umgetauft wurde in unserer Zeit. Hans Prox war Sozialdemokrat und einer jener Konzentrationäre. Er litt und ist an seiner Gesundheit in solchen Lagern derartig geschädigt worden, dass er an diesen Folgen sterben musste. Als Konzentrationäre waren diese Gegner des 3. Reiches, wie die Nationalsozialisten ihre Diktatur benannten, aus den Augen der Bevölkerung, kehrte einer früher heim, so wusste er im eigenen Interesse zu schweigen. Widerstand fanden die Nationalsozialisten bei solchen Maßnahmen nicht mehr. Auch die Vertreter der Arbeiterbewegung waren zu oft nur noch Menschen, hinter denen kein entschlossener Anhang mehr stand. Noch stärker war dieses bei den Bürgerlichen der Fall, deren Parteien waren schon vor 1933 bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Als Politiker ohne jeden Einfluss ließ man sie.
Man hat Schleswig-Holstein vorgeworfen, eine Hochburg des Nationalsozialismus gewesen zu sein, besonders hat man dieses auch der Westküste vorgeworfen, und gewiss ist auch Wilster eine solche Hochburg des 3. Reiches gewesen. Andern Ortes siegten die Nationalsozialisten viel später, auch unvollkommener, wie etwa in katholischen Gegenden, wo der noch sehr feste christliche Glaube hinderte, oder in Industriestädten, wo jedenfalls Teile der Arbeiterschaft reservierter waren, oder in Orten, in denen Intellektuelle bestimmten, Angehörige einer Bevölkerungsschicht also, der Gedankenfreiheit, freie Rede und Schrift Lebensinhalt war. In Schleswig-Holstein bestimmte noch immer stark die Landwirtschaft, besser gesagt, das Bauerntum. Und dann bestand hier ein stark vertretenes Kleinbürgertum vor allem in den kleinen vielen Landstädten im Lande, zu denen Wilster gehörte. Wer behauptet, dass dieses Land, dass diese Wilstermarsch antidemokratisch von Natur aus immer gewesen sei, kennt von der Geschichte dieses Raumes kaum etwas. Das Gegenteil ist der Fall, das Land, die Marsch und die Landstadt Wilster waren stets liberale Hochburgen gewesen. Die Wilstermarsch ist eine Landschaft mit uralter Selbstverwaltung, aus Zeiten, in denen man an derartiges andern Ortes noch nicht dachte. Was hier nun in den letzten Jahren der Weimarer Republik geschah, ist etwas völlig anderes. Hier ging es um soziologisch-existenzielle Fragen. Bauerntum und Kleinbürgertum befanden sich in einer derartig verzweifelten Lage durch Inflation und besonders durch die Weltwirtschaftskrise, dass sie, um nicht gänzlich ruiniert zu werden, Schutz durch den Staat suchten vor derartig furchtbaren Erscheinungen einer Marktwirtschaft, wie sie die Weltwirtschaftskrise zeitigte, Schutz auch vor der Belastung durch nicht enden wollende „Reparationen“ an die Siegermächte des Krieges, die sie mit der eigenen Not in Zusammenhang brachten. Und viele Arbeiter wollten vor allem einmal „Arbeit und Brot“. In der Meinung, dass die Parteien der Weimarer Republik hier versagt hätten, wandten sie sich denen zu, die dieses alles versprachen und auch tatsächlich hielten (, wobei eine kräftige Aufrüstung, die als Schutz gegen weitere Unterdrückungen durch die Siegermächte zudem begrüßt wurde, nicht unbeträchtlich mitwirkte.) Daneben veranlassten die demokratischen Rechte, was wohl nur einer verstehen kann, der eine solche Notzeit voll durchgekostet hat. Hier lag der Grund dafür, dass, und jetzt nicht nur in Schleswig-Holstein, zuletzt eine große Mehrheit hinter den Nationalsozialisten stand, auch ihre Diktatur hinnahm, da sie ja Arbeit und Brot gaben, da sie Bauern und Kleinbürgern Sicherheit der Existenz garantierten. Was diese jetzt allein herrschende Partei dann sonst noch an Lehren zu verbreiten bestrebt war, fand viel weniger Resonanz, auch wenn sie ihren Vertretern noch wichtig erscheinen mochte. Die Nationalsozialisten waren Antisemiten und haben dieses in ihrem fanatischen Teil einschließlich ihres Führers in grausiger Weise während des 2. Weltkrieges durch die Tat bewiesen, durch die Ausrottung aller Juden, deren man damals in Europa habhaft werden konnte. Dieser Antisemitismus hat in Wilster, das kann mit Gewissheit gesagt werden, keine Rolle gespielt, gewiss auch nicht im übrigen Schleswig-Holstein. Das lag daran, dass es hier kaum Juden gab, für Wilster gesprochen, dass es hier überhaupt keine Juden gab. Im Jahre 1773 tauchen 2 Juden in einem Prozess in Wilster auf, wobei unklar bleibt, ob sie überhaupt in der Stadt wohnten. Dann gab es im Jahre 1900 in der Stadt 2 Juden, 1905 war es noch ein einziger. Auch er hat dann die Stadt bald verlassen. Weder vorher noch nachher gab es Juden in Wilster.710) Kleinbürgerlichen Hass gegen Juden, die wirtschaftlich oft geschickter waren, konnte es in der Stadt nicht geben. Das war ein Gebiet, welches die Bevölkerung weder im Negativen noch im Positiven berührte. Mehr schon ließ man sich von den schmeichelnden Charakteristiken beeindrucken, welche die neuen Herren des Reiches dem heimischen Menschenschlage angedeihen ließen, von der „Nordischen Rasse“ schwärmten Rassenforscher, Dichter und Denker und nat.soz. Politiker auch. Der Heimatgedanke erhielt einen neuen Inhalt. Blut und Boden gehörten ja zusammen (als „Blubo“ verspottet). In dieser Zeit des Dritten Reiches haben gewiss auch Wilsteraner eine beachtliche Position errungen. Ein Mittelschullehrer aus der Stadt, Dietrich Klagges, hat es sogar bis zum Ministerpräsidenten von Braunschweig gebracht. Er hatte sich schon 1926 nach Benneckenstein am Harz versetzen lassen,711) Ministerpräsident wurde er schon vor der Machtübernahme. Er ist es gewesen, der Hitler zum Beamten und damit zum deutschen Staatsbürger machte. Auch in der Hitlerjugend des „Gaues“ Schleswig-Holstein brachten es Wilsteraner Jugendliche zu hohen Dienstgraden. Viele traten der Partei auch wohl bei, um im Amt zu bleiben, zumal alles danach aussah, dass das neue Regime von Dauer sei. Bürgermeister Dethlefsen war 1932 abgetreten. Es folgte ihm im Amte Dr. Siegfried Küster. Er trat der NSDAP wie viele andere im März 1933 bei und blieb bis 1945 im Amte.
Der Start des Dritten Reiches bedeutete einen brutalen Einschnitt in der Entwicklungsgeschichte der Stadt, wie auch des Landes und des ganzen Reiches. Alles wurde nach dem „Führerprinzip“ ausgerichtet, nach dem Prinzip Befehl von oben und Gehorsam von unten, dieses herunter bis in die letzte Zelle der Gesellschaft. Die Partei war so durchorganisier, umfasste vom „Führer“ bis hinunter zum letzten PG (Parteigenossen) zuletzt wohl etwa 12 Millionen. Wer hier nicht erfasst war, war in den Formationen der Partei (SA, SS usw.), und wer auch hier nicht einbezogen war, der war es in seine Berufsorganisation (Deutsche Arbeitsfront usw.) oder in seinen ebenfalls erfassten Vereinen. Dem Führerprinzip unterworfen war auch die Kommunalverwaltung. Schon am 7.2.1933 wurden die Stadtparlamente aufgelöst, am 12. März Kommunalwahlen, in denen es noch die Parteien gab, durchgeführt. Das Führerprinzip setzte sich in der Folgezeit auch hier durch, war schon Realität, bevor dann am 1. Januar 1934 eine neue Gemeindeverfassung in Kraft trat. Jetzt war allein verantwortlicher Leiter der Stadtgemeinde der Bürgermeister. Ein Gemeinderat von Ratsherren stand neben ihm, aber nur mit beratender Stimme. Der Bürgermeister musste sie anhören, dann fasste er seinen einsamen Entschluss, niedergelegt in „Niederschriften über die Entschließungen des Bürgermeisters“, Protokollbücher über Verhandlungen der Ratsherren erübrigten sich. An die Stelle eines Magistrates traten Beigeordnete, die aber auch nur Vorschlagsrecht in ihrem Dezernat hatten. Alle diese Stadtvertreter wurden nicht mehr gewählt, sie wurden vom nationalsozialistischen Gauleiter und Kreisleiter vorgeschlagen, was verbindlich war, und dann vom Landrat des Kreises „berufen“. Die Berufung erfolgte für 6 Jahre, alle 2 Jahre sollte ein Drittel ausscheiden. Wenn man bedenkt, dass das „1000-jährige Reich“ doch nur 12 Jahre Bestand gehabt hat, von denen auch nur 6 Jahre Frieden war, so wird klar, dass in dieser Zeit nicht allzuviel geschehen konnte, wenn man einmal, was durchaus nicht bagatellisiert werden soll, die Erreichung der Vollbeschäftigung ausnimmt. Der Bauernstand und das städtische Kleinbürgertum fühlten sich errettet, lebten im Rahmen einer auf Autarkie ausgerichteten Planwirtschaft. Für die Dauer über das Dritte Reich hinaus konnte wenig geschehen in diesen wenigen Jahren. Sehr beachtlich und erfreulich war, dass man 1938 das Neue Rathaus von seiner schändlichen wilhelminischen Fassade erlöste, die Straßenfront erneuerte, den heutigen Zustand herstellte. Dass manche Zentralisierungstendenzen schon damals über die Stadt hinweggingen, zeigte sich z.B. an dem Berufsschulwesen. Am 1.4.38 entstand die Kreisberufsschule in Itzehoe konzentriert, sinnvoll gewiss, aber die Kreisstadt stärkend auf Kosten der Regionalstädte, die ja bisher ihr eigenes Berufsschulwesen besaßen. Schon 1934 wurde das Straßenwesen neu geregelt in einer Weise, die auch heute noch Bestand hat, durch das Gesetz über Neuregelung des Straßenwesens wurde der Provinz ein Großteil der Straßen wieder genommen, die ihr der preußische Staat überlassen hatte. Autobahnen und Reichsstraßen wurden Sache des Reiches (heute entsprechend Bundesstraßen). Dem Lande blieben untergeordnete Straßen, dem Kreise weitere darunter, schließlich kamen die kommunalen Straßen. Die Stadt Wilster, an die Grenzen dessen gekommen, was sie im Rahmen einer regionalen Landstadt erreichen konnte, führte nach Erlösung von der Weltwirtschaftskrise wieder ein beschauliches Dasein, weiterhin bemerkenswert sauber, eine Stadt, von der auffiel, dass man das Straßenpflaster und die Hauswände schrubbte, wo ärgerlich auffiel, wenn ein Papierschnitzel im Rinnstein lag. Man entsann sich gerne holländischer Herkunft. Wachsen tat die Stadt schon lange nicht mehr. Es war eher das Gegenteil der Fall. Am 16.6. 1933 zählte die Stadt 4154 Einwohner, das war weniger als Kellinghusen, das mit 4635 die Stadt überrundet hatte. Und am 17. Mai 1939 zählte Wilster gar nur noch 3943 Einwohner.712) Kurz darauf brach der 2. Weltkrieg aus, von Hitler, wenn auch nicht in dieser Form angestrebt, keineswegs jedoch vom Deutschen Volke.
Der 2. Weltkrieg glich für Wilster in vieler Hinsicht dem 1. Weltkrieg. Auch diesesmal wurde die wehrfähige Bevölkerung weitgehend erfasst, brachte dabei ihren Blutzoll. Auch diesesmal und zwar gründlicher, wurden Stadt und Land von einer Kriegsbewirtschaftung erfasst. Und auch dieses mal war Wilster bis zum Kriegsende kein Kriegsschauplatz, erlebte in seiner Gemarkung keine Kampfhandlungen. Das heißt ganz so ungeschoren wie im 1. Kriege kam dieses mal die Stadt doch nicht davon. Das Ausbomben aus der Luft war an sich gegen volksreiche Städte und Industriezentren gerichtet, doch fielen Bomben verschiedentlich an Orten, wo man sie nicht erwartete, so auch einmal und mit Wirkung auf die Stadt Wilster. Das war am 15.6.1944 der Fall. Eine der Sprengbomben fiel direkt in die Kirche und richtete hier besonders in dem zum Turm gelegenen Teil schwere Verwüstungen an. Auch in den Garten des Neuen Rathauses fielen mehrere Bomben, eine dicht hinter dem Gebäude. Es gab jedoch nur einige Risse, da der weiche Marschboden die Erschütterung auffing. Das zweistöckige Gartenhaus dagegen fiel den Bomben zum Opfer.713) In den letzten Monaten des Krieges überrollten die Sowjets den deutschen Osten, wo vor ihnen eine Massenflucht begann. Zahlreiche Flüchtlinge wurden dabei auch gerade nach Schleswig-Holstein geschwemmt, wo vorher auch schon zahlreiche Ausgebombte Zuflucht gesucht hatten. Dieser Prozess war noch im Gange, als die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapitulieren musste. Am 7. Mai 1945 kamen britische Truppen auch in den Kreis Steinburg und besetzten hier die Ortschaften. Das 3. Reich war zu Ende. Dafür kam nunmehr eine „Militärregierung“ für einige Jahre. Was nunmehr die Stadt regierte, bestimmten britische Offiziere. Die Bevölkerung, vor allem natürlich die Behörden, wurden entnazifiziert. Zumindest jeder, der ein Amt oder eine Position innehaben sollte oder wollte, im Grunde alle Erwachsenen, mussten Fragebogen ausfüllen, auf Grund von deren sie eingeteilt wurden in Betroffene verschiedenen Ausmaßes und in Entlastete. Es wurde entlassen und interniert, materiell gebüßt. Den Flüchtlingen folgten die Ausgesiedelten, die im deutschen Osten von der Roten Armee Überrollten wurden nach der Kapitulation ebenfalls vertrieben. Ihre Heimat kam unter „sowjetische“ und „polnische Verwaltung“. Das waren die Gebiete östlich der Oder-Neiße. So wuchs die Zahl der Flüchtlinge noch weiter an. Auch Wilster hatte mehrere tausend unterzubringen. Ein Wohnungsamt hatte die Vollmacht. Es herrschte strenge Wohnraumbewirtschaftung. Dann begann eine außerordentliche Versorgungsnot, der Hunger hielt Einzug. Nahrungsmittelbewirtschaftung gab es schon seit Kriegsbeginn. Sie wurde unter erheblich verschärften Bedingungen fortgeführt. So hatte für Jahre die Bevölkerung genug damit zu tun, sich das Notwendigste mühselig zu beschaffen. Das Abenteuer des 3. Reiches endete mit einem furchtbaren Zusammenbruch. Und nun endlich beginnen die Nachrichten über Vorkommnisse in der Stadt wieder zu fließen, liegen seit 1947 wieder im Archiv der Stadt Verwaltungsberichte der Stadt Wilster vor, die einen etwas genaueren Einblick gewähren. Zunächst die Einwohnerzahlen: 1947 hatte die Stadt nach Abschluss der Flüchtlingsflut 7538 Einwohner, von den 47,6 % Flüchtlinge, vor allem Ostpreußen und Pommern, waren. Fast die Hälfte der Einwohner waren also Menschen, die „alles verloren hatten“, die nun vom Wohnungsamt Wohnraum der Alteingesessenen zugewiesen bekamen. So sollte es unvermindert etwa bis zum Jahre 1949 bleiben, wo die Zeit der Militärregierung endete, die Bundesrepublik Deutschland erstand, die deutschen Demokraten den zweiten Versuch machen durften. 1949 zählte Wilster gar 7544 Einwohner, das war der höchste Stand, der in dieser Hinsicht erreicht wurde. Eine Gemeindeverfassung erhielten die Städte von der britischen Militärregierung durch die Verordnung Nr. 21 vom 1.4.1946 (Amtsblatt Mil.Reg. Nr. 7 S. 128). Die Militärregierung habe „weitgehend Bestimmungen der Deutschen“, sprich nationalsozialistischen, „Gemeindeordnung“ übernommen, meint man im Verwaltungsbericht Seite 3. Nun, es war aber die britische Form der Selbstverwaltung, freilich wurden die Vertreter der Gemeindeselbstverwaltung zunächst nicht gewählt, sondern alle von der Militärregierung ernannt. Dieses ernannte Stadtparlament war die „Stadtvertretung“, die wiederum einen „Hauptausschuss“, dem Magistrat entsprechend etwa, wählte. Der Vorsitzende der Stadtvertretung, ein ehrenamtlicher Vertreter also, hieß Bürgermeister. An der Spitze der städtischen Beamten stand als wichtigste Persönlichkeit der Stadtdirektor. „Der Bürgermeister sollte politischer Repräsentant der Stadt und der Stadtdirektor der Verwaltungschef sein. Versuche des Landes Schleswig-Holstein“, das die Militärregierung 1946 bildete (das Land Preußen wurde aufgelöst), „eine bessere Gemeindeverfassung zu schaffen, scheiterten an der britischen Militärregierung“.714) Am 15.9.1946 durften dann erstmals wieder die Gemeindevertreter demokratisch frei gewählt werden, erstmals wieder seit 1933, nachdem sich demokratische Parteien wieder hatten bilden dürfen. Dabei stellte sich in etwa die politische Struktur ein, wie sie in Wilster schon durch Jahrzehnte bestanden hatte, ausgenommen die Jahre der Weltwirtschaftskrise, die ja die Menschen radikalisiert und ins Lager der Hitleranhänger getrieben hatte. Es ist zu wünschen, dass derartige wirtschaftlichen Notzeiten und damit Belastungen niemals wieder kommen. Damals sammelten sich die Bürgerlichen in der Freien Demokratischen Partei (FDP), die 10 Vertreter erhielt, die Arbeiterschaft war zur Sozial-demokratischen Partei Deutschlands zurückgekehrt, die SPD erhielt 7 Vertreter. Bürgermeister wurde der Malermeister Heinrich Büttner (SPD), im Hauptausschuss saßen 4 von der FDP und 3 von der SPD. Am 17.3.1947 wurde als Stadtdirektor gewählt der Oberinspektor Willy Oxwang. Schon am 24.10.1948 war dann auch die andere bürgerliche Partei, die Christlich Demokratische Union (CDU) da, sie erhielt 4, die FDP noch 8 und die SPD 5 (ein Tiefpunkt) Vertreter. Jetzt wurde Bürgermeister der Kaufmann Nikolaus Musfeldt (FDP) (vom 15. 11.1948 an). Die Zeit der großen Not und der Fremdherrschaft dauerte zum Glück nur kurze Zeit. Schon im Juni 1948 wurde durch die Währungsreform die Volkswirtschaft Westdeutschlands auf eine gesunde Basis zum Wiederaufbau gestellt. Ein Jahr später konnte jedenfalls hier die parlamentarische Demokratie in Form der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden. Am 24. Januar 1950 wurde für das Land Schleswig-Holstein eine Gemeindeordnung beschlossen, die am 4.3. in Kraft trat. In ihr griff man auf die bewährte alte Steinsche Städteordnung wieder zurück, wie sie bis 1933 gegolten hatte, realisiert lokal durch die Hauptsatzung der Stadt Wilster. Die Gemeindevertretung wurde die „Ratsversammlung“, ihre Mitglieder die Ratsherren (nicht mehr Stadtverordnete). Aus ihnen ging wieder durch Wahl der „Magistrat“ als kollegialer Vorstand der städtischen Verwaltung hervor. Leiter der Verwaltung wurde wieder der auf 12 Jahre gewählte „Bürgermeister“. Am 23.3. 1950 wurde dann der einstige Oberinspektor und dann seit 1947 Stadtdirektor Willy Oxwang zum Bürgermeister der Stadt Wilster gewählt (zunächst auf 6 Jahre). Das, was unter der Militärregierung sich Bürgermeister nannte, der Präsident des Stadtparlaments, hieß jetzt sinngemäß „Bürgervorsteher“, Nikolaus Mußfeldt führte dieses Amt unter diesem neuen Namen bis zum 24.5. 1957 weiter, danach wurde der Malermeister Karl Huusfeldt sein Nachfolger.715)
Das Flüchtlingsproblem stand mit an erster Stelle in den Nachkriegsjahren. Als ein Land mit relativ geringen Kriegsschäden hatte Schleswig-Holstein besonders viele Vertriebene aus den verlorenen Ostgebieten aufnehmen müssen, jedenfalls was das platte Land einschließlich seiner Klein- und Mittelstädte betraf. Zusammenleben in qualvoller Enge kennzeichnete diese Zeit für Flüchtlinge und auch für Einheimische. Wilster bot hierfür ein typisches Beispiel, hatte es doch einige Jahre hindurch fast ebenso viele Vertriebene wie Einheimische in einem Wohnraum, der für die etwa 4000 zählenden eingesessenen Bewohner vorgesehen war, das heißt es fehlten zudem 35 Häuser, die 1944 durch Luftangriff zerstört worden waren. Schon am 27.11.1947 gab es ein Gesetz zur Behebung der Flüchtlingsnot. Es gab einen Flüchtlingsausschuss, eine Schlichtungsstelle, denn Streitigkeiten gab es naturgemäß in der qualvollen Enge der Unterbringung mit vielerlei Problemen, von denen sich derjenige, der sie nicht miterlebt hat, kaum eine Vorstellung zu machen vermag. Es gab eine Beratungsstelle für Vertriebene, es gab einen Flüchtlingsbeauftragten. Es wurden Vertriebenenaus-weise ausgestellt. Es gab einen Ausweis A, den 1175 erhielten, die von jenseits der Oder-Neiße-Linie stammten, dann gab es den Ausweis B für 97 und Ausweis C für noch einmal 29. Da das platte Land nur wenig Arbeitsmöglichkeiten für die Vertriebenen geben konnte, wurde die Umsiedlung drängend, seitdem seit 1948 der Wiederaufbau beginnen konnte. Es gab eine Bundesumsiedlung: es wurden bis 1957 452 Familien umgesiedelt. Dann gab es die Landesumsiedlung, hier waren es nur 33 Familien, die in Schleswig-Holstein in Orte umsiedelten, die mehr Arbeit zu bieten hatten. So sank die Bevölkerung wieder allmählich. 1950 waren noch 7348 (davon 45,3 % Flüchtlinge), 1952 waren es dann 6293 (mit 41,1 % Vertriebenen), 1954 sodann 5623 Einwohner (Flüchtlingsanteil 35,8 %) und 1956 waren es 5227, von denen immerhin 1/3 Flüchtlinge waren. Etwa 1600 Vertriebene blieben, für sie wurde Wilster im Laufe der Jahre zur neuen Heimat, und zwar in solchem Ausmaße, dass man heute beide Elemente kaum noch voneinander zu unterscheiden vermag, gewiss eine große Leistung von Staat, Stadt und Gesellschaft. Doch ging der Weg dorthin über Dornen. Zunächst musste das gesetzlich legitimierte Wohnungsamt den Mangel nach Kräften gerecht verteilen. Dann musste Wohnraum neu erstellt werden. So wurde die Schützenhalle in der Allee zu 3 Wohnungen umgebaut, nahm das Gebäude der Mädchenschule in Landrecht 5 Wohnungen auf, 2 weitere entstanden in der Deichstraße 54. Das war 1949. 1950 begann man, konnte man beginnen, da nunmehr Mittel dafür zur Verfügung standen, mit der „Ostlandsiedlung“, ein Straßenzug östlich der Johann-Meyer-Str. nördlich vom Kirchhof. Es sollte hierbei nicht bleiben. Qualvoll auch die Enge in den Schulen. 1950 gab es in der Volksschule 1519 Schüler(innen), 1947 gab es 27 Klassen, aber es gab nur 17 Klassenräume, Lehrer aber waren 16 da. Allmählich regulierte es sich. 1957 war die Zahl der Klassen wieder auf 19 gesunken, wofür 20 Klassenräume zur Verfügung standen und immerhin 14 Lehrkräfte (1953 waren es vorübergehend sogar 21 gewesen). Volkschulrektor dieser Drangzeit war Adolf Sievers, ein Mann aufgeschlossen dem Heimatgedanken. Entsprechend war das Wachsen und Zurückgehen in der Mittelschule, wo wir 1953 448 Schüler(innen) haben, 1957 dann 272.716) Diese Nachkriegsjahre waren die 3. „Überfremdungszeit“ für die Stadt, die ihre Einwohner sonst weitgehend aus der umliegenden Marsch erhielt. Die erste Welle fiel mit dem Dreißigjährigen Krieg und folgenden Schwedenkriegen zusammen. Viele kamen damals, etliche gingen wieder, eine Anzahl verblieb, neue Namen tauchten auf, sogar in den ratsfähigen Familien der Zeit. Die 2. Welle fiel zusammen mit der Industrialisierung am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die Arbeiter kamen teilweise von weither. Etliche gingen wieder mit dem Verfall der Lederindustrie, eine Anzahl verblieb für immer, und neue Familiennamen gab es in der Stadt, die hier bisher unbekannt waren. Die 3. Welle, die der Flüchtlinge, war sicher aber die größte, nun gab es vor allem auch viele Namen aus den östlichen deutschen Gebieten. Auch die religiöse Zusammensetzung änderte sich in diesem Zusammenhang etwas. Etwas, denn die Masse der Flüchtlinge war wie die Einheimischen evangelisch. Immerhin 3 % der Einwohner aber waren jetzt römisch-katholisch, so nach der Volkszählung vom 13. 9. 1950, wo man 6889 Einwohner zählte (3101 männlich und 3788 weiblich, ein großer Frauenüberschuss infolge hoher Kriegsverluste, auch hielt man noch viele Jahre deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion zurück). Für die immerhin 210 Katholiken wurde 1950 ein eigener Kirchbau errichtet. Eine eigene katholische Gemeinde, wie in Glückstadt und Kellinghusen, gab es in Wilster nicht, dafür war die Anzahl zu gering. Zuständig war der Pfarrer der St. Ansgarkirche in Itzehoe.717) Erhebliches musste in der Nachkriegszeit auch von der evangelisch-lutherischen Kirche, der immer noch 95 % der Bevölkerung angehörten, geleistet werden.718) Die Herstellung der schwergeschädigten Sonninkirche erfolgte in 2 Bauabschnitten, nämlich 1947-54 und 1963/64. „Der ornamentale Schmuck der Stuckdecke wurde bei deren Erneuerung nicht wieder angebracht. Hatte die alte Orgel auf der oberen Empore gestanden, die auch umlaufend geführt war, so erhielt die neue ihren Platz auf der ersten Empore. – Der Aufbau der Logen-Emporenfront zu beiden Seiten der Altare erfolgte zweigeschossig, gegenüber dem vorigen Zustand in der Form geschlossener. Die Zahl der Kirchen-plätze wurde einschneidend auf etwa 1200 herabgesetzt, und endlich brachte eine noble Farbgebung alles zu einem neuen Ausdruck. Das Äußere der Kirche bietet nach wie vor das gleiche Bild. Nur der Turmhelm bekam ein neues Gesicht. Seine 100 Jahre alte Schiefereindeckung, --- konnte 1968 durch ein Kupferdach ersetzt werden.“719) Da die drei Räume, die im Hauptpastorat für die aktive Gemeinde-arbeit zur Verfügung standen, kaum ausreichten, entschloss sich die Gemeinde 1976, ein Gemeindehaus zu errichten. Zur Verfügung dafür stand der Pastoratsgarten hinter dem Hauptpastorat zum ehemaligen Burggraben hin. Hier erstand 1978/79 ein 24 Meter langer und 15 Meter breiter Bau, sorgfältig gepfählt, da der Untergrund nicht sehr günstig hierfür war. Es enthält funktionsgerecht einen Jugendraum, eine Teeküche, einen Abstellraum, den Konfirmandenraum, einen Gemeindesaal, ein Magazin, weiter Vorraum, Garderobe, Windfang, Flur und Toiletten. „Es passt sich sehr gut in die städtebauliche Substanz zwischen unserer Sonninkirche und dem Michaelsenschen Gartenhaus (Trichter) ein, weil wir im Geiste des größten Baumeisters der evangelischen Kirche im 18. Jahrhundert bauten und dabei seine Ideen in die Erfordernisse der Neuzeit umsetzten. Hierbei hat sich der Architekt Friedrich Hain aus Neumünster ein würdiges Denkmal gesetzt.“720) Die Gemeinde wird weiterhin von zwei Geistlichen betreut.
Die Aufgaben der städtischen Verwaltung wuchsen mit vorübergehenden oder mit Aufgaben für die Dauer. So gab es das Ernährungs- und Wirtschaftsamt, das nach Ende der Zwangsbewirtschaftung aufgelöst wurde. Weiter gab es das Fürsorgeamt, mit welchem, nachdem die Vertriebenenprobleme mehr und mehr ihrer Lösung entgegengingen, das Vertriebenenamt zusammengelegt wurde. Dazu kam noch das Einwohnermeldeamt. Eine Aufgabe des Fürsorgeamtes war das Altersheim, das seinen Armenhaus-Charakter nach der Währungsreform 1948 ändern konnte. Aus ihm wurde ein städtisches Alters- und Pflegeheim, eine Pension für alte Leute. Die Schlafsäle verschwanden, seit 1949 begann eine Auflockerung in Einbett-, Zweibettzimmer. Natürlich konnte dieses nur schrittweise geschehen. 1957 gab es 78 Plätze. Dabei trägt sich das Altersheim selbst, wozu eine Schweinemast beitrug.721) Einen Höhepunkt an Arbeit gab es für die städtischen Organe natürlich 1947, dem Höhepunkt der Notzeit. Damals gab es 6 Beamte, aber 18 Angestellte und 11 Arbeiter. 1956 waren es dann nur noch 7 Beamte, 8 Angestellte und 6 Arbeiter. Bestimmen tat wieder die freigewählte Bürgervertretung. Es gab eine Bewegung in der Parteienwelt. Die Sozialdemokraten sanken, was die Zahl ihrer Wähler betraf, zunächst einmal ersichtlich. Erzielten sie 1946 noch 3635 Wähler, so waren es bei der nächsten Gemeindewahl nur noch 2782 im Jahre 1948, 1951 gar nur noch 1992. Dieses scheint zusammenzuhängen mit der Bildung einer eigenen Flüchtlingspartei, dem BHE, der 1951 1350 Wähler auf sich vereinigte. Die Bürgerlichen hatten 3 Parteien zeitweilig, neben der FDP und der CDU noch die DP (Deutsche Partei). Man trat dann gewöhnlich bei Gemeindewahlen in einem Wahlblock auf, der 1951 2701 Stimmen auf sich vereinigte und 1955 dann 2442 Stimmen.722) 1959 gab es getrennte Stimmen. CDU und FDP erzielten je 5 Mandate, die SPD 6 und der BHE nur noch 1. (CDU 2265 Stimmen, SPD 2883, FDP 2247, GDP (BHE) 416 und ein BdD 88).723) In den 60er-Jahren gab es sodann noch die 3 überlebenden Parteien. In der Kommunalwahl vom 11.3.1962 gab es an Mandaten 5 für die CDU, 7 für die SPD und 5 für die FDP, in der vom 13.3. 1966 dann 6 für die CDU, 7 für die SPD und 4 für die FDP.724)
Die Stadtvertreter haben vor einer Reihe wichtiger Fragen gestanden, die es zu lösen galt. Da war zunächst die Stadtkanalisation, die in Angriff zu nehmen war. Eine Mahnung dahingehend, dass die sanitären Verhältnisse keineswegs in Ordnung waren, dass Gefahren vor allem von der immer mehr verschmutzten Wilsterau herrührten, gab es in der Not der Nachkriegsjahre, die viele Krankheiten mit sich brachte, vor allem gab es 1946/47 eine Typhus-Epidemie in der Stadt. Noch immer standen die Dinge so: „In unserem Stadtgebiet befindet sich nur in einigen Straßen eine Regenwasser-kanalisation, deren Zustand teilweise sehr schlecht und besonders die Reinigung der Leitungen bis zum Jahre 1949 völlig vernachlässigt worden ist. Vor allem musste im Laufe der Jahre das erforderliche Reinigungsgerät angeschafft werden. Der verrohrte Burggraben und auch die Entwässerungsleitungen in der Bahnhofstraße werden zum großen Teil als Schmutzwasser-kanalisation benutzt. Die jährliche Reinigung macht große Schwierigkeiten, da die Rohre sich teilweise gesetzt haben. Für die Besserung der Abwässerverhältnisse wurde im Jahre 1951 von Ziv. Ing. Dr. Weise aus Lübeck ein Vorentwurf für die Ortsentwässerung Wilsters aufgestellt. Desgleichen bearbeitet derselbe die Entwurfsaufstellung für die Verrohrung des Wilsterau-Stadtarms, der als Hauptsammler für die Kanalisation im Jahre 1953/54 ausgebaut wurde (Verrohrung)“.725) Die Wilsterau in ihrem alten Hauptarm durch die Stadt am Alten Rathaus vorbei wurde zunächst einmal zusätzlich zu dem Burggraben verrohrt, vom Stadtbild her schwerwiegend nachteilig, vieles vom typischen Gesicht Wilsters ging so verloren. Es steht allerdings außer Zweifel, dass diese Maßnahmen notwendig waren. Es heißt über die Maßnahmen weiter: „Die Herstellungskosten einschließlich des Hauptpumpwerks Lange Reihe“, das damals also erstand, „und des Abschlussbauwerks Rosengarten betrugen 728 395 DM. Mit dem Hauptsammler wurde der Grundstock für die Vollkanalisation geschaffen“. Erfasst wurden von dieser Maßnahme allerdings vorerst nur 25 % der Einwohner. Eine Satzung über die Entwässerung und den Anschluss an den Hauptsammler wurde am 19. Sept. 1953 von den Stadtvertretern genehmigt. Am 28.12. 1955 wurde vom Ziv. Ing. Franke (Delmenhorst) ein Entwurf für ein Klärwerk aufgestellt, denn „die Fertigstellung des Hauptsammlers schließt auch weiterhin die Errichtung von Grundstücksklärgruben zur Vorklärung der Abwässer nicht aus. Erst mit der Fertigstellung und des zentralen Klärwerks können Abwässer ungeklärt in die Vollkanalisation gegeben werden. Der Ausbau der Vollkanalisation wird von der Stadt angestrebt und soll bei zur Verfügungsstellung tragbarer Förderungsmittel seitens des Landes und des Bundes nach Möglichkeit in den kommenden Jahren teilweise durchgeführt werden,“ so heißt es im Verwaltungsbericht im Jahre 1957. Und weiter für die Zwischenzeit weiter: „Die Reinigung der Grundstücksklärgruben wurde bis zum Jahre 1955 von der städtischen Abfuhr vorgenommen. Seit dieser Zeit ist die Klär-grubenreinigung einer Privatfirma übergeben worden.“ Schließlich heißt es über das Zwischenergebnis (Verrohrung des Wilsterau-Stadtarms und Bau eines Hauptsammlers): „Durch den Bau des Hauptsammlers wurden in den angeschlossenen Grundstücken die bisherigen Kellerüber-flutungen aufgehoben, desgleichen vor allem ein gefährlicher Seuchenherd beseitigt.“ Die Abwasser-kläranlage, genehmigt am 20.1.1958 vom Landesamt für Wasserwirtschaft, konnte ab November 1958 gebaut werden.726) Im April 1960 konnte das neue Klärwerk in Betrieb genommen werden. Im Verwaltungsbericht für die Jahre 1959-1961 ist vermerkt: „Das mechanisch-biologische Klärwerk einschließlich des für den Endausbau erweiterten Hauptpumpwerkes in der Langen Reihe konnte am 8. April 1960 in Betrieb genommen werden. (Baukosten 858 378,06 DM).“ Das war ein bedeutender Tag in der Geschichte der Stadt. Kanalisiert waren nunmehr Klosterhof, Marquardstraße, Zingelstraße, Kohlmarkt, Deichstraße (teilweise), Lange Reihe und Am Markt. Die kommenden Jahre brachten in diversen Baustufen den weiteren Ausbau der Vollkanalisation. Die 2. Stufe war 1962/63, die 3. Folgend 1964, die 4. Dann 1965/66. 1966 sind „rund 95 % der Gesamtmaßnahme erfüllt“. „Die Verrohrung des Bäckerstraßenflethes soll 1968 erfolgen“, heißt es sodann in der Haushaltssatzung von 1968. Aber in der von 1969 heißt es dann: „Die Verrohrung des Bäckerstraßenflethes konnte auch 1968 noch nichts erfolgen“, und weiter: „Die Kanalisation ist 1968 noch nicht zu Ende (wie erwartet)“. Auch dieses ist inzwischen geschehen, auch der Bäckerstraßenfleth ist nunmehr verrohrt. Es ist nunmehr so, dass die ehemaligen Sielwettern zur eigentlichen Au geworden sind, der Straßenzug „Am Audeich“ dortselbst trägt nunmehr also seinen Namen zu Recht. Mit der Vollkanalisation erübrigte sich allmählich ein unappetitliches Kapitel der Stadtgeschichte, die Fäkalienabfuhr. Die Fäkalien wurden in die Nähe des Sportplatzes Allee gebracht, dort in Gruben gesammelt, aufbereitet, nach genügender Ausfaulung per Schiff nach Glückstadt versandt, wo sich die Gemüsebauern seiner annahmen. In den letzten Jahren verfiel die Anlage mehr und mehr, zudem musste man dazu übergehen, sich Gedanken über die weitere Abfuhr zu machen, da der Dung nicht mehr abgenommen wurde (1958). So war die Vollkanalisation eine Erlösung. „Die Ausschaltung der Trockenaborte nach Fertigstellung der angelaufenen Vollkanalisation wird angestrebt“, vermeldet der Verwaltungsbericht von 1959-61. In dem betreffenden Bericht für 1962-66 heißt es erfreut: „Die Fäkalabfuhr nimmt mit Fortschritt der Vollkanalisation zusehends ab, nur noch 1 ½ Tage pro Woche werden Fäkalienkübel abgefahren. „Ein Problem steigenden Ausmaßes wurde die Müllbeseitigung. Darüber heißt es im Verwaltungsbericht von 1947-57: „Die Abfuhr wird mit Pferdefuhrwerken betrieben, 5 Mann beschäftigt, zuletzt 4 Mann. Das Abfuhrgebäude ist im schlechten Zustand. Die Müllabfuhr ist schwierig. Die Kübel werden auf offenen Planwagen entleert. Das System und die Art der Durchführung entsprechen nicht mehr den heutigen Erfordernissen der Stadthygiene, Abhilfe ist dringend geboten“. Am 22.2. 1949 erfolgte eine Gründung einer Fäkalien- und Müllabfuhr- und Verwertungsanstalt. 1958 versuchte man es mit einer „staubfreien Müllabfuhr“. Ein Schuttberg für die Müllabfuhr wurde 1960 auf dem Brook vom Bauern Heesch gepachtet, er reichte jedoch nur für einige Jahre, daher wurde „ein Ersatzplatz außerhalb der Stadt gesucht“. Der „staubfreie Müllwagen“ hatte sich nicht bewährt“. Endlich konnte „in Groß Kampen ein neuer Müllablagerungsplatz gepachtet und angelegt werden“, so der Verwaltungsbericht 1962-66. Die heute in Angriff genommene zentrale Mülldeponie bei Ecklak zeigt sich heute in mannigfacher Hinsicht als eine Notwendigkeit. Geringen Erfolg hatte die Stadt in ihrem Bemühen, an dem Deutschen Wirtschaftswunder, wie man das Wiederaufblühen des Wirtschaftslebens in der Bundesrepublik seit 1948 genannt hat, teilzunehmen. Schon im Deutschen Reiche von 1867/71 bis 1945 lag Wilster als Stadt der holsteinischen Westküste nicht eben günstig. Diese Randlage war seit 1945 noch extremer geworden. Jetzt lag Schleswig-Holstein dicht am Eisernen Vorhang, der West- und Ostdeutschland hermetisch voneinander trennte. In der Bundesrepublik lag das Land im äußersten nordöstlichen Winkel, während sich andererseits durch die Bildung der EG die Grenzen nach West und Süd auftaten. Der Westen und Süden der Bundesrepublik profitierten von dieser neuen Lage, der Norden dagegen hatte Mühe, Anschluss zu halten. Dies alles wirkte sich auf die Westküste besonders aus. „Die Stadt Wilster“, so heißt es im Verwaltungsbericht der Stadt von 1947-57 auf Seite 61, „hat sich nach Beendigung des Krieges ständig bemüht, Industriebetriebe in Wilster anzusiedeln und dadurch die Wirtschaftskraft der Stadt zu heben. Diesen Bestrebungen ist leider nur zum Teil ein Erfolg beschieden. - - - Die Stadt Wilster hat nicht in dem Maße an dem Wirtschaftswunder Anteil gehabt wie andere Städte in besserer Verkehrs- und Bodenlage“. Dabei waren von der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten viele Schritte gemacht worden, die dem Gewerbe dienlich sein mussten. „Die Stadt liegt an der schiffbaren Wilsterau, an der Bundesstraße 5, an der Bundesbahnlinie Hamburg-Westerland und an der Bundesbahnnebenstrecke nach Brunsbüttelkoog“, zählt der Bericht auf, aber „trotz dieser Vorzüge wird der Raum um Hamburg von vielen Betrieben wegen der verkürzten Anfuhr der Rohstoffe und Lieferung der Fertigwaren der Vorzug gegeben.“ Eingeräumt werden auch die Nachteile, die im Marschboden liegen: „Der Marschboden erfordert bei Bauten, Straßenanlegungen und bei Kanalisationsarbeiten mehr Aufwendungen als in anderen Gegenden“. Niederlassen taten sich meist Unternehmen, denen es an Kapital mangelte. Der Bericht zählt auf: Eine Arzneimittelfabrik Erich Graef eröffnet 1947 ein Zweigwerk in Wilster mit rund 20 Beschäftigten, ging aber schon 1949 in Konkurs. Eine Stahlfensterfabrik mit 11 Beschäftigten gründete Firma Behrmann und Koopsch 1948, stellte den Betrieb jedoch schon 1953 wieder ein. Eine Lebensmittel-fabrik O. E. Anders bestand seit 1947 und ging schon 1948 ein. Die Firma Wilhelm Krause begann „in den Gebäuden der 1929 stillgelegten Ballinschen Lederwerke“ mit der Fabrikation von elektrischen Heiz- und Kochgeräten seit 1948, beschäftigte vielversprechend um die 100 Arbeiter und Angestellte, aber 1953 ging der Betrieb in den Konkurs. 1954 eröffnete in eben den Räumen der Ballinschen Lederwerke eine Herdfabrik der Hamburger Firma Wilhelm Ahlers, die „einen guten Start und aussichtsreiche Entwicklung“ hatte. Auch eine Hand- und Maschinenstrickerei Hermine Siegert, die 1953 in Wilster zu produzieren begann, „entwickelte sich gut“. Schließlich kam aus Bochum die Firma Friedrich Spieß und errichtete in der Rumflether Straße einen Zweigbetrieb einer Sack- und Planenfabrik. Sie „berechtigt zu den besten Hoffnungen“. Also waren nicht alle Neuansiedlungen Fehlschläge. Die Realität der Randlage in einem Wirtschaftsgebiet führte aber doch zu wehmütigen Betrachtungen im Verwaltungsbericht der Stadt von 1947-57 (auf Seite 62): „Früher gehörte Wilster mit seinem ausgedehnten Getreidehandel, seinem Hafen, der Lederindustrie, dem Futtermittelwerk und dem bedeutenden Viehhandel zu den wirtschaftlichen Schwerpunkten des Kreises Steinburg. Die Stadt war der natürliche Mittelpunkt der Wilstermarsch. Hier ist durch die Zeitläufte ein Wandel eingetreten. Die zentralen Funktionen Wilsters sind nur noch von nebengeordneter Bedeutung. Die zurzeit ansässigen 385 Gewerbebetriebe setzen sich zu über 300 aus Klein- und aus Kleinstbetrieben zusammen. Die Kaufkraft der städtischen Bevölkerung und auch des benachbarten Hinterlandes sichert die Existenz des Gewerbes und des Handels allein nicht mehr. Die Betriebe mussten mehr und mehr dazu übergehen, ihren Absatz in anderen Gebieten zu suchen. Das ist im vollen Umfange gelungen. Unsere Betriebe haben sich durch saubere, gute und preiswerte Arbeit in der weiteren Umgebung einen guten Ruf erworben. Das Fehlen größerer arbeitsintensiver Industriebetriebe spiegelt sich auch in der Arbeitsmarktlage wieder. Die Statistik des Arbeitsamtes weist nach, dass der Anteil der Arbeitnehmer (Beschäftigte und Arbeitslose zusammen) an der Wohnbevölkerung beträgt: im Bundesdurchschnitt 38,5 %, in Schleswig-Holstein 35 %, im Arbeitsbezirk Elmshorn 35,6 %, im Arbeitsamtsnebenstellenbezirk Wilster aber nur 21,9 %. Dass die von der Stadt seit Jahren mit allen Mitteln unternommenen Versuche, die Wirtschaftskraft der Stadt durch Ansiedlung von Industrie zu heben, zum Teil Erfolg hatten, ist daraus ersichtlich, dass die Betriebe Ahlers, Spieß und Siegert sich hier niedergelassen haben. Die Unterstützung des Landes und des Kreises ist wiederholt zugesagt. Verschiedene größere Planungen sind vorgesehen, lassen sich zurzeit noch nicht wegen gewisser Schwierigkeiten auf Bundes- bzw. Landesebene verwirklichen. Schwierigkeiten hatte der gesamte Kreis. Er gehörte nicht zum eigentlichen Randgebiet der Stadt Hamburg, auch nicht zum Zonenrand-gebiet, dem Vergünstigungen zustanden wurde, auch nicht zum Gebiet des „Programms Nord“, dem Norden des Landes, dem eben dieses Land Hilfe zukommen lassen musste. Der Kreis Steinburg gehört zu den wenigen schleswig-holsteinischen Kreisen, für den dies alles nicht zutrifft. Der schwerste Schlag für Wilsters Wirtschaft erfolgte dann erst in den 60er Jahren. Im Jahre 1965 verlagerte die Firma Günther und Co. ihr Futtermittelwerk von Wilster nach Schleswig, und damit brach der bis dahin noch immer beachtliche Schifffahrtsverkehr auf der Au zusammen, abgesehen von dem schmerzlichen Verlust an Arbeitsplätzen. Die Hafen- und die Schleuseneinnahmen gingen von 1965 immerhin noch 2000 DM auf nur 200 DM im Jahre 1967 zurück. Die Wilsterau ist seitdem, wenn man einmal von Sportseglern absieht, recht leer geworden. Aufgeben taten die Stadtvertreter daraum freilich keineswegs. Es stimmt ja auch, wenn es in der „Haushaltssatzung für 1967“ heißt unter anderem: „Nachdem längere Zeit nur Klein- und Mittel-Gewerbe vorhanden war, haben sich in den letzten Jahren neue größere Betriebe angesiedelt und haben mehrere Betriebe einen für Wilster bedeutenden Umfang angenommen. Es ist zu hoffen, dass die Verlegung eines größeren Betriebes nach außerhalb sich nicht auf die Dauer nachteilig auswirkt, sondern als Ersatz ein anderer Betrieb für Wilster gewonnen werden kann.“ Zunächst allerdings bedeutete dieses, dass 1967 den 399 Einpendlern 499 Auspendler gegenüberstanden, dass Schleuse und Hafen im selben Jahre 24 000 DM Verlust verursachten.727)
Die Stadt hat sich nach der Aufschwemmung durch die Flüchtlingsflut bei Kriegsende auf eine Bevölkerungszahl eingependelt, die ihrer Situation gemäßer ist. 1965 gab es 4959 Einwohner (davon 31,2 % Vertriebene),728) 1967 waren es noch 4841 und 1970 schließlich noch 4678.729) „Auf einer Stadtgebietsfläche von nur 205 ha leben 4600 Einwohner“, so beschreibt auch noch im Jahre 1980 der damalige Bürgermeister Armin March die Stadt.730) Bürgermeister im Amt waren in dieser Zeit bis 1963 noch Willi Oxwang, anschließend der bisherige Kreisinspektor Johannes Handt bis 1972, sodann bis 1981 Armin March, dem 1981 der derzeitige Bürgermeister Wolfgang Noffke (bisher Amt Wilstermarsch) nachfolgte. Diese Stadt, der immerhin mehrere hundert neu Einwohner für Dauer verblieben, hat sein Siedlungsareal, sowie dieses bei anlaufender Konjunktur der Nachkriegsjahr-zehnte möglich wurde, entsprechend ausweiten müssen. Und sie hat dieses auch getan. Nach Entwurf (1951) und Ausbau (1952) der Ostlandsiedlung, der schon 1949 die Bebauung der Südseite der Allee (Bebauungsplan „Auf dem Brook“) vorangegangen war, ging man an die Bebauung des Gebietes „West-Landrecht“. Die Ratsversammlung beschloss hier am 20.2.1956 einen Teilbebauungsplan, der am 23.4. des Jahres vom Sozial-Ministerium genehmigt wurde. Gebaut wurde eine Straße von der Zingelstraße an der Volksschule entlang nach dem Landrecht herüber. Sie erhielt 1957 den Namen Etatsrat-Michaelsen-Straße, denn sie führte ja vor allem auch durch seinen ehemaligen Grundbesitz. Hier begann man in eben diesem Jahre mit dem Bau von 17 Wohnungen, ab 1958 von 10 Wohnungen in der Johann-Meyer-Straße. In den 60er Jahren lag der Schwerpunkt für Wohnbauten in der neu erstehenden Etatsrätin-Doos-Straße, von der Etatsrat-Michaelsen-Straße abzweigend um die Villa Schütt herum. Es erstanden an Wohnungen 1962 23, 1963 17, 1964 18, 1965 7 und 1966 noch einmal 14. Die in der Notzeit errichtete Obdachlosenbaracke wurde 1962 abgerissen und durch eine neue ersetzt in der Rumflether Str. 6 mit 16 Wohnräumen. 1966 wohnten dort 11 Parteien mit 23 Personen. Die Wohnraumnot war sonst damals behoben. Am 1. Juli 1966 wurde die Wohnraumbewirtschaftung für Wilster aufgehoben. Es gehörte zum „weißen Kreis“, wo solches geschehen konnte. Es waren Wohnblocks, die da entstanden, wie sie die Stadt bis dahin noch kaum kannte. So entstanden 1963-65 der Wohnblock Etatsrätin-Doos-Str. 12/13 mit 24 Wohnungen, 1964/65 ein Wohnblock in derselben Straße Nummer 8-11 mit 36 Rentnerwohnungen. Die Gesellschaft St. Pauli errichtete 1964/65 einen Block mit 24 Wohnungen.731) Auch an der Neuen Burger Straße wurde gebaut. 1975 kam es sodann zur Erschließung des Neubaugebietes Am Fleeth. Und nunmehr erhielt Wilster auch dem Zeitgeist entsprechend „Hochhäuser“. Zwei von ihnen wuchsen 1975 Am Fleeth heran.732) Und seit 1980 heißt ein neues Erschließungsgebiet „Hohler Zahn“, ein Gebiet mit 44 Grundstücken. Die Stadt hatte entdeckt, dass sie als Wohnort attraktiv sein konnte auch für Menschen, die andern Ortes ihr Brot verdienten, denen Ruhe und schöne Wohnlage einen längeren Weg zur Arbeitsstätte aufwog, Rentnerstadt war Wilster ja schon eine geraume Zeit gewesen und blieb es auch. So erwuchs südlich der Dammflether Brücke das „Bebauungsgebiet Nr. 11“ mit dem deutschen Osten gewidmeten Straßennamen, noch weitere Straßen zweigten von der Neuen Burger Straße ab. Aber damit wäre schon beinahe das Jubiläumsjahr 1982 erreicht.
Die Zeit des sogenannten Deutschen Wirtschaftswunders ist zugleich auch die Epoche in unserer Geschichte, in der sich der Kraftwagen als vorherrschendes Verkehrsmittel in unserer Gesellschaft durchsetzte, es ist die Zeit der Motorisierung, die nunmehr erfolgte, nachdem sie durch Kriege und Nachkriegsnöte im Unterschied z.B. zu den USA immer wieder hinausgezögert worden war. Am 3.12.1949 gab es in Wilster immerhin noch 158 Pferde, ganz überwiegend zuständig für den Warentransport. Bis zum 3.12.1957 sank diese Zahl auf nur 37 herab.733) Auch in Wilster mit seinen vielfach ausgesprochen schmalen Straßen bestand zwischen rasch zunehmenden Kraftfahrzeugverkehr und dem vorhandenen Verkehrsnetz eine Diskrepanz. Straßeninstandsetzungen nehmen in ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen zu. Verbindungsstraßen werden geschaffen, um den Verkehrsfluss durch die Stadt hindurch zügiger zu gestalten, die B 5 führte ja durch die Stadt hindurch, von Itzehoe herein durch die Burger Straße und dorthin heraus durch den Kohlmarkt. 1953 erstand eine Stichstraße als Verbindungsstraße vom Steindamm nach der Burger Straße, die nach Fertigstellung als Bundesstraße (B 5) ausgewiesen wurde. Ein Haus musste deshalb abgebrochen werden. Der Inhaber erhielt in der Bahnhofstr. Ersatz dafür. Dann gab es zahlreiche Abrundungen, so schon 1952 Rumfletherstr – Rumflether Deich. So worden 1958 abgebrochen wegen Baufälligkeit und Abrundung Haus Schmiedestraße 33 (Ecke Op de Göten-Schmiedestraße), wurden die Grundstücke Rathausstraße 68/69 und 72/73 zum selben Zwecke erworben und Nr. 68 und 72/73 auch tatsächlich schon abgebrochen. Erwerb und Abbruch zum Zwecke der Abrundung im selben Jahr auch bei Neustadt 37 (vorher Stegemannsche Stiftung).734) Ein mühsames Herumlaborieren, bezeichnend für eine alte Stadt, die erstanden war unter anderen Verkehrsbedingungen. So tauchten zwei Bestrebungen auf, einmal erstrebte man eine Stadtsanierung, um den Ort bewohnbarer zu machen, weiter musste man bestrebt sein, den Durchgangsverkehr, der immer mehr anwuchs, was die Kraftwagen betraf, aus der Stadt herauszunehmen, indem man eine Umgehungsstraße erwirkte. Für eine Stadtsanierung standen, wenn die Stadt entsprechende Vorschläge und Eigenmittel erstellte, Mittel von höherer Instanz zur Verfügung. War doch, nachdem erst einmal die größte Wohnraumnot überwunden war, die Sanierung oft ganzer Stadtteile in deutschen Städten ein drängendes Anliegen. Auch Wilster hat eine solche Sanierung geplant. Sie tauchte in der Haushaltssatzung für 1969 auf. „Die unrentierlichen Kosten dürften insgesamt etwa 1 Mio. DM betragen, zur Hälfte vom Bund zu tragen“.735) Dass dabei eine gewisse Besorgnis erwachsen kann, dass die Stadt, die schon durch Verrohrung ihrer Au-Arme einiges von ihrem Charakter verlor, nunmehr bis zur Unkenntlichkeit verwandelt werden könne, liegt natürlich auf der Hand. Ruth-E. Mohrmann schreibt in diesem Sinne in ihrem „Volksleben in Wilster im 16. Und 17. Jahrhundert“ auf Seite 30 folgend: „Nachdem bereits das Verrohren der Burggräben und der Wilsterau im längsten Bereich ihres innerstädtischen Verlaufs dem Stadtkern eines seiner typischen Merkmale genommen hat, stehen Wilster in naher Zukunft sehr viel weiterreichende Veränderungen bevor. So wird die Verlegung der Bundesstraße, über deren kurvenreichen Verlauf durch die alte Haferstraße, Op den Göten und Schmiedestraße täglich hunterte von LKWs und PKWs rollen, den innerstädtischen Straßen eine spürbare Entlastung bringen und den Stadtkern wieder bevorrechtigt dem Fussgänger zugänglich machen. Einen tiefer gehenden Einschnitt in das bisherige Stadtbild wird aber die geplante Altstadtsanierung mit sich bringen. Während heute noch der Besucher Wilsters sich ohne Schwierigkeiten am Friederichschen Stadtplan von 1775 bei einem Rundgang orientieren kann, werden nach Abschluss der Sanierungsarbeiten ganze Straßenzüge verschwunden und Plätze verändert sein. „Inwieweit diese schwierigste Aufgabe, die Wilster in der Neuzeit zu lösen hat (so Bürgermeister Armin March anlässlich der Beratung der Bebauungspläne in der öffentlichen Ratsversammlung in Wilster am 21.3. 1974), zum Wohle der Stadt Wilster und ihrer Bewohner erfüllt werden kann, wird die Zukunft zeigen müssen.“ Finanzielle Schwierigkeiten haben dann das gesamte Sanierungsprojekt nicht nur hinausgezögert, es auch erheblich reduziert. Am 20. Februar 1982 berichtete die Norddeutsche Rundschau über Ausführungen des damaligen Ersten Stadtrates Helmut Jacobs, der den damals beurlaubten Bürgermeister der Stadt zu vertreten hatte, über das Problem der Wilsterschen Stadtsanierung, gehalten vor seinen Parteigenossen von der SPD im „Holsteinischen Haus“. Da heißt es folgend: „ Leider sei es nicht möglich gewesen, die Sanierung der Wilsterau oder die Stadtsanierung zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Die Stadtsanierung ziehe sich bereits mehr als 10 Jahre hin und es sei immer noch kein Ende zu erkennen. Die Stadt sei vom Bund und Land aufgefordert worden, die Sanierung kurzfristig zu einem Abschluss zu bringen, da andernfalls bereits bewilligte Mittel anderen Gemeinden zur Verfügung gestellt würden. Die Ratsversammlung habe durch entsprechende Beschlüsse frühere Sanierungsvorhaben erheblich reduziert. Übrig geblieben sei eine Neutrassierung des Klosterhofes mit dem Ziel, auf Kosten minderer Bausubstanz eine Verkehrsberuhigung im Innerstadtbereich zu erreichen, um dort wertvollere Bausubstanz zu erhalten. Die noch zur Verfügung stehenden Mittel sollen zum Erwerb einiger Schlüsselgrundstücke und zur Modernisierung mehrerer bereits erworbener Grundstücke eingesetzt werden. Auf die Sanierung der Wilsterau eingehend, meinte Jacobs, dass auf diesem Gebiet deshalb keine Verbesserungen in Angriff genommen worden seien, weil in einem seit Jahren andauernden Rechtsstreit ungeklärt sei, wer – Stadt oder Land – für die Kosten der Sanierung aufzukommen habe.“ Hierzu meldete dieselbe Zeitung am 7. April 1982: „Die Stadt Wilster hat ihren Rechtsstreit mit dem Land Schleswig-Holstein über die Einstufung der Wilsterau verloren. Bürgermeister Wolfgang Noffke gab dieses Ergebnis auf der jüngsten Ratsversammlung bekannt. Die Stadt Wilster hatte eine Feststellungsklage erhoben, um deutlich zu machen, dass die Einstufung der Wilsterau als Bundeswasserstraße I. Ordnung begründet ist. Diese Einstufung, die für den Hauptlauf unumstritten ist, sollte auch für sämtliche Nebenarme der Au im Stadtgebiet gelten. In der ersten Instanz hatte die Stadt Wilster im Verwaltungsgericht Schleswig Recht bekommen. Daraufhin war das Land Schleswig-Holstein vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gezogen. In dieser zweiten und letzten Instanz unterlag nun die Stadt. „Erheblicher war das Ergebnis, was die Umgehungsstraße betraf. Die Stadtvertretung setzte sich von vornherein für eine südliche Umgehung ein, so 1949, bis dahin solle eine „Stichstraße“ erbaut werden. Aber noch am 27. Juni 1957 wurde festgestellt, dass eine Entscheidung über eine nördliche oder eine südliche Umgehung noch immer ausstehe. In den 70er Jahren kam man endlich zügig zum Ergebnis in Form einer großzügigen Südumgehung. 1976 war der Bau einer großen Stadtumgehungsstraße der B 5 voll im Gange. Und im Steinburger Jahrbuch 1977 konnte auf Seite 232 vermerkt werden: „Als Bundesmaßnahme wurde Ende September 1976 die Umgehungsstraße Wilster im Zuge der B 5 ihrer Bestimmung übergeben.“ Ein wichtiger, erlösender Abschluss hier.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Kriege litt die vorher so blühende Pflege des Heimatgedankens wie überhaupt jede Beschäftigung mit Geschichtlichem sehr. Die eigene Geschichte erschien als kaum mehr als eine Kette von nationalen Pleiten, zuletzt auch auf moralischem Gebiete. Man verdrängte das, was vor der berühmten Stunde Null gewesen war, lebte der Gegenwart und der Zukunft. Pflege des Heimatgedankens war vom 3. Reich in seinem Sinne betrieben worden, was zum Ergebnis hatte, dass man nunmehr ihm kaum noch ein Entgegenkommen erwies. Der Heimatverein der Wilstermarsch ging ein. Bücher, von ihm herausgegeben, landeten im wahrsten Sinne des Wortes in der Gosse. Heimatliebende Bürger fischten sie dort heraus, soweit sie konnten. Zum Glück ist hier ja inzwischen ein gewisser Wandel eingetreten. Eine gute Sache wird nicht deshalb schlecht, weil sie von dieser oder jener Seite für eigene Zwecke verwandt worden. Wenn auch der „Trend“ dem lange Zeit entgegenstand, so hat es doch immer in Wilster an maßgeblicher Stelle die Überzeugung gegeben, dass seine historischen Bauten und historisch überlieferten und weitergepflegten Bräuche nicht das schlechteste waren, welches Wilster der Mitwelt zu bieten hat. Schon am 1.4.1952 trat eine von den Stadtvertretern beschlossene Ortssatzung über die Baugestaltung und zum Schutze des Ortsbildes gegen Verunstaltung in Kraft. Das Ehrenmal für die Gefallenen von 1914-18 wurde 1955 erweitert, der Gedenkstein an den Frieden 1871 wurde von der Kirche in den Stadtpark verlegt. Des Archives nahm sich der Konrektor der Mittelschule Otto Neumann an, selber ein Flüchtling. Es wurde neu überarbeitet, wichtige Ordnungs- und Registrierarbeiten durchgeführt. Otto Neumann verließ dann die Stadt, um Kreisarchivar zu werden. Für das 675–jährige Jubiläum der Stadt schrieb er einige Arbeiten über Bereiche der Stadtgeschichte, die bisher weniger durchforscht worden waren. Sie wurden allerdings nicht gedruckt, sind in Maschinenschrift in der Hand des Stadtarchivars. Immerhin geschah zum mindesten eine Arbeit über das Neue Rathaus ausdrücklich auf Veranlassung der Stadt. Man pflegte Bausubstanz und Anlagen nach Kräften. Allerdings ließ sich das Balkenhaus neben dem Alten Rathaus wegen Baufälligkeit nicht halten, auch wohl nicht wegen notwendiger Kurvenab-flachung. Der Vorteil besteht darin, dass das Alte Rathaus stärker zur Geltung kommt, vor allem verschwindet heute nicht mehr der Speicher hinter anderer Bausubstanz. Auch Feiern im Zusammenhang Wilsterscher Tradition verstand man weiterhin zu begehen. Zum 675-jährigen Stadtjubiläum schrieb Rektor Adolf Sievers eigens ein Festspiel „De Rathusdör“, das am 8. August 1958 aufgeführt wurde und großen Anklang fand. Wenn jedenfalls auch in der Nachkriegszeit Tradition gepflegt wurde, so geschah es in den beiden Städten Krempe und Wilster. Hier waren es und sind es weiterhin vor allem die Gildefeste, welche Tradition und historische Überlieferung wach hielten und halten. „Auch die Bürger-Schützen-Gilde der Marschenstadt Wilster von 1380 feierte in altgewohnter Weise wieder ihr Gildefest“, heißt es im Steinburger Jahrbuch 1973 (Seite 208). „Wie schon seit Jahren begann das reichhaltige Programm mit dem traditionellen Ummarsch und Aufzug der Stadtwache vor dem Rathaus. Dort erlebten die Wilsteraner und Gäste das Spiel um die Etatsrätin Doose, der einstmaligen Wohltäterin der Marschenstadt. Der Gildemontag war wieder Höhepunkt des Gildefestes, das in seinem Ablauf von historischen Überlieferungen bestimmt wird. Zu Beginn des Tages rüttelt der Weckruf die Bürger aus dem Schlaf. Dann folgen Hauptmanns-, Königs- und Bürgermeistermarsch. Das traditionelle Fahnenschwenken auf dem Marktplatz vor der Sonnin-Kirche bot ein prachtvolles Bild und wurde mit starkem Beifall von den vielen auswärtigen Besuchern und Einheimischen belohnt. Die beiden Gildefeste in Krempe und Wilster sind immer Höhepunkte des heimatlichen Geschehens. Es wird dabei deutlich, dass diese Gilden sich um die Erhaltung des Brauchtums in unseren Marschen hochverdient machen.“736) Einige Dissertationen über Wilster stammen aus dieser Nachkriegszeit, die die Kenntnis über die Vergangenheit der Marschenstadt erweiterten. In der Zeitschrift für schleswig-holsteinische Geschichte erschien „Die Anfänge der Städte Itzehoe, Wilster und Krempe“737) von Marianne Hoffmann. Vor allem erschien 1977 von Ruth-E. Mohrmann „Volksleben in Wilster im 16. und 17. Jahrhundert“, für diese beiden Jahrhunderte und nicht nur für diese ein Standardwerk.
Von Bedeutung für Wilster wurde seit den 60er Jahren eine Gesetzgebung, die man unter dem Begriff „Raumordnung“ zusammenfassen kann.738) „Die Raumordnung ist eine junge, in rascher Entwicklung befindliche Aufgabe. Ihre Probleme und deren Bewältigung in raumordnungspolitischen Aufgabenstellungen werden mit dem steilen wirtschaftlichen Aufschwung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland immer drängender. Seit 1960 ist das Bundesbaugesetz als Grundgesetz des Städtebaus in Kraft. Es enthält die rechtlichen Grundlagen für die Planung in den Gemeinden und Städten des Bundesgebietes. Schließlich konnte nach langjährigen Bemühungen 1965 das Bundes-ordnungsgesetz vom Bundestag verabschiedet werden.“739) „Die räumliche Struktur der Gebiete mit gesunder Lebens- und Arbeitsbedingungen --- soll gesichert und weiter entwickelt werden“, heißt es im § 2 und : „In Gebieten, in denen eine solche Struktur nicht besteht, sollen Maßnahmen zur Strukturverbesserung ergriffen werden“, und weiterhin: „Eine Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten, die dazu beiträgt, räumliche Strukturen mit gesunden Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ausgewogenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen zu erhalten, zu verbessern oder zu schaffen, soll angestrebt werden. --- In Gebieten, in denen die Lebensbedingungen in ihrer Gesamtheit im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt wesentlich zurückgeblieben sind, --- sollen Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung einschließlich der zugehörigen Bildungs-, Kultur- und Verwaltungseinrichtungen gefördert werden.“ Zielsetzung ist also eine „Verdichtung“ der „Wohn- und Arbeitsstätten“ und die Förderung von „Gemeinden mit zentral-örtlicher Bedeutung“. Die Auswirkungen dieses Gesetzes waren in unserem Lande weniger tiefgreifend und einschneidend als in anderen Ländern der Bundesrepublik, aber sie bestanden durchaus. Am 16. Dezember 1969 beschloss der schleswig-holsteinische Landtag ein Gesetz zu einer „Neuordnung von Gemeinde- und von Kreisgrenzen sowie von Gerichtsbezirken“. Die Zahl der Kreise wurde dabei von 17 auf 12 verringert. Der Kreis Steinburg wurde davon wenig betroffen, er blieb als solcher bestehen, wurde nicht mit anderen Kreisen zusammengelegt, Itzehoe blieb Kreisstadt, neu war nur, dass die Ämter Schenefeld und Wacken zum Kreis hinzukamen, er also noch etwas ver-größert wurde. Stärker wirkte sich die Änderung der Gerichtsbezirke aus, in den folgenden Jahren verschwanden die Amtsgerichte in den Landstädten des Kreises, wurde das Gerichtswesen in einem mächtig angewachsenen Amtsgericht in Itzehoe zentralisiert. Hier zeigte sich die eine Seite der „Reform“. Eine Zentralisation ging oft auf Kosten der Landstädte, die einen Teil ihrer Funktionen zu Gunsten hier der Kreisstadt einbüßten. Das alte Amtsgerichtsgebäude Rathausstraße 1 wurde 1958 schon an die Amtsverwaltung des Amtes Wilstermarsch verkauft, das Amtsgericht lag in den letzten Jahren seines Bestehens in dem Gebäude Rathausstraße/Ecke Stadtmühlenweg, bis es jetzt als eines der ersten aufgehoben wurde. Die Stadt verblieb sonst ungeschmälert, aber auch nicht durch Einge-meindungen ausgeweitet zu einer Großgemeinde, die das ganze Umland umfasste, wie es in anderen Ländern der Fall war. Landstadt und Amt der umliegenden Landgemeinden blieben erhalten, zumal diese Organisation sich bewährt hatte. Wilster hat jedoch noch in anderer Hinsicht Einbußen an Bedeutung hin nehmen müssen, immer zu Gunsten der Kreisstadt. Es hat aber auch als sogenannter zentraler Ort Funktionen übernommen, die bis dahin Sache der Landgemeinden waren. Man unterschied im Gesetz von 1965 zentrale Orte verschiedener Ordnung: Die Oberzentren (Richtwert 100 000 Einwohner) in Schleswig-Holstein nur Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster, die Mittelzentren (ihr Richtwert betrug über 30 000 Einwohner) Itzehoe war ein solcher Ort. III. Ordnung waren die Unterzentren, IV. Ordnung schließlich die Kleinzentren. Durch Runderlaß des Innenministeriums des Landes vom 1.6.1965 wurde Wilster Mittelpunktsgemeinde und zwar gemäß Regionalplan für den Planungsraum IV ein Zentraler Ort III. Ordnung, Wilster wurde „Unterzentrum“.
Eine Einbuße durch fortschreitende Zentralisierung erlitt Wilster auch auf sanitäterem Gebiet. Das Wilstersche Krankenhaus „Menckestift“, getragen von einem Zweckverband, unterstützt durch einen Krankenhaus-Lastenausgleich, hatte 1968 den Anstaltsarzt und einen Assistenzarzt, die Buchhalterin und eine kaufmännische Arzthelferin. An Schwestern waren vorhanden die Oberschwester, 2 Operations- und 2 Stationsschwestern, eine Nachtschwester, 4 Schwesterhelferinnen, sodann eine med. techn. Assistentin. Dann gab es noch den Hausmeister und Krankenwagenfahrer, eine Wirtschafterin, 6 Gehilfinnen und 3 stundenweise beschäftigte Aushilfskräfte. Dieses Krankenhaus war gewiss nicht groß, aber es hatte sich seit Jahrzehnten bewährt. Damals bestand schon der Plan, ein Kreiskrankenhaus in Itzehoe am Hackstruck zu errichten. Am 24. Oktober 1972 fasste der dafür gebildete Zwecksverbandsausschuss den Beschluss, mit dem Bau sofort zu beginnen. Schon am 12. September 1974 war dort das Richtfest. 1976 konnte dann das Schwerpunktkrankenhaus in Itzehoe in Betrieb genommen werden, worauf die „Schließung der überalterten kleinen Krankenhäuser in Kellinghusen und Wilster“ erfolgen konnte.741) Aus dem Menckestift wurde eine Sozial- und Pflegestation. Im Adressbuch 1980 erscheint es als „Pflegeabteilung Wilster Klosterhof 28“. Dazu besteht eine Rettungswache des Roten Kreuzes, weiter eine Klinik ebenda.
Auf schulischem Gebiet hat sich die Rolle Wilsters für das Umland dagegen beachtlich verbessert. Schon 1967 kam es zur Gründung eines Schulverbandes Realschule Wilster, der von der Stadt Wilster die Trägerschaft für die Schule übernahm. Dem folgte schon 1969 die Gründung des Schulverbandes Wilstermarsch, bestehend aus 16 Gemeinden hier. Er übernahm die Trägerschaft aller in der Wilstermarsch vorhandenen Schulen. Dies geschah im Zusammenhang mit der Schulreform. Es gab nunmehr die 4-jährigen Grundschulen als eigene Anstalten und die weiterführenden Schulen, nämlich Haupt-, Realschule (bisher Mittelschule) und Gymnasium. Letzteres gab es nur in Itzehoe und Glückstadt. Für die in der Wilstermarsch bestehenden Schularten (ohne die Grundschulen, die in den einzelnen Orten verbleiben sollten), plante man eine Zusammenfassung, naturgemäß konnte sie nur in der Stadt Wilster erfolgen. Zu vermerken wäre noch aus der Zeit vor Bildung des Schulzentrums, dass schon 1963 eine zunächst zweiklassige Sonderschule gebildet wurde. Am 20.12. 1965 erhielt Wilsters Schule seinen heutigen Namen Wolfgang-Ratke-Schule. 1963 wurde die alte Turnhalle Am Markt abgebrochen. Sorgen um Platz gab es in dem Gebäude der Realschule bei wachsender Schülerzahl, davon fast die Hälfte Auswärtige vor allem aus den Marschgemeinden. Die alten Gebäude von 1885 entsprachen kaum mehr modernen Anforderungen. So wurde ein Neubau als unerlässlicher angesehen, dazu sollte eine neue Turnhalle zugleich mit einem Lehrschwimmbecken geschaffen werden. Als Standort dafür wurde das frühere Peemöllersche Gelände vorgesehen. Hierhin sollte auch die Dörfergemeinschaftsschule (Hauptschule) kommen.742) Der Schulverband für die Realschule wurde wegen der zahlreichen Auswärtigen 1967 eine Notwendigkeit, es war nun ein Verband der Gemeinden der Träger, dies erfolgte am 1.7. des Jahres, 15 Gemeinden wurden zahlende Mitglieder. Nachdem 1969 für die Volksschule ein Schulverband Wilstermarsch erstanden war, begannen die Maßnahmen für den Bau eines Schulzentrums in Wilster. Dieses enthielt die Realschule, Hauptschule, Sonderschule, eine Großturnhalle. Angeschlossen wurde das Sportlerheim, dahinter ein Sportplatz. 1972 erfolgte die Fertigstellung des 1. Bauabschnittes, nämlich das Gebäude der Hauptschule und von 3 Klassen der Realschule. 1975 war der 2. Bauabschnitt mit den restlichen Klassen und Fachräumen der Realschule fertig und konnten bezogen werden. Die Arbeiten für den Sportplatz laufen zugleich. Bis dahin gab es nur den Sportplatz am Brook, einen Rasenplatz. Weiter wurde der Colosseumplatz benutzt, der dann auch „Sportplatz“ genannt wurde. Er war aber nichts anderes als ein befestigter Schlackenplatz. Am 11. /12. September 1976 konnte dann die Einweihung des Platzes an der Rumflether Straße erfolgen. 1977 begann man mit dem Bau des Sportlerheimes, vor allem aber auch mit dem Bau des Hallenbades. Das Hallenbad kostete 3 Millionen DM, das Sportlerheim 300 000 DM, der 2. Bauabschnitt der Realschule 1 Million DM. 1978 war das Schul- und Sportzentrum Wilstermarsch fertiggestellt. Die Einweihung erfolgte dan am 26.1. 1979. Vor allem in diesem Zentrum dokumentiert sich Wilster heute als Mittelpunktsgemeinde für die umliegende Wilstermarsch. Zu erwähnen wären schließlich noch die „Stadtwerke“ als ein bis zum heutigen Tage florierendes Unternehmen. 1956 waren hier beschäftigt ein leitender Ingenieur, ein Werkleiter, ein Hauptbuchhalter, 2 Angestellte und 1 Angestellte (Frau), ein Ableser und Kassierer und eine Reinmachefrau. 1951 wurde das Haus Klosterhof 36 erworben und 1954 als Werkleiterwohnung ausgebaut. In der Gasversorgung trat eine wesentliche Veränderung am 10. Mai 1965 ein. Der Gasbezug von den Stadtwerken von Itzehoe wurde eingestellt, dafür die Eigenerzeugung von einem Propan/Luft Gemisch aufgenommen. Die Flüssiggasanlage ergab gegenüber dem bisherigen Fremdbezug eine erhebliche Einsparung. Vom Bahnhof führte eine Propan-Doppelleitung direkt zum Werk, zum Mischergebäude. 1979 erfolgte für die Stadtwerke am Klosterhof die Errichtung eines neuen Verwaltungsgebäudes, das auch Betriebswohnungen mit einbeschloss. 1977 erfolgte eine erneute Umstellung im Gasbezug. Wilster erhält seitdem von der Schleswag Erdgas. Daneben blieb eine Mischanlage weiter bestehen, um in Spitzenzeiten dem Erdgas das Flüssiggas/Luft Gemisch hinzuzufügen, um so den Leistungspreis für Erdgas zu reduzieren. Durch Feuer fielen jedoch im Dezember 1981 sämtliche Anlagen im Mischergebäude aus. Seitdem regelt eine Kompaktanlage, die von der Schleswag erstellt wurde, die Versorgung. Zum Schluss mag ein kurzer Ausblick auf die Situation erfolgen, in der sich Wilster heute im Jahre 1982 befindet. Verkehrsferne innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und noch mehr innerhalb des Wirtschaftsgebietes der EG kennzeichnet Schleswig-Holstein und hier besonders die Westküste und damit auch Wilster. Hamburg und sein Umland üben eine große Anzugskraft aus. Das alles ist nicht immer so gewesen, war aber zumindest im letzten Jahrhundert bestimmend gewesen für Wilster und zwar eher in steigendem Ausmaße. Sogar als Mittelpunkt einer begrenzten Landschaft hat die Stadt immer mehr Einbußen hinnehmen müssen. Erfolgreiche Bemühungen um Anschluss an das Verkehrsnetz zu Wasser, im Eisenbahnverkehr, im Straßennetz haben diese Grundtatsachen nur mildern, nicht dagegen beseitigen können. Es ist aber keinesfalls so, dass sich die Lage Wilsters im Raum, im Wirtschafts- und Verkehrsraum gar nicht geändert hätte. Auch im letzten Jahrzehnt hat sich diese Lage nicht unerheblich geändert. Nur 10 km weiter östlich hat sich die Kreisstadt immer mehr ausgeweitet. Zusammen mit den Itzehoe umgebenden, von Städtern übersiedelten Dorfschaften hat sich hier ein Ballungsraum von über 50 000 Menschen mit entsprechendem wirtschaftlichen, kulturellen, administrativen und gesellschaftlichen Angebot herausgebildet. Das Störsperrwerk, die Antwort auf die Wassernöte von 1962 und 1976, wird sicher Auswirkungen dahingehend haben, dass die südöstliche Wilstermarsch mehr in den Einzugsbereich Glückstadts kommen wird. Von der Landesregierung stärkstens gefördert ist erstanden und entsteht immer noch weiter ein Industrieraum in und um Brunsbüttel mit gutem Hafen. Man nutzte „den Trend der Grundstoffindustrie zu Standorten am seeschifftiefen Wasser zur Lösung der Beschäftigungs-probleme an der weitgehend schwach industrialisierten Westküste Schleswig-Holsteins“.743) Eine Industrielandschaft erstreckt sich schon jetzt bis in den Südwesten der Wilstermarsch hinein. Sicher wird dieser Teil der Marsch auf länger in den Einzugsbereich Brunsbüttels geraten, wenn erst einmal die nötige Infrastruktur erstellt worden ist. An der Elbe entlang aber wächst eine Kette von Atomreaktoren heran. Der erste direkt bei Brunsbüttel steht schon seit Jahren, der zweite in Brokdorf ist im Bau und erregt viele Menschen, besonders Jugendliche, die ökologische Bedenken haben. Leidenschaftliche Debatten, Massendemonstrationen fanden statt. Brokdorf wurde hier für viele bundesweit zum Symbol. Auch und gerade die Wilstermarsch und die Stadt Wilster haben inzwischen ihre „Grünen“, die hier aufbegehren. Der Atomreaktor wächst indessen zügig weiter. Dazwischen liegt noch immer eine offenbar blühende Marsch mit seiner auf Milchviehzucht abgestellten Landwirtschaft. Und in der Mitte von dem allen liegt die Landstadt Wilster, an der vorbei die Anschlussstraße (B 5) von Brunsbüttel zur Autobahn, die inzwischen Itzehoe (1981) erreicht hat, führt. Diese neue Situation wird in der Zukunft das Schicksal dieser Stadt sein. Wird die Stadt zwischen stärkeren wirtschaftlichen Potenzen in Ost und West zur Bedeutungslosigkeit herabsinken? Wird es zum Idyll im Winkel werden, gut gerade noch für Folklore, an dem der große Verkehr vorbeirauscht? Ein verträumter Winkel in der großen Welt? Wird diese Stadt zur begehrten Wohnstadt werden für Menschen, die gute zentrale Verkehrslage mit Schönheit des Wohnens verbunden zu schätzen wissen? Wird es der Stadt gelingen, ihre Mittellage auszunutzen, Ort für Zubringerindustrien und für Dienstleistungsbetriebe und –unternehmen für einen größeren Raum rundum werden? Wir wissen die Antwort noch nicht. Sicher jedoch ist, dass Wilster zurzeit mitten in einem Raume gelegen ist, der wieder einmal einen gewichtigen Wandel über sich ergehen lässt. Die Zukunft wird uns die Antwort geben.